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andere Mittel — um die es, sich gerade jetzt ? wieder handelt. Unzweifelhaft wird die Ent scheidung über di« neue Reaelung des Socialisten- gesetzeS eine bedeutende Rückwirkung auf die nächsten Reichstagswahlen auSüben. Nachdem die letzteren aber vollzogen sein werden, ist auch eine längere Ruhepause zu hoffen. Vorausgesetzt, daß nicht ganz auß^aewLhnyche Ereignisse «in- treten, werden in der langen Zeit vqm Frühjahr 1890 bis Herbst 1893 die Wähler nicht wieder an die Wahlurne berufen. Das dürfte wesent lich zur Beschwichtigung der politische« Leiden schaften beitragen, und eS wird sich dann erst der Werth der Verlängerung der Legislatur perioden zeigen. Man darf einer weit ruhigeren und sachlicheren Behandlung der gesetzgeberischen Aufgaben entgegensehen, wenn nicht alle Fragen und Anliegen fortwährend nur von dem Stand punkt ihrer Wirkung und Ausnutzungsfähigkeit im Parteikampf betrachtet und behandelt werden. In allen politischen Kreisen würde man auch auf eine ruhige Fortentwickelung der auswärtigen Verhältnisse bestimmt rechnen, wenn nur erst der Czaar durch den längst in Aussicht gestellten Besuch in Berlin einer einfachen Höflichkeitspflicht genügt hätte. Die Entscheidung darüber muß schon in den nächsten Tagen eintreten; man sieht derselben mit um so größerer Spannung entgegen, als eine neue Verstimmung des Czaaren nicht ausgeschlossen ist. Stünde die Ankunft des Kaisers von Rußland nahe bevor, so würde wohl die „Köln. Ztg." nicht gerade in den letzten Tagen einen recht auffälligen Leitartikel über die angeblich von dem Generalstabschef Obrutschew eifrigst betriebenen Kriegsvorbereitungen Rußlands gebracht haben. Der am 23. Sept, in München abgehaltene bairische Katholikentag war unge wöhnlich zahlreich besucht. Dem Vorsitzenden ging ein Telegramm des Cardinal-Staatssecretärs Rampolla zu, in dem der Cardinal erklärte, daß Sr. Heiligkeit der Verlauf der Versammlung zu besonders freudigem Trost gereichte. Das von der Versammlung an den Prinz-Regenten Luit pold gerichtete Ergebenheits-Telegramm blieb unbeantwortet und läßt sich schon daraus ent nehmen, daß die Regierungsverhältnisse Baierns von den gegen das Lutz'sche System gerichteten ultramontanen Kundgebungen nicht berührt werden. Während der Kaiser Franz Joseph sich ver anlaßt sah, über den Verlauf der Manöver einiger österreichisch-ungarischer Armeecorps und der ungarischen Landwehr-Infanterie und Cavallerie seine vollste Befriedigung auszudrücken, konnte er nicht umhin, dem Stuhlrichter von Monor gegenüber seine tiefste Entrüstung darüber auszusprechen, daß während der Manöver in dem genannten Orte von ungarischen Chauvinisten eine schwarzgelbe Fahne von der Wohnung des Obersten Janky heruntergerissen und in den Koth getreten worden ist. Auch in Ulloe wurde die schwarz gelbe Fahne von der Wohnung des Obersten Vojnarovits heimlich entfernt. Die ungarische Presse hat sich mit beiden Vorfällen lebhaft be schäftigt, doch scheinen die Schuldigen unentdcckt geblieben zu sein. Durch ministerielle Verfügung ist der von dem antisemitischen Abgeordneten Schönerer in Wien gegründete „Deutsch-nationale Verein" aufgelöst worden. Diese Aufsehen er regende Maßregel wurde von der Behörde damit begründet, daß der Verein dnrch die Beglück wünschung des Abg. Türk zu dessen höchst be-. denklicher Aeußerung anläßlich der Wehr-Debatte im österreichischen Reichsrathe, sowie auch sonst sich offen auf einen, der österreichisch-ungarischen Monarchie feindseligen, somit unpatriotischen und staatsgefährlichen Standpunkt gestellt habe. Durch ein Kaiserliches Patent wurden sämmtliche öster reichische Landtage, mit Ausnahme derjenigen von Triest und Dalmatien, auf den 10. October einberufen. Mit der ihm eigenen Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft eilte König Humbert von Italien am Mittwoch von Monza nach Mai land, wo an demselben Tage durch den Einsturz eines Neubaues zahlreiche Arbeiter verunglückt waren. Der italienische Monarch besuchte die Hinterlassenen der aus den Trümmern todt Her vorgezogenen, sowie die schwerverletzten Arbeiter und spendete überall Trost und Hilfe. Der italienische Ministerpräsident Crispi war an dem selben Tage in seiner Villa in Neapel durch eine eingetreteue Ueberschwemmung arg gefährdet. Diese durch einen Wolkenbruch und Verstopfung der Canäle herbeigeführte Ueberschwemmung rich tete in Neapel sehr großen Schaden an. Bei der Rückkehr CrispiS nach Rom sind begeisterte Kundgebungen für den genialen Staatsmann zu erwarten. Wahrscheinlich um diese Stimmung nicht zu verderben, ist neuerdings die Meldung, Laß das italienische Heer- und Marine-Budget eine Erhöhung um 40 Millionen zu gewärtigen habe, offiziös als unrichtig bezeichnet worden. Trotzdem scheint in Italien die Besorgniß vor abermaligen militärischen Mehrforderungen noch nicht aus den Gemüthern gewichen zu sein. Die am vorletzten Sonntag in ganz Frankreich vorgenommenen Kammerwahlen sind ohne ernst haft Ruhestörungen und Gewaltthaten verlaufen. Bon den bestehenden 576 Wahlkreisen haben am 22. September nur 573 gewählt, da die Wahlen auf La RSunion und in Guyana erst am 6. October stattfinden. Die 573 Wahlen lieferten nur 393 endgiltige Ergebnisse. Gewählt wurden 232 Republikaner, 86 Royalisten, 53 Bona- partisten und 22 Boulangisten. Von den 180 Stichwahlen sind 137 den Republikanern und 43 den Reactionären günstig. Die Wahl commission für die Seine-Präfectur erklärte die im Pariser Stadttheil Montmartre für Boulanger abgegebenen 8367 Stimmen ungiltig und pro- clamirte den Gegenkandidaten Joffrin, welcher nur 5500 Stimmen erhielt, als Abgeordneten für Montmartre. Die 3841 Stimmen, welche Rochefort im Wahlbezirk Belleville erhielt, wurden ebenfalls für ungiltig erklärt. Monarchisten wie Boulangisten gestehen mit wenigen Ausnahmen selbst zu, daß ihr Ansturm gegen die Republik vollständig abgeschlagen sei. Trotzdem scheint die Stellung des Ministeriums Tirard durch den Ausfall der Kammerwahlen keineswegs gefestigt; vielmehr dürfte nun eine gemäßigtere repu blikanische Fraktion unter Führung Ltzon Says die Oberhand gewinnen. Bei dem jetzigen Stande der Finanzen mußte es der spanischen Regierung hochwillkommen sein, daß der Zwischenfall bei Alhucemas und die Beschießung des spanischen Kanonenboots „Crocodilo" durch Riffpiraten zu keinem Kriege mit Marocco Veranlassung gaben. Der Sultan von Marocco erklärte sich bereit, der gekränkten spanischen Nationalwürde die verlangte Genug- thuung zu verschaffen, worauf der spanische Gesandte in Tanger um eine Audienz nachsuchte, um dem Sultan seine Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Nachdem der für den englischen Handel so nachtheilige Ausstand der Londoner Dock arbeiter glücklich beendet worden und Rothschild sich erfolgreich um einen Ausgleich zu Gunsten der im Londoner Ostend feiernden Schneider bemühte, versuchte John Burns die Bäckergesellen Londons zur Einstellung der Arbeit zu bewegen. Die radikale „Pall Mall Gazette" schrieb: „Streiks sind ansteckend, und Erfolge ebenfalls. Die Dockarbeiter haben durch ihren Streik gewonnen, und die Bäckergesellen sind in mancher Beziehung viel schlimmer daran, als die Dock arbeiter. Also ist ein Bäckerstreik in London sehr wahrscheinlich." Am 26. September habe» in Serbien die Wahlen zur außerordentlichen Skupschtina statt gefunden. Die genauen Ergebnisse dürften Liber erst in den nächsten Tagen bekannt werden. Um nicht in den Verdacht zu gerathcn, die Wahlen ungünstig beeinflußt zu haben, verschob die Königin-Mutter Natalie ihre Ankunft in Belgrad bis zum 28. September. Potsdam, 30. September. Die außer- ordentliche Gesandtschaft des Sultans von Zanzibar traf heute Mittag 12 Uhr mittelst Sonderzuges ein. Die beiden Gesandten fuhren in einem vierspännigen Galawagen, vor und hinter demselben je ein halber Zug des3. Garde- Ulanen-Regiments, nach dem Neuen Palais, wo sie 12 Uhr lO Min. eintrafen. Vor dem neuen Palais war die Leib-Compagnie des 1. Garde- Regiments zu Fuß in Parade aufgestellt; die Gesandten fuhren die Front derselben entlang, während die Musik den Präsentirmarsch spielte. Darauf verließ die Gesandtschaft den Wagen und begab sich in den Muschelsaal, wo die Leib gendarmerie, die Krongardc und eine Abtheilung der Garde du Corps ausgestellt waten. Kurz darauf erschien Se. Maj. der Kaiser in der Uniform der Garde du Corps mit Sr. Königl. Hoheit dem Prinzen Friedrich Leopold und in Begleitung des Staatssekretärs des Auswärtigen, Staatsministers Grafen Herbert Bismarck. Jeder der beiden Gesandten verlas ein Schreiben des Sultans, worauf Se. Majestät der Kaiser huld vollst erwiderte. Nach Ueberreichung der größten- theils aus Waffen bestehenden Geschenke des Sultans wurde die Gesandtschaft auch von Ihrer Majestät der Kaiserin empfangen. Alsdann fand in den neben dem Muschelsaal gelegenen Räumen für die Gesandtschaft ein Frühstück statt. Die Kaiserin Augusta feierte am 30. Septbr. ihr 78. GeburtStagSfest. Der hohen Frau, welche ihren Lebensabend nunmehr ausschließlich den Werten edler Menschenliebe an diesem Tage, den sie in wehnmthSvvlter Erinnerung beging, da- gesummte Mische Volk aufrichtige Verehrung und Dankbarkeit entgegen. Im nächsten Jahve findet wieder eine Volkszählung im Deutschen Reiche statt. Wie^ die „N. A. Z."'mittheilt, werden die Vorarbeiten hierzu von den einzelnen Landes-Regierungen bald ausgenommen werden. Hamburg, 29. September. Mittags 1' Uhr wurde der 9. deutsche Congreß für erziehliche Handarbeit unter zahlreicher Betheiligung durch Lammers (Bremen) eröffnet. Geheimer Re- gierungSrath Schneider (Schleswig), der Vertreter des preußischen Cultusministeriums, versicherte die Versammlung des Wohlwollens der Regierung, desgleichen Bruegel (Stuttgart Namens der württembergischen Regierung und Schuldirector Schweitzer (Mülhausen) Namens des elsaß- lothringischen Ministeriums. Die Versammlung sandte an den ReichScänzler ein Telegramm, worin dieselbe für dessen wirkungsvolle Unter stützung wärmstens dankt. EM Das Verhältniß Deutschlands zur Schweiz,, die Unruhstiftern jetzt scharf auf die Finger sieht, hat sich nach äußern Anzeichen gebessert. Die Unterhandlungen wegen des Niederlassungs vertrages, der am 20. Juli 1890 abläuft, sollen noch nicht begonnen haben. Der schweizerische Gesandte in Berlin, Oberst Roth, wird von seinem Urlaub im October zurückerwartet. Schweiz. Die Socialdemokraten und Anarchisten der Schweiz haben sich vor ganz Europa, was ihnen vorausgesagt worden ist, gründlich blamirt. Sie haben's jedoch nicht anders gewollt! Sie haben nämlich trotz aller Anstrengungen die für das Begehren einer Volks abstimmung über das.Bundesgesetz, betr. die Anstellung eines Bundesanwalts verfassungsmäßige Zahl von 30,000 Unterschriften nicht zusammen gebracht. Der Schlußtermin hat nur 22,100 Stimmen ergeben: Die nordböhmischen Kohlenwerke haben eine bedeutende Preiserhöhung cintreten lassen. In Wien wird ein entschiedener Widerstand hiergegen erhoben. Wien, 30. Septbr. Der „Polit. Corresp." wird aus Belgrad gemeldet: Die Zusammenkunft der Königin Natalie mit dem König Alexander, welche für heute Vormittag anberaumt ist, erfolgt im Sinne der Weisungen des Königs Milan im Beisein des Gouverneurs des Königs Alexander, Dokic und des ersten Adjutanten Ciric. Die Königin-Mutter weigerr sich bis jetzt, auf die Verpflichtung eines nur zeitweiligen Aufenthaltes in Belgrad cinzugehen. — Die Königin erhielt den Besuch des russischen Gesandten Persiani. Rotterdam, 30. September. Heute früh wollte eine Anzahl Streikender die Arbeit wieder aufnehmen, wurde aber von anderen daran ge hindert. Die Lage ist daher unverändert. Auf der Maas liegen zwei Kriegsschiffe, drei Kanonen boote und zwei armirte Schaluppen, um in dem Falle, daß es zu ernsteren Ruhestörungen kommen sollte, die Ordnung herzustellen. Rotterdam, 30. Sept. Mehrere Dampfer haben mit ihrer eigenen Mannschaft ihre Ladungen gelöscht, ohne daß seitens der Streikenden Wider spruch erfolgte. Die Streikenden verhalten sich ruhig, die Verhandlungen zur Beseitigung des Streikes dauern fort und scheinen zum baldigen Abschluß führen zu wollen. Paris, 30. Sept. Der deutsche Botschafter, Graf Münster, ist von seinem Urlaub hierher zurückgekehrt. Paris. Die Boulangistenblätter erheben, einen gewaltigen Spektakel, weil die Pariser Wahlcommission die Wahl Boulangers für ungiltig erklärt hat, während die Wahl des ebenfalls vom Senatsgericht verurtheilten Dillon im Departement Morbihan für -giftig erklärt wurde. Da hier thatsächlich eine abweichende Entscheidung vorliegt, wird die Kammer selbst ihr Urtheil fällen müssen. Eine Protest-Ver sammlung gegen die Cassation der Wahl soll in Paris stattfinden. Bei Boulanger lausen zahllose gerichtliche Zahlungsbefehle ein. Seine Dienerschaft hat seit drei Monaten keinen Lohn mehr erhalten. — Das sieht dem Schwindler ähnlich. Paris, 29. September. Im Industrie ¬ palast fand heute die Preisvertheilung an die Aussteller statt. Der Conseilpräsident. Tirard theilte mit, daß die Zahl der Aussteller über 60,000 betragen habe. Die Jurys vertheilten im Ganzen 33,139 Preise, darunter 903 aroke Preise, 5153 goldene Medaillen, »9«o Medaillen, 9323 broiftene M Ehrendiplome. Der Mini Ausstellern und sprach M