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Es war natürlich, daß der auf der Höhe der klassischen und medizinisch-natur wissenschaftlichen Bildung seiner Zeit stehende Georgius Agricola sowohl auf die antiken und mittelalterlichen Naturforscher zurückgriff als auch auf das vorgefun dene technisch-naturwissenschaftliche Wissen. Agricola nennt selbst RULEIN VON CALW und BIRINGUCCIO, auf die er sich stützt*". Die von manchen seiner Bio graphen behauptete geistige Unabhängigkeit Agricolas von BIRINGUCCIO wird von E. DARMSTAEDTER bestritten. Er meint jedoch, daß BIRINGUCCIO, der sich auch vorübergehend in Deutschland aufgehalten hat, sicher aus deutschen Quellen geschöpft habe, so z. B. aus der mittelalterlichen deutschen kriegstechnischen Lite ratur, deren Hauptvertreter der Verfasser des „Belli I o r t i s" KONRAD KYESER VON EICHSTÄDT (1366 bis nach 1405) war* 1 . Der Wunsch Agricolas, die tiefgesunkene ärztliche Kunst seiner Zeit durch Erschließung von Heilmitteln aus dem Mineialreich aus der alchimistischen Char- latanerie herauszuführen und sie wissenschaftlich zu fundieren, war ursprünglich das Hauptmotiv für seine großangelegte Forschungsarbeit. Inwieweit Agricola da bei auch von Gedankengängen seines Zeitgenossen THEOPHRASTUS VON HOHENHEIM, genannt PARACELSUS, bestimmt worden war, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Doch dürfte Agricola dem PARACELSUS, der bei seiner An trittsvorlesung in Basel demonstrativ GALEN und AVICENNA den Flammen über gab, sowohl in mineralogischer Fachkenntnis als auch in der Methodik der Dar stellung überlegen gewesen sein* 2 . Tatsache ist, daß es das in erster Linie medizinische Anliegen Agricolas war, das ihn zum Begründer dreier großer Disziplinen, der Mineralogie, der Geologie und der Bergbau- und Hüttenkunde, werden ließ. Mag Agricola als Arzt vielleicht keine überragenden Leistungen aufweisen, mag er noch vielfach in den ärztlichen Anschauungen seiner Zeit wurzeln und sich zu sehr an die großen Vorbilder HIPPOKRATES, GALEN und AVICENNA anlehnen, so hat er doch auch als „klassi scher Bergwerksarzt" namentlich auf dem Gebiet der montanistischen Arbeits methoden und der prophylaktischen Maßnahmen bahnbrechend gewirkt* 3 . In die Geschichte der Wissenschaft ist Georgius Agricola jedenfalls! nicht als Arzt, son dern als genialer Naturforscher eingegangen. Bis zur unmittelbaren, methodisch geübten Beobachtung der Natur durch Agri cola stand das Studium der Naturwissenschaften in Deutschland auf sehr niedriger Stufe. Die Lehren des ARISTOTELES und seiner Schüler waren allein maßgebend und wurden kritiklos von Generation zu Generation weitergegeben, ohne daß es jemand eingefallen wäre, Tradition und Wirklichkeit zu konfrontieren. Allent halben waren zu Agricolas Zeit noch die seltsamsten Vorstellungen über Tiere, Pflanzen und Mineralien im Schwange, denen man magische Eigenschaften und Kräfte in medizinischer und pharmazeutischer Hinsicht zuschrieb. Es waren haupt sächlich Ärzte, die über Mineralien und Pflanzen schrieben, meist nicht aus eigener Beobachtung und Anschauung, sondern in alter scholastischer Manier und in kritik- 40 Siehe ERNST DARMSTAEDTER, Georg Agricola etc., a. a. O. S. 13 41 derselbe, ebda. S. 13/14 “ Siehe CHARLES SINGER, a. a. O. S. 174/175 und GEORG HEINRICH JACOBI, a. a. O. S. 41 ” Siehe dazu PAUL LERSCH, Dr. Georgius Agricola als Mensch und Arzt, Dissertation, Wissen schaftliche Zeitschrift der Universität Leipzig, Math.-Naturwiss. Reihe, Jg. 1952/53, Heft 1/2, S. 115