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V. Preußen und das deutsche Reich. 931 slein als Obcrhofmeistcr cingctrcten, ein rauher nülitärisch strenger Mann, der nach des Königs eigener Instruction seinem Zögling Gottesfurcht und Sittlich keit. Ruhmbegierde, guten protestantischen Glauben und besonders auch Spar samkeit und Ordnung cinpräge» sollte, von den Wissenschaften aber eine gewandte Schreibart im Französischen und Deutschen, die Rechenkunst. Oekonomie, Historie und Geographie; sein eigentlicher Präccptor war ein französischer Emigrant Duhan de Jandun, ein feingcbildetcr. aufgeklärter, von Friedrich zeitlebens hoch verehrter Mann, der dem Knaben erst die Ahnung eines höheren geistigen Lebens aufgehen ließ, als man es in den rauhen Kreisen des Vaters gewöhnt war. Vor allen Dingen sollte dem Kronprinzen die wahre Liebe zum Soldatenstande eingeflößt und jede Verweichlichung und Verzärtelung vermieden werden. Bis auf die Minute war die Beschäftigung des Prinzen geregelt; in der strengen Disciplin und dem wenig anregenden Lehrplan nahmen die Andachtsübungen und der christliche Unterricht eine übermäßige Stelle ein. Die ganze Lebens- und Lehrordnung widerstrebte bald dem begabten, geistreichen Prinzen. Er fand an den stundenlangen Predigten und Katechisationen ebenso wenig Gefallen als an dem geistlosen Mechanismus des Soldatendienstes und an der peinlichen Ord nung. Wirthschaftlichkeit und Sittenstrenge, in die man diese überschäumcnde Lebenskraft zwingen wollte. Sein freier Sinn ließ sich in die beschränkten Ge sichtskreise des Vaters nicht bannen; die strenge Zucht und die pedantische Er ziehungsmethode forderten nur seinen Widerstand und seinen Spott heraus. Der Vater glaubte bald zu erkennen, daß der Prinz Hang zum Unglauben und Atheismus in sich trage, daß er Neigung zur Verschwendung, zu einem regellosen Leben, zu unordentlicher Wirthschaft besitze, und daß er auch nicht das Zeug zu einem guten Soldaten habe; dagegen gab er sich mit schönen Künsten, mit Zeichnen und Flötenspiel, mit der französischen Literatur und andern unnützen Dingen ab. suchte die Gesellschaft geistreicher und lebenslustiger Männer, machte Schulden und wandelte auch im Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht nicht immer die ehrbaren Wege des sittenstrengen Vaters. Früh gewöhnte sich der König daran, in dem Thronfolger einen verlornen Sohn zu sehen, der der Familie und dem Staate nur Schande machen werde. Die Kälte und Entfremdung nahm mit den Jahren zu. und je strenger der Vater die anders gearteten Neigungen des Sohnes zu brechen suchte, je rauher er ihm begegnete, je gewaltsamer der aufcrlegte Zwang wurde, desto mehr erweiterte sich die Kluft zwischen den beiden Herzen. Es kam so weit, daß der König den Sohn nicht mehr erblicken konnte, ohne in Scheltworte und oft genug auch in körperliche Mißhandlungen gegen ihn auszubrechcn. Und ebenso erging es seiner ältesten Schwester Friederike Wilhclmine, die mit dem Bruder viele geistigen Züge gemeinsam hatte und treu lich zusammenhielt, und sich in der Folge für den erlittenen Druck durch höchst boshafte und pietätslose Memoiren rächte.