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XIV. Jahrgang. „ELEKTROTECHNISCHE RUNDSCHAU.“ No. 24. 1896/97- 287 Spannungen das Auskommen nicht finden. Man muß vielmehr — wie dies auch schon seit langer Zeit mit größtem Erfolge beim Beleuchtungs- und Kraft übertragungsbetriebe gehandhabt wird — hochgespannte Ströme in Anwendung bring-en, die aber an den Verbrauchsstellen in Ströme niedriger Spannung umge- waudelt werden, da der unmittelbare Gebrauch hochgespannter Ströme unthunlich ist. Wie jedoch zur Genüge bekannt ist, eignen sich für das Fernleitungssystem in erster Linie Wechselströme (mit einer oder mehr Phasen), deren Transformation in Wechselströme niederer Spannung durch Apparate erfolgt, die selbstthätig und selbstregulirend wirken und keinerlei Wartung benötigen, ganz im Gegen sätze zu jenen komplizirten Einrichtungen, die zur Umwandlung hochgespannter Gleich- oder Wechselströme in Gleichströme niederer Spannung dienen, die eine Wartung- erfordern, geringen Nutzeffekt haben und eine geringe Betriebs sicherheit bieten. So zweckdienlich aber aus den vorangeführten Gründen die Anwendung des Transformatoren-Eernleituugssystems für elektrische Traktionszwecke ist, so standen der allgemeineren Einführung desselben bisher mancherlei Schwierig keiten entgegen Bei einphasigem Wechselstrom hatte man zunächst das Hindernis, daß der Wechselstrom-Motor, der sonst so vortreffliche Dienste leistet, der hinsichtlich des Wirkungsgrades dem Gleichstrom-Motor gleichkommt, der sogar vermöge seiner Konstruktion hinsichtlich Dauerhaftigkeit, sowie Einfachhheit und Sicherheit des Betriebes demselben weit überlegen ist, daß eben dieser Motor nicht unter voller Belastung angehen kann und weiters nicht jene Aenderungen der Geschwindigkeit zuläßt, welche für den vorliegenden Zweck erforderlich ist Bei den Motoren mit Mehrphasenstrom (Drehstrom-Motoren) entfällt zwar diese Schwierigkeit, indem dieselben unter voller Belastung angehen; jedoch ist auch dieser Motor auf die durch die gegebene Polwechselzahl und Anzahl der Magnetpole bestimmte Tourenzahl beschränkt und überdies ist sowohl hei den Ein- als auch Mehrphasen-Motoren noch Rücksicht zu nehmen auf gewisse störende Umstände, die durch den Wechselstrom vermöge seiner induzierenden Wirkung verursacht werden. Allein ebenso wie die verschiedenen Stromsysteme in ihrer Anwendung für den Bahnbetrieb einerseits besondere Vorteile bieten und anderseits Mängel besitzen, so machen wir auch ähnliche Erfahrungen bei den verschiedenen Systemen der Stromzuleitung. Wegen ihrer Billigkeit und Betriebssicherheit am beliebtesten, daher auch am meisten verbreitet sind die Systeme der ober irdischen Stromzuleitung. Es sind jedoch die Umstände bekannt, unter denen eine solche Leitungsführung aus anderweitigen Rücksichten unthunlich ist. Man kann in solchen Fällen zur unterirdischen Leitungsführung seine Zuflucht nehmen’ jedoch abgesehen davon, daß ein solches System die Anlage w-esentlich verteuert, wird man mitunter auch davon ung-erne Gebrauch machen, wie beispielsweise dort, wo viele Weichen und Kreuzungen sind, wo die Terrainverhältnisse der erforderlichen Entwässerung hinderlich sind n. dgl. Man hat da mit großem Erfolge Akkumulatoren herangezogen und ge währen in der That die Akkumulatoren für die elektrische Traktion ganz be sondere Vorteile. Zunächst ist bekannt, daß die Akkumulatoren im elektrischen Bahnbetriebe dadurch ganz vorzügliche Dienste leisten, daß sie als Pufferbatterie die sonst so außerordentlich variable Beanspruchung der Bahngeneratoren aus zugleichen suchen. Werden die Akkumulatoren im Wagen selbst plaziert, so ge statten sie die Anwendung niedriger Spannungen und somit den Gebrauch des Nebenschluß-Motors, der ja bekanntermaßen aus mehrfachen Gründen dem Hauptstrom-Motor vorzuziehen ist. Die Nebenschlußwiekelung wäre eben — soferne man die Oekonomie nicht preisgeben will der Anwendung von höheren Spannungen hinderlich, während diese Schwierigkeit beim Gebrauche der Akku mulatoren mit niedriger Spannung entfällt. Man kann in diesem Falle durch Veränderung des Nebenschlußwiderstandes und durch Unterteilung der Batterie die Regulireung sehr ökonomisch gestalten und man kann ferner bei der Fahrt im Gefälle oder vor dem Anhalten die lebendige Kraft des Zuges, anstatt dieselbe mechanisch abzubremsen, nützlich verwerten, indem man die Akkumulatoren ladet, in welchem Falle der Nebenschluß-Motor als Generator wirkt. Das große Gewicht der Akkumulatoren ist ein Hindernis, dieselben aus schließlich und allein zum größeren und andauernden Betriebe der Wagen oder Züge zu verwenden und man beschränkt sich daher auf die Verwendung kleinerer Batterien, die nur zeitweilig in Anspruch genommen und während der übrigen Zeit aus der Linienleitung geladen werden. Wir haben damit in Kürze die übrigens wohlbekannten Vor- und Nach teile der verschiedenen elektrischen Betriebssysteme geschildert. Wenn wir das Deri’sche System, in dessen Beschreibung wir nunmehr eingehen, mit der Bemerkung charakterisieren, daß es unter Anwendung von ge wissen zum Teile neuen, zum Teile verbesserten Einrichtungen, die Vorzüge der besprochenen Systeme vereinigt und deren Uebelstände beseitigt, so wird damit die Vortrefflichkeit dieses neuen Systems wohl am besten zum Ausdrucke gebracht. Deri verwendet hochgespannten Wechselstrom (Ein- oder Mehrphasenstrom), der an beliebig vielen Stellen in niedrig gespannten Wechselstrom transformiert und in den Trolleydraht geleitet wird In dem Motorwagen oder in der elek trischen Lokomotive denken wir uns eine g-erade Zahl von Motoren, von denen die halbe Zahl Wechselstrom-Motoren, die andere jedoch Gleichstrom-Motoren, u. zw. Nebenschluß-Motoren sind. Ueberdies führt jeder Motorwagen oder jede Lokomotive eine kleine Akkumulatorenbatterie mit, deren Kapazität nach den folgenden Ausführungen leicht ermittelt werden kann. Die gleichzeitige Verwendung so heterogener Einrichtungen läßt das System im ersten Moment als komplizirt erscheinen, dieses Bedenken schwindet aber sofort, wenn man sich über das einfache und zweckmäßige Ineinandergreifen der einzelnen Einrichtungen klar geworden ist. Das Anfahren geschieht mit den Gleichstrom-Motoren unter Zuhilfenahme der Akkumulatoren. Ist eine gewisse Geschwindigkeit erreicht, so werden die AVechselstrom-Motoren eingeschaltet und nunmehr werden dieselben entweder in ihrer Wirkung von den Gleichstrom Motoren resp Akkumulatoren unterstützt, oder sie besorgen allein die Zugförderung- oder endlich sie geben den Ueberschuß an Leistung zur Ladung der Akkumulatoren ab, wobei die Gleichstrom-Motoren als Generatoren dienen. Vor dem Anhalten werden zunächst die Wechselstrom- Motoren ausgeschaltet, hierauf der größte Teil der lebendigen Kraft des Wagens oder des Zuges nutzbringend abgebremst durch Ladung der Akkumulatoren, endlich auch diese abgeschaltet und der geringe Rest von lebendiger Kraft mechanisch abgebremst. Alle für diese Schaltungen erforderlichen Manipulationen werden in der richtigen Reihenfolge in der gebräuchlichen Weise durch bloße Drehung einer einfachen Kontrollerkurbel bewerkstelligt. Ehe wir darangehen, die einzelnen Einrichtungen dieses Systems und deren Funktionen näher zu beschreiben, geben wir zunächst in Fig. 1 eine schematische Anordnung derselben, w-obei wir bemerken, daß sich diese Skizze auf den speziellen Fall einer Elektro-Lokomotive mit 4 Treibachsen und zwei dreiphasigen Wechselstrom-Motoren bezieht. Es bedeuten darin L die Linienleitungen, W die Wechselstrom-Motoren (in der Folge der Kürze halber immer als W-Motoren bezeichnet), G die Gleich strom-Motoren (G-Motoren), M die Feldmagnete der letzteren, B die Akku mulatorenbatterie, A einen automatischen Reg-ulator, R einen Regulierwiderstand und U die Umschalter für die beiden Stromgattungen. Die Leitungsführung (Trolley-Leitung) gestaltet sich sehr einfach, da man in Weichen und Kreuzungen, sowie in den Stationen mit Akkumulatoren allein fährt und man daher durchwegs nur parallele Leitungen auszuführen braucht. Es hat somit unter diesen Umständen keinerlei Schwierigkeit, auch die Rück leitung (wenn erforderlich) als Luftleitung zu führen. Eine solche Leitungs anordnung- hat den großen Vorteil, daß die Iuduktionswirkung des Wechsel stromes auf benachbarte Telephonleitungen auf ein so geringes Maaß herabgedrückt wird, daß dieselbe den telephonischen Verkehr nicht beeinträchtigt. In vielen Fällen verursacht die Verwendung einer Luft-Rückleitung gegen über einer Erd-Rückleitung- keine bedeutenden Mehrauslagen. Will man jedoch solche Mehrauslagen, wo sie dennoch entstehen sollten, vermeiden, so wird man durch Anwendung einer niedrig-en Polwechselzahl die störende induzierende Wirkung vermeiden können. Es ist nämlich bekannt, daß der tiefste Ton, den das menschliche Gehör- I Organ noch als solchen wahrnehmen kann, etwa 10 volle Schwingungen (Hin- und Rückgang) in der Sekunde haben muß. Wenn man somit einen Wechselstrom wählt, dessen Periodenzahl diese Grenze nicht erreicht, so werden die durch die induzierende Wirkung des Wechselstromes hervorgerufenen Sclnvingungen der Telephonmembrane dem Ohre nicht mehl- wahrnehmbar sein. Für Motorenbetrieb und für Glühlampenbeleuchtung eignet sich ein Wechselstrom mit so geringer Polwechselzahl (10 Perioden oder 20 Pohvechsel in der Sekunde) noch sehr gut. Daß sich solche Ströme für Bogenlampenbeleuchtung nicht eignen, kommt hier nicht in Betracht. Während also einerseits die durch die Natur des Wechselstromes ver ursachten induzierenden Wirkungen desselben beseitigt oder doch auf ein un schädliches Maß herabgedrückt werden können, fehlen anderseits bei dem in Rede stehenden Systeme gewisse störende Eigenschaften, welche den bisherigen Gleichstrom-Systemen mit Luftleitung anhaften. Bei den genannten Bahnsystemen werden nämlich störende induzierende Wirkungen in benachbarten Telephonleitungen hauptsächlich aus zweierlei Gründen hervorgerufen. Zunächst sind es die intermittierenden Wirkungen der Kollektoren der Stromerzeuger sowohl als auch der Motoren, die sich in die Linienleitungen fortpflanzen, auf die Telephouleitungen übertragen und in den Telephonen als Kommutatorgeräusche wahrnehmbar sind. Da bei dem Deri’schen Systeme mit der Luftleitung weder Gleichstrom-Generatoren noch Gleichstrom- Motoren, sondern ausschließlich Wechselstrom-Apparate ohne Kollektoren direkt verbunden sind, so ist diese Störungsursache beseitigt. Andererseits sind aber auch die in den Luftleitungen herrschenden häufigen starken Stromvariationen, w-elche störende induzierende Wirkungen hervorrufen- Bei dem Deri’schen Systeme ist auch dieser Uebelstand beseitigt, indem — wie später gezeigt w r erden soll — durch eine automatische Reguliervorrichtung eine möglichst gleichförmige Stromzufuhr zu den W-Motoren erzielt wird. Bei Benützung von Gleichstrom-Erdrückleitungen macht man auch öfters die Erfahrung, daß schädliche elektrolytische Wirkungen auftreten; auch diese sind begreiflicher Weise beim Wechselstrom überhaupt nicht vorhanden. Es ist somit ersichtlich, daß man schon durch die bisher beschriebenen Einrichtungen des Wechselstrom-Gleichstrom-Systems viel störungsfreier arbeiten kann, als mit dem Gleichstrom-Luftleitungs-Systeme, aber man kann darin noch weiter gehen. Man kann nämlich die Einrichtung treffen, daß jeweilig nur ganz kurze Strecken des Fahrdrahtes unter Strom sind und zwar durch An wendung von automatischen Apparaten, welche durch die mitgdführten Akkumula toren bethätigt werden und welche die Primärwicklung des Transformators je