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880 Nr. 12. » STAHL UND EISEN * December 1887. an aller Berechtigung fehlt, wie denn auch die Staatsgewalt der auf Erwerb gerichteten Be schäftigung nicht dem Gewerbestand angehöriger Staatsangehörigen an Sonn- und Festtagen weitere Schranken zu ziehen, als sie aus religiösen Grün den geboten erscheinen, unmächtig ist.“ Die Handelskammer zu Strafsburg i. E. sagt: „Der Hauptpunkt in dieser allgemeinen Frage besteht darin, dafs die Freiheit des Arbeiters gegenüber dem Arbeitgeber gewahrt werde, mit anderen Worten, dafs letzterer nicht zwingende Mafsregeln gebrauchen könne, um den Arbeiter zur Sonn- tagsbeschäfligung anzuhalten. Dieser Hauptgrund satz der individuellen und der Gewissensfreiheit ist durch den § 105 der Gewerbe-Ordnung fest gestellt; unseres Erachtens soll sich der Gesetz geber hierauf beschränken und es den Sitten und dem Einflüsse der Religion überlassen, die Sonntagsruhe zur Geltung zu bringen. Wollte man auf dem Wege der Reglementirung vor gehen, Grenzen aufstellen zwischen der erlaubten und der verbotenen Arbeit, je nach den Gewer ben und nach den Zeit- und Ortsumständen Aus nahmen bestimmen, so wäre dies eine Aufgabe, die der Gesetzgeber nicht vollbringen könnte und die er den Localbehörden Vorbehalten müfste; aber Arbeitsbewilligungen von der Verwaltung oder von der Polizei abhängig zu machen, würde oft zu Mifsbräuchen und zu einem inquisitorischen Regime führen, gegen welches die öffentliche Meinung sich sträuben würde.“ Der Vorsitzende des Arbeiterbildungsvereins zu Gassei hat „durch Besprechungen und Be- rathungen mit den verschiedensten Arbeitergruppen der Vereinsmitglieder“ die Ueberzeugung gewon nen, dafs die Mehrzahl der Mitglieder sich gegen ein absolutes Verbot der Sonntagsarbeit entschie den ablehnend verhält, 1. „weil dadurch zahllose Geschäfte und Ar beitnehmer geschädigt würden,“ 2. „weil, wenn das beabsichtigte Gesetz wirk lich zustande kommen sollte, dasselbe nach den gegebenen industriellen und gewerblichen Ver hältnissen, wie sich dieselben eben in Deutsch land gestaltet haben, so viele Ausnahmen bezüg lich der Sonntagsarbeit zulassen müfste, dafs die Regel des Gesetzes vorzugsweise in Ausnahmen bestehen würde,“ 3. weil die Ausführung eines solchen Ge setzes eine zahllose Menge Aufsichtsbeamte er fordern würde,“ 4. „weil als unerbittliche Consequenz diesem Gesetz der von der Socialdemokratie geforderte Normalarbeitstag und der Normalarbeitslohn folgen müfste,“ 5. „weil die die Sonntagsarbeit betreffenden Paragraphen der Gewerbegesetzgebung vollständig genügen.“ Mit der Anweisung der Königlichen Regie rung zu Düsseldorf an die Polizeibehörden, vom 24. Juni 1884, sind die Handelskammern Düssel dorf, Wesel, M.-Gladbach, Lennep und Elberfeld einverstanden; der Verein deutscher Eisenhütten leute äufsert sich über dieselbe wie folgt: „Hin sichtlich der von der Königlichen Regierung zu Düsseldorf unter dem 24. Juni 1884 erlassenen Anweisung an die Ortspolizeibehörden, betreffend die Zulassung der Sonntagsarbeit in Fabriken, erkennen wir an, dafs in derselben — abgesehen von einigen Einwürfen — gleichmäfsig für die Sonntagsruhe des Arbeiters und für die Wahrung der Interessen der Industrie gesorgt ist. Unser Hauptbedenken besfeht darin, in welcher Weise dieselbe sich zu dem stetigen Fortschritt und den damit verbundenen Aenderungen der Technik । stellen wird, beziehungsweise inwieweit Wechsel : in der Betriebsführung eines Gewerbezweigs — und solcher müssen die Unternehmer täglich ge wärtig sein, falls sie auf der Höhe der Fabrica- tion sich halten wollen, — in der Anweisung Berücksichtigung finden werden. In unserm Gut achten vom 3. December 1883 findet sich an gedeutet, in welch erheblichem Mafse im Laufe weniger Jahre die Betriebsführung im Eisenhütten wesen durch die Fortschritte der Technik beein- flufst wird.“ Der Verein zur Wahrung der gemeinsamen i wirthschaftlichen Interessen der Saarindustrie spricht sich folgendermafsen aus: „Was die uns zur Begutachtung zugewiesene Anweisung der Königlichen Regierung zu Düsseldorf anlangt, so möchten wir gegen dieselbe vor Allem geltend machen, dafs die Gestattung der Sonntagsarbeit „auf unbestimmte Zeit“ für solche Betriebe, welche dieselbe nicht entbehren können, nicht ausreichend erscheint; solche Betriebe können vielmehr verlangen, dafs ihnen diese Berechtigung fest und dauernd eingeräuml werde.“ „Es bezieht sich das ganz besonders auf die Vorschrift jener Anweisung, wonach in sämmt- lichen Betrieben, in welchen die Nachtarbeit generell üblich ist, dieselbe in den Nachtstunden an Sonn- und Festtagen von 12 Uhr Mitternacht bis 6 Uhr Vormittags und von 6 Uhr Abends bis 12 Uhr Mitternacht nur bis auf weiteres zulässig sei. Wir glauben, dafs alle solchen Betriebe unbedingt berechtigt sein müssen, die Sonntagsruhe nur von 6 Uhr Vormittags bis 6 Uhr Abends eintreten zu lassen, einmal weil bei der Feuerindustrie ein Stopfen der Oefen über die Dauer von 12 Stunden hinaus, namentlich im Winter, undurchführbar ist und dann, weil das Verbot der Sonntagsarbeit in den Nacht stunden alle diese Betriebe zwingen müfste, ihren Schichtwechsel auf Mitternacht zu verlegen. Es bedarf wohl keiner näheren Ausführung, dafs dies, nicht blofs an Sonntagen, mit einer ge regelten Disciplin, ja mit der öffentlichen Sicher-