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Liebe. Novelle von Harry Nitsch. (Schluß.) Karl erschien und der Postrat fragte den errötenden Jüngling, der sein Herzensgeheimnis verraten glaubte, mit höhnischem Grinsen: „Nun, junger Herr, wo haben Die denn Ihre Pistole? Es ist ja schon fünf Uhr vor über?" „Meine Pistole?" — „Seine Pistole?" fragten Tön- necke junior und senior verblüfft. „Allerdings, mein trefflicher Herr Schauspieler," rief Ingrimmig der beleidigte Poftrat. „Ihre Pistole! Man -rollte sich doch um fünf Uhr erschießen! Er ist ein nettes Früchtchen, der Herr Sohn," wandte er sich dann an den entsetzten Oberlehrer, der den Postrat zunächst für über- tzefchnappt hielt. Karl stand blaß, sprachlos und mit offe nem Munde da, während der Zürnende fortfuhr: „Erst verdreht er meiner Tochter den Kopf, und dann will er sie tzar noch um fünfhundert Mark anpumpen, weil der junge, flotte Herr in Wucherhande geraten ist. Dem armen Mä del droht er nun mit Erschießen und so weiter!" „Karl!" rief der Oberlehrer, vor Wut und Scham bebend, „hättest du gewagt, du elender, ver " „Vater, um Gottes Willen," kam es stehend von den .Lippen des unglücklichen Jünglings, „du kannst doch nicht von mir glauben, was der Herr Postrat da soeben sagt Und dessen er mich beschuldigt. Ich versiebe zwar kein Wort davon, aber ich weise den schmählichen Verdacht mit Entrüstung zurück!" „Ah, mein mutiger junger Herr, Sie erklären mich allo für einen Lügner," tobte der Postrat. ..Wollen Sie auch daun noch bei Ihrem Leugnen bleiben, wenn ich Ihnen den Brief vorzeige, den sie selbst an meine Tochter gerichtet haben und worin ste das Mädchen um 500 Mark ! anpumpen wollen? Pfui Teufel! Schämen Sie sich, jun ger Mann!" „I—i—K Um 500 Mark an — anpumpen?" stotterte entsetzt de? Jüngling. „Hier, bitte, ist der Brief!" Hastig stürzten sich Vater und Sohn auf das Schriftstück, doch wie aus einem Mund kam es bei deren Anblick von ihren Lippen: „DaS hat ^er — das habe ich nickst geschrieben!" „Jetzt war das Verblüfftsein auf Seiten des Post- ^kots. „Was? Er bat es nicht geschrieben? Ja, aber zum ^'Kuckuck, meine Tochter hat mir doch selbst versichert, der Brief sei von ihrem — von ihrem Karl? Sie wollte mit DeWalt die fünfhundert Mark von mir haben, sonst Höfte ich Wohl niemals etwas von diesem Techtel-Mechtel er- fahren!" - - „Verzeihen Sie, Herr Postrat," nah« jetzt Karl Wit heiser Stimme das Wort, „ich habe allerdings ast Fräulein kLotle geschrieben, aber nichts, was Sie nicht wissen dür- Äen. Wir haben die Briefe postlagernd verabredet. Wie Dieser Brief in Fräulein Lottes Hände geraten konnte, ist Linir vollständig unerfindlich. Fräulein konnte es aller- Aings nicht wissen, daß er nicht von mit ist, Venn wir Ha iden uns noch nie geschrieben und ste kannte meine Hand schrift nscht." - - - > „So, da hätte ich Ihnen demnach in der einen Hin- stcht Unrecht getan! Abe? das heiKliche Liebesverhältnis ,hinter der DÄkr Rücken bleibt doch bestehen, dafür hätte ich Sie noch zur Rechenschaft zu ziehen!" „Herr Postrat, wir lieben uns treu und innig, wenn wir auch beide noch jung stnd. Sie find ja doch auch ein mal jung gewesen," sagte Karl mit weicher Stimme. „Schwerenöter," brummte der Alte, schon um vieles gemütlicher. Seine Jugendzeit war eine schwache Seite, fwer ihn da packte, der hafte ihn schon halb gewonnen. , Dann kratzte er sich binterm Ohr: „Aber der Brief, wie Ikommt denn dieser Brief eines schießwüttgen Pumpiers ^1n die Hände meiner Tochter? Wenn sich der Mensch ' nun wirklich eine Kugel durch den Kopf jagt, man könnte ihm nicht einmal helfen, da niemand ihn kennt!" > „Darf ich meine Vermutung aussprechen, Herr Post- rat? Fräulein Lotte hat auf dem Postamt jedenfalls leinen für jemand andern bestimmten, aber gleichlautend chiffrierten Brief erhalten. „Amor" haften wir nämlich auch gewählt," sagte Karl errötend'. „Saperlot, das ist möglich, sogar wahrscheinlich. Kom men Sie, meine Herren, lassen Sie uns zur Post eilen, mir verursacht dieser unbekannte Selbstmordkandidat einen förmlichen Nervenanfall. Vielleicht läßt sich dort die An gelegenheit noch zur Zufriedenheit aufklären." Die Herren machten sich auf den Weg, und der dienst tuende Schalterbeamte gab dem Vorgesetzten auf feine Frage betreffs des Briefes evschöpfende Auskimft. .Nach mittag gegen 3 Uhr kam eine junge Dame und empfing einen Brief unter „Amor". Bald darauf kam mit der laufenden Post noch ein Brief unter „Amor" an, den eine » schon etwas ältliche Dame vor einer Stunde abholte." „Hm," meinte der Rat, „also eine regelrechte Ver wechslung." In diesem Moment trat eine etwas ältliche, aber sehr jugendlich gekleidete Dame^an den Schalter und flötete: ..Entschuldigen Sie, Herr Sekretär, dieser Brief unter „Amor" kann nicht für mich bestimmt sein. Ist vielleicht noch ein anderer da?" „Hurra?" rief der Postrat, ergriff den Brief vnd hielt ihn Karl unter die Nase „Hier, Sie schmachtender Jüng ling, ist das Ihr Brief?" „Allerdings," stotterte Karl unter glühendem Erröten. Dann wandte sich der Rat an die Dame, die erstaunt zugeseben hatte: ..Entschuldigen Sie, meine Gnädige, dann dürfte vielleicht dicker Bries für Sie gestimmt sein." damit überreichte er ihr den verhängnisvollen Selbstmör- derbriel. „Allerdings," saate die Fremde freudig errötend, als ste die Handschrift erblickte. „Eilen Sie," meinte gutmütig der Postrat, „falls Sie Ihren Schatz noch retten wollen. „Vielleicht ist es noch nicht zu spät." „Ach," meinte diese, nachdem ste den Inhalt über flogen hatte, „Sie glauben, er würde sich erschießen? Gott bewahre, so schreibt er jedesmal, wenn er Geld nätia bät." „Gott sei Dank?" seufzte der Postrat, „mir ist ein Stein vom Herzen gefallen! Ich kann mir auch nicht den ken. daß ein Mensch Vergnügen am Erschießen finden sollte." „Hier, Herr Karl," wandte er sich Vann an den Jüng- ling und gab ihm seinen Liebesbrief zurück. „Ich will Ihnen verzeihen, wenn Sie mir versprechen, meiner Toch ter keine Liebesbriefe mehr zu schreiben. Daß Vas frühere mündliche Verfahren ein Ende nimmt, dafür werde ick selbst sorgen. We nn Sie dagegen in einigen Jahren etwa? geworden stnd, und Sie treten Vann vor mich hin und meine Tochter will Sie noch, Vann werde ich kein Zer störer Ihres Glückes sein?" „O tausend Dank, Herr Rat. Sie sollen sich in mir nicht getäuscht haben, ich werde mich jetzt mit doppeltem Eifer auf meine Studien werfen, damit ich Vas heiß er sehnte Ziel um so früher erreiche." Auch der alte Tönnecke ergriff freudig die Rechte de? versöhnten Mannes und schüttelte ste kräftig, konnte er doch für seinen Sohn nichts besseres wünschen, als vereinst den Besitz von Poftrats herzigem, prächtigem Töchterlein, das übrigens ihrem künftigen Gatten auch einen hübschen Schatz in Truhe und Schranken mitkrachis. Freundlich verabschiedete sich Vann ve? alte Herr von den beiden Tönneckes und begab sich nach Hause, zu seiner Tochter- zurück. Zunächst riß er die ihm entgegenfliegenve Lotte aus ihrer Sorge und erzählte ihr von der Verwechslung der Briefe, dann aber sagte er mit angenommenem Ernst: „Du wirst dich in den nächsten Tagen reisefertig machen, Lotte, du kommst auf zwei Jahre in ein Pensionat." „O Papa," schluchzte die arme, auS allen Himmeln gestürzte Kleine. „Du willst mich verstoßen?" „Törichter kleiner Kerl," sagte der Alte weich Md zärtlich, und küßte sein weinendes Töchterlein auf Vie klare, weiße Stirn, „willst du nicht klug und erfahren sein, wenn du vereinst — —. Frau Doktor Tönnecke werden willst?" '