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Geologie und Philosophie. 369 noch die Möglichkeit vorliegt, natürliche Vorgänge auf natur- gemässe und naturgesetzliche Weise zu erklären. Die speculative Philosophie war als Naturphilosophie aller dings so lange ziemlich unfruchtbar, als sie in der exacten Naturforschung eine hinreichend feste Grundlage noch nicht hatte. Jetzt aber können und müssen Naturforschung und Philosophie Hand in Hand gehen, wenn wir zu den höchsten Zielen für beide gelangen wollen. Es ist dabei freilich die grösste Vorsicht und die ganze Ruhe einer nüchternen Natur betrachtung erforderlich, um nicht in den alten Fehler der nach Phantomen jagenden Naturphilosophie zu fallen. Wie wir als vernunftbegabte Wesen die sogenannten Wunder des Weltalls nicht auf Wunder im landläufigen Sinne zurückführen dürfen, sondern als Ergebnisse einer naturgemässen Entwickelung ansehen müssen, so darf am allerwenigsten ein Naturforscher wie Du Bois-Reymond bei Fragen, welche nur auf wissenschaftliche Weise lösbar sind, voreilig die Segel streichen und mit einer übermässig bescheidenen Resignation ausrufen: ignoramus, ignorabimus! (Wir sind und bleiben un wissend.) („Ueber die Grenzen des Naturerkennens.“ Leipzig, Veit & Comp. 1872.) Der Naturforscher kennt keinen Zufall, sondern nur Nothwendigkeit; jeder Vorgang ist für ihn das Resultat naturgesetzlicher Wirkungen; sind diese so verwickelter Natur, dass ihre Auflösung ins Einzelne unmöglich erscheint, so pflegt man freilich von Zufall zu sprechen, aber nicht im wahren Sinne dieses Wortes. Der Naturforscher rnaasst sich auch nicht an, einen bestimmten Zweck zu erkennen, sondern nur ein bewundernswürdiges Ineinandergreifen und gegenseitiges Bedingen alles Vorhandenen, wie es durch das Werden noth- wendig geworden ist. Die Durchschauung von Zwecken und ersten Ursachen liegt, als unerreichbar, nicht in seiner Auf gabe. Verstand und Gemiith mögen zwei gleichberechtigte Elemente unseres Wesens sein; das ist aber kein Grund, in wissenschaftlichen Untersuchungen — die Aufgaben des Ver standes sind — dem Gemiith irgend ein Recht einzuräumen. Cotta, Geologie der Gegenwart. 5. Aufl. 24