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„Selten verging ein Abend im Kabinett des Bauers, wo nicht die Rede auf Vorgänge kam, die man sich auf natür liche Weise nicht erklären konnte. Man glaubte allen Ernstes an Hexen, die in Bettlergestalt um eine Gabe flehten und dabei dem Bieh im Stalle Schaden zufügten. Die feurigen Drachen hatten Hunderte durch die Lüfte fahren und über dem Schornstein dieses oder jenes Hauses unter seltsamem Geräusch verlöschen sehen, wodurch dann die Bewohner des selben mit mißtrauischen Augen betrachtet wurden, wohl auch gelegentlich in bösen Leumund gerieten." Die Quellen Willkomms sind also nach dem, was wir von ihm selbst erfahren, als gut zu bezeichnen. Aber er hörte die Erzählungen zum größten Teil in früher Kindheit. Dazu schildert er sich selbst als Kind mit außergewöhnlich lebhafter und für das Ungewöhnliche besonders empfänglicher Phan tasie. Und diese ausschweifende Phantasie, die gerne dem Grotesken nachgeht, bildet einen wesentlichen Bestandteil der erzählenden Werke Willkomms. Der Erzähler kann seine Phantasie nicht zügeln, kann sie nicht einen gegebenen Sachverhalt umkreisen lassen, um ihn zu bildhafter Klar heit zu erheben, seine Phantasie geht mit ihm durch. Diese schriftstellerische Eigentümlichkeit Willkomms ist überall in den Sagen und Märchen zu spüren. Er verfährt gewöhnlich so, daß er einige nicht zusammenhängende Sagenbruchstllcke zu einer Einheit verknüpft. Nach dieser Klarstellung wird es begreiflich, daß es bei dieser Arbeitsweise Willkomms keine verlockende Aufgabe für den Sagenkundler ist, das echte Sagengut von dem dichterischen Beiwerk zu lösen. Zu dieser Aufgabe ist gründ liche Kenntnis der gesamten Lausitzer und der anschließenden deutschböhmischen Sagenüberlieferung die Voraussetzung. Denn das Sagengut einer Landschaft stellt nicht ein Trümmer- seid von Erzählungsbruchstücken dar, die regellos und be ziehungslos durcheinander geworfen sind. Die Sagen ordnen sie zu Sagengruppen, und der Kundige bekommt bei ge nügender Übung ein Gefühl dafür, ob sich eine Sage einer Sagengruppe organisch einfügt oder nicht. Allerdings muß zugestanden werden, daß es auch Sagenfindlinge gibt, viel leicht letzte zersägte Wortballen aus uralter Zeit, mit denen auch der Kundige nicht ohne weiteres etwas anzufangen weiß. Die vorliegende Arbeit kann also nur einen Versuch darstellen. Als ein besonders glücklicher Umstand wäre es zu bezeichnen, wenn es unter der Leserschaft dieser Zeitung Männer oder Frauen gäbe, denen die mitgeteilten Sagen aus mündlicher Überlieferung noch bekannt wären. Diese Landsleute würde ich dringend bitten, mir diese oder ähn- liche Sagen mitzuteilen. Sie würden damit der heimischen Sagenforschung schätzenswerte Dienste leisten. Am einwandfreisten ist das echte Sagengut Willkomms in der Einleitung festzustellen. Dort erzählt er ohne jede Einkleidung. Die Nachrichten über den Wassermann in der Zittauer Gegend will ich nicht mitteilen. Sie sind bei Haupt nachzulesen. Aber auch über das Bannen in der Lausitz gibt uns Willkomm schätzenswerte Nachricht. Er führt aus: Das Verbannen, worunter man das Vertreiben von Geistern und Gespenstern versteht, legt der Lausitzer in die Hände der Scharfrichter. Zum Scharfrichter flüchtet der Bauer, wenn kein Mittel mehr verfangen will, ihm gehorcht er unbedingt, wo selbst der von ihm im allgemeinen hoch geachtete Pfarrer umsonst reden und predigen würde. Die Seele jedes freiwillig aus dem Leben Geschiedenen muß von dem Scharsrichter an einen gewissen Ort gebannt werden, wenn die Lebenden von ihm sicher sein sollen. Bor der Tat in einem Hause geschehen, schloß sich der Scharf richter dort ein, bewaffnet mit einem großen Sacke, und rumorte eine gute Stunde oder noch länger unter Ausstoßung allerhand seltsamer Töne in der Einsamkeit herum, bis er in Schweiß gebadet mit dem fest zugeschnürten Sacke unter das ängstlich harrende Volk trat. Hier schwang er sich mit dem Sacke, worin er die Seele des zu Bannenden steckte, auf einen Klepper und jagte an den für solche „Gescheeche" bestimmten Ort, wo er dann, abermals unter tollen Gri massen und sonderbarem Toben, den Sack öffnete und die Seele des Entleibten, Unseligen in bestimmte Grenzen fest bannte, innerhalb derer sie von nun an nach Lust und Be- lieben spucken oder scheechen gehn konnten. Zwei solcher Orte sind noch jetzt bei aller Welt verrufen, der Pfeffergraben in Zittau und der Schülerbusch. Der Name eines berühmten Seelenbanners lebt noch jetzt im Volke und wird von den Leuten häufig mit furchtsamem Umherschauen genannt. Er hieß Zipser und war bei Leb- zeiten ein weitberühmter, in der schwarzen Kunst wohl- erfahrener Scharfrichter zu Zittau, der, wenn er Lust hatte, sogar die Obrigkeit an der Nase herumführte und es nicht zugab, daß ein anderer Scharsrichter als er einen verurteilten Verbrecher hinrichtete. Gehen wir nun zu den einzelnen Erzählungen Will komms über: DerZwergborn. Willkomm nimmt als Ausgangs- punkt die Sage von der Bärkirche bei Hörnitz, die zuerst Gräve in seinem Lausitzer Sagenbuche mitteilt. (Bautzen 1836, S.107.) Dort an der Bärkirche läßt sich in der Mitter nacht vom 14. zum 15. Juni ein Zwerg sehen. Er hat einen dicken Kopf, rote Triefaugen, krumme Beine und einen ge waltigen Höcker auf dem Rücken. In der Linken hält er einen goldenell Becher, mit Edelsteinen reich besetzt, in der Rechten einen Molch. Taucht er den Molch in den Becher und entsteigen dem blaue Flammen, so trifft die Gegend ein Brandunglück. Quillt jedoch Blut im Becher auf, so wird eine Mordtat geschehen. Der Zwerg dreht den Kopf nach allen Seiten, als ob er sprechen wollte. Dann stampft er mit dem Fuße auf einen gewissen Fleck des Berges. Beim ersten Hahnenschrei verschwindet er mit einem tiefen Seufzer unter Donner und Blitz. Mit dieser Sage verknüpft Willkomm die bekannte Sage von der Bauernhochzeit in Bertsdorf, auf der die Zwerge tüchtig mitessen. Beide Sagen gestaltet er phantastisch um und verknüpft sie mit Menschenschicksalen. Darüber hinaus glaube ich noch folgende echte sagenhafte Züge in der Erzählung zu finden. Wer am Zwergbrunnen bei Bertsdorf vorllberfuhr, dem wurde der Wagen schwer. Es war, als hätte er sechzig Pfund mehr geladen. In der Herwigsdorfer Steinschenke erzählt der Steiger- müller: Ich habe in meiner Mühle einen Zwerg. Der häm mert aller neun Nächte im 21. Kamm des dritten Ganges. Da muß ich ihm Honig zu essen geben. Unterlaß ichs ein mal, so steht die ganze Mühle still, mag es noch so viel Wasser geben, und in alles Getreide kommen die Würmer. Diese Zwerggestalt,von der der Steigermüller erzählt, ist als Hauskobold aufzufassen. Die Tochter des Moores. Der Schauplatz dieser ritterlichen Erzählung ist der Kottmar. Die beiden Sagen, die Willkomm verwendet hat, mögen in ihrer ursprünglichen Form wohl so gelautet haben: Auf dem Kottmar hat ein mal ein Schloß gestanden. Aber auf dem Geschlechte, das