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Mittwoch, äen 13. November 1S2S Nr. 264 Mer Tageblatt /lnzeiger für-as Erzgebirge EZM Tagrblatt flu.nzg.bir«. Enthalten- -le amtlichen Sekanntmachungen -es Rates -er Sta-t UN- -es Amtsgerichts ^lue. Postscheck-Xont»: MM LNp^e »».teee 24. Zahrgang gedroht hätten, auf Wackenauer ge- mit Auf auf des politischer Mor- kn flrgeatkoken 21 Verletzte Nach einer Meldung der Associated Preß au» Argentina ist Lv. Carlos W. LencinaS, ein politi scher Gegner des Präsidenten Jrigohen, erschossen wor den, als er von einem Balkon au» an 8000 seiner Anhänger" eine Ansprache hielt. Gleichzeitig wurde auf die Versammelten ein wildes Feuer eröffnet, durch das 21 Personen.Verletzungen erlitten. Unter den schwerer.Verletzten befindet sich der Vetter de» aus dem Balkon Erschossenen, Raul LencinaS, und der Polizei präsident. Dir. LencinaS selbst ist don zwei Kugeln getroffen worden, die den Kopf und die Lunge durch? bohrten. Beide Schüsse sind von hinten aus ihn ab gegeben worden. Tie Stadt ist mit Militär belebt wor. den. GS wurden über 250 Personen verhaftet, bi» aus .15 aber wieder freigelassen. Wie hierzu weiter gemeldet wird, war LencinaS gerade aus Buenos Aires zurückgekehrt. Er wußte, daß, das BundeSgericht gegen ihn einen Haft-efchl er« lassen hatte. Es wurde ihm' vorgeworfen, al» Grm« derneur von Mendoza sich durch Korruptionswirtschaft Ekn Anschlag auf Mussolini! Der Korrespondent des „Daily Telegraph" berichtet aas Nizza, Laß vor ungefähr einem Monat aus Mussolini in der Gegend von Ostia einige Gewehrschüsse abgefeuert worden seien. Die faschistische Nachrichtenstelle habe aber diese Meldung bisher unterdrückt. — Eine Bestätigung dieser Meldung von anderer Heile Liegt nicht vnr. Strafantrag äes früheren Neufers gegen die „Berliner Morgenpost" In einem mit der Ueberschrift „Geschäftsfreunde Wilhelms II." verschenen Artikel der „Berliner Mor genpost" vom 24. Oktober d. I. hieß es, der frühere Kaiser sei an der Kruppschen Fabrik beteiligt gewesen, er habe sich! stets als Sozius Krupps gefühlt und mit Rücksicht auf dieses materielle Interesse durchgesetzt, daß! ausschließlich Kruppsche Geschütze angeschafft wur den, obwohl dieses Material, wie ihm bekannt, gegen über demjenigen anderer Firmen minderwertig wesen sei. Tie deutsche Feldartillerie sei deshalb minderwertigem Geschütz in den Krieg gezogen, diese Weise habe die kaiserliche Privatschatulle Kosten des Vermögens des deutschen Volkes und Blutes seiner besten Söhne eine ungeheure Bereiche-, rung erfahren. Hierzu erklärt einer Korrespondenz in Berlin eine dem ehemaligen Kaiser nahestehende Seite u. a.r „An dieser ganzen Darstellung.ist kein wahres Wort. Durch die ungeheuerlichen, den Tatsachen widersprechen den Behauptungen werden nicht nur der ehemalige Kaiser, sondern auch die alten militärischen Dienststel len, deren hohes Verantwortungsgefühl in der ganzen Welt bekannt ist, auf da» .gröblichste beschimpft und verleumdet. Da jeder Deutsche ein Recht auf Klar« stellung besitzt, daß, seine Söhne nicht durch eine der artige gewissenlose Mißwirtschaft hingeopsert worden sind, hat der Kaiser durch Rechtsanwalt P. Bloch Strafantrag gegen die „Berliner Morgenpost" gestellt." Lampels Geständnis Er war bei der Tat zugegen Der unter dem Verdacht der Mittäterschaft in einem vor acht Jahren in der Gegend von Neustadt in Oberschlesien verübten Fememord verhaftete Schrift steller Peter Martin Lampe! ist sofort nach seiner Ein lieferung ins Liegnitzer Untersuchungsgefängnis vom Untersuchungsrichter Landgerichtsdirektor Dr. Goslau vernommen worden. In diesem Verhör hat Lampel zugegeben, daß er bei der Ermordung des Angehörigen des Freikorps Oberland, Köhler, der sich v. Lancken nannte, zugegen gewesen sei. Lampel bestreitet jedoch, an der Tat aktiv oder auch nur innerlich beteiligt gewesen zu sein. Sein Verhältnis zu ihr entspreche etwa der Haltung des „Fähnrichsvater" in seinem Femeroman „Verratene Jungen". Dieses Buch ist üb rigens in der Hand des Verteidigers ein wichtiges Dokument, da es die Einstellung Lampels zu den Fememorden vor der Zeit seiner Beschuldigung, also aus freier Ueberzeugung, darlegt. Da Lampel von an deren Personen, im Gegensatz zu dieser feiner Aussage, schwer belastet wird, sogar durch die Behauptung, er selber habe den tödlichen Schuß auf Köhler abgegeben, wird er diesen Zeugen gegenübergestellt werden. Ueb- rigens hat man den einen der an dem Verbrechen be teiligten Selbstschutzleute, der, wie gemeldet, geflüch tet war. jetzt verhaften können. Es ist ein ehemaliger Leutnant von Bollwitz. Auch er ist bereits nach Lieg- nitz gebracht worden. Die Tat ist seinerzeit bei Wackenau in der Nähe von Neustadt verübt worden. Der Tatort liegt also nicht im Abstimmungsgebiet, in welchem Falle die ganze. Angelegenheit überhaupt unter die sogenannte Spicker-Amnestie fiel, sondern außerhalb der Zone, allerdings nicht weit von ihr. Trotzdem wird für die Beurteilung des Falles die Person des Erschossenen erheblich! in Betracht kommen, da es sich ja um die Zeit der .Bedrohung Schlesiens durch polnische Frei schärler handelt. Tie Leiche Köhlers ist noch nicht ge« funden. Daß sie in Wackenau vergraben worden sei, wird von einem der Verhafteten behauptet, der an gibt, von mehreren Männern, die ihwi mit Erschießen gezwungen worden zu sein, die Leiche Flur zu vergraben. Unsere neuen Minister Dr. Eurtius Reichsaußenminister — Dr. Moldenhauer Reichs- wlrtschastsmlnister Reichspräsident von Hindenburg unterzeichnete die Ernen nungsurkunden der beiden neuen Neichsminister, die am Montag ihnen bereits zugestellt wurden. Der stellvertretend« Reichs außenminister Dr. Eurtius ist damit endgültig Reichsaußen- minister geworden, während sein Parteifreund Dr. Molden hauer Reichswirtschaftsminister wurde. Letzterer ist von seiner Amerikareise nach Deutschland zurückgekehrt und am Montag von Reichskanzler Müller empfangen worden. Damit ist die Lücke wieder ausgcfüllt, die durch den Tod Dr. Stresemanns im Reichskabinett entstand. Dies gilt wenig stens nach der formalen Seite hin. Unmittelbar nach dem Tode Dr. Stresemanns hatte es den Anschein, daß die Besetzung des Reichsaußenministeriums zu innerpolitischen Verwicklungen führen könnte. Vielfach wurde vermutet und auch in der Oeffentlichkeit erörtert, daß das Zentrum den Wunsch hege, das Reichsjustiz- ministerium abzugeben und durch den einen oder anderen Führer in das Reichsaußenministerium oder in das Reichswirtschafts ministenum einzuziehen. Auch war gemunkelt worden, daß Dr. Breitscheid, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion, wünscht, die Nachfolgerschaft Dr. Stresemanns an zutreten. Jetzt hat sich gezeigt, daß weder die Sozialdemokratie noch das Zentrum einen ernsthaften Vorstoß machten, um in das Reichsaußenministerium einzuziehen. Der neue Reichsaußenminister Dr. Eurtius ist 52 Jahre alt. Er gehört seit dem Jahre 1920 dem Reichstag an und ist seit dem Januar 1926, wo er in das zweite Kabinett Dr. Luthers eintrat und die Leitung des Reichswirtschaftsministeriums über nahm, Reichsminister. Als solcher arbeitete er mit seinem Partei freunde Dr. Stresemann, zu dessen engerem Freundeskreise er gehörte, aufs innigste zusammen. Er begleitete ihn auch als deutscher Delegierter zur Haager Konferenz, wo er sich durch seine besonnene und verbindliche Art als überaus wertvolle Stühe unserer Vertretung erwies. Es kommt ihm zugute, daß er in die Pläne des verstorbenen Reichsaußenministers eingewerht ist und Der Liquiciarionsvertrag Bedenken der Deutschen In Polen Ws die Nachricht vom Abschluß des deutsch-polnischen Liquibatlonsvertrags an das Ohr der deutschen Minderheit in Bolen drang, herrschte dort viel Freude. Es war gesagt wor den, daß das Liqulbationsverfahren in allen praktisch wichtigen Fällen aufgehoben wäre, daß das Anerbenrecht gesichert wäre und manches andere mehr. Die „Deutsche Rundschau", die In Brom berg erscheint, machte schon beim Bekanntwerden des Vertrages entsprechende Vorbehalte. Nachdem er jetzt in allen Einzelheiten bekannt ist, schreibt das Blatt, „daß die Freude längst nicht mehr ungetrübt ist. Mir sehen, daß er zum großen Teil auf Treu und Glauben, nicht aber auf einer genauen, tiefschürfenden rechtlichen Formulierung aufgebaut ist. Das erfüllt uns mit großer Sorge. Wir haben Erfahrungen hinter uns, gesammelt in zehn langen lu'iben Jahren, wir wissen, daß ein Vertrag, der nicht in ganz feste und sichere Formen gegossen ist, hundertfach Löcher aufweist, durch die der Geist entweichen kann. Im Sommer 1924 hat man beispielsweise in Wien einen umfangreichen Vertrag über die Staatsangehörigkeit der Deut schen in Polen und umgekehrt ( die sogen. Wiener Konvention) abgeschlossen. Damals ging wie heute ein tiefes Aufatmen der Befreiung durch die Hundertt-ausende der deutschen Minderheit in Polen. Aber wie ernsthaft auch das Iuristengremium in Wien unter Führung des jungen Belgiers Kaekenbeck seine Arbeit auf faßte und durchführte, das Schiff war doch nicht dicht genug, und es ist viel Wasser in die Ladung eingedrungen. Trotz des um- fangreichen Vertrages ist damals keine vollständige Klärung der Staatsangehörigkeitsfragen erfolgt. Mutet es nicht wie eine Farce an, wenn beispielsweise eine Starostei (Bezirksamt) unse res Teilgebietes von dem Angehörigen einer Familie, die seit über 150 Jahren hier ihren Wohnsitz hat, Nachweise über den Aufenthalt der Großeltern fordert, die vor 100 Jahren geboren und vor 30 Jahren gestorben sind, und daß diese Starostei die Ausgabe eines Personalausweises mit der Staatsangehörigkeits bescheinigung verweigert, da in dem lückenlosen Nachweis des Aufenthaltes dieser Person ein Besuch von vier Wochen im llahre 1921 bei Verwandten hier in Polen nicht polizeilich beschei nigt ist! Und das trotz der Wiener Konvention! Nicht vereinzelt sind solche Fälle, ähnlich ergeht es Tausenden von Deutschen In unserem Teilgebiet, die schon seit Jahren und vielleicht noch auf Lebenszeit zwischen Himmel und Hölle schweben, nicht hier und nicht dort Staatsbürger sind, bis sie einmal zur großen Armee abgerissen werden, wonach sie dann hoffentlich irgendwo Hei matrecht erwerben werden. Dann beginnt vielleicht für ihre Kinder der Kampf. Mit ähnlichen Sorgen sehen wir der Ausführung des Liqui- uationsabkommens entgegen. Nicht einen Augsnblich lang sind -vir darin anderer Ansicht, als die regierungsfreundliche reichs deutsche Presse, daß eine endgültige und grundsätzliche Erledigung der Liquidationsfrage von geradezu lebenswichtiger Bedeutung für die deutsche Minderheit in Polen ist. Mit Rührung haben wir davon Kenntnis genommen, einen wie ungeheuren finanziel len Preis, der die Summe sehr, sehr viele Male überschreitet, um die ein Snowden im Haag drei Wochen lang mit aller Energie und Mit allen politischen und diplomatischen Schikanen gekämpft hat. Für Polen selbst bedeutet dieser Vertrag nicht im geringsten ein Zugeständnis, im Gegenteil, er ist vielmehr an sich, ohne Be rücksichtigung des ungeheuren finanziellen Gewinns für es ein Positioum. Das offiziöse Warschauer Regierungsblatt „Gazeta Polska" gibt das offen zu. Der Preis war riesengroß. Ist es der Gewinn auch? Wir wollen unsere Bedenken in fester Form äußern. Die Grenzzonen-Verordnung bleibt unbeschadet des Liqui dationsvertrages weiterhin in Kraft. Wir haben bereits bei Er laß der Grenzzonen-Verordnung darauf hingewiesen, daß zwei Drittel des ehemals preußischen Teilgebietes unter diese Grenz zone fallen. In diesen zwei Dritteln wohnen schätzungsweise 80 bis 90 Prozent aller hiesigen Deutschen, besonders der ländlichen Bevölkerung. Wir stellen fest, daß das Schicksal der etwa 80 Prozent deutschen Bauern, di« in der Grenzzone wohnen, weiter hin unsicher ist. Jeden einzelnen deutschen Bauer kann man ohne Gerichtsverfahren aus der Grenzzone vertreiben, — eine Zone, die oft 60 und mehr Kilometer ins Land hineinreicht — da ja die Verordnung für die Verwaltungsbehörden besteht und maß gebend ist. Das Anerbenrccht darf ferner nur in solchen Fällen ausgeübt werden, wo der Erbe gerichtlich nicht vorbestraft i t. Wenn nun beispielsweise — wir wollen den Fall rein theoretisch erörtern — die im vorigen Monat Inhaftierten Mielke, Heidelck, von Rühen usw. schuldig gesprochen und verurteilt werben und ihre Eitern würden ihnen ein Gut vermachen, so könnte Polen das Wieber- kaufsrecht in Anspruch nehmen. Wir müssen uns in diesem Falle mit Andeutungen begnügen, denn wir haben hier eine strenge Zensur. Aber man sollte einmal darüber nachdenken, und über andere Fälle auch. Warum hat man ferner nicht die Rückkehr der Söhne deut scher Ansiedler geregelt, die seinerzeit leichtfertig optierten und selbst drüben in Deutschland zum Teil als gewöhnliche Arbeiter ihr Leben fristen müssen, während die Wern hier ohne Erben oft schon in greisenhaftem Alter wirtschaften müssen und nicht wissen, was mit Ihrem Besitz später geschehen wird? Warum hat man den klaren und eindeutigen Fall des Krankenhauses Bethesda In Gnefen, der rechtlich völlig unbegründeten Wegnahme einer chari- tativen Anstalt, so einfach in den Papierkorb fallen lassen? Viele Fragen sind es, die sich uns aufdrängen. Unsere Einschränkungen sind kein MIesmachertum, kein berufsmäßiger Pessimismus. Es sind Einschränkungen, die aus der Sorge um unser Volkstum er wachsen und In unseren jahrzehntelange» Erfahrungen in der AuÄqzung von Verträgen begründet sind." daß er die außenpolitische Linie Dr. Stresemanns stets au» inne rer Ueberzeugung mitmachte. Es ist bekannt, daß Dr. Streb mann die bevorstehende Haager Schlußkon seren- nicht als eine reine Formalität betrachtete, sondern für sie bestimmte Pläne hegte. Es darf daher erwartet werden, daß Dr. Eurtius das politische Testament seines Freundes Dr. Stresemann aus der bevorstehenden Haager Schlußkonferenz vollstrecken wird. Mit der Ernennung von Dr. Eurtius zum Melchsaußenmlni- ster wurde auch die andere strittige Frage entschieden, ob «in B e r u f o d I p l oma t Reichsaußenminister werden soll. M» angebliche Kandidaten des Herrn Reichspräsidenten von Hinden burg wurden vielfach der Pariser Botschafter Dr. von Neurath genannt. Als letzterer jüngst in Berkin auftauchte, munkelte man in politischen Kreiser« allerhand. Vielfach wurde gesagt, daß Dr. von Neurath als Stresemanns Nachfolger sich merkwürdig ausnehmen würbe, nachdem erst vor einigen Monaten Dr. Strese mann im Auswärtigen Ausschuß des Reichstags an dem Ver halten unseres römischen Botschafters in den Fällen Emil Ludwig und Gerhardt Hauptmann eine recht scharfe und abfällige Kritik geübt hatte. Die Ernennung Dr. Paul Mvldenhauers -um Reichswirtschaftsminister schafft einigermaßen Klarheit über die innerpolitischen Vorgänge, die sich in den letzten Wochen inner halb der Deutschen Volkspartei abspielten. Hinter den Kulissen rang die weiterverarbeitende Industrie und die Schwerindustrie miteinander um die Besetzung des Reichswirtschaftsministeriums. Bald war der Abgeordnete Albrecht von der Kali-Industrie, bald der sächsische Abgeordnete Dr. Schneider, bald der Abgeordnete Dauch Favorit für dieses hohe Reichsamt. Jetzt hat keine der genannten Persönlichkeiten das Rennen gewonnen, sondern der Kölner llniversitätsprofessor Dr. Moldenhauer, der keiner dieser Gruppen angehört. Man weiß, baß der neue Neichswirtschafts- minister zur engeren Tafelrunde Dr. Stresemanns zähste und innerhalb der Deutschen Volkspartei zu den Realpolitikern gehört. Seine vorwiegend staatspolitische Einstellung zu den brennenden Gegenwartsfragen und sein echter rheinischer Humor verschafften ihm während seiner parlamentarischen Tätigkeit auch zahlreich« Freunde außerhalb der Deutschen Volkspartei.