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für kleine, halbflügge Mädelchen. Aber ich sehe, du brauchst sie als Medizin! Darum blättere sie durch, bis du merkst, daß die Reiselust sich verflüchtigt. Dann kannst du sie mir wiederbringen. Ich bin in meinem Arbeitszimmer! . . ." Der Kommerzienrat hatte für den Abend verschiedene gesellschaftliche Beipflichtungen. Hans Markreiter, der in halber Selbständigkeit, aber mit seines Onkels Unter stützung, ein paar große Geschäfte am Platze vertrat und da durch ziemlich genau orientiert war, hatte seinen Entfüh rungsplan mit kluger Berechnung auf diesen Abend gelegt. Er wußte, daß sie einen gewaltigen Vorsprung gewinnen konnten und ohne Anfechtungen über die Grenze gelangen würden. Bald nach neu» fuhr er in langsamem Tempo durch die Mozartstraße, in der das vornehme Haus seines Onkels lag, und gab das oerabr^ete Hupensignal: fünf hinterein ander jagende kurze Töne! Und richtig, da klirrte der Schlüssel in der kleinen schmiedeeisernen Seitenpforte des Parks. Eine Gestalt in langem Automantel, die Schutzbrille vor dem Gesicht, und die Wachstuchmütze flott über das Köpfchen gezogen, schlüpfte heraus und winkte unsicher. ° Zm Ru sprang er ab, öffnete den Schlag und ließ sie hineinklettern. Eine gewaltige Tasche, die die Holdselige an der Hand mit herausgeschleppt hatte, schob er nach „Run flink, Liebste!" murmelte er hastig. „Wenn wir erst draußen sind, setzt du dich zu mir! Es geht ja alles brillant, findest du nicht?" Und dann kurbelte er an. Der Motor knatterte. Die Räder kamen ins Laufen. Eilig ging es über das holperige Pflaster der Seitenstraßen, über den glatten Asphalt der großen Verkehrsadern, hinaus auf die gut gewalzte breite Chaussee. Tra—tra—tra—tra! triumphierte die Hupe. Alles mußte ausbiegen oder zur Seite flitzen, was Hans Markreiter in den Weg kam, den er mit seiner jungen schönen glückver heißenden Beute gewählt hatte. Roch ein paar Stunden, und er hatte gewonnenes Spiel! Dann mußte der spröde Herr Onkel nachgeben, ob er Lust dazu verspürte oder nicht! Dann hatte dieses Zapper leben ein Ende, das ihn aus eiii?r Verlegenheit in die andere trieb! Es war eine Wonne, daran zu denken! Und mit einem fast unartikulierten Freudenschrei setzte er die höchste Geschwindigkeit ein . . . Al» sie weit genug von der Stadt fort waren, hielt er an, mitten auf freiem Felde, öffnete den Schlag und sagte voll Tourtoisie: „Jetzt bitte ich dich aber, Schatz, wir vorn Gesellschaft zu leisten. Wenigstens bis Krähensteinthal! Komm!" „Ach ja!" entgegnete sie flüsternd. Doch wie sie heraus kletterte, hatte er sie auch schon in den Armen, drückte sie an sich, wie närrisch, und tanzte dann übermütig im Lichte der ungeduldig blinkenden Scheinwerfer auf der breiten Chaussee rundum. „Zch . . . kann . . . nicht . . . mehr!" keuchte die Ent führte. Es klang, als ob ihr die Stimme versagte vor Er schöpfung. Da hob er sie lachend auf den Vordersitz, stieg behend nach und ließ den Renner alsbald weitersausen. Schweigend saßen sie nebeneinander. Ortschaften tauchten auf und flogen vorüber. „Krähensteinthal?" fragte sie unsicher an seiner Seite, und zeigte auf die deutlicher werdenden Lichter einer vor ihnen liegenden Stadk. Er hörte es kaum, so leise sprach sie. „Noch nicht, Lieb!" entgegnete er und umfaßte sie mit dem freien Arm für ein paar zärtliche Augenblicke. Aber beim nächsten Flecken fragte sie wieder, bis das alte Nest wirklich in Sicht kam. Da tastete sie schüchtern nach seinem Arm hinüber und sagte, aber diesmal mit voll tönender, breiter Stimme: „Hier möchte ich gerne aussteigen, Herr Markreiter! Zch bin hier nämlich zu Hause! Und meine Schwester hat Hoch zeit morgen! Nicht wahr, Sie nehmen's nicht übel und halten einmal an?" Wie ein Schlag traf's ihn und das Haar sträubte sich ihm unter der Wachstuchmütze. Kreuzmohrenelement, das war doch nicht Mariettas Stimme! Das war ja . . .! Wütend brachte er die Maschine zum Stehen. Mitten auf dem Marktplatz in Krähensteinthal. Wütend schrie er die Entführte an: „Wie kommen Sie dazu, sich in mein Auto zu setzen, Sie unverschämtes Frauenzimmer?" «Ihr Herr Onkel hat es doch so gewollt, Herr Mark reiter!" sagte sie beklommen. „Da mußte ich doch gehorchen! Aber schreien Sie bloß nicht so. Die Leute laufen ja zusam men. Und es ist doch Mitternacht!" „Mein Onkel? . . . Ha, der alte Schnüffler! Das sieht ihm ähnlich! . . . Arme Marietta, wie mag es dir ergangen sein!" klagte er pathetisch. „Aber harre nur aus! Zch er löse dich doch noch!" „Von Marietta habe ich einen Brief für Sie!" meldete sich Kathrin und holte ein Kuvert aus der Tasche. Es war ziemlich umfänglich. Er riß es auf. Zm Scheine der Auto lichter erkannte er Blätter mit verschiedenen Handschriften, bei deren Anblick er das dunkle Gefühl hatte, als sähe er sie nicht zum erstenmal. Aber da waren ja auch ein paar Zeilen von Mariettas Hand. Und voll Zngrimm las er: „Lieber Vetter, die beiliegenden Briefe hat mir Papa zur Einsicht überlassen. Sie werden auch Dich belehren, warum ich Dir nicht folgen kann. Daß Du Kathrin nach Krähensteinthal fahren mußt, soll Deine Strafe sein. Papa besteht darauf und ich kann's nicht ändern. Hast's ja auch verdient! Marietta."