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12 Dann trat er an den Tisch, und begann seinen Reich tum, zuerst die Kassenscheine, auszupacken. Was die Mutter Lienhart anbelangte, so schien er recht zu behalten. Denn fei es, daß die Erscheinung ihres ManneS beruhigend aus sie einwirkte, oder daß ihr plötz lich etwas Vernünftiges einfiel: sie brach auf einmal mit ihrem Gelächter ab, stand auf und watschelte in das da neben liegende Schlafzimmer. Grete sah indessen mit großen, neugierigen Augen dem Beginnen des BaterS zu, und schlug einmal über das andere vor Heller Freude die kleinen Hände über dem Kopfe zusammen. »Hai der Hausherr das Geld hergegeben?... Gehört das alles uns?... Ist das viel Geld?... Es sind sicher tausend Markl* ,WaS, tausend Mark?" erwiderte Lienhart verächtlich, indem er mit dem Zählen etnhielt. .Jetzt sind es gerade 29 VOO Markl* Er breitete die letzten Scheine hin. Das machte auf Grete einen solch ungeheuren Eindruck, daß sie nicht mehr wagte, den Mund aufzutun. In stummem Äaunen betrachtete sie die Herrlichkeit. Nun öffnete sich auch die Tür des Schlafzimmers wieder, und Mutter Lienhart trat heraus, mit dem Sonntagskapotthut auf dem Kopfe. Da sie aber vergessen hatte, die Haus- fchürze abzulegen, sah sie ziemlich sonderbar aus. Ohne ihre Angehörigen eines Blicks zu würdigen, ging, sie, gleich einer Nachtwandlerin träumend, zum Fenster, und sah hinaus nach dem Wetter. Unten hatte sich die Menge verlaufen, nur einige Dutzend Jungen lungerten noch um- her und warteten, ob nicht noch einmal ein Kleingeldregen von oben käme. Einer der kleinen Strolche entdeckte sogleich den un- gewöhstlichen Aufzug der glücklichen Frau, und es dauerte nicht lange, bis die undankbare Rotte ein stürmisches Hallo anhub. Da Mutter Lienhart die Ursache des Jubels keines wegs erkannte, faßte sie das Geschrei der Jungen als eine Ehrung auf, und knixte mehrmals, unbekümmert darum, daß eine Feder des schönen Kapotthuts an dem Fenster rahmen stark geknickt wurde. Lienhart hatte inzwischen auch die Papiere ausgebreitet. Durch den Lärm auf der Straße aufmerksam geworden, sah er nach seiner Frau hin. »Was machst du denn da eigent lich?* fragte er erstaunt. Sie drehte sich um. .Ich sehe nach dem Wetter. Ich will mir nämlich sogleich den Hut holen von Pollinskys, mit den vier Federn * Plötzlich fiel ihr Blick auf den aufgestapelten Reichtum. Das war aber zu viel für ihre schon stark ramponierten Nerven. Ihre Augen vergrößerten sichtzunnatürlich, und — plumpS! — mit einem lauten, verzückten Aufschrei, lag sie da. Auch hier zeigte sich wieder die verderbliche Macht des Geldes. Lienhqrt war von Natur gewiß kein schlechter Mensch; aber der böse Dämon hatte ihn schon ergriffen. Einen Moment schwankte er tatsächlich, ob er seiner Frau zu Hilfe eilen oder lieber vollends das Geld aufzählen sollte; da aber Grete, die noch ein besseres Herz besaß, mit einem lauten Schreckensruf zur Mutter eilte, besann er sich doch eines Besseren, und beide hoben unter Auf bietung aller Kräfte die Ohnmächtige auf das Kanapee. Boll Jammer warf sich die erschrockene Grete über den ttblosen Körper, und Lienhart rannte verzweifelt in der Stube auf und ab, ohne zu einem Entschluß kommen zu können. Das Unglück wollte, daß nun gerade noch der Geselle und der Lehrftmge zur Tür hereinkamen. Kaum hatten sie die Meisterin erblickt, die blaß, mit geschlossenen Augen dalag, als sie schon ein fürchterliches Geschrei erhoben. .Doktor! Doktor!* heulte der Geselle, .die Meisterin hat der Schlag gerührt!* Und im Augenblick war er wieder zur Tür hinaus, ge folgt von dem treuen Lehrbuben. »Hilfe! Hilfe!* gellte dessen Stimmt. Sie alarmierten im Nu das ganze Haus. Frau Küch lein kam gesprungen, von unten ertönte das Organ der Madame Hellborn. Frau Küchlein besaß von jeher schwache Nerven. Ihre Ankunft wirkte durchaus nicht beruhigend; doch unterstützte sie die weinende Grete mit gutgemeinten Wehklagen. Durch das Geschrei Friedrichs kam Lienhart erst daraus, was not tat. Er atmete schwer und stockend. „Laufe, Grete, hole den Doktor! Schnell, schnell, den ersten besten!* „Nein, o nein*, widersprach Frau Küchlein, „nur den Doktor nicht! Beileibe nicht den Doktor! Ich weiß einen Schäfer, einen ganz alten Schäfer! Wenn wir den zur Stelle hätten!* Grete hatte sich erhoben. Sie war auf einmal die Ver nünftige, die Gefaßte. Ohne sich zu besinnen, ohne ein Wort zu sagen, eilte sie hinaus. Gleich unten in der Straße wohnte ja der Doktor Petersen. Hoffentlich war er zu Hause! Aber auf der Treppe hielt sie Madame Hellborn an. „Was ist passiert? Zum Doktor? Frau Lienhart ist umgefallen? Nein, wie ich das bedaure! — Aber wir haben ja einen Doktor im Hause! Kehren Sie wieder um, liebes Kind! Ich schicke ihn gleich hinauf. Einer meiner beiden Herren ist ja Doktor.* Und sogleich verschwand sie in ihrer Wohnung; man hörte sie hinter der Glastür rufen und klopfen. Gretes Herz pochte, unschlüssig blieb sie stehen. Wenn das wahr wäre, welch ein Glück!... Bis sie den Doktor Petersen holte, war es am Ende zu spät! In der Wohnung der Madame Hellborn wurde es lebendig; der Zimmerherr kam. Mit einem seltsamen, fun kelnden Blick matz er vas hübsche, zitternde Kind aus der Treppe. Frau Hellborn folgte ihm. Eilig gingen sic alle drei hinauf. „Es wird nicht so schlimm sein*, sagte er beruhigend. Der Mann besaß eine starke, volltönende Stimme; sie hatte einen fremdartigen Klang. „Ist es der Herr Baron?* fragte Grete leise. „Nein, der andere*, gab Frau Hellborn ebenso leise zurück. „Er ist ein Mediziner und steht gerade dicht vor dem Examen.. Zwei Stationen hat er schon. Er ist un geheuer gescheit.* Grete wußte zwar nicht, was die Stationen zu be deuten hatten; aber jedenfalls war es etwas Gutes. So suchte sie sich zu beruhigen. Denn merkwürdig, so vornehm und hübsch der Mann aussah, er wollte ihr nicht recht ge fallen. Sie hatte seinen Blick bemerkt, mit dem er sie überflog, und ihr reines, unverdorbenes Herz fühlte ein Mißbehagen bei diesem Blick. Droben in der Stube lag Mutter Lienhart immer noch unbeweglich auf dem Kanapee. Der Tisch mit dem neu gewonnenen Reichtum war mit dem Bodenteppich zu gedeckt. Hierzu hatte Lienhart immerhin noch Zeit ge funden. Der angehende Doktor der Medizin schien aber doch seine Sache zu verstehen. Er kümmerte sich gar nicht um die Oertlichkeit; in erster Linie beschwichtigte er mit einigen kräftigen, gutgemeinten Worten die Frau Küchlein, die sich beleidigt in ihre Häuslichkeit zurückzog. „Bringen Sie mir ein Glas frisches Wasser*, befahl er Grete mit ruhiger Stimme. Von dem Inhalt des Glases goß er ein hübsches Quan tum über das Gesicht der Leblosen. Das klare, frische Brunnenwasser brachte augenblicklich eine wohltuende Wirkung hervor. Das Gesicht Mutter Lienharts, das schon wieder ziemlich rosig aussah, belebte sich; sie schlug die Augen auf, schloß sie aber soglei» wieder. „Mutter!* sagte Grete mit bittender Stimme. „Mutter!* sagte auch Lienhart etwas rauher. „Ich alaube, sie ist schon wieder ganz bei Verstände.* (Fortsetzung folgt.)