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»->««» Frankreichs Gewaltpolitik gegen die Schweiz Bern, 21. Dezember. (Eig. Tel.) Dem Bon de s r a t lag gestern die Beantwortung einer Inter- pcllation dca Nationalrates Seiler über die Genfer Aonenfrage und die von Frankreich in zwischen einseitig durchgeführte Verlegung der Zoll grenze auf die politische Grenze ob. Wie der Inter pellant erklärte, wäre es eine Negation des Völker rechte», wenn ein Staat auf Grund seine» Macht willens sich über internationale Verträge Hinweg setzen dürfte. Die Angelegenheit der Zonenfrage dürfe dem Schiedsgericht nicht entzogen wer- den, wie es von Frankreich beabsichtigt sei. Er for dere, daß der Bundesrat an seinem Standpunkt festhalte. Die Zoncnfrage gehe in ihrer Bedeu tung weit über eine bloße Wirtschaftsfraae hinaus. Es handle sich darum, festzustellen, daß auch di« Mächtigen Verträge halten müßten. In der Beantwortung der Interpellation gab Bundesrat Motta zunächst einen Rückblick über die bisherigen Verhandlungen zwischen Frankreich und der Schweiz. Er erklärte, daß die französische Regie rung nicht so hätte handeln dürfen, wie sie cs tat sächlich getan habe. Wenn ein Staat unter Berufung auf seine Hoheitsrechte sich vertraglichen Ver pflichtungen gegenüber einem anderen Staate ent ziehen könnte, so würde das Völkerrecht in seinen Grundlagen erschüttert werden. Bundesrat Motta nahm Bezug auf die Erklärungen, mit d-nen Poincar 4 kürzlich in der Kammer die inzw schen von Frankreich angekündigte Zollgrenzvcrlegung zu rechtfertigen suchte, und gab zu, daß der Antrag auf Schiedsgerichtsverfahren von Frankreich mit Vor behalten versehen sei, und daß cs bisher der Schweiz noch nicht möglich gewesen sei, sich Klarheit zu verschaffen, da die französische Regierung die letzte Note des Bundesrates vom 12. November noch nicht beantwortet habe. Er erklärte aber, die Eidgenossenschaft werde sich einem Gewaltakt nicht unterwerfen, den Wahrspruch der Richter aber mit der ihm zukommcnden Achtung anerkennen. So lange begründete Hoffnung bestehe, daß der Streit- fall im Wege des Schiedsgerichtsverfahrens gelöst werde, erscheint cs dem Bundesrat nicht zweckmäßig, zu Zwangsmaßnahmen zu greifen, selbst wenn diese an sich berechtigt wären. Motta wies darauf hin, daß niemand in der Schweiz die fra - zösischc Freundschaft gering schätze, das; aber die Schweiz an einem ehrlichen Schiedsverfahren fest- halten müsse. poincarH und sein Parlament Pari», 21. Dezember. (Eig. Tel.) Die heutige Fortsetzung der Interpellationsdcbatte der Kammer über die auswärtige Politik wird ohne besonderes Interesse erwartet, obgleich eine große Rede Poincares angelündigt ist und außerdem aller Voraussicht nach die Abstimmung Mer eine abschließende Tagesordnung statt finden wird. Das ganze Interesse konzentr ert sich für den Augenblick auf die Teuerungszulage für die Beamten, die morgen vormittag aufs neue 'in der Kammer erörtert werden muß, da Po'incare sich sofort nach dem gestrigen Mißerfolg seines F üanzministers mit dem Finanzausschuß in Verbindung gesetzt hat, nm die Wiedere nsügung dtzr abgetrcnnten Artikel in das Finanzgesetz zu er reichen. Die Regierung hält <hre Ablehnung der Zulage von 1800 Franken aufrecht, hat aber eine Reibe van Konzessionen gemacht, um den Ab geordneten die Anahmc der Vorlage zu erleichtern. Sie bewilligt die Erhöhung der K nderzulage sowie der Teuerungszulage für gewisse besonders teuere Städte und verspricht eine durchgreifende Auf besserung aller Beamtcngehältcr für nächstes Jahr. Der Hauptausschuß hat diesen Vorschlag mit zwölf gegen acht Stimmen genehmigt. Man rechnet damit, daß die abgetrennten Artikel in der neuen Form morgen von der Kammer angenommen werden. Die Gegner Poincarös werden wahr- sche nlich einen neuen Vorstoß versuchen und dabei das unentschiedene Verhalten der Regierung während der letzten Wochen betonen. Tardieu erklärt im .Echo National", es bedeute geradezu eine Herausforderung der Mehrheit, daß Poinrar6 nach den Vorgängen in den letzten Sitzungen die abgetrennten Artikel unter Stellung der Vertrauensfrage vor d e Kammer bringe. Die Moryenblöttcr heben hervor, daß die Autorität des Kabinetts durch die gestrige Ab stimmung der Kammer erschüttert sei. Einige Zeitungen ber chtcn, in den Wandelgungen der Kammer sei gestern abend die Vermutung laut ge worden, PoincarL suche nach einem Vorwand, um zurticktrcten zu können. Andere Abgeordnete äußerten den Verdacht, daß Poincart e» nicht ungern gesehen hätte, wenn der Finanzminister durch die Kammer -um Rücktritt gezwungen worden wäre, weil Poincars dann die angeblich längst angestrebte Um. bildung seine« Kabinetts hätte vornehmen können. Die Haltung Poincar4» in dieser Frage wird von den me.sten Zeitungen kritisiert oder bedauert. Die „Iourn 4 e Industrielle" bemerkt dazu, es sei nicht statthaft, daß ein Ministerpräsident in solcher Weise seine Autorität pre »gebe. Tardieu habe nach der gestrigen Sitzung bezeichnend gelächelt; man müsse zugebcn, daß diese» Lächeln Tardeus nicht ganz ungerechtfertigt gewesen sei. D e von Millerand inspirierte Zeitschrift .Parlemcnt et Opinion" führt in ihrem Leitartikel über die parlamentarische Lage au», e» gebe in der französischen Kammer nicht eine, sondern vier Oppositionen: zwei national stische, eine clcmeneistische und e ne radikale. Die Regierung vermöge die Angr ffe ihrer Gegner, da d'esen eine gemeinsame Führung fehle, der Reihe nach an ver- schiedcnen Fronten zurückzuschlagen. Die Zcitschr ft weist dabei auf die gegenwärtige Lage im eng- l'schen Parlament bin, nm «u beweisen, w e ge fährlich es sei, wenn die Opposition der Einheitlich- kett ermangele.' Oer Völkerbund und Ltngarn Paris, 21. Dezember. Der Völkerbundsrat hielt, wie bereits gemeldet, gestern seine letzte Sitzu: g der Pariser Dczcmber'Tagung ob. Mit einer ein stimmig angenommenen Resolution brachte er die Arbeiten zur Sanierung Ungarn zu einem vorläufigen Abschluß. Der Rat stimmte dem Wort laut der beiden zustaudegekommenen Protokollen zu. Bis zur nächsten Ratstagung hat der Ausschuß für die Sanierung Ungarn» Vollmacht, im Nahmen der Ratskompetenzen die notwendigen Entschei dungen zu tr?ff.n. Der uiwarischr Minister präsident Graf B lhlen erlianr, daß seine Ne- gierung mit einigen Vorbehalten mit den Protokollen einverstanden sei. Der Bericht des Finanz- ausschusses stellt fest, daß die Unrerbrin.zung der Wiedcraufbau-Anleihe für Ungarn eine Begrenzung der auswärtigen La st en des Lan- des erforderlich mache. Die Lasten aus dem Vertr ge von TTrianon dürften durchschnittlich nicht über 10 Millionen Kronen jährlich hinaus gehen. Die durch eine Anleihe aufzubringend« Kumme beläuft sich auf 250 Millionen Goldkronen. Die beiden Protokolle legen die Kontrolle der unga- rischen Finanzen fest und verzeichnen di« non den beteiligten Mächten übernommene Verpflichtung, ih e Beziehungen zu Ungarn nicht zur Erlangung von Sondervorteilen auszunützcn. Di« Durchführung des Programms hnäqt jetzt non der Entscheidung der Repärationsko m Mis sion über den Antrag auf Aufhebung der A lliierten-Hypothek ab Außerdem sind noch unmittelbare Verhandlungen in der »schwebe. Der Unterausschuß sirr die Sanierung Ungarns wird nm 16. Januar zur endgültigen Regelung zu- sammentrrten. Budapest, 21. Dczembe-. (Eia. Tel.) Dem Biatt „Vilag" zufolge, haben die Vertreter der Kleinen Entente in Paris beantragt, man möge Ungarns Einkünfte aus den Tab"k- und Selz monopolen sowie den Zöllen und der Iuckersteuc'' in vollem Umfange beschlagnahmen und d'ese Einkünfte in erster Linie für di- T'lqunq der Anlci'e und den ganzen Rest für die Reparationszahlungen verwenden. Afghanistan London, 21. Dezcmbe". (Eig. Tel) Der .Daily Erpreß" meldet, d-ß die Beziehungen zwischen Eng land und Afghanistan tatsächlich in ein kritische» Stadium getreten seien. Wenn es dem Emir nicht gelingen sollte, die Be-gstämme zur Auslieferung d-r Mörder zu bewegen, werde die englische Regie- runa die Deziehimqen abbrechen und die nord indischen Pässe für den Handelsverkehr schließen. Diese Angaben fügt die Daily News" hin'u, eventuell werde man auch ein« m litärische Demon stration durch ein starke» Truppenkontingent oder ein Flugzeuggeschwaüer veranstalten. Reuter erklärt, die englische Regierung habe keine Veranstaltung, anzuoehmen, daß di« An sammlungen russischer Truppen tu Samar- kand und Buchara zu dem Zwecke erfolgten, um Indien zu bedrohen; dies« Truppeu seien vielmehr dazu bestimmt, die Bergstamme der Sowjctreglerung zu unterwerfen. Louvou, 21. Dezember. Der .Manchester Guardian" erfährt aus amtlichen Kreisen, daß die Moskauer Meldung, nach der der britische Ver treter in Kabul Afghanistan ein Ultimatum übersandt habe, da» mit Krieg und Lustangriffen drohe und den Abbruch der Beziehungen zu Ruß land verlange, unwahr seü Ole Kämpfe in Mexiko Part«, 21. Dezeurber. (Eig. Tel.) Die Nach richten au« Mexiko sind weiterhin Widerspruch»- voll. Der .Figaro" bringt Meldungen au» Mexiko und Galveston, nach denen Präsident Obregon der ausländischen Presse erklärt hätte, di« Lufstuirdischen wichen dem Kampfe aus und zögen sich unter Zer störung der Eisenbahnlinien und unter Zurücklassung von Munition und Gefangenen zurück. Anderseits wird jedoch von den Aufständischen selber verbreitet, daß sie in achtstündigem Kampfe in der Gegend von Puebla und Texmaluean die Bundestruppen ge schlagen hatten. Den gleichen Informationen zufolge hätten die Anhänger Huertas drei Maschinengewehre erobert und dreihundert Gefangene gemacht. Da« Sanierung» p rogramm des Kabinetts Gräbst» Ei» Ermächtigungsgesetz auch t» Pole» Wacichau, 20. Dezember. Da» Kabinett Grabski hat sich heute dem Sejm vorgestellt. In seiner Red« betonte der Ministerpräsident, die Regierung erblicke ihr« Hauptaufgabe in der Durchführung der Sa nierung der Finanzen. Die finanziellen Schwierigkeiten lähmten jeden inneren Fort'hritt. Die Regierung setze sich die Aufgabe, die Kräfte d«» Lande» derartig anzuspannen, daß ein Ausweg aus der jetzigen prelären Lage gesunden werde. Die Ge sundung der Finanzenerheische eine unebdingt fried liche Atmosphäre. Deswegen werde die Regierung bestrebt sein, die Lösung der strittigen inne ren Fragen auf einen Zeitpunkt aufzu- schieben, in dem die Gesundung der Finanzen vollendete Tatsache lei. Die Gesundung der Finanzen werde die Regierung einerseits durch Erhöhung der Steuerleistung und der ordentlichen Ein- nahmen zu erzielen suchen. Di« Regierung werde innere Anleihen in Anspruch nehmen und die bereits von der letzten Regierung begonnene Spar aktion konsequent durchführen. Die erste Rate der Vermögenssteuer solle im ersten Halbjahre 1V24 in höherem Ausmaße, als ursprünglich vorgesehen war, eingczogrn werden. Die Eisenbahnverwaltung wurde in kürzester Zeit auf eine solche finanzielle Grundlage gestellt werden, daß sie mit Hilfe eigener Einnahmen auslomme. Den Weg zur Gesundung der Finanzen erblicke die Regierung in der strikten Einhaltung des Gleichgewichte» des Budget«, in der Einstellung des Drucke« von Papiergeld für di« Be dürfnisse de« Staate« und in derDalntareform. Gleichzeitig mit der Durchführung der Balutareform werde eine Aktion zur Aufrechterhaltung de« wirt schaftlichen Leben» in der Ueberqangszeit in die Wege geleitet und vom Sejm die positive Erledigung der Gesetzesvorlage betr. die Arbeitslofi^eit verlangt werden. Die Durchführung de« Negierungsprogrcmnu» sei von einer raschen gesetzgeberischen Arbeit abhängig. Deshalb «erde die Regierung morgen vom Hause die Annahme eine» Ermächtigungsgesetze» für die Dauer eine« Jahre« verlangen. Polen könne eine günstige Handelsbilanz aufweisen. Dio durch den Krieg auf wirtschaftlichem Gebiete ge schlagen«» Wunden seien größtenteils geheilt und di« Verluste in Industrie und Landwirtschaft bereit» zum größten Teile wieder eingeholt. Da« Ernteergebnis im laufenden Jahre sei günstig. In einem solchen Augenblick sei es unzulässig, den Glauben an die eigene Kraft aufzugeben und mit den Anstrengungen Sonandeall, 6« -2. verbind« zur Durchführung der Sanierung zu zögern. — Die Debatte über die Regierungserklärung, die sofort er öffnet wurde, wird morgen abgeschlossen werden. Die Eisenbahntarife tu Polen, sowohl bi« Per sonen- al« auch di« Gütertarife, werden am L. De zember um 100 Prozenterhöht. Leichte Besserung -er wirtschaftliche« Lage Berlin, 21. Dezember. (Eig. Tel.) Da« Tempo de« wirtschaftlichen Niedergänge« in Deutschland hat sich seit dem 1. November wenigste,l» verlangsamt. Die starke Arbettolofigkeit hat zwar noch weiter zugenommen, aber man sicht darin mehr eine Folge der Wirtschaftslage in der vorhergehenden Zeit, al« ein Kennzeichen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung. Diese wird nach den Mitteilungen de» „Reichsarbeits- blattes", also einer offiziellen Publikation, durch e ne leichte Belebung im Eingänge von Aufträgen gekennzeichnet. In einzelnen Gegen- ständen und einzelnen Berufszweigen hat sich bereis «ine vermehrte Nachfrage nach Arbeits kräften gezeigt. Die» dürfte weniger auf das Weihnachtsfest al» auf den Einfluß der Stabil!- sierung der Mark im Zusammenhang mit der Aus gabe der Rentenmark zurückzuführen sein. Metallarbetterfchast und Achtstundentag Gelsenkirchen, 21. Dezember. (Eig. Tel.) D s Gesamtergebnis der Abstimmung im Deutschen Me- tallarbeiterverband Mer da» Arbeitszeit abkommen liegt nunmehr vor. 4V00V Stirn- men sprachen sich gegen die Verlängerung der Arbeitszeit au», während SSO mit dem neuen Ab- kommen sich einverstanden erklärten. Dir Ar- beiter, für die der Achtstundentag in dem neuen Ab kommen gesichert ist, durften an der Abstimmung sich nicht beteiligen. Die Konsequenz diese« Ergebnisse» ist, daß di« freigewerkschaftlich organisierten Arbeiter nach Ablauf der Achtstundenschicht ihre Betriebs stätte verlassen. Die Hirsch - Dunckerschen und die christlich organisierten Arbeiter haben sich bekannttich an dieser Abstimmung nicht beteiligt, haben vielmehr durch ihre Spitzenorganisationen dem Abkommen zu- gestimmt. Oie rvürttembergische Reglenmg und der Landtag Stuttgart, 31. Dezember. Ja der aestrige» Sitzung de« Landtage« erklärte Laat»prisideut Dr. Hieber, eine Erweiterung der Regie« rung nach recht» oder link« würde seinen Beifall finden. Sollte da« Ermächtigung», gesetz nicht di« erforderliche Zweidrittelmehrheit finden, so werde die Regierung zurücktreten; andernfalls glaube sie den für die Fortführung der Geschäfte erforderlichen Rückhalt zu hoben. Oie pest-^ciruauaer «les I^eixriger ^u^elrluttes er«!raot in g«pA»gter 1>«I»«r uuä liotzt »'M« ^»g« «ui. Di« Poll» ä« inter«i»nt regt äeo ror «nä n»chh»Irig Miricenäe» 8o»«h«o»g «o» ^n»«i^«L. hi«- veröffentlicht. rnüe»en Lrfolg hnhen. Leipziger Musik im Dezember Dec Ertrag eincr halbjährigen musikalischen Arbeitsperiodc ist gegen Jahresende einigermaßen greifbar. Künstler und Publikum haben sich für s erste aneinander gesättigt, der Unternehmer über schlägt das materielle Ergebnis, dec kritische Beob achter sucht die Einzelheiten zu ordnen und au» einem Ganzen zu deuten. Es ist wiederholt die Bezeichnung „Krise" ins das erschütterte geistig-künstlerische ...ld — im weite ren Sinne — soziale Dasein unserer Tage ange wandt worden. Kris« ist Bewegung, ist Voraus setzung für Gesundung, und wenn namentlich der Zustand unseres öffentlichen Konzertwesens nie mehr Achnlichkeit mit einem völligen Zusammenbruch ge habt hat al» jetzt, so mcg auch die Hoffnung nie so stark gewesen sein, daß diese letzt«, schwerste Krise zur Wiederherstellung führen werde. Ein gesundes öffentliches Musilwcscn ist natürlich nur möglich auf dem Grunde gefestigter wirtschaftlicher Verhältnisse. Wenn nun da» wirtschaftliche Leben letzthin bemer kenswerte Symptome eines Umschwungs zeigte, so ließe sich daraus vielleicht der Schluß ableiten, daß sich unsere leer gewordenen Konzertsäle langsam w eder füllen werden, daß die frühere Bewegungs freiheit der konzertierenden Künstler und damit der internattonal« Ausgleich bald wieder hergestellt sein konnte. Bericht«, di« au» Oesterreich vorlicgen, lassen jedoch erkennen, daß ein wirtschaftlicher Ge- sundungsprozeß durchaus noch nicht ein Wiederauf blühen de» öffentlichen Musikwesen» bedingt. Diese Tatsache, di« durch soundso viel« Notrufe der Wiener Künstler und Konzertunternehmer, durch soundso viele Schilderungen ausgezeichneter Konzert« (z. B. Bachabende) vor völlig leeren Sälen veranschau licht wird, laßt sich nur mit Sorge hinnehmen — kaum zureichend erklären, und überhaupt nicht au» rein wirtschaftlich« Zusammenhängen deute». Nur ein» erhellt wohl darau»: daß die heutige Kris« ber äußeren, gesellschaftlich-zweLb«stimmte. Form begleitet fein muß von einer inneren Krise, die zu Umwertung« bestehender Werte führ« muß, und die sich auch im Schaffen bereit« feit längerem au- kündigt. Es ist bei der Betrachtung des Leipziger Musik lebens an deser Stelle danach gestrebt worden, den symptomatischen Wert der einzelnen Darbietung immer möglichst au» einem «insüdl-nden Verständnis für die gesamte künstlerische g« tlage zu erschließen. Dadurch wird die Uebcrsicht diesmal erleichtert, und bi« letzten Konzerte des Jahres 1923 füllen di« Lücken ein« im großen ganzen festgelegten Bilde». Da kommen zuerst di« Konzerte, die da» feierliche Thema der Zeit anschlagen: Weihnachtsmotette, Dcihnachtsoratorium. In der Thomaskirche hört man seit den letzten Freitagen jene nach Form, Stil und Art der Anschauung des göttlichen Gegen standes so verschiedenen Weihnachtslieder deutscher und verwandter Meister. Musik au» fünf Jahr- Hunderten: neben dem Mystisch-Versonnenen da» Heiter-Wiegende; neben der kunstreichen Motette de» italienischen Frühbarock da» schlichte Lied de» Volke» mit dem schaukelnden Bilde de» Christ! indleino. Und all da» vorgetragen mit dem Hellen Kunsteifer und der musikalischen Vollendung der Thomaner. Dann wurde Bachs Weihnachtsoratorium, diese so benannte Einheit dreier Kantaten, von Karl Straube in dem tradionellen Chorkonzert des Ge- wandhauses aufgeführt. Lißmann, der den Evan gelisten der Matthäuspassion hier vorahnen läßt, ragt dank seiner geistig führenden Erzählcrrolle au« dem Ganzen hervor. Gesanglich boten Han« Joachim Moser und Marta Adam sehr reif« Leistungen. Erna Hähnel-Auleger fand sich geschickt mit der Sopranpartie ab. Fest und Opitz versahen «wieder Orgel und Cembalo. Der Chor gab au» de« künstlerischen Willen und der abgeklart«, in sich ge festigten Bachauffaffung seine» Führer» Dr. Karl Straube hevau» eine seiner freiesten, tnnerltch beschwingten, äußerlich präzisen Leistungen. Man versleht e» unter dem Eindruck solcher Erlebmss« schwer, warum da« eigentlich« Stammpublikum de» Gewandhauses Konzerte ohne chorische Mitwirkung so offentsichtltch bevorzugt. Da eine ästhetische Recht fertigung dafür nicht zu fi»dea ist, läßt sich a»r da» Gewohnheitsrecht geltend machen. Da sich aber «in Bedürftrt« »ach einer bestimmten Kunstart erst tm Gefolge «in« längeren Gewöhnung eiazustell« pflegt, ß» sollt« wenigsten, da» Gev»ndhau«dir«kto- riuvr i» der Wahl der Programm» für den Gedanke» einer stärkeren Pflege und höheren Einschätzung der Chormusik eintreten. Mit Recht verkündet da« Leipziger Arbeiter- Bildungs-Institut, daß e» die beide» größten und bedeutendsten Peranstaltungen zum Jahresabschluß biete. Die» sind «in Orchester konzert und eine Choraufführung, der« Leitung Furtwängler und Straube obliegt. Beide Konzerte reih« sich an eine Folge vortrefflich vorbereiteter, und mit ausreichenden, teilweise erst. Hastigen künstlerischen Mitteln durchgeführter Dar- bietungen. Di« ganze Einrichtung bekundet einen idealistischen Willen zu künstlerischer Erziehung, ohne doch da» Moment der Bildung stärker zu be tonen, al» e» sich mit dem Gedanken der lebendigen, im künstlerischen Fühlen verbundenen Gemeinschaft vertrüge. Barlep Licht, der die» einzigartige must- kalische Kulturwerk nun schon seit Jahren und gegen immer mehr sich häufende materielle Widerstände durchführt, ist selber ja kein bildungswütiger Schul meister, sondern «in denkender und fühlender Künst ler. Die Aufführungen von Handel« „Aei« und Dalathea" gaben nicht bloß von seiner Kunst gesinnung. sondern auch von seiner Leistungal» Chor- Pädagoge und Organisator einen hohen Begriff. Di« letzten wichtigen Veranstaltungen de» Jahre» mögen kurz zusammenfaffend überblickt werden. Bet Wiederholung der „Carmen" war die Titelpartie der Frau Koamer-Bergau Merlvagen: ein« glutvolle und bezaubernde Carmen, im Spiel noch nicht ganz frei, gesanglich ab« mit ihrer in den tiefen Logen bestechenden Stimm« sehr bedeutend. Ztlk« n: die eigentlich tragend« Persönlichkeit de» Abend», gesanglich und darstellerisch ganz von seiner Aufgabe besessen. Bocketmann: ein deutscher Biedermann, kein chevalere»ker spanischer Charakter; aber gesanglich vorzüglich wie immer. Rosa Lind: stimmtüchtig, doch darstellerisch al» Micaela jung- mädchen^rft ungeschickt. Diese Partie gehört allein d« Els« Schvlz-Dorndnrg. — Da« Ge- »aadha«««nart«t^ vnterstrcht durch den Bratschist« Livdver, brachte fÜtea, Streich, quintett« der Klassiker. Man dankt d« Herr« dafür, auch wenn Inkorrektheit« de» Spiel« den Gesamt- eindruck empfindlich trübten. — Endlich d« virtuos« 9kmv<u*: Kalle« Parlow. «in paar Dutzend Gewohnheits-Konzertgänger hört« dieser Geigerin von der Art Fritz Kreisler», der Schülerin Auer», zu — einem ungezählten Auditorium von Mufikfreun- den hätte ihr Spiel zum befreienden Erlebnis »erben müssen. Wir hoffen, sie wird bald wiederkehren. «an» »«finoor ver neue Präsident der bäuerisch« «ademte. Der Präsident der bayerischen Akademie der Wissen- schäften, Prof. Dr. Hugo v. Seeliger, ist auf sein Ansuchen von seinem Amt de» Generaldirektor» dec wissenschaftlichen Sammlungen enthob« und die Wahl de» Professor« der Hygiene Dr. Max v. Gruber (München) zum Präsident« bestätigt. Zugleich wurde Prof. v. Gruber al» Generaldirektor der wissenschaftlichen Sammlung« des Staate» bestellt. Elve Weltausstellung in Kopenhag«. In dänischen Blättern taucht der Plan auf, im Jahre 1928 in Kopenhagen eine große Weltau»stellung zu veranstalten. Der Plan zu dleser Ausstellung ist von der dänischen Zndufttie ausgegangen. Der dänische Innenminister Kragh erklärt« zu dem Plan, daß vor 40 Jahren die letzte große Ausstellung in Kopenhagen abgehalten sei, und daß eine neu« Au»- stellung Kopenhagen» internationaler Stellung sehr befestigen werd«. Laura» totgeschwiegene Nase. «» ist . bemerkt worden, daß Petrarca, obgleich er seine Laura in 320 Sonetten und 88 Kanzonen besungen hat, dennoch nie di« Nase seiner Geliebten erwähnt. De», halb schrieb ein qewisser Ludavieo Ganbiai im Jahre 1581 eine Abhandlung darüber, worin er die Frage auf da« genaueste untersuchte und schließlich herausfand, Donna Laura habe ein Stumpfnäschen (o»»o mmverro) gehabt. — Man sollt« nicht glau ben, wa« für Probleme es noch in der Welt gibt — und w'eviel überflüssige Zeit um sie zu lös«. Hellmuth Unger i» Italic». Di« bekanntest« Bühnenwerk« de» Leipziger Augenarztes und Dra-a- tiker» Hellmuth Uuger „Die Nacht", „Spiel der Schatten" und .Mutterlegende" werd« fetzt in» Italienische übersetzt und sind durch Ver mittlung der Dertriebsstelle de» Verband« deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponistrn in Berlin für Italien erworben worden. Al» erst« Werk wird „Die Nacht" aufgeführt »erden.