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treffen fie das unbewegliche Ziel ... heran! Heran! „Auf und vorwärts!" schreien die Führer aus heiseren Kehlen, alles schießt in die Höhe ... nein, nicht alles ... gar mancher kann nicht mehr empor, hält sich mit der versagenden Hand den durchschossenen Hals, die zerrissenen Gedärme. <Än paar hundert Schritt wird vorwärtsgestürmt, dann aber- mals halt und hingeworfen, wie vom Erdboden wegrasiert ... sieh da: der Hauptmann von Hohenhausen stürzt mit dem Gaul; hat'S ihn getroffen? Nein — er lebt, er strampelt und müht sich unter dem zufammengebrochenen Tier: „Helft mir, Kerls!" Brinkmann II und Lüttringhaus find die nächsten: sie springen hin, wälzen mit Berserkerfäusten den verzuckenden Körper des blutüberströmten Tieres vom rechten Schenkel des Hauptmanns hinweg, richten den Herrn empor. „Na — meine Knochen wenigstens scheinen heil zu sein — schade um den Schinder! Laßt mich mal los, ob ich noch alleine ... au, verfluchte Schweinerei ... aber es muß, hol's der Deuwel!" Und nut messerschneidiger Stimme zur Kompagnie zurück: „Auf und vorwärts — marsch! marsch!" Und mit langen Sätzen humpelt er der Kompagnie voran, hart an seinen Fersen die Musketiere Lüttringhaus und Brink mann II Nun ist die Hochfläche erreicht ... nun sehen wir ihn ... den Feind ... Aber — was ist das?! Das ist doch nicht nur Artillerie?! Die Führer erkennen's mit Ent setzen ... Angriffspunkt der Ar tillerie auf dem äußersten rech ten Flügel des Feindes, so hatte der Befehl gelautet . . und nun —?! Nun zieht sich plötzlich eine lange niedere Linie weißen Qual mes nach links hinüber über den ganzen Höhensaum... um fünf zig Meter überhöhend die sacht sich senkende, dann wieder an steigende kahle Fläche prasselt das Jnfanteriefeuer der endlosen Schützenlinie und deckt den schutzlosen Raum ... und mäht und mäht in die Reihen der keuchend hingesunkenen Angrei fer hinein ... Da hilft nur eins: auf Schußweite heran! Ein letz ter Sprung — dann können wir wenigstens endlich die eigene Knarre gebrauchen! Auf und vorwärts! Was fällt, fällt! Heran! Heran! Und die letzten hundert Schritt Rünche«: Die größt« u«d schönst« Turnhalle Deutschlands (der Männcrtnrnvereins von 1879) wurde in ein Lazarett mit 170 Betten nebst vpera- tionsräumen und BerbandSriiumen umgewandelt. bis zur Schußweite werden in rasendem Anlauf genommen ... da — ist's ein Spuk?! ein toller, äffender Traum?! Die kahle Fläche hat sich auseinandergetan: vor den Augen der Stürmenden, hinter einer niederen Dornenhecke, die bisher den Einblick wehrte, klafft eine tiefe Spalte; em Tälchen, von schmalem Bachgerinnfel durchströmt, mit saftigem Gras und dichtem Gestrüpp hier und dort bewachsen, hingeschlängelt in anmutigen Windungen, lieblich zu schauen, dennoch Entsetzen aushauchend, wie von bösen Dämonen tückisch eingekerbt zu Grans und Ver berben ... Verblüfft, fassungslos starren die Stürmer da hinunter ... Brigade Wedelt. Erzählung von W. B. (Schlutz.) ohann Peter Brinkmann II in der Schützenkette der zweiten, von seinem Bruder nun getrennt durch seinen Hintermann, den sehnigen Remscheider Schippenschmied Karl Lüttringhaus, tippelt stumm und bedachtsamen Schrittes voran durch die stiebenden Schollen. Es brummt und brodelt in seinem Kopfe: die ohrenzersprengenden Akkorde des Geschützdonners, die schmetternde Schlachtenwsise und das Graus der eigenen stürmenden Gedanken verschmelzen zu einer hirnverstörenden, formlos gigantischen Symphonie, in deren Schwall sein eigenes Ich verstrüdelt und ertrinkt Und wenn sein Blick auf den Hauptmann fällt, der starr aufgerichtet in ruhigem Schritt vor der Front einherreitet, dann flackert sein Auge nicht mehr im alten Rachegroll ... der da ist ja auf ein mal nicht mehr der Feind — ach nein, der Feind, der steht ja drüben, da hinten, versteckt, unerkennbar hinter dem massiven Gewölk, das seine Rohre speien. Heran! heran! Denen da drü ben an den Hals! Das ist der einzige klare Gedanke. Und immer hastiger wird der bedachtsame Schritt, und auch die Kameraden heben immer schneller die ausgepumpten Beine, das Tippeln wird ein zappelndes Hasten, das Hasten ein Laufen, das Laufen ein Rennen... keiner hat's befohlen, doch alle führen's aus: sie jagen, sie stürzen die sacht sich aufböschende Höhe hin an, vorwärts, nur vorwärts, heran an den Feind ! Nur chn erst sehen können, nur erst bis auf die vierhundert Schritt heran sein, d<e das Zünd nadelgewehr, Gott sei's geklagt, nur trägt, daß man sich wehren kann, erwidern kann die mörde rischen Grüße, die er uns ent gegensendet. „Halt! Hinlegen!" schreien die Leutnants, die Unteroffi ziere, und wie gemäht plumpen die vorstürmenden Schützenlinien und die geschlossenen Züge da hinter in die Stoppeln. Fffff! Die Lungen keuchen, das Herz rumort wie eine tolle gefangene Bestie im engen Käfig der Rip pen .. die Wangen sind m Schweiß gebadet, der rasende Lauf hat den letzten Tropfen Flüssigkeit aus dem verdorrten Leibe durch die Poren gejagt. Was macht der Hauptmann v. Hohenhausen?! Als seine Kompagnie hinter ihm plötzlich ins Laufen gekommen, da hat auch er den Gaul in Galopp gesetzt und ist den Stürmern voran gesprengt: dann, als fie aufs Kommando ihrer Führer sich nieder warfen, hat er den Gaul pariert und harrt nun, zwanzig Schritt vor der am Boden liegenden Schützenlinie, hoch zu Roß, das Gesicht dem Feinde zugekehrt, unbeweglich aus im Kugelschauer. Herrgott — was für ein Kerl das ist — unser Alter! Und den wolltest du, Johann Peter Brinkmann —? Pfui Deuwel — schäm' dich, Mensch — Herrgottsdonnerkiel!! Aber dre feindlichen Granaten rasten nicht ,.. sicherer Nun