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Sächsische Schönheit Bon Edgar Hahnewald ibt es die wirklich? „Was das Poetische angeht, so bedeutet die Mark das denkbar Niedrigste; nur der Eiherrje-Sachse kann noch konkurrieren." Das schrieb Theodor Fontane, der doch die Mark geliebt hat; denn man kann nicht der Schriftsteller einer Landschaft fein, ohne sie zu lieben. Und so mildert sein Wort auch das ab- svrechende Urteil über das sächsische Land, das er ja meint. Aber Fontane ist nicht der einzige, auf den sich berufen kann, wer geringschätzig über die sächsische Landschaft urteilen will. „Sachsen: Zwischen die Sagenhaftigkeit des Gebirges und die Fabriken der Ebene eingeschlossen liegt Sachsen, das Land der Bolksmassen, der Arbeitenden, des Nauches und des großen Verbrauches, und was häßlich daran ist, wandelt sich, wenn man lange Widerstand geleistet hat, in ein Merkmal, in das, was ist und sich von den Landschaften, in denen die Schornsteine rauchen, nicht mehr trennen läßt." Das zum Beispiel steht in einem Buche von Otto Flake. Vielleicht erklären sich solche abfällige Ur teile aus dem Eindruck, den der Reisende er hält, der Sachsen aus den großen Eisenbahn- strecken durchfährt; denn mit Ausnahme d-r Strecke Bodenbach—Dresden laufen die Fern züge von Hof, Leipzig, Berlin und Breslau nach Dresden und die Linie Hof—Leipzig im sächsischen Gebiet durch wenig ausdrucksvolle Landschaften. Das Erzgebirge verklingt längs des von Westen kommenden Schienenstranges in einer Hügellandschaft, die die Schönheit des Gebirges und der Flußtäler nicht ahnen läßt, und die Fabrikstädte Plauen, Reichen bach, Zwickau, Glauchau, Chemnitz locken, wie sie sich von der Bahn aus ansehen, nicht zum Verweilen. Der von Leipzig über Riesa kommende Reisende sieht kaum Wurzen, sieht nichts von Oschatz und berührt Meißen gar nicht; er durchfährt eine flache Landschaft, von der er nicht ahnen kann, daß sie Reize zu bieten hat. Auf den beiden Berliner Strecken kann man immer wieder beobachten, wie die Reisenden erst auf die Landschaft aus merksam werden, wenn der Zug durch die Elblößnitz fährt, die aber schon mit Dresden identifiziert wird, also schon Ziel ist. Und wer von Osten kommt, sieht vielleicht über- rascht auf, wenn draußen das süddeutsch mittelalterliche Stadtbild von Bautzen erscheint, und dann wartet auch er auf Dresden. Und so dünkt Sachsen vielen als das Land, wie es Flake geschildert hat, nüchtern im rußigen Werktagsgrau, ein mittelmäßiges Land mit den zwei Lebenszentren Leipzig und Dresden, mit der Parade landschaft der Sächsischen Schweiz und allenfalls einem Dampfer ausflug nach Meißen. Aber kennt denn mancher Sachse von seiner Heimat viel mehr als den engeren Umkreis seines Wohnsitzes? Wie vielen Dresdnern zum Beispiel ist der Ausflug nach der Sächsischen Schweiz der Ausflug, den sie unternehmen, wenn sie einen Feiertagsbesuch über das Weichbild der Stadt hinausführen, um dort wieder nur die viel betretenen Wege nach der Bastei zu gehen. Wie wenige von ihnen, die sich in den Schweden- löchern pflichtschuldigst in romantischen Gruppenstellungen photo graphieren lassen, kennen die Zschirnsteine, wie wenige den Blick vom Schneeberg und Rosenberg in die enthusiastische Gestaltung des Böhmischen Mittelgebirges. Wie wenig wissen sie von der vielgestaltigen sächsischen Landschaft, die in be quemen und gar nicht kostspieligeren Sonntags- und Wochen endfahrten erreichbar ist: die Weinbergwege um Diesbar; die offene, flache Stromlandschaft unterhalb Riesa, in die im einst- malig kursächsischen Mühlberg schon ein märkisches Stadtbild hereinblickt; die verschlißene Ursteinlandschaft des Erzgebirges mit der herben Kargheit des Kammes; die vulkanischen Berg scharen der sächsischen Lausitz; das blitzende Teichgebiet hinter Kamenz mit seinem Reichtum pflanzlichen und tierischen Lebens Stimmungsbild aus der Oberlausitz. in sommerlicher Feuchte; die üppige Lommatzscher Pflege, deren hügelige Getreidefluren wie goldene und bronzene Schilde sich wölben; die karge Waldheide um das verschollene Schilda; die rote Porphyrlandschaft um Leisnig und Rochlitz; die be laubten Täler der Zschopau und beider Mulden und, schon längere Fahrt erfordernd, das vielgestaltige Vogtland. Welcher Reichtum landschaftlicher Gesichte auf so eng begrenztem Raum! Und nicht minder reich beschenken die sächsischen Städte den Wanderer. Leipzig und Dresden liegen ja nur zwei Schnell- zugstunden voneinander entfernt und sind doch zwei grund verschiedene Repräsentanten sächsischer Geschichte und sächsischen Lebens. Und die andern alle: Meißen und Pirna, Bautzen