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15. October 1899. Der Schutz der Arbeitsicittigen. Stahl und Eisen. 977 summarischen Verfahren mit Geldstrafe bis zu 20 e oder mit Gefängnifsstrafe bis zu drei Monaten mit oder ohne Zwangsarbeit“, also nach deutschen Begriffen unter Umständen mit Zuchthaus. Das zweite Beispiel bietet Schweden. Im schwedischen Strafgesetzbuch befand sich schon immer im Gap. 15 § 22 folgende, weit über unsere „Zuchthausvorlage“ hinausgehende Bestimmung: „Zwingt Jemand ohne Recht oder unter Mifsbrauch seines Rechtes durch Gewalt oder Drohung jemand Anderen, etwas zu thun, zu dulden oder zu unterlassen, so wird er mit Strafarbeit bis zu zwei Jahren bestraft in den Fällen, dafs seine Handlung nicht an sich eine höhere Strafe nach sich zieht.“ Diese Bestimmung hielt die zweite Kammer noch nicht für genügend, sondern es wurde in ihr der Antrag gestellt auf einen Zusatz, der auch den Versuch strafbar erklärt und ausdrücklich bekundet, dafs der Schutz des § 22 nebst Zucht hausstrafe auch für die gewerblichen Arbeits verhältnisse gelten solle. Dieser in Schweden nun mehr Gesetz gewordene Zusatz zu der obigen Strafbestimmung lautet: „Dieselbe Strafe tritt ein, wenn man in der vorher erwähnten Weise versucht, Jemanden zu zwingen, an einer Arbeitseinstellung theilzunehmen, oder Jemanden zu hindern, an seine Arbeit zu gehen oder eine angebotene Arbeit zu übernehmen.“ Aufserdem erhielt § 24 des schwedischen Straf gesetzbuches einen Zusatz. Der § 24- lautete bisher: „Die in § 22 erwähnten Vergehen dürfen nicht vom Staatsanwalt verfolgt werden, wenn nicht der Beschädigte sie anzeigt, oder wenn nicht jemand gezwungen worden ist, an einer Arbeitseinstellung theilzunehmen, oder gehindert, an seine Arbeit zu gehen.“ Das neue Gesetz fügt am Schlüsse hinzu: „oder angebotene Arbeit zu übernehmen“. Bei Beurtheilung dieser Vorgänge in der schwe dischen zweiten Kammer fällt noch ganz besonders in das Gewicht, dafs diese eine demokratische Mehrheit besitzt; aber ein Theil dieser Mehrheit verbindet sich mit der Rechten gegen die Heraus forderungen durch die gewerbsmäfsige Agitation. In Schweden fürchtet man sich eben noch nicht vor der Socialdemokratie wie in gewissen anderen Ländern, und bei dem dort geltenden Wahlrecht sind auch nicht so viele „bürgerliche“ Abgeordnete mit ihrem Mandat von der Gunst der social demokratischen Stimmen abhängig wie bei uns. Dafs man diese Beispiele anderer Länder in Volksversammlungen erwähnt oder in den der Vorlage ungünstig gesinnten Blättern abgedruckt gefunden hätte, ist mir nicht bekannt geworden. Das ist aber öfters so: das Ausland wird als Beispiel nur da herangezogen, wo es dem Berliner Fortschritt in den Kram pafst. Doch nein! ich würde der „Vossischen Zeitung“ unrecht thun, wenn ich nicht ihr charaktervolles Verhalten in dieser Beziehung besonders hervorhöbe. Dieses Blatt schrieb am 10. December v. J. wörtlich: „Sobald der Verfehmte seine Wohnung ver- läfst, folgen ihm zwei »Posten«, die sich .an seine Fersen heften, ihm in die Pferdebahn, ins Theater, ins Concert, in die Restauration, ja selbst bis in die Kirche folgen, oder, wenn sich der Betreffende in ein Privathaus begiebt, vor der Thüre stehen bleiben, bis er den Heimweg antritt, auf dem sie seine unzertrennlichen Begleiter sind. Sie ver treiben sich dabei die Zeit mit gelegentlichen Be leidigungen, ja selbst persönlichen, bis zur Mifs- handlung gehenden Angriffen. Manchmal wird diese Behelligung durch Posten auch auf Familien angehörige, mit Vorliebe diejenigen des weiblichen Geschlechts, ausgedehnt. Der von einer derart organisirten Verfolgung Betroffene ist einfach wehr los, und wenn Postenbegleitung am hellen Tage erfolgt, sammelt sich alsbald das Heer der Strafsen- schlenderer und andere derartige Personen, die dann von selbst und unaufgefordert für die Auf führung der bekannten Strafsenscenen sorgen- Somit ist ein derart Verfehmter den gröbsten Be leidigungen und gehässigsten Verfolgungen geradezu wehrlos preisgegeben. Der Staat ist aber ver pflichtet, jedem Bürger den gesetzlichen Schutz angedeihen zu lassen, und es wird sich nicht um gehen lassen, gesetzlich die erforderlichen Mafs- regeln zur Abstellung dieses Unfugs zu ergreifen, der im Grunde genommen doch nichts Anderes als eine öffentliche Verhöhnung des Gesetzes ist.“ Eine zutreffende Beurtheilung, die sich aller dings auf Vorkommnisse in Holland bezog. Als es sich aber um deutsche Vorkommnisse bei Beurtheilung der „ZuchthausVorlage“ handelte, da schrieb dasselbe gesinnungstüchtige Blatt: „Dafs der Arbeitswillige sich eingeschüchtert sieht, wenn er seine Arbeitswilligkeit nur über wacht, das heifst, von Anderen beobachtet sieht, ist eine Behauptung, für welche uns jedes Ver- ständnifs abgeht.“ Wie haben wir doch in der Schule aus unserem Gellert gelernt ? „Ja, war die Antwort Junker Alexander’s, Ja, Bauer, das ist ganz was Anders!“ Noch auf einen Einwurf lassen Sie mich in aller Kürze eingehen, der gegen das Vorgehen zum Schutze Arbeitswilliger insofern gemacht worden ist, als man sagte, die Cartelle in der Industrie, die sogenannten schwarzen Listen, die Massenaussperrungen der Arbeiter u. a. m., stehen in directem Gegensatz gegen ein solches Vorgehen, da es denselben Terrorismus repräsentire, wie der socialdemokratische Goalitionszwang. Demgegen über lassen Sie mich darauf hinweisen, dafs die „schwarzen Listen,“ von denen auch in Arbeiter kreisen ein ausgiebiger Gebrauch gemacht wird, eine Angelegenheit darstellen, die auch künftig für beide Theile, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, völlig