Volltext Seite (XML)
Verwendung- des Flufseisens im Brückenbau. Vortrag, gehalten von Professor R. Krohn, Oberingenieur der Gutehoffnunghütte in Sterkrade, auf der Hauptversammlung des »Vereins deutscher Ingenieure« in Duisburg am 19. August 1891. Meine Herren! Die Frage der Verwendung des Flufseisens im Brückenbau ist heule für alle Kreise unserer heimischen Industrie, welche mit Eisenconstructio- nen zu thun haben, eine hoch bedeutsame. Wir befinden uns in einem Uebergangsverhält- nifs, bei welchem die Verwendung des Flufseisens | gegenüber dem Schweifseisen mehr und mehr an Boden gewinnt, und wie in allen solchen Uebergangsperioden sind die Ansichten der Fach kreise gelheilt und herrschen in denselben Mei nungsverschiedenheiten über den Werth des ver- I hältnifsmäfsig neuen Materials und über die Ansprüche, welche an dasselbe zu stellen sind. Ich glaube, dafs es deshalb wohl angebracht ist, diese Fragen vor einem so berufenen Kreise, wie dem hier versammelten, in Anregung zu bringen; eine Erörterung derselben würde gewifs zur Klärung der Ansichten von wesentlichem Nutzen sein. Die unmittelbare Veranlassung zu diesem Vortrage wurde mir in erster Linie durch eine grofse Anzahl ausgedehnter, planmäfsig durch geführter Versuchsreihen geboten, welche zum Zwecke des Vergleichs zwischen Schweifs- und Flufseisen auf der Gutehoffnungshütte von diesem Werke gemeinschaftlich mit den Königl. E ise n ba h n-D i r ec tio ne n zu Köln (linksrh.) und Elberfeld ausgeführt wurden. Seitens der Königl. Eisenbahn-Direction zu Köln war anfangs Hr. Reg.-Baumeister Leonhardt, später Herr Bauinspector Bassel und Hr. Reg.-Baumeister Boisseree, seitens der Eisenbahn-Direction Elberfeld Hr. Reg.-Baumeister Carstanjen mit der Ausführung beauftragt. Auf diese Versuche, sowie auf einige weitere Versuchsreihen, welche ich bereits früher auf unseren Werken durch führte, werde ich wiederholt Gelegenheit haben, hinzuweisen und gleichzeitig hierbei die wich tigsten Ergebnisse dieses überaus reichhaltigen Materials Ihnen mitzutheilen. Der Zeitpunkt, seit welchem in Deutschland Flufseisen zu Brückenbauten überhaupt zugelassen wird, liegt noch nicht sehr weit zurück. Noch vor einigen Jahren gehörten Ausführungen in Flufseisen zu den allerseltensten Ausnahmen, und erst in letzter Zeit hat sich die Ueberzeugung von der guten Verwendbarkeit dieses Materials zu Brückenbauten in unseren technischen Kreisen Bahn gebrochen, so dafs heute vielleicht bei der Hälfte aller Brücken, welche erbaut werden, dem Fabricanten wenigstens freigestellt wird, Flufs eisen zu verwenden. Von ausgedehnten Erfahrungen über die Brauchbarkeit dieses Materials im Brückenbau kann also bei uns noch nicht die Rede sein, und es ist naheliegend, dafs unsere Ingenieure infolgedessen bezüglich der Ansprüche an die Qualität und bezüglich der Behandlung des Materials sich auf die Erfahrungen zu stützen suchen, welche in anderen Ländern, in denen seit längerer Zeit das Flufseisen im Gebrauch ist, gemacht wurden. Dasjenige Land, welches zuerst durchgreifend mit der Verwendung von Flufseisen im Brücken bau vorging, war Nordamerika, woselbst bereits im Anfänge des vorigen Jahrzehntes bei gröfseren Brücken die Hauptconstructionsglieder in Flufseisen ausgebildet wurden und woselbst heute wohl kaum noch ein gröfseres Bauwerk in Schweifseisen ausgeführt wird. Die Erfahrungen, welche man dort mit dem neuen Material gemacht hat, sind durchweg gute, obgleich natürlich auch hier der Zeitraum des Bestehens dieser Brücken noch zu kurz ist, um ein abschliefsendes Urtheil fällen zu können. In den Bedingungen für die Materiallieferung schreiben einzelne der amerikanischen Ingenieure vor, dafs das Flufseisen im Martinofen erzeugt sein mufs, andere stellen diese Anforderung nicht, lassen vielmehr bezüglich der Art der Herstellung dem Lieferanten freie Hand. Bis vor kurzem wurde im allgemeinen für Zugstäbe eine Festig keit von etwa 45 bis 52 kg und für Druckstäbe eine Festigkeit von 52 bis 59 kg bei einer Deh nung von 15 bis 18 % verlangt. Erst in letzter Zeit geht man auch in den Vereinigten Staaten zur Verwendung weicherer Eisensorten über. Die neuen Lieferungsbedingungen der New York Central- und H u d s o n R i ver-Eisenbahn ver langen ein Martineisen von 40 bis 45 kg Festig keit bei 20 % Dehnung. Die Auswahl und Abnahme des Materials geschieht mit grofser Sorgfalt, ebenso wird bei der Bearbeitung in den Werkstätten auf eine sachgemäfse Behandlung des Flufseisens geachtet. In England ist bekanntlich die grofse Brücke über den Firth of Forth in Flufseisen erbaut worden, welches für die gezogenen Theile 47 bis 52 und für die gedrückten Theile 53 bis 58 kg Festigkeit besitzt. Das russische Ministerium schreibt in einer neueren Verordnung vor, dafs das zu Construc- tionszwecken zu verwendende Flufseisen 34 bis 40 kg Festigkeit bei einer Dehnung von 251% aufzuweisen hat, und macht gleichzeitig Vor-