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Neujahrsspruch. Wollen uns im Strom der Zeit, Kecke Schwimmer, neu erfrischen Und das Fischlein Heiterkeit Aus den dunklen Tiefen fischen. Jeder steh' an seiner Statt Fest und treu zu seinem Werke, Jeder sei ein Nimmersatt, Dem der Kampf den Hunger stärke! Jeder sei ein Feldsoldat, Daseinsfroher Borwärtsstreber, Jeder seiner schlimmen Tat Rücksichtsloser Totengräber. Ernst Frhr. vonWolzogenf. Don dem Manne, der sich an keinem Feuer wärmen konnte Eine Legende von Agne» Harder. SUvefiernacht am Brunnen. Nicht nur in der Früh« des Ostermorgens wird der Brunnen von den heiratslustigen Mädchen des Dorfes auf gesucht. Dasselbe geschieht beispielsweise im südlichen Schott land in der Silvesternacht. Wer dort zuerst das oberste Wasser abschiwst, di« sogenannte Sahne, dieses glückliche Mädchen erhUt den liebenswertesten Jüngling des Kirch- spiel». Es war einmal «in sehr armer Mann, den immer fror. Kein Feuer konnte ihn wärmen. Das war von jeher so ge wesen. Wenn die Jungen Schneeballen rollten und Klum pen auf Klumpen setzten, bis prächtige Männer daraus wurden, denen sie einen durchlöcherten Kochtopf als Hut aufstülpten, dann schlenkerten sie mit den blauroten Fin gern und »schrien: „Hu, wie brennt der Schnee!" Aber wenn er heimlick sein« Hand in das leuchtende Weih steckte, fand er es eiskalt. Schneemänner machte er nicht. Das war dumm, denn die Sonn« schmolz sie ja doch, und wenn man heimlich mit dem Fuß gegen sie anlief, knickten sie ein. Und ebenso dumm war es von den Jungen, daß der Schnee bren nen sollte. Schnee ist gefrorener Regen. Der brennt nicht. r heitz mir ist!" sagt seine kleine Schwester, die Märchenbuch saß. „Nein, lies nur von dem önia und vom armen Heinrich, der sich Reifen um >rz schmieden läßt, damit es ibm vor Schmerz nicht bricht — gliihheiß wirb Dir dann werden!" — Da Al« wir einfuhren und der Korb schlingernd und ras selnd immer tiefer in das ewige Dunkel de« Schachte« hin- einsagt«, mochten die Menschen droben in der Stadt mählich schon ihr« Knallerbsen herbeikramen und di« Löffel zum Pleigießen neben die Gasherde legen. „Das Glück, gvad zux R«ijahrsnacht Dienst zu haben, blüht mir dieses Jahr zum vierten Mal", brummt Hein Küppers, während er auf Korbe« hinter uns schloß und nen sollte. < „Hu! wie über dem ! Froschkönia und sein Herz schmiel entzwei sah er sie ganz erstaunt an. Was für eine Gans sie doch war! Er schmökerte all ihre Bücher durch, weil er immer Langeweile hatte. Aber wie konnte ihm heiß werden, weil der Königstochter Jüngste einen Frosch ins Bett nehmen sollte? Und er sah wieder in sein Rechenheft und sagte nichts. Aber es war schrecklich, so zu frieren. Dabei nahm die Kälte mit den Jahren immer zu. Als die Mutter noch lebte, da war es doch manchmal wie Tauwind durch sein Herz gegangen. Dann hatten ihre Augen so zärtlich auf ihm gerüht. „Armer Junge! Wie willst Du Dich an frem den Feuern wärmen? Das kann kein Mensch." Aber wenn er sie fragte, was sie damit meine. Hatte sie nur geseufzt. Und eines Tages war sie tot. Seine Schwester fror nie. Ihre Augen leuchteten immer. Nun war sie eine Jungfrau, der alle Menschen zunickten und etwas Liebes sagten. Eines Abends fand, er sie mit dem Nachbarssohn in der Flieder laube. Sie war rot wie eine untergehende Sonne. „Ach", sagte sie, „unsere Liebe ist so heiß, daß wir fürchten, sie ver brennt uns. Aber Martini wollen wir heiraten. Dann kommt der Winter. Dann wollen wir schmoren wie Brat äpfel." Und sie nahm den Nachbarssohn bei der Hand und lief mit ihm hinter die Rosenhecke. „Die wärmen sich am fremden Feuer, eins am andern", dachte er. „Die Mutter hat unrecht. Wenn ich meine kalte Hand an ein Feuer halte, so wird sie warm, ganz gleich, wer es ansteckt. So wir- mein Herz auch warm werden an fremden Herzen. Mein Herz muß warm werden, sonst sterbe ich. Es liegt in meiner Brust wie «in silberner Sarg, der in einem gefrorenen See steht." Da ging er und suchte die Liebe. Weil aber der Flieder blühte und die Nachti gallen schlugen, so ließ sich die Liebe leicht finden. Sie sab aus wie ein blondes Mädchen, saß auf einer Bank am Bach und hatte warme Lippen und feste kleine Hände. Als er sie griff und die Lippen küßte, wurde die Blonde so glüh rot wie seine Schwester. „Alles Blut stößt mir zu Herzen", sagte sie und legte ihre feste kleine Hand auf seine Brust. Silvesternacht auf Sohle Sechs. Gimm Erhbnis nocherzählt von Hans Wörner. nehmen?" versuchte ich ein Gespräch. — „Priem ist gut!7 sagte der andere. „Aber was ist das schon, «in neues Jahr! Dachte heute nacht io, während ich hier unten kerumkroch, wie alt wohl die Kohle hier ist. Wissen wir das eigent lich?" „Nicht genau, die Ingenieure sagen, zwischen einer hal ben und sechs Millionen Jahren liegt sie hier im Berg." „Da bedeutet ein Jahr nicht mehr viel. Ein Augen zwinkern in der Ewigkeit, man soll so «in« Neujahrsnacht nicht groß bemerk«». Wie das hier blitzt und knistert, scheint viel Leben im Gestein zu sein", deutet« er auf «inen geknick ten Stempel. „Aber dar ist nur so, seitdem wir Menschen hier herumwühlen. Wo di« Kohle unausgeschlossen liegt, da steht si« lautlos und ruhig im Berg, kein Lichtchen weckt ihr Schimmern, und keine Hacke ritzt da« spiegelnde Gefüge. Sechs Millionen Jahre! Und oben an Tage wird so etwas achtlos verbrannt und aufgeschaufelt zwischen zweimal „Prost Neujahr". Ist es nicht so?" Wir saßen und sahen auf die Kohle. Ich zog meine Beine an und wunderte mich, wie laut die Hacken über den Boden schleiften. Mein Kumpel nahm die Lampe, und wir standen auf. Wir haben uns niemals wiebergesehen. Un haben nicht umgeblickt, während wir entgegengesetzt in die dunklen Strecken aus«inanderging«n. Er westwärts, ich nach Osten, zu Pumpe Sieben . .. das Freizeichen gab . . . Dann hockten wir eine Weile im Pumpenraum, streck ten die getränten Stiefel übellaunig von uns weg und mach te» Kippe mit dem Priemtabak. Er war alles, wie in vie len Nächten zuvor. In den Transformatoren der Pumpen- anlaa« summte der Strom, von den Felswänden um un tropfte da« Wasser, und die klobigen Körper der Turbopum pen schimmerten stumpf und kühl im Licht der verstaubten Glühlampen, gegen die unser eigenes Geleucht noch trüb seliger anmutete, al« es schon war ... „Na, also!" meinte der Hein, als er dann aufftand, um sein« Pumpen anzulassen. Er trat an die Schalttafel, ich Nahm mein Licht und meinen Stock, lockerte das Halstuch und machte mich davon. Hinter mir rauschten Heins Pum pen los, vor mir blinkten die Schienen des großen Quer- schlages, und ich war allein. Das ist so. Man tappt gwi- schen den schmalen Gleisen fürbaß und hat in der rechten Hand den Stock. Am linken Arm schwingt das bißchen Lampe und wirft den Schatten des wandernden Mannes riesengroß rechts gegen das Hangende. Di« Schuhnägel klappen auf den Gleisschwellen, die Luft ist warm, und es Mht, man piegt aus dem Querschlag ab und steht vor einer Wettertür... Man öffnet die klein« Klappe, die dazu da ist, den Luft druckunterschied zwischen hüben und drüben der Tür auszu gleichen. Huiiiii, so pfeift das! Wenn Las Pfeifen nach läßt, kann man die Tur öffnen. Man schließt sie hinter sich wieder und hat zwanzig Schritte bis zur zweiten Tür, denn solche Wetterschleusen bestehen aus zwei eisernen Türen. Ml der zweiten geht das Theater mit der Klappe noch einmal' lch>. Dann ist man im neuen Wetterabschnitt. Und man tappt weiter . . . / Der Sumpf am Stapelschacht Drei war erst halb voll. Ich stellte mein Licht auf den Boden und knipste die Decken lampe an, verschnaufte eine Weile und überlegte dann, ob ich di« Pumpe anlassen sollte. Ein bißchen druseln, bis der Sumpf voll ist? Dann zum Stapelschacht Sieben und dä gründlich leerpumpen? Dabei konnte die Schicht -rauf gehen. Oder fetzt hier leerpumpen, dann zum Stapel Sie ben und gegen morgen hier noch einmal nochpumpen r Ich leuchtete m den Sumpf hinein. „Der Ohliger hat heute nachmittag gut gepumpt", sagte ich laut vor mich hin . . . Ich ließ die Pumpe an und war in einer halben Stunde fertig mit dem Sumpf, kletterte noch «ine Weile mit der Oel- kann« um die Maschine und machte mich dann wieder Lus den Weg. Das war ei« unbequemer Weg- Schräg durch Flöz 178, dann das Aufhauen durch 179 hoch, dem östlichen Ort nach bis zum Stapelschacht Neun, im triefnassen Fahr trum bis zur Zwischensohle und über Hauptschacht Zwei hinunter nach Sohle Sechs. Fehlten nur noch vier Minu ten an Mitternacht, als ich ankam . . . „Aha, jetzt ist es droben soweit!" dachte ich, währen- ich durch die Richtstrecke ging und meine Lampe hochschraubte. „'In Len Tanzhäusern stellen sich die Oberkellner an di« elek trischen Schalter, in den Häusern füllen die Leute die Glä ser, auf den Straßen knallen die Ersten, die es nicht erwar ten können!" Kam am Pferdestall 19 vorbei und trat ein . . . Die Tiere lagen afle vier im Stroh und schlief«», Fritz hob den Kopf herum und pli«rte mich an. Ich setzt« mich «in paar Minuten auf seine Haferkiste und sprach mit ihm. Er spitzte di« Ohren und tat, als verstände er jedes Wort. „Mach Dir nichts draus, wenn ich Dich ein bißchen im Schlaf störe, wie! Im Grunde hast Du es besser als ich, Mer Kopp! Hast heut« nacht dienstfrei und morgen den ganzen Tag. Hast nock» genug Hafer und Häcksel?^' Fritz schnupperte an seiner Krippe hoch und schnaubte. Damit wollt« er sagen, daß zuviel Häcksel dazwischen sei. Ich nahm zwei Hände voll Hafer aus der Kiste und ließ Fritz aus den Händen fressen. Er stand gar nicht erst auf dabei. Und ich ging wieder, das Gefühl der weichen Pferdenüstern noch in den Handflächen . . . An Len Stößen des Ganges schimmerte blank und rein di« Kohle, feste, reine Kohle, blitzend wie Diamant. Ich hatte noch zehn Minuten bis zu meiner Pumpe, und ich war müde. Als ich das Licht sah, das ganz hinten in der Strecke auf mich zuschaukelte, wollte ich meinen Augen zuerst nicht trauen. Ich blieb stehen. Cs war wirklich ein Mensch... Er kam auf mich zu. Ich Lachte an den Betriebsinge- nieur und an den Wettersteiger, dann an einen, der von der Mittagschicht übriggeblieben sei, dann an Jupp Theilen, den Wettermann von Revier Zwei. Als wir uns gegen überstanden, war es keiner von denen allen. Es war ein ganz fremder Mann ... Er trug einen englisch-ledernen Anzug wi« ich, ein Schaltuch und ein«n Stock wie ich, eine Mütze und einen öli gen Lappen in der Rocktasche wie ich. Aber er war grau haarig, und er ging langsam, hatte viele Spuren von ein geheilter Kohle am Kinn und sagte zunächst gar nichts. Wir blieben nur voreinander stehen und gaben uns den Gruß der Bergleute. Er hängte sein Geleucht an das Preßluft rohr, das seitlich oben durch di« Strecke lief, und lehnte sich leicht an einen der Stempel. „Du bist der Pumper von Schacht Eins!" meinte er dann. Das war ich. „Ich bin Jörns, ich gehe für Theilen, weil er krank ist." Ich nickte. Es war alles in Ordnung . . . Fünf Schritte hinter ihm stand eine Gezähekist«. Wir gingen hin und saßen eine Diertelstunde zusammen. Unser« Lampen standen vor uns, zwischen den Gleisen. Die Stöcke hielten wir zwischen den Knien, und die Mützen schoben wir aus der Stirn. Die Lichte leuchteten von unten und sehr schräg auf das Gesicht des Mannes, und die Falten um seine M»gen sahen davon tiefer aus, als sie vielleicht waren. Bor uns schimmerte die Kohle aus dem Gestein. „Da haben wir also ein neues Jahr. Sollen wir uns jetzt hier gratulieren? Wollen wir einen Priem zusammen Da erschrak sie. „Eine kalten Mann will ich nicht haben. Du mußt mir geben, was ich Dir gebe. Geh nur weiter!" — „Aber ich will mich -och an Deiner Liebe wärmen." — „Das kannst Du nicht", sagte sie sehr ernst, „niemand wärmt sich an fremden Feuern." — Da wurde er ganz blaß vor Zorn. „Es ist ein albernes Wort", dachte er und zog in die Welt. Ueberall patzte er auf, ob er Menschen fände, deren Augen glüfsten von innerem Feuer. Bei -men blieb er und sah ihnen zu, bis er erkannt hatte, an welchem Feuer sie sich wannten. Da lernte er, daß viele Feuer brannten für die Herzen der Menschen. „Ich will es erst mit den reinen Flammen versuchen", dachte er. „Ich btn ein guter Mensch. Daß ich früher einmal einem Schneemann einen Knicks gegeben yab«, war eine Kinderei, weiter nichts." So fand er di« reine Flamme -er Kunst. Er sah, daß sie Tausende erwärmte und daß ihre glühendsten Jüngst von ihr sprachen wie von -er Sonne selbst, die alles gibt, Leben und Frucht. Da sagte er: „Ich v»ill mich -er Kunst weihen!" Und er arbeitet« mit aller Kraft. Was er an fing, das gelang. Aber seine Statuen wollten sich nicht für ihn beleben, und seine Bücher machten die Menschen nicht lachen und weinen. Sein Herz wurde kälter und kälter. Eines Nachts erschien ihm die heilige Kunst. Me trug eine Feuerschale in -er Han- und schüttet« sie Über ihn aus. Die Funken aber, di« auf ihn fielen, waren wie Schne«wasser, das unter dm Gletschern hervortropft. Da ging er wettkr. Der reinen Flammen war er überdrüssig geworden, und er sucht« nur jene, in die Menschen Erdstoffe hinein warfen, daß sie grün oder gelb leuchteten. So kam er zuerst zu den Ehrgeizigen. Und dieses Mal hielt er lange Zeit aus, denn es war schön, weiter zu kom men als die andern, und fast wurde ihm warm, wenn er sah, wie sie sich mühten und quakten, es ihm gleich zu tun. Cs war beinahe so, als gäbe er dem Schneemann einen Knicks, wenn er einen von ihnen aus -em Wege schleuderte. Er dachte an das blonde Mädchen und lachte. Und gerade wollte ihm auch seine Mutter ernfallen mit ihrer falschen Prophezeiung — da bekam er einen Knicks, daß er von einer Stufe herabfiel. Ein anderer stieg über ihn hinweg und sah ihn init grünen Augen an. Da wußte er, daß ihn mehr fror, als da er als kleiner Junge in den Schnee ge faßt hatte. Und er ging noch an viele Feuer, bis hin zu jenen, um die schmutzige, unreine Menschen lagen. Er drängte sich an ihre Flammen, ob ihn «ine wärmen wolle. Wer je heißer er sein Stück hinunterwürgte, um so kälter wurde sein Herz. Eines Nachts sah er einsam am Weg? „All mein Le ben will ich geben für Wärme." Da kam ein schlichter Wan derer auf ihn zu und setzte sich neben ihn. „Wer bist Du?" fragte er. — „Dein Bruder." — „Ich habe keinen Bruder. Ich will auch keinen haben. Ich könnte mich doch nicht an seinem Feuer wärmen." Der andere sah ihn an mit Augen, vor denen er di« seinen niederschlug. „An fremden Feuern kann sich niemand wärmen. Sieh' in meinem Herzen brennt das Feuer -er Nächstenliebe. Das will ich auch bei Dir entzünden. Es stammt von Gott selbst. Wenn es in Dir brennt, wirst Du von seiner Flamme weiter geben, und di« Dein« wird immer Heller leuchten, und nie mehr wirst Du frieren. Du wirst alle Menschen lieben." „Alle Menschen", rief der Kalte entsetzt. Da lachte der Fremde, und sein Lachen war wie Frühlingssturm, der den Winter ausfegt. „Alle Menschen, die guten Willens sind. Aber Du mußt zuerst den guten Willen haben. Und nun steh auf und komm mit mir! Sieh, vor uns liegt ein neues Jahr. Dem wollen wir die Wärme unserer Herzen schen ken, und niemals mehr sollst Du frieren."