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Beilage zur Weiheritz-Jeitung Nr. Ivo Dienstag, am 30. April 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Reichsbankpräsident Dr. Schacht hat dem Repara- tionsausschuß des Reichskabinetts über die Pariser Per« Handlungen Bericht erstattet. — Der Generalrat der Reichsbank tritt am heutigen Dienstag zu einer Sitzung zusammen. — Die vorbereitend« AbrüstungSkommission hat den deutschen Antrag auf Einbeziehung der Reserven in die Abrüstung abgelehnt. — Bei der Stendaler Prüfung für Automobile und Motorräder wurden drei Personen getütet und zwei schwer verletzt. — Bei Schreibersdorf auf der Straße Görlitz—Lauban wurde ein Raubmord an einem Motorradfahrer verübt. — In Nürnberg ist das elfte Todesopfer der Explo sion bei Staebler, eine schiver verletzte Arbeiterin, ge storben. — Am Hartmannsweilerkopf wütet« ein verheerender Waldbrand, bA dem Tausende von alten Blindgängern und vergessenen Handgranaten explodierten. — In, England kamen beim Brand eines Autobusses fünf Menschen ums Leben. Der Sieg -er Reichsmark. A. S. Die Attacken französischer Kreise gegen die deutsche Mark, durch die man die deutsche Dele gation in Paris mürbe machen, das deutsche Voll aber in eine Panikstimmung hineintreiben wollte, sind gescheitert! Verwirrung haben sie freilich ge nug angerichtet. An den deutschen Effektenbörsen herrschte in der vorigem Woche an jedem Tage eine andere Stimmung. Eben noch gab man sich größten Hoffnungen hin, 24 Stunden später sah man alle- schwarz, und wieder 24 Stunden später freute man sich unbesehen über jede Meldung aus Paris. Dieses Hin und Her mußte die Börsen selbstver ständlich nervös machen, aber verwunderlich bleibt es doch, wieviel Leute sich in den letzten Tagen dräng ten, um schlechte Geschäfte abzuschließen. Ueberängst- liche Leute, deren Phantasie üppiger ist als ihr reales Wissen, vergnügten sich damit, Dollarnoten zu Ham stern, und wollten damit selbst dann nicht einhalten, als der Dollar in seiner dritten Dezimalstelle um einige Punkte in die Höhe ging. Von welchen Vorstellungen sich diese Pessimisten bei ihren Operationen leiten ließen, ist schwer zu er raten. Gibt es tatsächlich Leute, die allen Ernstes eine neue Inflation für möglich halten? Begründet sind solche Befürchtungen jedenfalls nicht: Der Weg zu einer neuen Inflation ist fest verrammelt! Und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: Eine Wäh rungszerrüttung kann nur dann um sich greifen, wenn die Notenpresse arbeitet, wenn das Geld belie- big vermehrt wird! Diese Tatsache sollte uns die deutsche Inflation der Nachkriegszeit gründlich eingehämmert haben. Es ist mit dem Tauschmittel Geld wie mit jeder anderen Sache: wenn es feinen Selteüheitscharakter verliert, wenn es in Massen auf den Markt geworfen wird, dann verliert es seinen Wert. And daß der Noten umlauf in Deutschland wie in jedem anderen führen den Lande seit 1924 begrenzt ist, das sollte man auch dann nicht vergessen, wenn man nervös wird und aus fremde Manöver hereinfällt. Die deutsche Reichsmark kann sich nicht entwerten, weil sie nicht in beliebigen Mengen auf den Markt ge worfen werden kann! Das ist das wichtigste. Man hat zwar in der Inflation sehr viel gescheites Zeug über die „tieferen" Ursachen der Währungszerrüttung geschwatzt, doch ist es wirklich töricht, nach tieferen Ur sachen zu forschen, wenn naheliegende alles zur Genüge erklären. Der Prozentsatz der Notendeckung durch Gold und Devisen tritt neben der Begrenzung des Notenumlaufs zurück. Aber selbst unter Beachtung des Deckungs verhältnisses sind die hier und da verzapften „Weis heiten" unverständlich. Gewiß, die Reichsbank hat ganz beträchtliche Gold- und Devisenbestände verloren und verliert sie weiter; aber trotzdem sind die deutschen Papiernoten auch heute noch zu 55,6 Prozent allein durch Gold gedeckt, während die gesetzlichen Bestim mungen ein Mindestverhältnis von 40 Prozent vor schreiben! Heute gestehen sich wohl auch die Pessimisten unumwunden ein, daß sie mit ihren Angstkäufen sich blamiert haben. In der neuen Woche hat man sich an den Börsen wieder beruhigt, und es wird nicht lange dauern, dann werden die Dollarkäufer die Erfahrung machen müssen, daß keine Bank daran denkt, ihnen ihre teuer eingekauften Devisenvorräte zu einem hö heren Kurs abzunehmen. Die Hamsterer müfsen ihre Lager mit Verlust räumen, und dafür, daß das bald geschieht, bürgt schon die Geldknapp heit, in der sich auch diese Leute befinden. Inzwischen wird sich auch die Diskonterhöhung der Reichsbank auswirken. Sie wird neues Auksands- geld — also Devisen — nach Deutschland horcuwring^, so daß dis Reichsbank ihre Bestände wieder auffül len, sie zumindest halten kann. Sollte das Aus maß der jetzigen Diskontheraufsetzung nicht genügen, wird sich die Reichsbank nicht scheuen, abermals eine Heraufsetzung des Wechselzinses vorzunehmen. Für die Produktion würde das allerdings neue Lasten be deuten, und deshalb ist es ein nationales Gebot, nicht durch Ueberängstlichkeit Maßnahmen auszulösen, die sonst Nicht erforderlich wären. Die Reichsmark ist sicher, aber die Nerven eines Teiles unseres Vol kes lassen zu wünschen übrig! Schließlich ist es auch wenig erfreulich, wenn infolge der Nervosität das deutsche Kursniveau sich weiter senkt. Wie verlautet, haben ausländische Banken in der letzten Wocke bereits mehrfach ihren. Kunden den Rat erteilt, Gelder in deutschen Effekten anzulegen. Und wenn das geschieht, dann gehen be trächtliche Teile des deutschen Produktionsvermögens zu Ausverkaufspreisen in ausländischen Be ntz über. Das ist natürlich gleichfalls nur zu be dauern. Zum Schluß noch eine Ueberlegung: was das Wort „Inflation" bedeutet, welches Unheil sich da hinter verbirgt, weiß heute in Deutschland jedes Kind. Und das Wissen um diese Tragödie macht es unmöglich, daß dieses üble Theaterstück ein zweitesmal in Deutsch land ausgeführt wird. „Reserve hat Ruh!" Deutschland in Genf überstimmt. — Aus der Abrü stungskommission wird eine Versicherung zum Schutz gegen Abrüstung. — Genf, den 30. Apru. Die vorbereitende AbÄstungskommission in Gens hat sich erneut bloßgestellt. Der deutsche Antrag, in den ersten Artikel des Abrüstungsentwurfs, der die Beschränkung der effektiven Truppenbestände behandelt, auch Bestimmungen über die Beschränkung der mili tärisch ausgebildeten Reserven auszunehmen, wurde ast einstimmig abgelehnt. Für den deutschen Antrag timmten außer der deutschen Delegation lediglich Ruß land und China. Mit dieser Entscheid»«»- hat der Abrüstungsaus schuß einen der Hauptgrundsätze der gesamten Ab rüstungsfrage falten lassen. Die Heraussetzung der Rüstung soll jetzt auf das stehende Heer beschränkt wevde», so daß die Reserven, die vom Tage der Mo bilmachung an sofort unter die Waffe»» treten, als nicht Vorhände»» gelten. Man will also bei der Ber- gleichung der Heeresstärke»» die 100 000 Man»» der Reichswehr den aktiven Truppe,» der übrigen Mächte »egenüberftellen, ohne de»» Umstand zu berücksichtigen, »aß Deutschland nur seine Reichswehr besitzt, jedoch keine Reserven. Angesichts dieser Haltung der Abrüstungskommis sion ist ein Erfolg der langwierigen Abrüstungsver handlungen nicht mehr zu erwarten, es sei denn, daß die später einzuberufende große Abrüstungskonferenz die letzten Beschlüsse verwirft. Die Entrüstung über das Verhalten der Kommission kann auch dadurch nicht gemildert werden, daß die Arbeiten zur Beschränkung der See rüstungen in verstärktem Maße fortgesetzt wer den sollen. Für Europa ist die Frage der Land abrüstung entscheidend. Gras Bernstorff hat in der der Abstimmung vor aufgegangenen Debatte einige bittere Wahrheiten aus gesprochen. Zustimmen kann man ihm vor allem dar in, daß aus der Kommission zur Vorbereitung der Rüstungsherabsetzung mehr und mehr ein Bersiche- cungsunternehmen zum gegenseitigen Schutz vor Ab rüstung wird. Das aber ist eine Entwicklung, der Deutschland tatenlos nicht zufehen kann. Streit um die allgemeine Wehrpflicht. Im übrigen verhandelte die Abrüstungskommis sion noch über den chinesischen Antrag aus Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Der Vorsitzende der Kommission, stets bemüht, die Abrüstung zu erschweren, redete den Chinesen gut zu, ihren Antrag zurückzu ziehen. Die Chinesen taten ihm jedoch den Gefal len nicht. I»» der Aussprache betonte Graf Bern storff, er stimme für -en chinesischen Antrag. Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht bildete einen wesentliche»» Bestandteil der Friedensverträge, Deutsch land habe daher ein Interesse daran, daß in dieser Frage gleiches Recht für alle gelte. Der chinesische Antrag soll nun dem Bericht der Kommission angegliedert werden Eindämmung des Parteigeistes. Koch-Weser über Reichsreform und Parlamentarismus. Kritik des Bölkerbuudes. Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Dr. Pe tersen-Hamburg tagte in Leipzig der Parteiausschuß der Deutschen Demokratischen Partei. Reichsminister a. D. Koch-Weser hielt eine Rede über aktuelle Fragen der deutschen Politik und führte aus: „Niemand darf sagen, daß dis Bersassung und ihre Handhabung ein fertiges Werk sei. Wir wehre»« uns gegen eine«« Parteiismus, der die Parteiei» an die Stelle der Negierung zu setzen versncht, der bei den Ministerernennungeu die Zahl au die Stelle der Persönlichkeit setzt, der eine starke und verautwortungs- bewußte Regierung erschwert und der unausführbare Beschlüsse faßt, in der Hoffnung, daß die Regierung Mittel und Wege finden werde, sie nicht anszufnhren. Gegen eine solche Ha,»dhabung ist das Bolk aufzu rufen. Wenn die Verfassung wirklich aus die Dauer falsch gehandhabt werden sollte, so wird man auch die Frage einer verständigen Aenderung der Verfassung nicht ohne weiteres verneinen wollen, um die Form der Verfassung ihrem Sinn anzupassen. Wir smd weiter Vorkämpfer für eine Reichsreform. Der Ein heitsstaat kann nur mit einer einmaligen großen Maß nahme erreicht werden. Er muß eine gute und gleich mäßige Gliederung Deutschlands bringen, bei der sich die Grenzen der Länder mit denen der Reichsverwal tungsbezirke decken müssen." Auch in der Außenpolitik dürfe man die Ent wicklung der letzten Jahre, so erklärte der Redner zum Schluß, nicht ohne Kritik hinnehmen. Die Diplo maten hätten den guten Gedanken eines Völker bundes, der gleichmäßig zu allen Staaten stehe und Streitigkeiten souverän schlichte, mit Papier zugedeckt. Die Reparations-Konferenz gebe ein trübes Bild ab. s Das dem Ausschuß vorgelegte landwirtschaftliche Aktionsprogramm wurde vom Ausschuß einstimmig ge billigt. Ein Redaktionsausschuß wurde beauftragt, einige Ergänzungen in das Programm hineinzuarbei ten. Reichsernährungsminister Dietrich dankte dem Ausschuß für die zust»mmenden Aeußerungen zu seiner Arbeit. Arbeiterschaft und Reparationen Eine Kundgebung der christlichen Gewerkschaften. — Die Ursache»» der Spannung. Unter dem Kennwort „Staat, Wirtschaft und Ar beiterschaft" veranstaltete der Gesamtverband christ licher Gewerkschaften in Essen eine große Kundgebung. Reichstagsabgeorvneter Fahrenbrach führte aus, im Vordergrund des Interesses stehe heute das Repara tionsproblem. Während vor dem Kriege der gesamte, Reichshaushalt etwa vier Milliarden Mark betragen habe, müßten wir heute allein für Reparationen und Kriegspensionen 5,6 Milliarden aufbringen. Dieser? Umstand erkläre letzten Endes die sozialen Spannun gen und den scharfen Wettbewerbskampf der Wirt schaft. Die Arbeiterschaft habe deshalb ein großes Interesse an der Verringerung der Reparationszahlun gen und an der Senkung der Berwaltungskosten. Der Führer des GewerkvereinS christlicher Berg arbeiter, Abgeordneter Jmbusch, warnte davor, wirt schaftliche Schwierigkeiten durch eine Verlängerung der Arbeitszeit oder durch eine Herabsetzung der Löhne überwinden zu wollen. Es gelt«, ein wirklich so ideales Vaterland zu schaffen, in dem jeder sein gutes Auskommen habe. * Kein Anlaß zur Beunruhigung. Reichskanzler a. D. Dr. Marx führte auf dem in Aschersleben abgehaltenen Parteitag des Wahl- kreiSverbandeS Magdeburg-AnhaÜ der Zentrumspartei aus, nach seiner Meinung sei schon das deutsche An gebot von 1650 Millionen Mark jährlich so hoch, daß es an die Grenze des Möglichen herangehe. Ein Ab bruch der Verhandlungen wäre außerordentlich zu be dauern, denn dann hätte die auf jeden Fall kommende Regierungskonferenz keine fest« wirtschaftliche Grund lage, auf der sie ihre politischen Entschlüsse auf bauen könnte. Trotz der schweren Tage der letzten Wochen nehme er an, daß man vielleicht doch noch zu einer Einigung komme, oder wenigstens zu einem Minderheits- oder Mehrheitsgutachten, so daß dann wenigstens für die kommenden Regierungsberatungen eine verhältnismäßig sichere wirtschaftliche Grundlage geschaffen wäre. Dor der Entscheidung im Ruyrflreit. Im Reichsarbeitsministerium finden am heutigen Dienstag Nachverhandlungen über den Lohnkonflikt im Ruhrbergbau statt. Der von der Schlichterkammer gefällte Schiedsspruch ist vom Zechenverband angenom men, von den Gewerkschaften dagegen abgelshnt wor den. Nach Ansicht der Gewerkschaften trägt der ge fällte Spruch den teuren Lebensverhältnissen und der gesundheitsschädlichen Arbeit verschiedener Gruppen nicht genügend Rechnung. Die weitere Entwicklung hängt nunmehr davon ab, ob Reichsarbeitsminister Wissen den Schiedsspruch für verbindlich' erklären wird. Der Neichsjufttzminister -um Fall Iorns. Im Haushaltsausschuß des Reichstags erklärt« Reichsjustizminister v. Guörard zum Fall JornS: Ein rechtskräftiges Urteil liege noch nicht vor. Er halte es aber für selbstverständlich, daß Reichsanwalt Iorns bis zur völligen Erledigung des Prozesses seine dienst lichen Geschäfte nicht führe. * Reichsanwalt JornS legt Berufung ein und geht in Urlaub. — Berlin, 30. April. Reichsanwalt Iorns hat dem Oberreichsanwalt in Leipzig über den Verlauf des Beleidigungsprozesses gegen den Redakteur Born- stein — der bekanntlich freigesprochen würde — Be- richt erstattet. Reichsanwalt Iorns wird Berufung ein legen. Im übrigen hat Reichsanwalt JornS gebeten, bereits jetzt seinen Urlaub für 1929 antreten zu dürfen. Dem Gesuch ist stattgegeben worden. Neues Verfahren gegen Schnlz. Im Zusammenhang mit -er Berhaftung Fahlbuschs Durch Beschluß vom 18. April hat die Straf- kammer rn Landsberg a. W. ihren, den Oberleutnant wegen Anstiftung zur Ermordung des Unteroffiziers Brauer außer Verfolgung setzenden Be schluß vom 27. November 1926 aufgehoben, da neue Tatsachen und Beweismittel beigebracht seien, nämlich das Geständnis Fahlbuschs, der Schulz der Anstiftung beschuldige. Wie der Amtliche Preußische Pressedienst mitteilt, hat der Untersuchungsrichter nun mehr die Voruntersuchung gegen Fahlbusch wegen Mordes an Brauer, gegen Schulz wegen Anstiftung er öffnet. Die Strafsache ist mit den bereits anhängi gen Strafverfahren gegen Reim und gegen Fuhrmann und Genossen (Fall WilniS) verbunden worden Politische Rundschau. — Berlin, den SV. April 1929. :: Ei« ReichSbannermann getötet. Gelegentlich eines Umzuges, den das Reichsbanner Frankfurt am Main veranstaltete, kam es nach Auflösung des Zu-