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Beilage zur Weitzeriy-Zeitung Nr. 100 Dienstag, am 3V, April 1929 95. Jahrgang Würde «nd Würste. Bon A. Schrönghamer.Heimdal, Passau-Haidenhof. Ich durfte mit dem Vater ins Bräuhaus gehen. Vs war Bürgermeisterwahl. Ich war zwar damals mit meinen acht Jahren noch nicht wahlberechtigt, aber LH soNte eine Wurst bekommen, die mir der Vater ! schon längst versprochen hatte. Dyrum durfte ich mit j ^?»^?rkustube, wo es schon ganz schwarz war von ! wahlfähtgen^Gemeindebürgern, die heute ihr Oberhaupt Am Hintern Tisch, wo unser Nachbar, der Höggen- ' staller ^ah^erwischten wir noch ein Plätzlein. Und die Bräuin brächte mir gleich eine Wurst. Ich drückte mich selig in meinen Winkel und biß der Wurst gleich einen Zivfei weg. Herrgott, war das ein Saft und Geschmack, daß mir heute noch das Wasser !im Munde zusammenläuft. „Bräuin, zwei Würste!" schrie der Höggenstaller. Und die Bräuin brachte dem Höggenstaller zwei Würste, brachte sie mit der blanken, prallen Hand , und legte sie auf den Tisch. - „So eine Sauerei!^ begehrte der Höggenstaller z Mrf. „Weißt denn nit, was sich für einen hausgesessenen Bauern gehört? Bin ich etwa ein Hüterbub oder ein Häuselamann? Einen Teller möcht' ich und Messer und Gabel..." „Rammet g'scherter!" brummte die Bräuin und brachte dem Höggenstaller das Gewünschte. Wozu braucht denn der Höggenstaller einen Teller - und Messer und Gabel? dachte ich im Stillen bei mir selbst. Da ich mit meiner Wurst längst fertig war, hatte ich Zeit, den Höggenstaller zu beobachten. Ich tat es unverwandt und aus voller Seele. Auch dis wahlberechtigten Gemeindebürger taten es. Der Höggenstaller also legte die Würste in einen Teller, sticht sie mit der Gabel an und zieht ihnen mit dem Messer die Haut ab. Die Haut schiebt er !M die Rocktasche, wo ihm das Schnupftuch heraus- ' hängt. „Schad' um di'e schönen Häut'", denk ich mir. ,,Dte wird er wohl seinem Tyras yeimbringen. Na, der wird schlecken... Wo die Haut gleich noch besser ist wie die Wurst selber. So eine Verschwendung." Der Höggenstaller aber schneidet die Würste in feine Scheiben auf, gupst eine Mischung Pfeffer und Salz auf den Teller, spießt mit der Gabel eine Wurst scheibe, taucht sie ins Gewürz und fährt damit zum Baterunserloch hinein.' „Herrgott", denk' ich mir, „vollbringt der ein langweilige Wurstesserel. Ich wäre mit den zwei Wür sten schon längst fertig — und mit den Häuten auch.. Wortlos und feierlich gabelt der Höggenstaller seine Wurstscheiben auf, das Gesumme in der Bräustube verstummt allmählich, weil alles nur einen Blick hat auf den seltsamen Wurstesser. Ich lese Hochachtung in diesen Blicken, und eine Walvbauernstimme flüstert: „Respekt! Der Höggenstaller versteht das Wurst essen. So fein kann's ja nicht einmal der Bezirks amtmann ..." Endlich — mir schien es eine Ewigkeit — hat der Höggenstaller das letzte Wurstschetblein gegessen. Ich atme erlöst auf und kann mein Giermaul wieder zu- machen, das während der ganzen Esserei offenge standen. Das Gesumme in der Bräustube hebt wieder an — und eine Viertelstunde später ist der Höggen staller Bürgermeister, einstimmig gewählt! Mein Vater und ich haben die Ehre, das neue Gemeindeobcrhaupt auf dem Heimweg zu begleiten. Ich bin sehr stolz auf unsern Nachbar und seine neue Würde, obwohl ich ihm seine langweilige Wurst- Mret nicht verzeihen kann. Auf dem Schwendhübel bleibt der Höggenstaller stehen, klopft meinen Vater aus die Schulter und spricht: „Ja, Michl, man muß seine Leut kennen. Denen hab' ich einmal ein Wurstessen vorgemacht daß ihnen die Augen herausgehängt sind w:e Salzbüchsel. Da haben ste's einmal gesehen, daß der Höggenstaller ein Mann ist, der wo Bildung hat. Na ia, sie haben mich auch zum Bürgermeister ge- So — und jetzt friß ich die zwei Wurst- . - Und er Zieht die zwei Wursthäute heraus, wo ich geglaubt hab', daß er sie dem Tyras bringt, und frißt sie samt den Spagatschnürln, die an denZtpfelft baumeln. „Weiht Michl", sagt er nachher zum Vater, „daL kätt' sich nicht geschickt, daß ich die Wuvsthäut' MH im Wirtshaus gefressen hätt'..." Mittwoch, 1. Mai. (Gesetzlicher Feiertag in Sachsen.) 9.00—10.00: Volkstümliches Konzert. Kapelle AyMte, Dresden. 4 1V.S0—11.00: Frau Olga Straube. Leipzig: Petz', aufbewahruna im Sommer. -t- 11.50—12.W: CHorkonzert. Männerchor Leipzig-Thonbera-Stötteritz. M. D. A. S. B. Lei tung: Paul Michael. * 13.30-15.00: Schallplattenkonzert. - Anschl.: Einführende Worte zur nachfolgenden Operette. 4- 15.15: Aus der Operette: „Und wenn zu herbsten es beginnt." Text und Musik von Paul Geißler und Erich Heinicke. MiUv.: Melitta Wittenbecher-Neumann (Sopran), Rosa Mühl (Alt), Anton Müllauer (Tenor), 4- 16.30: Kammermusik. Das Dres dener Streichquartett (Fritzsche, Schneider, Riphahn, Krop- hollcr). * 17.30: Prof. Dr. Kötzschke, Leipzig: Die Kolonisie rung des Saale-Elbe-Gebtetes. 4- 18.05: Arbeitsmarktbericht des Landesarbettsamtes Sachsen, 4- 18.30: Spanisch für An fänger. 4- 19.00: Dr. Hildebrand Gurlitt. Zwickau: De» Naumburger Dom und seine Plastik. 4- 19.30: Sinsonic- konzert. Dirigent Alfred Szendrei. Solisten: Mar Krame» (Violine), Afrrm Ktnkulkin (Violoncell), Fritz Weitzmann (Klavier). Das Leipziger Sinfonieorchester. Am Cembalo: F. Sammler. * 21.00: Komische Gesänge aus de? Weltliteratur. * Anschl. bis 24.00: Tanzmusik. Donnerstag, 2. Mai. 12.00. Schallplattenkonzert. 4° 16.30: Konzert. Das Kauf- mann-Orchester, Dresden. 4- 18.05: Steuerrundfunk. 4- 18.30: Spanisch für Fortgeschrittene. 4- 19.00: Prof. Dr. Schaxel, Jena: Marr, Engels und Darwin. 4- 19.30: Prof. Dr. Erich Marx, Leipzig: Neues von: Radium. 4- 20.00: Volkslieder und Balladen, zur Laute gesungen von Toni Jäckel (Berlin). Flöte: Oskar Fischer Violine: Kläre Schmidt-Guthaus. 4- 21.00: Katharina II. (geb. 1729). Sprecher: Paul Prina, Leipzig. 4- 22.00: Funkpranger. — Anschl.: Funkstille. 29. Fortsetzung. Und Doktor Corts knurrte abermals: „Gleich, gleich!" Aber dieses „Gleich" zog sich weiter hin Nun konnte sich Jost nicht mehr halten, und als der Doktor bereits zum vierten Male Karten gab, stand er auf und sagte mit vor Entrüstung bebender Stimme: „Herr Doktor Corls, wenn Sie gewissenloser Arzt sich nicht sofort zu dem Kranken begeben, werde ich Sie bei Ihrer vorgesetzten Medizinal behörde anzeigen l" Doktor Corts fielen die Karten aus der Hand. „Was fällt Ihnen ein? Ich verbitte mir diese Ünver- schämtheiten!" Hartmann hatte Mühe, an sich zu halten. „Wenn Sie nicht augenblicklich Ihre verfluchten Karten lassen, dann werde ich Sie hinauswerfen, trotz Ihrer grauen Haare!" „Ich werde Sie verklagen!" schrie der Doktor schrill. „Meinetwegen! Aber jetzt gehen Sfel" „Ich gehe, wenn ich will!" Hartmann trat gewichtig zu Corts. Seine Gestalt war ge strafft, seine Wangen waren gerötet, und seine Augen schleu- derten Blitze. „Gehen Sie!" schrie er und hob die Hand. Jetzt erst zog Doktor Corts es vor, das Lokal zu verlassen Heftige Aufregung entstand im Raume. Die Bauern sahen sich an, murmelten unverständliche Worte. Dieter aber sagte, sich laut zu Hartmann bekennend: „Das haben Sie richtig gemacht, Herr Hartmann. Ein solcher Arzt ist eine Schande für die Gemeinde." Hagemann nickte mit rotem Kopfe zu diesen Worten. Die anderen Anwesenden,, zwei Bauern aus Haßlitz und ein Viehhändler aus dem Nachbardorfe Merchwitz, sagten nichts, wenigstens nichts Verständliches Der alte Kahnert aber wandte sich an den Wirt: „Das is 'ne Schweinerei!" zeterte er. „Gäste rausschmeißen! Könnte jeder hergelaufene Kerl komm'! Läßte dir bieten, Steltzner! Nee! Nee! Bist nicht wert, daß mer zu dir komm'! Ich wer dafür sorgen im Gemeinderat, daß der Iachner die Kon zession zum Bierausschank in sein Kaffee kriegt. Dann kannst dich umgucken!" Doch nun wurde der Wirt herzerfrischend grob. Er konnte es sich leisten, denn das Ausflügler- und Som merfrischlergeschäft — seine Landwirtschaft nicht zu vergessen — brachte ihm Geld „Halt de Schnauze, Kahnert! Du kannst mir gestohlen bleiben. Nischt wis Krach hat mer mit dir!" „Wer macht denn Krach!? Ich beschwer mich! Das is 'ne Schweiner-il Öder darf mer die Schnauze nich' mehi ufftun? Häh! Du! Da mach doch 'n Betsaal aus dein« Gastwirtschaft. Oder mach 'n Schild vor: Vor'm Eintreten wird gewarnt! Du bist der Richtige Ich komm' nich' wiedei zu dir!" Der Wirt wurde noch wilder. „Bleib fort! Machs, w« du willst. Aber bezahl erst mal deine Latte. Hast, seit dr wieder bei mir bist, ja bloß ankreiden lassen. Hat dir bei andere wohl nicht mehr gepumpt?" Kahnert wurde bluttot vor Wut „Du Schlapp», du Nachher schick' ich dir'» Geld! Un' keen Fuß tu ich wi«de> zu dir!" Immer gereizter wuvde der Wirt! „Ich wer's in die Feueresse schreiben! Bist mir ja nm! das andre schuldig! Nee, nee, bei dir is' nischt zu holen. Di> stehn ja die Schulden bis zum Halse. Nee, nee, laß mich in Frieden. Vergraulst mir nur die Gäste." Es half nichts, daß sich die Wirtin ins Mittel warf. Steltzner wurde von der Wut nur so geschüttelt. Immer hatte er vor dem Kerl alles einstecken müssen. Das Maß war voll. - Kahnert packte den Wirt an der Brust. Es sah aus, als sollte es zu einer regelrechten Prügelei kommen Da trat Hartmann dazwischen. Mit zwei Griffen trennte er die beiden. Es waren Griffe, die nicht den Wunsch nach weiteren in den beiden Streit hähnen aufkommen ließen. Kahnert überschüttelte Hartmann mit einer Flut vor Schimpfworten, die Jost kalt ließen, dann verließ er dos Lokal. Hartmann sah den Wirt vorwurfsvoll an: „So dürfen Si« sich nicht gehen lassen, Herr Steltzner." Der Wirt bekam einen roten Kopf. „Schon wahr, Herr Hartmann! Aber... ich konnte nich' anders. Nee, nee, was zu viel ist, das ist zu viel. Ich Habs die ganzen Jahre alles eingesteckt, und was hat man mst alles an den Kopf geworfen!" ! * * ' Als Hartmann am nächsten Morgen die Berlinei Zeitungen las, freute er sich Denn die Presse stellte sich hinter Karner und lobte sein energisches Auftreten dem Vor sitzenden der Gewerkschaften gegenüber. Man verkannte nicht, daß Karners Arbeit jetzt unter Um ständen auf Schwierigkeiten stoßen würde, aber in allen Leit artikel klang wieder, daß Man Karner zutraute, dieser Schwierigkeit verhältnismäßig leicht Herr zu werden. Jost glaubte das auch. Es waren an diesem Tag auch andere wichtige Nachrichter tn den Blättern. Die alliierten Regierungen waren bei der deutschen Re gierung vorstellig geworden, daß sie Krupp jede Lieferung verbieten sollte. Die deutsche Regierung aber hatte abge lehnt mit dem Bemerken, daß zwischen Deutschland und Ruß land ein festes kommerzielles Verhältnis bestehe, und daß die deutsche Regierung kein Interesse daran habe, diese Verbin dung zu stören. Hartmann war tief befriedigt. * * ' * Zwei Tage später kam Ernst Kahnert. Herzlich begrüßte und beglückwünschte er das gesegnet« Paar. Ausdrücklich bat er sich aus, daß er Pate sein dürfe „Wie geht es dir, Marthel?" erkundigte er sich nach ihrem Befinden. Sie lächelte etwas müde. „Es geht, Ernst. Nur so schwach, so matt fühle ich mich seit gestern Mir ist immer, als woll ten meine Beine einschlafen, und wenn ich morgens nach einem tiefen Schlafe erwache, dann sind sie wie gelähmt." „Es wird sich geben, Marthel Aber einen gesunden, straf fen Bengel — Gott behüte ihn — hast du! Der fall euch, will's Gott, noch viel Freude machen und das Glück dauernd ans Haus fesseln." Marthes Augen strahlten. Dankbar sah sie den Spreche, an und nickte dann. „Ja, das soll er! Er soll un« so fest zusammenketten, daß wir uns nie. im Leben trennen mögen." Ernst verließ Hann mit Jost da» Krankenzimmer und begab sich mit ihm auf den Altan, über den der milde Frühlings- wind weht«. Sie ließen sich nieder und sahen eine Weil« schweigend aus den Garten, in dem tausend Frühlingsblumen blühten. „Du hast eine Zauberburg aus dieser halbverfallenen Ruine gemacht, Jost. Ich freue mich schon, daß ich im Som mer, wenn die unzähligen Rosenstöcke blühen, zu euch als Gast kommen darf." > „Du bist uns immer willkommen, Ernst," sagte Jost. „Hof fentlich wird Marthe bald wieder gesund und munter." ! Es klang in seinem Ton etwas wie Besorgnis, und Ernst ! erschrak. „Hast du Sorgen um Marthes Gesundheit, Jost? Du bist - ja Arzt gewesen. Sprich dich aus, Jost." > Langsam antwortete Hartmann: „Sorgen ... das wär« zu viel gesagt. Aber die Mattigkeit gibt mir zu denken, ich habe, ohne daß es Marthe merkte, festgestrlli, daß die unteren Gliedmaßen falt gefühllos lind. Ich habe in meiner Praxis einmal einen solchen Fall erlebt. Eine Wöchnerin erkältet«^ sich. Sie konnte nicht mehr laufen. Ich mußte dann von Reval fort Ich weiß nicht, ob sie wieder den Gebrauch de, Glieder bekam. Und bei dieser Kranken begann es genau so wie bei Marthel. Mattigkeit, Gefühlloswerden der Glie- der, Steifsein nach dem Schlafe." i „Du sorgst dich, Jost!" sagte Ernst Kahnert betroffen. j „Nein, nein!" entgegnete Jost schnell. „Noch nicht! 8ck ! will abwarten und werde alles tun, daß es nicht eintrnt. Man kann heute noch gar nichts sagen." * * * Aber der Zustand Frau Marthes verschlechterte sich, und - am sechsten Tage, da Ernst Kahnert zu Gaste weilte, ging durch Haßlitz die Nachricht, daß Jost Hartmanns Frau ge lähmt sei. Die Beine versagten den Dienst Und es war an dem. Frau Marthe tonnte erst nicht fassen, daß sie fürderhin ! nicht mehr froh durch den Garten springen könne, daß sie I ihr Leben lang an den Stuhl gefesselt sein werde. Als si« ! aber endlich die furchtbare Wahrheit erkannt hatte, trug sie ! ihr Schicksal gefaßt, keine Klage hörten und sahen Jost utid ! Ernst. i „Werde ich einmal wieder gehen können, Jost?" fragte ihn Marthe am siebenten Tage. „Oder muß ich Zeit meines Lebens ein Krüppel bleiben?" Er nahm ihre Hand und fühlte, wie angstvoll und heftig ihr Herz schlug. „Ich glaube daran, felsenfest!" sagte er mit Ueberzeugung. „Nur mußt du Geduld haben, Liebste." Unendliche Dankbarkeit war in den braunen Augen, als Marthe ihn ansah und leise antwortete: „Ich will soviel Ge- duld haben, wenn du bei mir bist." „Ich werde dich nie verlassen, nie, Marthe!' Es war ein Schwur, den Jost Hartmann in diesem Augen- blick tat. Mit rührender Sorgfalt umsorgte er sie, tat ihr zuliebe, was er ihr von den Armen absehen konnte. Sein Leben war ein Dienst an seinem Weibe, und ihm ward der Dienst nich) schwer, denn er liebte sie, die Kranke, mit der gleichen Tiese und Innigkeit, wie vordem die gesunde Marthe. Seine ganze Kunst als Arzt setzte er ein Er ließ sich elektrische Massaaeapparate kommen und alles, was e» brauchte. Unablässig mühte er sich, aber . .. erfolglos Und doch verlor er die Hoffnung nicht. Die berühmtesten Spezialisten Netz er kommen. Wasdi« ärztliche Kunst vermochte, wurde getan, aber «s blieb bei dev- Alten. Die Lähmung war nicht zu beheben. * * Am ersten Mai hatte Jost Hartmann wieder Moskau tz, Radio eingestellt Er wartete auf eine neue Ansprache Karner» (Fortsetzung folgt.) , ,