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Berichte über Versammlungen verwandter Vereine. Verein für Eisenbahnkunde zu Berlin. sitzung am 13. September 1887. Hr. Eisenbahn-Bauinspector Claus sprach über die Spurweite der Eisenbahngeleise. Das Mafs der Spurweite der Eisenbahngeleise — der gegenseitigen Entfernung der beiden zu einem Geleise gehörigen Schienenreihen, senkrecht zwischen den Innenkanten gemessen — wirkt bestimmend auf Bau- und Betriebs kosten, wie überhaupt auf fast alle Verhältnisse einer Eisenbahn ein. Die Untersuchung, wie die verschie denen zur Zeit in Anwendung befindlichen Spur- weitenmafse entstanden sind und wie die Spurweiten frage in verschiedenen Ländern sich entwickelt bat, erscheint deshalb von Interesse. Das Mafs von 4 Fufs 81/2 Zoll englisch = 1,435 in, welches wir jetzt unsere Normalspurweite nennen , wurde von Georg Stephenson bei der ersten, für den öffentlichen Verkehr bestimmten Eisenbahn, der im Jahre 1825 eröffneten Linie Stockton - Darlington , eingefühl t. Dieses Mafs entsprach den Abmessungen der in der dortigen Gegend gebräuchlichen Strafsenfuhrwerke und auch die damals bereits in Anwendung befind lichen Trambahnen hatten meist dieselbe Spurweite. Die gleiche Spurweite behielt Stephenson bei der 1826 in Angriff genommenen Eisenbahn Liverpool- Manchester bei. Die anderen Eisenbahnen bauenden englischen Ingenieure nahmen gröfstentheils die gleiche Spurweite, einzelne aber wichen davon ab und nahmen ein gröfseres Mafs, namentlich um kräftigere Locomotiven bauen zu können. Bald waren in England 7 verschiedene Spurweiten vor handen, von denen die gröfste, 7 Fufs engl. = 2,13 m, die von Brunel bei der Great Western Bahn in An wendung gebracht war. Infolge vielfacher Beschwer den über die Unzuträglichkeiten, welche die Ver schiedenheit der Spurweite mit sich brachte, wurde 1845 vom Parlamente für die Prüfung der Spur weitenfrage ein Ausschufs eingesetzt, nach dessen Vorschlag bestimmt wurde, dafs die Eisenbahnen Englands, hauptsächlich auch im Interesse der Landes- vertheidigung, eine einheitliche Spurweite und zwar die damals schon am meisten verbreitete Stephen- sonsche annehmen sollten. Für Irland wurde die Spurweite auf 5 Fufs 3 Zoll engl. = 1,6 m festge setzt. Die erste deutsche mit Dampf betriebene Eisenbahn. die am 7. December 1835 eröffnete Linie Nürnberg-Fürth , wurde ganz nach dem Muster der Stephensonschen Bahnen gebaut und daher auch die Spurweite dieser Bahnen einfach übernommen. Als in Preufsen die Eisenbahnfrage zuerst zur Erörterung kam, wurde nach eingehenden Berathungen im Staatsministerium durch Kgl. Ordre vom 11. November 1837 bestimmt, dafs „den Unternehmern einer Eisen bahn die Annahme eines von dem Geleise angren zender ausländischer Bahnstrecken verschiedenen Geleises nicht zur Bedingung zu machen sei, wenn gleich solches in militärischer Hinsicht wünchenswerth gewesen sein würde.“ Infolge dieser Bestimmung kam in Preufsen die jetzige Normalspurweite von vornherein in Anwendung. Ira Grofsherzogthum Baden wurden dagegen die Eisenbahnen [zuerst mit einer Spurweite von 51/4 Fufs engl. = 1,6 m ausge führt, i. J. 1847 aber auf die normale Weite umge baut. In den übrigen deutschen Ländern wurde ebenso wie in Preufsen von vornherein die Normal spur in Anwendung gebracht. In den Niederlanden wurde die Eisenbahn Amsterdam-Haag-Rotterdam mit 1,93 m Spurweite hergestellt, später aber auf die Normalspurweite umgebaut. Die übrigen Bahnen waren von vornherein mit letzterer Spur gebaut. In Rufsland wurde die erste, von dem österreichischen Ingenieur Franz Anton Ritter von Gerstner erbaute, am 30. October 1838 eröffnete Eisenbahn (von St. Petersburg nach Zarskoe-Selo) mit einer Spurweite von 1,82 m hergestellt; Gerstner wählte diese grofse Spurweite aus technischen Gründen, um gehörig leistungsfähige, bei rascher Fahrt nicht zu stark schwankende Locomotiven bauen zu können und um ein besseres Verhältnifs zwischen Nutz- und todter Last der Wagen zu erzielen. Die gleiche Spurweite sollte auch bei der zweiten russischen Eisenbahn, der 1842 in Angriff genommenen Linie von St. Peters burg nach Moskau, in Anwendung kommen. Auf den Rath des als „berathender Ingenieur“ von der russischen Regierung berufenen amerikanischen In genieurs Major Whistler wurde aber die Spurweite auf 5 Fufs engl. = »1,5 m festgesetzt. Mit dieser Spurweite sind hiernach mit wenigen Ausnahmen alle russischen Eisenbahnen gebaut worden. Nur Warschau-Wien und Warschau-Bromberg haben die deutsche Normalspurweite. In Nordamerika wurden die ersten Bahnen ebenfalls mit verschiedenen Spur weiten — der Stephensonschen und gröfseren, bis zu 1,83 m — ausgeführt. Besonders weit verbreitet, namentlich im Süden der Vereinigten Staaten, war die Spurweite von 5 Fufs engl. = 1,525 m. Nach und nach wurden diese verschiedenspurigen Bahnen aber auf eine einheitliche Spurweite umgebaut. In der Zeit vom 31. Mai bis 2. Juni 1886 wurde in Ge- mäfsheit eines Beschlusses der betheiligten Eisenbahn- Verwaltungen die Spurweite von etwa 22500 km Eisenbahnen in den nordamerikanischen Südstaaten von 5 Fufs engl. auf 4 Fufs 9 Zoll (1,448 m) — die sogenannte Vermittlungsspur — umgebaut. Dieses Mafs stimmt zwar nicht genau mit dem der Normal spurweite, der Unterschied wird indessen nicht als ein Hindernifs für den durchgehenden Verkehr ange sehen. Von den etwa 488000 km Eisenbahnen, welche Ende 1885 auf der Erde im Betriebe waren, hatten rund 360000 oder etwa 74% unsere Normal spur, wenn die nordamerikanische Vermittlungsspur dazu milgerechnet wird, etwa 60 000 km oder 12% hatten gröfsere, der Rest von 68 000 km oder 14% kleinere Spurweite. Hr. Ober-Ingenieur C. Frischen gab eine Kritik über einen in der Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahn-Verwaltungen (1887, Nr. 24) unter der Ueberschrift „Wettbewerb zwischen Dampf und Elek- tricität“ erschienenen Artikel, in welchem ein Ver gleich zwischen der mit Dampf betriebenen, unter der Kgl. Eisenbahn-Direction zu Frankfurt a. M. stehenden sogenannten Lokalbahn zwischen Sachsen hausen und Offenbach und der von Privatunternehmern gebauten und betriebenen , dieselben Endstationen, wie jene Lokalbahn verbindenden elektrischen Bahn angestellt wird und in welchem der Verfasser durch diesen Vergleich zu einem für den elektrischen Betrieb im allgemeinen ungünstigen Schlüsse gelangt. Der Vortragende wies unter Darstellung der thatsächlichen Verhältnisse daraufhin, dafs im vorliegenden Falle von einem „Wettbewerbe zwischen Dampf und Elek- tricität“ nicht die Rede sein könne, da die Verhält nisse der elektrischen Bahn im allgemeinen viel un günstiger seien, als die der mit Dampf betriebenen Lokalbahn. Während die letztere eigenen Bahnkörper