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straffrei bleibt, also gar nicht in den Kreis des vorliegenden Gesetzentwurfs hineingehört. Völlig naiv aber ist es, Cartelle sowie Aussperrungen der Arbeiter zu perhorresciren in demselben Athem- zuge, mit dem man nach Erhaltung der Coalitions- freiheit ruft. Ja, soll denn die Coalitionsfreiheit nur für die Arbeiter, nicht auch für die Arbeit geber da sein? Sollen nicht auch die Arbeitgeber sich coaliren und gemeinsam handeln dürfen, um ihren Interessen Geltung zu verschaffen? Dem „Vorwärts“ würde das freilich wohl das Liebste sein. Schrieb er doch: „Ins Zuchthaus mit diesen Unternehmern!!“, als verschiedene Industrielle ihre Arbeiter für immer oder für bestimmte Zeit nicht wieder aufnehmen wollten, die am 1. Mai beliebig von der Arbeit fern geblieben, um gegen die „be stehende Gesellschaftsordnung“ zu demonstriren. Der „Vorwärts“ glaubte damit, einen besonderen Witz, ein hervorragend brauchbares Schlagwort gefunden zu haben und — eine Anzahl bürger licher Blätter der Linken fiel auf diese Sophistik herein und klatschte diesen Trugschlüssen oben drein noch Beifall. „Wär’ der Gedank’ nicht so verwünscht ge scheit — man wär’ versucht, ihn herzlich dumm zu nennen“ schrieb damals die „Rhein.-Westf. Zeitung“ mit Recht. Von Gesetzeswegen kann bekanntlich weder ein Fabricant gezwungen werden, einen bestimmten Arbeiter einzustellen, noch ein Arbeiter gezwungen werden, bei einem bestimmten A. oder B. Meyer zu arbeiten. Sowohl Arbeit geber als -nehmer haben das Recht, einen Arbeits vertrag eizugehen oder ihn aus irgend einem Grunde zu verwerfen, für den ein Jeder nur sich selbst oder dem, mit dem er den Arbeitsvertrag schliefst, Rechenschaft zu geben hat. Das garantirt das Gesetz. Wenn aber beide Factoren, Unter nehmer und Arbeiter, das Arbeitsverhältnifs ein zugehen gewillt sind, dann ist es ein gesetz widriges, die persönliche Freiheit verletzendes und das Wirthschaftsleben schädigendes Unterfangen, wenn ein Dritter beide Theile daran hindert. Solch’ ein unberufener Dritter ist aber ohne Zweifel immer die Streikcommission oder der Streikposten, die einen Arbeitswilligen hindern, bei einem Unter nehmer zu arbeiten, der auch seinerseits gewiilt ist, dem sich Anbietenden Arbeit zu geben. Des halb werden nach der heutigen Gesetzgebung mögliche und durch die Gesetzgebung noch ein zuführende Strafen stets nur diesen sich zwischen Arbeitskraft und Arbeitsgelegenheit drängenden Dritten treffen und ihn allein nur treffen können. Cartelle, Syndicate, schwarze Listen und dergl. sind Einrichtungen, von denen auch in Zukunft Arbeitgeber wie Arbeitnehmer vollen Gebrauch machen können, bei denen beide völlig straffrei bleiben und die also gar nicht in den Kreis des vorliegenden Gesetzes hineingehören. Uebrigens möchte ich bei dieser Gelegenheit auch dem ge wissenlosen Treiben eines Theiles der Presse ent gegentreten , welcher die Syndicate und Cartelle als Institute für die Ausbeutung der Arbeiter hinl zustellen sich nicht gescheut hat. Das Gegentheil ist der Fall. Die deutschen Syndicate und Cartelle haben durchweg bei vernünftigem Mafshalten in der Preisstellung eine Erhöhung der Löhne und eine Stetigkeit der Arbeit zur Folge gehabt, die den Arbeitern in demselben Mafse zu gute gekommen ist, wie den Arbeitgebern. Im übrigen handelt es sich bei diesem Kampfe um den Schutz der Arbeitswilligen lediglich darum, ob sich die bürgerliche Gesellschaft mit gebundenen Händen der socialdemokratischen Knechtschaft überliefern will oder nicht. M. H., der Staatsanwalt E. Cuny hat in einem vortrefflichen Schriftchen „Der Schutz der Arbeitswilligen“ die gegenwärtige Lage zutreffend also gekennzeichnet: „Die Streiks waren ursprünglich ein Kampf mittel der gewerblichen Arbeiter, dessen sie sich lediglich zu dem Zwecke bedienten, um eine Ver besserung ihrer wirthschaftlichen Lage zu erzielen. Das ist längst anders geworden. Heute kommen zahlreiche Streiks vor, die keineswegs den Zweck haben, die wirthschaftliche Lage der Streikenden zu verbessern, sondern die in geradezu frivoler Weise herbeigeführt werden auf Anordnung der Agitatoren, um den Arbeitgebern und den zu ihnen haltenden Arbeitswilligen die sociale Macht der Streikverbände fühlbar zu machen. Die Streiks entscheiden heute in zahlreichen Fällen nicht mehr wirthschaftliche Lohnfragen, sondern sociale Macht fragen. Ja, selbst der Streik ganz grofser Gruppen von Arbeitern veraltet allmählich als Kampfmittel. Solche Streiks sind kostspielig, da sie auf gesetz lichem Wege nur durchführbar sind, wenn alle Arbeiter derselben Gruppe feiern. Man hat daher etwas Anderes erfunden: das ist die Arbeitssperre, welche über einen Einzelbetrieb verhängt wird. Hier ist der Punkt, in welchem sich die Gefähr lichkeit der neuzeitlichen Entwicklung der Streiks am deutlichsten zeigt, und zwar nach zwei Rich tungen hin. Einmal nämlich läfst sich die Arbeits sperre selten in nur gesetzmäfsiger Weise durch führen: sie kann meist nur in ungesetzlicher Weise durch Zwang gegen neu sich meldende Arbeits willige aufrecht erhalten werden. Zweitens aber fehlen hier noch wirksame Strafgesetze, die solchen Zwang verhindern könnten, und infolgedessen ist die Verhängung der Arbeitssperre über eine Be triebsstätte gegenwärtig für die Agitatoren eine so einfach und leicht durchführbare Mafsregel, und sie führt meistens so rasch, mühe- und kostenlos ans Ziel, dafs darin eine schlimme Verlockung für die Agitatoren und ihren Anhang zu erblicken ist, bei jeder Gelegenheit, auch um Kleinigkeiten willen, die Arbeitgeber und die Arbeitswilligen ihre sociale Macht fühlen zu lassen. Die Einrichtung der Arbeitssperre führt am sichersten zur Ohnmacht der Arbeitgeber gegenüber den oft mafslosen An forderungen ihrer Arbeiter und vor allem zur