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DER GROSSE DEUTSCHE NATURFORSCHER UND HUMANIST GEORGIUS AGRICOLA UND SEINE ZEIT (Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Wissenschaft) Von LEO STERN, Halle GEORGIUS AGRICOLA (1494—1555) wird mit Recht zu den Großen der deut schen Nation gezählt, denn einzigartig wie seine Forscherpersönlichkeit waren die Universalität seiner wissenschaftlichen Interessen und die praktische Auswirkung seiner wissenschaftlichen Leistung. In der einschlägigen Literatur sind die bahnbrechenden Ideen Agricolas auf den Gebieten der Mineralogie, der Geologie, der Bergbau - und Hüt tenkunde oft und eingehend gewürdigt worden. Geradezu stereotyp kehrt in verschiedenen Abhandlungen über Agricola die Formulierung wieder, er sei der Begründer von drei oder gar vier Zweigen der Montanwissenschaften gewesen; es fehlt auch nicht an Versuchen, der stupenden geistigen Universalität dieses Mannes gerecht zu werden, der überraschenden Vielseitigkeit seiner Begabung, wobei Agricola, entsprechend der besonderen Neigung und dem Fach des jeweiligen Agricola-Forschers, je nachdem, als Arzt, als Humanist, als Philologe, als Päda goge, als Historiker, als Politiker, als Ökonom, als Philosoph, ja als Theologe gewürdigt wird. Georgius Agricola gehört jener gewaltigen Epoche an, die wir Deutsche die Reformationszeit, die Franzosen die Renaissance und die Italiener das Cinquecento nennen. „Es war die größte progressive Umwälzung", sagt in diesem Zusammen hang FRIEDRICH ENGELS, „die die Menschheit bis dahin erlebt hatte, eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte, Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit Fast kein bedeutender Mann lebte damals, der nicht weite Reisen gemacht, der nicht vier bis fünf Sprachen sprach, der nicht in mehreren Fächern glänzte Was ihnen aber besonders eigen, das ist, daß sie fast alle mitten in der Zeitbewegung, im praktischen Kamp! leben und weben, Partei ergreifen und mitkämpfen, der mit Wort und Schrift, der mit dem Degen, manche mit beidem. Daher jene Fülle und Kraft des Charakters, die sie zu ganzen Männern macht. Stubengelehrte sind die Ausnahme: entweder Leute zweiten und dritten Ranges oder vorsichtige Philister, die sich die Finger nicht verbrennen wollen." 1 Das ist wohl die prägnanteste Formulierung des Charakters der Zeit und des historischen Milieus, in dem Georgius Agricola lebte, forschte, wirkte und seine unvergänglichen Werke schuf. 1 F. ENGELS, Dialektik der Natur, Dietz-Verlag, Berlin 1952, Einleitung, S. 7—9