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sünder und vernünftiger, als am Tage zu schlafen und Nachts zu wachen, wie eS, so sagt man, häufig in den Städten geschieht! Einen Theil meiner Tage bringe ich ganz allein zu; aber außerdem, daß ich zuweilen Reisende treffe, wie Sie meine Herren', die so freund lich find, sich ein Weilchen mit mir zu unterhalten, rede ich mit meinem Hunde, mit meinen Schafen, mit mir selbst und besonders mit dem lieben Gott. Zwar gehört diese Heerde nicht mir, ich stehe bei einem An dern im Dienst, aber dieser ist ein guter Herr, den ich liebe und der mich liebt, der für mich sorgt, wenn ich krank bin, und der in meinen alten Tagen mich ernähren wird. Und sollte er sterben vor mir, oder mich fortschicken, so hoffe ich einen ähnlichen wieder zu finden. Und fände ich keinen, nun, Einer wird mir immer bleiben, der mehr werth ist, als alle an deren, der mir nicht stirbt, und der mich nicht fort schicken wirb." „Und wer ist daö?" „Wer anders, als mein lieber Gott und Herr! Er behält Alle in seinem Dienste, die ihm treu die nen! Sein Haus steht Allen offen, den Kleinen wie den Großen, und man sagt sogar, daß bei gleichen Verdiensten die Kleinen zuerst hineinkommen. Darum hoffe ich auf ihn, vertraue seiner Liebe und Güte ge wiß und bin ohne Sorge um den kommenden Tag. Wenn mir ein Glück vom Himmel fällt, so dank' ich ihm dafür. Regner es ein Leid herab, so sage ich zu mir, daß er'S besser weiß, als ich, daß es sicherlich zu meinem Besten ist, unv ich banke ihm gleichfalls dafür. So freue ich mich, so viel möglich, meines Daseins und erfülle, so gut ich kann^ meine Pflicht als Christ. Ich befinde mich wohl genug in der Welt, um bereitwillig darin zu bleiben, bin aber auch, da uns noch Besseres aufbehalten wird, bereit, sie zu ver lassen, wenn mein Gott und Herr es befiehlt. Bei diesem Allen, nämlich einer guten Gesundheit und einem guten Gewissen, bin ich mit meinem.Schicksale zufrieden, ich danke meinem Gott für das ärmliche kleine Plätzchen, das er mir auf der Erde gegeben hat, und bitte nur Eins von ihm, nämlich: daß er mich bis an s Ende meines Lebens darin lassen möge. Nun sehet, mein Herr, nennt Ihr daö nicht glück lich?!" — Während der Schäfer sprach, sah und hörte ihn der Vezier mit einer-Rührung an, wie der einfache und reine Ausspruch der Wahrheit sie immer hervor ruft. So hatte er denn endlich dieses fabelhafte We sen, welches er seit so langer Zeit vergebens verfolgte, vor sich. Dieses Glück, daö er umsonst in der gan zen Welt gesucht hatte, sah er vor seinen Augen; er konnte eS mit seinen Händen berühren! Und unter welcher Gestalt erschien eS ihm? Unter dem Kittel und dem Strohhut eines Schafhirten. Um die Sache gewissenhaft zu nehmen und die Probe bis auf's Höchste zu treiben, zog der Vezier eine volle Geldbörse aus der Tasche und bot sie dem Schäfer mit den Worten: „Da nimm dies Geld. ES wird dazu beitragen/ dein Leben noch glücklicher zu machen." Der Hirt nahm die Börse in die Hände, wandte sie um und wieder um, untersuchte die Goldstücke, prüfte sie, und nach einem Augenblick deö Zögerns gab er sie dem Vezier zurück, indem er sagte: „Ich banke Euch für Eure Güte; aber ich will Euer Ge- schenk durchaus nicht. Ich habe viel Schlechtes er zählen hören von dem gelben Metalle, das Ihr mir da.anerbietet, und ich will ftine Bekanntschaft nicht machen. Seht, mein Herr, das Glück tst wie ein kleines Silberstück, das der liebe Gott in meine Hand gelegt hat; ich will es nicht fahren lassen für ein Goldstück, das sich zwischen meinen Fingern vielleicht in Kupfer verwandeln könnte. Wenn eS Einem ir gendwo wohl ist, thut man klug daran, daselbst zu bleiben: mit ist wohl, wo ich bin, und da bleibe ich!"— Die Probe war vollständig und siegreich. Der Vezier wechselte einen Blick mit seinem Begleiter. „Der Mensch ist gefunden (sagte er mit gedämpfter Stimme zu ihm), eS handelt sich nun darum, daS Hemd zu bekommen!" Er schwieg einen Augenblick; dann sagte er in einem sanften, schmeichlerischen Tone zum Schäfer: Mein Freund, Ihr müßt mir einen Dienst lei sten!" „Einen Dienst, mein Herr? Sprecht, wie kann eine arme Creatur, wie ich, Euch nützlich sein? Ich stehe Euch zu Diensten mit Allem was ich habe; aber ich habe nichts, womit Euch . . . ." „Doch, mein Freund, Ihr habt etwas, und zwar etwas, das ich Euch bitte, mir nicht zu verweigern!" „Und waS wäre daö?" — Der Vezier zögerte einen Augenblick, dann faßte er sich. „Euer Hemd!" rief er. „Mein Hemd!" wiederholte der Schäfer und brach in ein lautes Gelächter aus, welches alle Echo deS Holzes umher wieverhalltcn. — „Ah" fuhr er, nach dem sich sein Lachanfall ein wenig beruhigt hatte, fort, „Es scheint, daß auch Ihr den Scherz liebt, Ihr Schelm, der Ihr so sehr über meine Munterkeit staun tet!" und klopfte dem Vezier auf die Schultern. ,O nein," erwiederte der Vezier in ungeduldigem Tone, „ich scherze nicht; in vollem Ernste bitte ich Euch, mir Euer Hemd zu geben oder vielmehr zu verkaufen." „Nun mein Herr, so wisset, baß ich Euch allen Ernstes erkläre: Daraus wird nichts!" „Ihr verweigert es mir?" „Rein heraus! Ich kann und will Euch mein Hemd weder geben nach verkaufen; dabei bleibt eS!" „Hört (sagte der Vezier wieder), ich muß eS ha ben, ich muß eS durchaus haben! Ihr seid kräftig, aber wir sind zwei, und wir werden eS mit Güte oder mit Gewalt erlangen!" „Hoho! Nehmt Ihr einen solchen Ton an? Nun so sage ich Euch, daß Ihr eS weder mit Güte noch mit Gewalt erlangen werdet, und wäret Ihr Eurer hundert, Ihr würdet eS eben so wenig erlangen!" Die gütlichen Mittel waren erschöpft; eS blieb nichts übrig, als zur Gewalt seine Zuflucht zu neh men. Das geschah denn auch auf der Stelle, und zwar mit um so leichterem Erfolge, da der Hund des Schäfers eben einigen von der Heerde entfernten Scha fen nachjagte und somit seinem Herrn nicht beisprin gen konnte. Der Schäfer leistete kräftigen Widerstand, doch mußte er, nachdem er manchen Faustschlag ge geben und erhalten hatte, der Mehrheit weichen; seine beiden Gegner warfen ihn nieder und wurden seiner Herr. Da er einmal am Boden lau, leistete der Schä fer keinen Widerstand mehr und überließ sich ihnen ruhig; nur sagte er zu sich selbst: „WaS doch diese Leute für eine sonderbare Idee haben, auf diese Weise der Armuth ihrer Kleiber zu rauben!" Indessen löste der Vezier mit Liner von Aufre gung zitternden Hand den halbzerrissenen Kittel des