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620 Nr. 10. „STAHL UND EISEN.“ October 1884. Strafsen haben die Häuser die Eigen thümlichk eit eines zweiten Weges für Fufsgänger, der in der Höhe des ersten Stockwerkes liegt. Die Versammlung wurde in dem für die Ver hältnisse einer ähnlich grofsen deutschen Stadt ausgedehnten Stadthause (Town Hall) abgehalten. Am Morgen des ersten Tages der Versamm lung hörten wir folgende Vorträge* „Ueber die Geologie von Cheshire“ von Anbray Strahan, wel cher die sehr interessanten geognostischen Ver hältnisse dieses Landestheiles behandelte. Dann sprach Herr Arthur Cooper über „die North Eastern Steel Works in Middlesbrough und deren Erzeugnisse“, gab jedoch nur eine Be schreibung dieses aus dem vorigjährigen Meeting bekannten Werkes und seiner hauptsächlich basischen Stahlfabricate. Endlich hielt Herr Henry Seebohm aus Sheffield einen Vortrag „Ueber die Fabrication von Tiegel stahl“, welcher in einer anregenden Weise die noch unaufgeklärten Schwierigkeiten der Her stellung von Werkzeugstahl in Convertern und Flammöfen behandelte. Sir Bessemer hat diesem Vortrage schon die Ehre eines geharnischten Angriffes in der „Times“ erwiesen. Nach dem an diesem Tage von der Stadt Chester gebotenen Frühstück wurde eine Fahrt nach dem Landsitz Gladstones im offenen Wagen unternommen. Der Besitzer selbst war nicht zu Hause, so dafs wir leider keine Gelegenheit hatten, seine Fertigkeit, Reden und Eichbäume zu fällen, kennen zu lernen. Der Eintritt in das Haus war uns nicht ein mal, und nur ein Blick durchs Fenster in das Arbeitszimmer des Leiters der englischen Politik gestattet, welches eine Liebhaberei des Abwesen den für alte, in Schränken aufgestellte Porzellan- gefäfse zu bekunden schien. Von hier aus wurde Eaton - Hall, das Schlofs des überreichen Duke of Westminster, besucht, in welchem wir zwar auch nicht das Glück hatten, empfangen zu werden, dessen herrliche, künstlerische Einrichtung uns aber wenigstens gezeigt wurde. Interessant war auch das Gestüt des Herzogs, dessen Rennpferde wiederholt erste Derby-Preise erzielten. Für eins der berühmtesten derselben, Brend Or, sollten nach Mittheilung des General- Stallmeisters £ 18 000 geboten sein. Jedenfalls haben diese Pferde es gut; sie werden zu Tode gepflegt, und ihre Gerippe werden sogar, wie wir sahen, noch in einem besonderen Gebäude aufgestellt. Abends fand das Festessen oder annual dinner statt, welches in der bräuchlichen feierlichen Weise verlief. * Wir werden]noch Gelegenheit nehmen, auf den Inhalt einiger dieser Vorträge in den nächsten Heften zurückzukommen. Die Begrüfsung der Fremden war dabei von Herrn Edw. Williams übernommen und von diesem mit den weiten Wegen und den hohen Kosten begründet, welche diese aufgewandt hätten, um an der Versammlung theilnehmen zu können. Von deutscher Seite wurde darauf erwidert, die Fremden kämen, um die Reichthümer Eng lands an Eisensteinen und Kohlen, die hervor ragenden Verwendungen derselben zu bewundern, und um zu lernen, wie man dies Alles nach den, bei einer früheren Gelegenheit vom Herrn Vor redner ausgesprochenen Tendenzen* des Iron and Steel-Institute, in England nur (?) im Inter esse des Friedens verwerthe. Der Redner be dauerte nur, dafs die Deutschen durch das Vor handensein des Canals verhindert seien, so oft und so leicht, als sic es wünschten, herüberzu kommen. Während diese Toaste ausgebracht wurden, schliff ein französisches Mitglied sein Taschen messer auf dem unteren rauhen Rande eines Tellers und rief dadurch ein eigenthümliches Gefühl hervor. Ob dieser Vorgang einen poli tischen Hintergrund hatte? Am zweiten Tage, am 24. September, wurden folgende Vorträge gehalten: „Ueber die jüngsten Fortschritte im Flammofen- Stahlschmelzprocefs“, in welchem Herr James Riley die grofse Aus dehnung der Einrichtungen der von ihm geleite ten Werke der Steel Company of Scotland be schrieb. Dann theilte Herr Dick aus Glasgow in Vor trag, Zeichnung und Modell eine wesentliche „ Verbesserung der Regenerativöfen“ mit, welche darin gipfelt, dafs Ofen und Regeneratoren un abhängig voneinander und letztere als kleine Cowper-Winderhitzer angeordnet sind. Zuletzt beanspruchte Herr Friedrich Siemens aus Dresden in dem dritten an diesem Tage ge haltenen Vortrage die Erfindung einer „Neuen Methode der Heizung der Siemensschen Regene- rativ-Gasöfen.“ Diese „neue Methode“ findet Herr Siemens merkwürdigerweise schon in der Gröfse, welche er den Oefen geben will, und in der Hoffnung, die Berührung der Flamme mit den Ofen wandungen und den zu erwärmenden oder zu schmelzenden Materialien vermeiden zu können. In der betreffenden Besprechung dieser Vor träge wurden denn auch diese von der Gröfse ausgehenden Vorstellungen hart mitgenommen. Nachmittags fand ein Ausflug nach den welt berühmten Werkstätten der London- und North- Western-Eisenbahn in Grewe statt. Diese Werk stätten, welche von den Mitgliedern des Institute schon zum drittenmal besucht worden sind, verdienen diese Aufmerksamkeit, weil sie in wirk lich grofsartigem Mafse Schwellen und Schienen * Eröffnungsreden des Meetings in Düsseldorf 1880.