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nie ein Wiedersehen folgen würde, mischte sich doch auch etwas von der Süßigkeit des Bewußtseins, die Liebe eines anderen menschlichen Wesens als ein un verlierbares Kleinod zu besitzen. Keines von ihnen brauchte sich dieser Empfindung zu schämen; denn ihre Liebe war rein und wunschlos geworden» und die trennende Schranke der unversöhnlichen Völkerfeind» schäft, die jede leibliche Vereinigung unmöglich machte, — den Seelenbund, den vergangene Tage geknüpft und den ihr letztes Gespräch besiegelt hatte, vermochte sie nicht mehr zu zerreißen. 12. Kapitel. Klarheit und Wahrheit. Schwer hing das düstere Gewölk der Kriegsnot über dem schlichten Herrenhaus von Mallente. Während die deutschen Waffen im Westen ihre ersten großen Erfolge erkämpften, gewann es für die Bewohner des preußischen Ostens mehr und mehr den Anschein, als ob sie dem in ungeheuren Heeressäulen heranrückenden moskowitischen Feinde nahezu kampflos preisgegeben werden sollten. Der Kosakenüberfall, den eine Handvoll wackerer Landwehrmänner so leicht zurückgeschlagen, war nur ein belangloses Vorspiel ge wesen, dem nur zu bald das eigentliche Drama folgen sollte. Am Morgen nach dem ereignisreichen Tage war das gegen die Grenze vorgeschobene Landwehr bataillon von dem Befehl erreicht worden, in Eil märschen wieder zurückzugehen, noch bevor es — von jenem kleinen Scharmützel abgesehen — Fühlung mit dem Feinde gewonnen hatte. Zu so früher Stunde war die Alarmierung erfolgt, und so schnell hatte sich der Aufbruch vollzogen, daß es für Erich Leuthold und Hertha von Raven keine Möglichkeit des Wieder sehens mehr gegeben hatte. Und wenige Stunden später erfolgte von feiten des Landratsamtes die Aufforderung, das Gut und das Dorf zu verlassen, da eine vorübergehende Besetzung durch feindliche Truppen aller Voraussicht nach nicht würde verhindert werden können. Der Ortsvorsteher, dem noch die gestern ausge standene Angst in allen Gliedern lag, erschien im Herren hause, um die Meinung des Rittmeisters zu hören, wie man sich dieser Aufforderung gegenüber verhalten solle. Und er erhielt von dem alten Herrn die Antwort, auf die er sich wohl von vornherein gefaßt gemacht haben mochte. „Wer sich fürchtet, und wem sein bißchen Leben über alles geht, der soll in Gottes Namen seinen Wagen rna fuhr fort: „Ich muß meinen Weg allein vollenden, und ich darf mich nicht über Vereinsamung beklagen, denn ich habe es ja nicht anders ge wollt I Aber ich sehne mich nach einer Stütze, die mir Kraft und Sicherheit gibt, sehne mich danach, meinem halb verpfuschten Leben endlich einen Zweck und einen In halt zu geben. Das ist es, was meinen Entschluß be stimmt." „Sie haben mich stolz gemacht durch Ihr Ver trauen, Erna! Aber wäre es nicht viel natürlicher und zugleich viel beglückender für Sie, wenn Sie diese Stütze und diesen Lebensinhalt in der Liebe eines Mannes suchten? Daran, daß ich dieser Mann sein könnte, denke ich ja selbstverständlich nicht mehr!" „Und doch, wenn es überhaupt einer hätte sein können, wäre es kein anderer gewesen als Sie, Le- comte! Aber ich tauge nicht mehr für ein stilles, häusliches Glück. Die Erlebnisse dieser letzten Zeit haben mich dazu ein für allemal verdorben. Ich mag Ihnen hier ruhig und heiter erschienen sein; aber ich bin in Wahrheit weder das eine noch das andere, und ich werde es auch nie mehr sein können. Die Bilder des Elends, die in ununterbrochener Folge an mir vorübergerollt sind, sie werden Tag und Nacht vor meiner Seele stehen, und sie werden jede Empfindung in mir ersticken bis auf die einzige des Mitleids. Ein Glücklicher kann mir nichts mehr sein, und ich selber kann einem Glücklichen nichts mehr sein. Ich wäre eine schlechte Gattin und, was noch tausendmal sckstirüner wäre, wahrscheinlich eine noch schlechtere M.Un! Auf dem Platze aber, den ich mir ausgesucht «öde., hoffe ich ein leidlich nützliches Glied der mensch- Gesellschaft zu bleiben. Und ich hoffe, mir auf .diesem Platze allgemach auch die Achtung derer wieder ^Winnen, die nur mit Geringschätzung und Groll Mch herabsehen könnten, wenn ich heute im Ge wände der Reue zu ihnen käme." Sie wurden unterbrochen, da Ernas Anwesenheit an anderer Stelle notwendig war, und erst als man den Sänger bereits auf die Tragbahre gelegt hatte, auf der er zum Eisenbahnwagen befördert werden sollte, trat Erna noch einmal zu ihm, um einen letzten kurzen Abschied von ihm zu nehmen. Fest hielten sich ihre Hände gefaßt, und ihre Blicke ruhten wie lieb kosend ineinander. Sie brauchten nicht viele Worte mehr zu wechseln, um sich ganz zu verstehen. Und in das bittere Weh dieser Trennungsstunde, der sicherlich Im Mekenbranä. Driginai-kriegsromLn aus ernster Teil von Rudolf Zollingers (45. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten.)