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952 Stahl und Eisen. Zur Jubelfeier der Technischen Hochschule in lierlin-Charlottenbwg. 15. October 1899. Bei dieser Vereinigung sprechen aufser den schon angeführten äufseren im wesentlichen innere Gründe mit. Die Lehrgebiete beider Institute hatten sich je länger desto mehr genähert, viel Lehr stoff wurde gleichzeitig in beiden vorgetragen, die Ausbildung im Zeichnen war beiden gemeinsam. Endlich war der von beiden genommene Ent wicklungsgang allmählich derselbe geworden, ihre Verfassungen waren nahezu identisch. So wurde denn schon 1876 die Vereinigung zu einer technischen Hochschule beschlossen. Es fanden alsdann Verhandlungen zwischen Delegirten beider Akademien statt, als deren Ergebnifs im Handels ministerium der Entwurf eines provisorischen Verfassungsstatuts entstand, das als solches am 17. März 1879 in Kraft trat. Es datirt also die Technische Hochschule, nunmehr dem Cultus- ministerium unterstellt, vom Sommersemester 1879. Definitiv wurde das Statut mit geringen Ab änderungen am 22. August 1882 eingeführt. Nach dieser Verfassung werden die etatsmäfsigen Pro fessoren vom Könige ernannt. Die Studirenden haben Freiheit in der Wahl der Vorträge und Hebungen. Die Organe für die Leitung und Ver waltung der Technischen Hochschule sind die Abtheilungsvorsteher und das Abtheilungscollegium der 5 (jetzt 6) Abtheilungen für Architektur, Bau ingenieurwesen, Maschineningenieurwesen, Schiff bau, Chemie und Hüttenkunde, allgemeine Wissen schaften, insbesondere Mathematik und Natur wissenschaften, und Rector, Senat und Syndicus. Der Gesammtheit der Abtheilungscollegien steht die Befugnifs zu, durch eine Wahl eines ihrer Mitglieder für das Rectoramt in Vorschlag zu bringen. Berufen wird der Rector vom König! u. s. f. Auf Grund dieser Verfassung und der Ueber- gangsbestimmungen wurde für die Zeit vom 1. April 1879 bis 1. Juli 1880 zum ersten Rector Professor Wiebe, zum Prorector Professor Reuleaux vom Minister ernannt. Die erste ver- fassungsmäfsige Wahl fand am 8. Mai 1880 statt; sie fiel auf Professor Wiebe. Die Uebersiedelung in das neue Gebäude in Charlottenburg erfolgte zu Beginn des Wintersemesters 1884/85, die feier liche Einweihung in Gegenwart Kaiser Wilhelms I. am 2. November 1884. Seitdem hat sich die Zahl der Studirenden, die am Tage der Ver einigung — 1. April 1879 — 702 Bauakademiker und 402 Gewerbeakademiker betrug, ganz be trächtlich vermehrt; sie belief sich zu Beginn des letzten Semesters auf über 3800 Studirende. Da das Gebäude nur auf 2000 berechnet ist, sind gegenwäitig bedeutende Anbauten im Werke. Der Lehrkörper besteht zur Zeit aus 135 selbständigen Lehrern, von denen 79 angestellte Professoren und Docenten, 56 Privatdocenten sind. Als sehr be deutend gelten die Sammlungen der Hochschule. Eine Schöpfung neuesten Datums ist das grofs- artige Maschinenlaboratorium. Es ist bekannt, in welch umfangreicher Weise die Lehrfächer der allgemeinen Ingenieurwissenschaft, des Maschinen baues besetzt sind, sowie dafs die Rollen, welche die Lehrfächer der Elektrotechnik und des Schiff baues an der Schule spielen, der modernen Ent wicklung dieser neuen Zweige der Technik ent sprechend in den letzten Jahren zugenommen haben. Die Hüttenkunde ist ein verhältnifsmäfsig junger Zweig am Baume der technischen Hoch schule. Früher in den allgemeinen chemischen Unterricht eingeschlossen, wurde ihr erst im Winter halbjahr 1869 ein besonderer Lehrstuhl eingeräumt. Die Vorlesungen übernahm Bergrath Dr. Wedding, und selbstverständlich wurde bei Projectirung des Charlottenburger Neubaues auch der Hüttenkunde in dem an der Ostseite angelegten chemischen Labo ratorium neben ihrer im Lehrplan der Hochschule älteren Schwester, der anorganischen und organi schen Chemie, der chemischen Technologie und der Photographie Raum gewährt. Recht bescheiden wat er allerdings anfänglich. Denn als der 1879 auf den Lehrstuhl berufene Professor Dr. Weeren sein berechtigtes Bedenken aussprach, ob 13 Labo ratoriumsplätze für die Adepten der Hüttenkunde wohl auf die Dauer ausreichen würden, da hielt man dies für mehr als genug. Heute beläuft die Zahl der Hüttenkunde Studirenden an der Berliner Technischen Hochschule sich auf 120 bis 125. Vergröfserungsbauten sind im Gang und noch in diesem Herbst sollen im ganzen 54 Plätze statt der jetzt vorhandenen 13 eingerichtet werden, so dafs für absehbare Zeit gesorgt erscheint. Rückschauend auf eine solche Entwicklung, darf man es mit Stolz aussprechen, dafs unsäg liche Mühe und treue Arbeit Grofses geleistet haben, und die Berliner technische Hochschule einen nicht gering zu veranschlagenden Antheil an den anerkannten Erfolgen Deutschlands auf praktischem Gebiet mit Fug und Recht bean spruchen kann. Unsere Industrie verdankt ihre auch im Auslande anerkannten Leistungen in erster Linie dem Umstande, dafs sie sich auf wissen schaftlicher Grundlage aufgebaut hat. Zu ihrer weiteren Entwicklung im friedlichen Wettstreite mit den anderen Nationen bedarf es der Auf bietung aller Kräfte, aber nur dann kann ihnen Erfolg zugesprochen werden, wenn sie in innigem Zusammenwirken nach gleicher Richtung arbeiten. Nur in solch’ harmonischem Streben kann unserem Vaterlande auch in aller Zukunft eine Industrie von höchster Leistungsfähigkeit erhalten bleiben, die zur Erhaltung seiner Macht, seines Ansehens und seines Wohlstandes unerläfslich ist. An den bevorstehenden Ehrentagen der Hoch schule nimmt daher die gesammte deutsche Eisen industrie lebhaften Antheil und beglückwünscht sie herzlichst zu ihren Erfolgen. In ihrem Namen rufen wir der ewig jugendlichen Alma mater zu ihrem bevorstehenden Jubelfest ein kräftiges »vivat floreat crescat« zu! , Die Redaction.