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Sie an dieser Tatsache nicht mit einem vorüber, Frau Marianne, halten Sie Sie Ihr Herz, ob Ihnen diese Gnade Glauben weist. ... Ich wiederhole eme Sie ein neuen Achselzucken Einkehr und prüfen nicht den Weg zum es: ich will Ihnen keine Predigt halten, aber ich suhle mich verpflichtet, an Ihr Gewissen zu appellieren und Ihre Augen zu öffnen für den Anfang des neuen Weges. . . . Ich will Sie nicht weiter bestürmen. Ich wollte das überhaupt nicht. . . . Nur eins lassen Sie mich Ihnen noch sagen. Als ich im Dämmerlicht und in der Ein samkeit vor Ihrem Kommen aus jener Bank saß, die uns 9. Kapitel. Straßen und winkligen Gäßchen dos Goldnetz eines herrlichen Iuli- Ueber den stillen Freilingshausens hing ,Und hast du heut gefehlet, O schaue nicht zurück, Empfinde dich beseelet Bon freier Gnade Glück! Auch des Verirrten denket * Der Hirt auf hoher Wacht: Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht!' spiel. Das Wahre, das Echte fehlte. Unh sein Wesen ist mit einem Wort bezeichnet: Gott! ... Gott fehlte IhnenI Sie haben stets versucht, ohne ihn fertig zu werden. Sie glaubten, sich Ihr Schicksal selbst machen zu können. Kam ein neuer Lebensabschnitt für Sie, dann begannen Sie ihn im Vertrauen auf die eigene Kraft oder im Glauben an einen Menschen. Und Gott war Ihnen nichts. Hätten Sie ihn gehabt, so stände es heute anders um «ie, und ganz sicher wären Sie nicht in die Versuchung geraten, Ihrem Leben ein Ziel setzen zu wollen. Vielleicht hätten Sie es auch mit Gottes Hilfe vermocht, Ihren Gatten wieder auf den rechten Weg zu bringen. Er ist auch schuldig. Ganz gewiß. Aber daß Sie nichts taten, um ihm ins Gewissen zu reden, zu versuchen, ihn in schwachen Stunden als sein ihm von Gott geschenktes Eheweib auf seine Pflicht aufmerksam zu machen, — das ist wiederum ein'Stück Ihrer Schuld, Frau Marianne. Wir mögen es versuchen, wie wir wollen: Ohne «inen Gott werden wir nun einmal nicht fertig. Er ist da und beweist uns sein Dasein immer wieder. Es wäre auch entsetzlich, wenn wir ihn nicht hätten. Denken Sie sich ein Jahr ohne den Frühling, das Firmament ohne die Sonne, eine unmündige Kinderschar ohne die Mutter, und Sie haben Bilder ür ein Leben ohne Gott. Ich will Ihnen keine Predigt halten und will Sie nicht Religion lehren, um Sie zum Glauben zu bringen. Glauben läßt sich nicht lehren, sondern Glauben muß man lernen. Er muß aus uns selbst kommen wie eine wurzelkräftige Pflanze. Und Ihnen ist Gelegenheit ge geben, ein Keimkorn in Ihr Herz aufzunehmen. Sie mögen es Zufall nennen, daß ich heute in München weilen muF, daß ich zu der Stunde, in der Sie die Tat der Verzweiflung begehen wollten, in Ihrer Nähe war. O, nein, nichts von Zufall! Gottes Fügung mar es, daß ich diesen Weg ging. Gott wollte es Ihnen zum Bewußt sein kommen lassen, daß es eine höhere Macht über uns gibt, der wir glaubensvoll vertrauen sollen. Gehen Sie Marianne hatte dem Strom seiner Rede mit tief gesenktem Haupt gelauscht. Zuletzt hatte ein le/ses Weinen ihren Körper geschüttelt. . . . Nun, nach der Frage Jakobsens, sah sie zu ihm auf in sein ernstes, treues Ge sicht. Und mit einer Stimme, die, obwohl sie von Tränen säst erstickt war, doch fest klang, sagte sie: „Ich will es versuchen, Herr Pastor, helfen Sie mir mit Ihrer Treue zum Gelingen!« „Amen!" kam es gläubig froh und vertrauend über Martin Jakobsens Lippen. Er drang nicht weiter in sie. Wenn nur der gute Wille vorhanden war, so würde Gott der suchenden Seele schon nachgehen. Und er wollte, soweit es in seinen schwachen Kräften stand, sein Bestes tun, daß Marianne eine Suchende bliebe. — Schweigend legten sie die kurze Strecke zurück. Schon waren sie in der stillen Straße einer Ler Vorstädte. Sie schritten beide fester aus und gewisser. Denn gutes, treues Wollen und freudige Genugtuung gingen neben ihnen. — Jakobsen sorgte für die Unterkunft Mariannens in einem freundlichen Gasthause und verließ die Müde und zaghaft Dankesworte 'stammelnde mit dem Versprechen, morgen wiederkommen zu wollen, um dann mit ihr über ihre Zukunft zu beraten. — Psacrer Holm erwartete Martin Jakobsen bereits mit einiger Unruhe. Bis spät in die Nacht hinein saßen die beiden Männer daun noch zusammen, und Holm erfuhr alles. Nur eins verschwieg, ihm der Freund: Seine Liebe. — nachher beide sah, erinnerte ich mich eines wunderschönen Gedichts von Gottfried Kinkel, und ich ließ die erste Strophe durch meinen Sinn ziehen. Jetzt denke ich an andere Strophe desselben Liedes. Und die lassen mich Ihnen mit dem Wunsche sagen, daß Sie Ihnen Trost sein möchte und ein treues, winkendes Grüßen. Sie lautet: abends. Gemach verglimmendes Sonnenlicht küßte die Firste der einfachen, schmucklosen Häuser und wob um St. Getraudtens altersgrauen Turm einen strahlenden Lichtmantel.''Der kühn aufstrebende Bau stand wie eine glänzende, trutzige Feste und sah weit hinaus in das sommerliche Land, das im Schmucke seiner Kornbreiten und der der zweiten Schur wartenden Wiesen den Abend schatten eutgegenträumte. Abendsriede überall! — Und in seinem Glänzen ein wohliges, zufriedenes Ausruhen im ganzen Städtchen. — Auch Male Lindauer, die rastlos schaffende und treu sorgende Dienerin des Iensenscheu Hauses, hatte ihr Tage werk vollendet. Es hatte wie stets sein altes Gesicht ge habt und war mit läugstgswohnter Pünktlichkeit und Akkuratesse erledigt worden. Nun saß die Alte auf dem steiflehnigen Küchenstuhl am geöffneten Fenster und las in einer Erbauuugsschrift. Dabei verfuhr sie nach Art alter, im Lesen wenig geübter Leute: sie las sehr be dächtig und murmelte die Worte in monotonem, ermüdend wirkenden Tonfall halblaut vor sich hin. Kam sie an eine Stelle, die ihr beim ersten Ueberlesen unverständlich blieb, jo begann sie, noch bedächtiger und etwas lauter lesend, von vorn und dachte über das Gelesene eine Weile grübelnd nach, bis sie den Sinn erfaß: zu haben glaubte. Male Lindauer war selbst im Genießen ihrer Er- holungsjtunde gewissenhaft und hätte sich eine Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit in'der Art, wie sie ihre Lektüre be handelte, nie gestattet. Die schmucke, blitzende Küche mit der andächtig lesen den, ganz vertieften Alten bot so recht das Bild wohl tuenden Friedens und beschaulichen, wohlverdienten Aus ruhens, daß man sich gern hätte zu Male setzen mögen, um mitzufeiern und mitzugenießen. Und man wäre ge wiß recht unangenehm berührt gewesen, wenn eine uner wartete Störung der stillen Stunde ein vorzeitiges Ende bereitet hätte. — Male widerfuhr eine solche Störung. Und sie war darüber mehr als unangenehm berührt. Gerade, als sie voll tiefster Andacht schon zum dritten Male las: „Man muß stets bereit sein, alles und allen zu vergeben, und man darf nie nach einer Tür suchen, um dieser vornehmsten Christenpflicht aus dem Wege gehen zu können," — wurde die Hausglocke gezogen. (Fortsetzung folgt.) Und nun zum Schluß die Frage: Marianne, wollen an diesen treuen Hirten über den Sternen glauben und ihm Ihr ferneres Leben befehlen?"