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« anspannen, soll alles daraufladen, was er von seiner beweglichen Habe mitnehmen kann, und soll sich irgendwo im Innern der Provinz eine Zuflucht suchen. Es wird von seiten der Regierung schon dafür gesorgt sein, daß er eine findet. Namentlich an Frauen und Kindern mögt ihr so viel fortbringen, als ihr könnt. Daß den Männern ein Leid geschehen wird, wenn sie auf ihrer Scholle bleiben und sich nichts Feindseliges gegen die Russen zuschulden kommen lassen, glaube ich nicht. Mit den Garderegimentern, die wir nach meinen Informationen hierherbekommen werden, ist schon leichter fertigzuwerden als mit den verdammten Ko saken. Deren Offiziere sind wenigstens nicht durch die Bank brutale Trunkenbolde, und sie wissen auch bessere Manneszucht unter ihren Leuten zu halten. Also tut, was ihr wollt I Das ist eine Sache, die jeder mit seiner eigenen Klugheit abmachen muß. Denn irgendeine Ver antwortung für das, was geschehen wird, kann ich selbstverständlich nicht übernehmen." Verlegen kratzte sich der Bauer hinter dem Ohr. „Ja, Herr Rittmeister, das ist alles ganz gut und schön! Aber eine Kleinigkeit ist es doch am Ende auch nich, so mit Kind und Kegel aufs Ungewisse in die Welt hinauszuziehen. Das Haus und das Land und das Vieh können wir ja doch nich mitnehmen." „Nein, das könnt ihr freilich nicht! Und darauf, daß die Russen ohne Entschädigung wegnehmen wer den, was keinen Herrn hat, darauf könnt ihr euch heilig verlassen." „Wenn sie's nur nich so verflucht eilig mit dem Totschießen hätten. Gestern ging es ja noch gnädig ab, weil der Herr Rittmeister für uns eintraten, und weil noch zur rechten Zeit die Soldaten kamen. Aber wenn nu der Herr Rittmeister nich mehr da sind " »Ich ? Ja, zum Henker, wer bringt euch denn auf den Gedanken, daß ich nicht da sein sollte?" „Nu — ich dachte — wegen der Gefahr —" „Schande genug, Rodeike, daß ihr mich in all den Jahren noch nicht besser kennen gelernt habt! Also ein für allemal: ich bleibe hier. Und wer mit mir hier bleibt, der steht unter meinem Schutz, solange ich noch imstande bin, einen andern zu schützen." „Darf ich das den Leuten im Dorf sagen, Herr Rittmeister?" „Natürlich! Aber noch einmal: wer bleibt, der bleibt auf seine eigene Verantwortung und Gefahr. Und die Aengstlichen tun jedenfalls besser daran, sich in Sicherheit zu bringen, solange sie es noch unbehelligt tun können." „Ach, was die Männer betrifft, Herr Rittmeister, die hätten wohl alle Courage genug. Nur die Weiber, namentlich die jungen — und die Kinder man hört so gräßliche Geschichten davon, wie die Russen vor hundert Jahren gehaust haben sollen." „Obwohl sie damals als unsere guten Freunde zu uns gekommen waren," ergänzte der Rittmeister mit grimmigem Humor. „Ja, eine Bürgschaft für ihre guten Manieren möchte ich freilich nicht übernehmen. Denn, daß sehr viel halbvertiertes Gesindel unter ihnen sein wird, ist gewiß. Und wenn sie erst mal eines Tages ganz nach ihrem Belieben wirtschaften können, mag uns Gott gnädig sein! Aber schließlich sind wir doch auch im Krieg, Rodeike! Und daß es im Kriege nicht hergeht wie auf dem Jahrmarkt, haben wir von vornherein gewußt. Macht darum mit den Weibern und Kindern, was ihr für gut haltet. Ein paar beherzte Männer, die im Dorfe auf ihre Sache und auf die Sache der anderen schauen können, werden ja, wie ich hoffe, immer noch übrigbleiben." Der Ortsvorsteher hatte sich mit der Versicherung entfernt, daß er sein möglichstes tun werde, den Leuten Mut einzuflößen; aber es war doch ein ziemlich langer und recht trauriger Wagenzug gewesen, der sich wenige Stunden später auf der Landstraße gegen die Kreisstadt hin bewerte. Viel armseliger Hausrat auf hoch 'be packten Leiterwagen und obendarauf die Frauen und Kinder, für die es zu beschwerlich gewesen wäre, neben her zu marschieren. Gewiß wurde es aller, blutsauer, sich von der heimischen Scholle und von dem besten Teil ihrer Habe zu trennen, den wiederzusehen keiner hoffen durste. Aber der Schrecken, den die Kosaken verbreitet hatten, wirkte doch zu sehr in den Gemütern der Zaghafteren nach, als daß sie unter seinem un mittelbaren Eindruck den Mut zum Bleiben hätten aus bringen können. Und der Rittmeister, der den Flücht lingen von einem Fenster des Herrenhauses aus nach schaute, mochte die Entfernung der Schwachen und Kleinmütigen im Grunde wohl auch als eine Erleichte rung empfinden. Seine eigenen Töchter hatte er heute zum zweiten mal vor die Wahl gestellt, sich in sicherer Begleitung nach Königsberg oder zu einer befreundeten Berliner Familie zu begeben, von der sie in den herzlichsten Worten eingeladen worden würenl aber sie hatten beide mit der größten Entschiedenheit erklärt, daß sie auf Mallente bleiben wollten. Und daß der alte Herr sich ohne weiteres Zureden mit dieser Erklärung zu friedengegeben hatte, war wohl der beste Beweis dafür, daß er von seinen Mädeln gar nichts anderes erwartet hatte. Von dem eigentümlich gespannten Verhältnis zwi schen den Schwestern bemerkte er offenbar nichts. Er hatte sich nachgerade an die sonderbare Veränderung in Helgas Benehmen gewöhnt und überließ sie ihrem plötzlich zutage getretenen Hang zur Einsamkeit, ohne sie weiter mit Fragen nach der Ursache zu quälen. Hertha aber machte auch ihrerseits keinen Versuch der Annäherung. Seit dem nächtlichen Gespräch wußte sie, daß eine Wiederherstellung des alten innigen und ver trauten Verhältnisses vorderhand doch unmöglich sein würde, und daß eine nochmalige Aussprache die Situ ation viel eher verschlimmern würde, statt sie zu bessern. Hier handelte es sich um Gegensätze, an die nicht gerührt werden durfte, wenn sie sich nichr unversehens zu einem tragischen Konflikt gestalten sollten. Und sie hatte an ihrem eigenen Herzeleid zu schwer zu tragen, als daß sie geflissentlich Härte die Gefahr heraufbeschwören sollen, die blutende Wunde noch mehr zu vertiefen. So schlichen voll banger, gespannter Erwartung in unerträglicher Langsamkeit die Tage dahin, ohne daß man vorerst auf Mallente unmittelbar von den ge fürchteten Kriegsnöten betroffen worden wäre. Die Nachrichten allerdings, die auf verschiedenen Wegen in das Herrenhaus gelangten, klangen nichts weniger als ermutigend und tröstlich. Mit gewaltigen Heeresmassen sollten die Russen, ohne ernstlichen Widerstand zu finden, in die Provinz eingedrungen sein, nachdem unmittelbar vorher allerlei Nachrichten von deutschen Siegen die Bevölkerung erleichtert hatten aufatmen lassen. Etwas Bestimmtes aber war nicht zu erfahren, da schon seit mehreren Tagen die Zeitungen ihren Weg nicht mehr bis zu dem abgelegenen Herrenhause fanden. Da, man schrieb den 24. August, litt es den Ritt meister nicht länger in dieser Ungewißheit. Er fuhr mit dem Wagen in die Kreisstadt, und als er zurück kehrte, war es seinem dunkel geröteten Gesicht und seiner finster gefurchten Stirn anzusehen, daß er schlechte Neuigkeiten brachte. „Einen steifen Grog!" befahl er dem Diener, nach dem er sich zu seinen Töchtern an den Teetisch gesetzt hatte. Und Hertha sah ihn voll Besorgnis an, da sie wußte, daß der Vater sich nicht wohl fühlte, wenn er dies Getränk bestellte. Denn es bedeutete für ihn nicht ein Genußmittel, sondern eine Arznei, die einzige, zu der er in Krankheitsfällen seine Zuflucht nahm, einerlei, von welcher Art sie sein mochten, und ob sie ihn im eisigsten Winter oder im glühendsten Sommer befielen. (Fortsetzung folgt.)