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MS- vlilerliMngsberlW Mr Wrigrpit2-Srituntz (ümkblalh Die Waisen vom Friesensteinhos. Roman aus den schlesischen Bergen von Gerhard Büttner. LH (Nachdruck verboten.) Pfarrer Harden hatte wieder einmal den Weg nach Hirschberg gefunden; zum zweitrnmale, seit Rosel des Ver dienens halber in diese Bergstadt gezogen war. Ueber Gwei volle Jahre waren seit dem Tode ihres Vaters ver- Prichen, und so manches war noch über die Waisen vom «rtesensteinhof hereingebrochen. Der Prozeß hatte zu Gunsten der „Zarenzeche" geendet, der Bräutigam hatte dicht Lust gehabt, „Waisenvater" zu werden und war in Lie Provinzialstadt adgewandert. Was hatten seine Be teuerungen und Schwüre für einen Sinn gehabt? Eines Lages bekam er Lust, eine Tischlerei aufzumachen und schrieb Rosel, daß er dazu einer kapitalkräftigen Ehehälfte bedürfe, da durch einige Arbeitslosigkeit sein eigener Bar bestand sich sehr vermindert hätte. Und richtig: er sandte ihr tausend letzte Grüße und Küsse, aber sie müsse doch ein sehen, daß das Schicksal es so wolle. Nun ja, es gibt eben so unendlich viele ideal veranlagte Jugendliche, die spä ter die schlimmsten Materialisten werden. Es hatte Rosel viele Tränen gekostet. Doch als sie einsah, daß die Trä nen zu nichts mehr nutz waren, raffte sie sich auf, besann stch auf sich selbst und auf ihre Pflicht an den Geschwistern und arbeitete von da an mehr denn je, wie sie es schon seit des Vaters Tode Tode überhaupt getan, für fremde Personen. Bald aber bot ihr das kleine Städtchen Schmie deberg nicht mehr genügend Auskommen. So siedelte sie denn auf den Rat des Pfarrers Harden nach Hirschberg über. Dort hatte sie sich eine nach ihrer Meinung genü gende Wohnung verschafft. Als Pfarrer Harden im Win ter zum erstenmale seinen Besuch bei ihr machte, war er auch sehr froh gewesen, eine so geordnete Häuslichkeit zu finden. Aber er hatte es damals nicht gemerkt, daß es -er Wiuterschnee gewesen war, der die Helle in den Zim mern verursachie. Auch hatte das gut geheizte Arbeitszim mer Fräulein Lepachs ihn nicht beurteilen lassen, wie es in dieser Parterrewohnung gesundheitlich aussehen würde, wenn ein feuchtes Frühjahr oder ein nasser Sommer käme. Nun aber fand er diese Wohnung voll „Nacht", wie er meinte, während draußen ein beißer, sonniger Tag die Gemüter der Menschheit erfreute. Nein, so ging's nicht weiter Auf keinen Fall. Das arme Geschöpf, das sich vier so enorm für die eigene Lebensführung und die zwei G.-schwister abplagte, mußte vor Krankheit und derlei Fährlichkeiten bewahrt bleiben. Pfarrer Harden legte seine sehnige Rechte auf den noch aus dem Friesensteinhof stammenden Eichentisch. „Also zunächst eine andere Wohnung, liebes Fräulein Rosel. Und dann andere Arbeitgeber. Ich will mal nach- lmr zu einem diesigen Kollegen gehen. Der wird schon etliche wissen. Und dann habe ich auch selbst hier einige Begehungen. Ich lasse Sic nicht im Stich, nein, wirklich nicht. Wenn man so alles, was Sie betrifft, miterlebt hat. bann muß man eine wahre Napoleonsseele haben, wenn inan da kalt bleibt- Nur immer Kopf hoch! Noch ist nicht aller Tage Abend. Es ist ja nicht immer gut. wenn man D-timist ist. aber das Schwarzseben hat auch keinen Zweck. Hier überreiche ich Ihnen ein ersammeltes Sümmchen für »je Waisen. Können's wobl brauchen, was?" Rosel nickte. ' > „Wenn nichts von ihm dabei ist." Pfarrer Harden legte ein kleines Säckchen auf d« Tisch und schüttelte den Kopf, der bald kein Hauptha« mehr auswies. Er wußte, wen sie meinte. „Gott bewahre, der kommt seit Jahr und Tag nicht mehr ins Gotteshaus herüber. Uebrigens: gestern haben sie die neue Villa auf dem Friesensteinhof abgerüstet. Ein Bau, wie für einen Kurfürsten. Lauter Sandstein ist ver braucht worden; Sandstein aus einem auf der Höhe er öffneten Steinbruch Rosel barg das Gesicht in den Händen. „Ach nicht doch. Solchen Tatsachen gegenüber sollte* Sie jetzt doch kühl bleiben. Es ist eine alte Tatsache, daß diese skrupellosen Charaktere eine gewisse Höhe erstei gen, dann aber um so rascher fallen. Manch eines Men schen ganzes Leben ist eine einzige, gemeine Lüge. Sie wissen aber wohl: Lügen haben kurze Beine." „Gewiß, Herr Pfarrer. Aber dieser Mann ist ei* Gipfelstürmer, einer der auch auf dem Absturz noch manck einen mit Hinabreißen kann — Hinabreißen wird. Und wenn es sein eigen Fleisch und Blut ist. Ich habe gehört daß.sein Sobn fetzt auf der von der Zarenzeche abaezweig- ten „Franz-Josef-Zeche" schon vertretungsweise dirigiert Wissen Sie, wie jener von der ganzen Werkanlaqe denkt?" „Nein." „Nun. er weiß, daß alles auf schwindelhafte Weise sc emporaeblübt ist. Er weiß, daß man das erste Kupfer in einer Zeit gehoben hat. in der das Gebiet noch meines Vaters Eigentum war. Und ich weiß, daß er vor einem Fahre noch seinen Unwillen darüber seinem Vater gegen über zum Ausdruck bringen wollte. Damals studierte ei noch." „Er hat sein Studium abbrechen müssen, Fräulein Rosel, weil der Vater die Mittel nicht aufbringen konnte die der Sohn brauchte. Weiß der liebe Himmel: entweder hat er aefvielt, oder getrunken, oder sonst irgendwie auf falsche Weile das Geld, gleichviel, was für Geld, zum Fen ster binausaeworfen." Rosel lchaute nachdenklich vor sich hin. Der Pfarrer fuhr fort: „Hin und wie-er hört Man auch, daß er einen zu eigenartigen Wobltätiakeitssinn an den Tag oelegt haben soll. DaS kann bei einem so jun gen Mensch natürlich ohne Beratung durch irgend ein- -rfabrene Person zu nichts führen, das kann für die Menschheit, wenigstens für einen Teil derselben, schädlich werden." „Ich glaube. Herr Pfarrer, Sie beurteilen diesen Memm-m falsch. Mir ist das gleiche einmal passiert." Und sie erzählte von den Vorgängen am Sterbetage des Va ters. Dann erbeb sie sich und ging an eine Kommode. „Hier habe ick einen Brief, Herr Pfarrer, der wird Fbnen manchen wünschenswerten Aufschluß geben könne«. Fräulein Aßmann war neulich bei mir, brachte mir Ar beit und gab ibn mir zu lesen. Aber ich muß den Briois wieder zurückgeben, und, nicht wabr, Sie werden in diu- lem Falle ein Geheimnis gelten lallen."