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Lonasdenri, äea 3. ^.Lrr Von Menschen, Tieren und Manieren Kutscher zum Gaul: „Mensch, hast ja 'n Vogel!" Und der Mann schlügt dem Tier mit der flachen Hand ans die Stirn. Der (Saul steht stumm da. Und sein Auge blickt groß und fragend den Menschen an. II. „Du bist völlig aus den Hund gekommen!", sagt die Frau zu dem Mann, der betrunken über oie Türschwelle torkelt. Der Hund klemmt den Schwanz zwischen die Beine, wendet sich verächtlich av und kriecht unter o.rs Sofa. III. Raubtierfütterung. Die Bestien stürzen sich gierig auf die Fleischklumpcn, die mau ihnen alle oierundzwanzig Stunden vorseßt. „Bie unästhetisch!" spricht Frau Feingefühl. „Rein, wie unästhetisch!" Konzert. 'Man aibt Beethovens Neunte Sin fonie. „Hol' mal die Brotschnitten hervor!" wendet sich Frau Feingefühl an ihren Mann. „Drei Viertel Stunde Musik — das hält ja lein Mensch > aus!" IV. Zwei junge Löwen balgen sich. Mit ihren M ulcrn zerren sie einander an den Fellen, schlagen sich mit don Tatzen. Bis einer aus einer Wunde blutet. Der andere aber beugt sich über ihn, leckt ihm liebevoll das Blut von der Haut Zwei Knaben prügeln sich. Mit Fäusten hauen sie sich auf die Brust, ja fecb't ins Gesicht — bis einer aus Nase und Mund blutet. Der andere aber verwtzt ihm noch einen Tritt. Dann ent fernt er sich Zwei Staaten führen miteinander Krieg. Bis der eine, halb verblutet, sich für besiegt erklärt. Der andere jedoch setzt den Krieg fort — vis, ja bis sein Ecgnec vollends verblutet ttsinrieti Sutmsnn. * 83 Tage Schnlstcien. <:n ganzen Reiche. Die Regierungen de: Linder heben vereinbart, daß iUe Schulferien im ganzen Reiche einschließlich bcr darin enlhrrttcnen Sonn» mw Feiertage 85 Tage dauern. Für die Ferien des Schülchbres (923 21 gilt folgend-: Ordnung: Die Osterferien bcg.uuen mit dem Sonn- abend vor Palmsunnag, i. c. nm 24. Mürz, und endigen mit dem 7. April. Di: Psingstferien bc- z'muerr mit dem 19. Mai und endigen mit dem 20. Mai. Die Sonuncrfericn beginnen mit dem 14. Juli und endigen mit dem 20. August. Die H^-bstfericn beginnen mit dem 28. Lcpr mbcr und endigen mit dem 6., Oktober. Die Äeihnachtsferien begännen mit dem 2". Dezember 1023 und endigen mit dem 6. Januar 1021. Deutschlands Veamtenhcer. Ans einer Zusammen- s.li'.'iig des Rcichofinanzministers an den Reichstag ergibt sich, daß es nach dem Stande vom 1. No vember iin Reiche gab: 704 HOO Beamte, 1L2 579 beamtete Hilfskräfte einschließlich der Betriebs- nrlei^r, insgesamt also 1 KW 122 Personen. Ei?- schii-chlich der 114 143 Angehörigen der Wehrmacht mn-den dafür an Besoldungen rund 780 Milliarden Mar! ancgeacbcn. » * Ruhrfamn'.luna der Reuchwarcnfirmen. Die Sammlung des Reichsverbandes der Deutschen Rauchwaren-Firmen, Sitz Leipzig, e. V., für die Ruhr- und Rheinlandhilsc hat bisher 107 033 000 -K I»e!pr!ger "rsgeblstt uack ttaaäelsrettuug I«r. S3 Sette 3 I erbracht. Der Betrag wird der von der Leipziger Handelskammer cingeleiteten Ruhr- und Rheinland hilfe überwiesen. Die Sammlung wird fortgesetzt. Swelhundertm ark-Stücke Drahibertcht unserer Berliner rchrtstlettnnß Am Freitag wurde mit der Prägung der neuen 200 M -Stücke begonnen. Die Münze ist aus Alu minium und zwei Dritel so dick wie das 50-Psennig- Stück und ebenso groß Auf der Vorderseite trägt sie die Bezeichnung Deutsches Reich 200 Mark, 1923. In der üblichen Anordnung unter der Jahres-« zahl ein großes römisches K zwischen zwei Eichen zweigen Auf der Rückseite sieht man den Reichs adler mit der Umschrift: Einigkeit und Recht und Freiheit: Die 200.Mark-Stücke sollen im Gesamtwert von 60 Milliarden Mark ausgeprägt werden, wobei die Berliner Münze mit 51,9 Proz. beteiligt ist. Voraussichtlich werden täglich 2 Millionen Stück hergestellt und so bald 15 Millionen zur Ver fügung stehen, was 8—10 Tage bauern dürfte, wird man die neuen Goldstücke in den Verkehr übernehmen. Vas Frankfurter wuchürurtell uni» Ser vuchhandel Aus Duchhändlcrkreiscn wird uns geschrieben: Durch die Presse macht gegenwärtig auf Grund eines Telegramms brr Telegraphischen Anion eine Notiz üben Lin Urteil die Runde, das die Wucher- abceilung des Amtsgerichts Franlsurt a. M. gegen einen dortigen Buchhändler gefälll hat. Nach dem ausführlichen Bericht der Frankfurter Zeitung über die Verhandlungen zu urteilen, ist augenscheinlich das Gericht von völlig irrigen Voraussetzungen aus gegangen. Hegen das Urteil ist Berufung eingelegt, und cs ist zn hoffen, daß die höhere Instanz nach entsprechend gründlicherer Prüfung zu wesentlich anderen Ergebnissen gelangt und das.erstinstanz lichen Urteil o.ufhebt. Der Buchhandel hat also, keinen Grund, sich durch jene Nachrichten beunruhigen zu lassen oder gar etwa von dem Preissystem der Grund- und Schlüsselzahlen abzugeacn. Um so weniger, nachdem die dabei angewandte Methode, die sich durchaus nn Nabmen der auch vom Reichsgericht anerkannten Gedankengänge bewegt, eben erst noch die behörd liche Anerkennung gefunden hat. Der Spruch der Berufungsinstanz kann vielmehr in Ruhe abgewartet werden. Bl-j-funk mit Halle. Der versuchsweise ein- gesnhrle Blitzfumoerkehr ist auf Halle (Saale) aus gedehnt worden. Der Handclstaq für Ermäßigung de: Post gebühren. Der Deutsche Industrie- und Handcistag hat die Rcichsregierung gebeten, an dem durch die Marlbcssernng gebotenen Preisabbau auch ihrerseits u. a. durch eine sofortige Ermäßigung der Post gebühren und insbesondere der E senbahngütertarife rnikzuwirken. Freigabe dculsch.n Vermögens ln Amerika. A s viele Abfragen über Freigabe des beschlagnahmten deutschen Vermögens in Amerika, die eine große Unkenntnis über den gegenwärtigen Stand der An gelegenheit verratest, teilt dir Amerika-Abteilung d s Hansa-Bundes mit, daß der fragliche Oiesetzentwurf noch nicht endgültig, sondern zunächst im Rcprsen- tantenhause mit 300 gegen 11 Stimmen angenommen wurde. Der Gesetzenrwurf, der insoweit verbessert wurde, als von größeren Vermögen nunmehr auch bis 10 000 Dollar freiaegcben werden sollen, geht jetzt an den Senat. Es ist bestimmt anzunehmcn, daß der Scnac die Vorlage baldigst ohne Aenderung an nehmen wird. Da unter allen Umständen bei dem Treuhänder ein Antrag auf Freigabe zu stellen ist, empfiehlt es sich, alle Vorbereitungen zu treffen. Die Amerika-Abteilung des Hansa-Bundes, Berlin 7, Dorotheenstraße 36, steht den Beteiligten mit Rat und Unterstützung kostenlos zur Verfügung. Ein Mann mit fünfzig Brauten Die Berliner Kriminalpolizei hat jetzt einen Mann verhaftet, der unter der Maske eines Arztes des Birchokrankenhanses den Heiratsschwindel betrieb und nach den bisherigen Ermittelungen nicht weniger als fünfzig Frauen betrogen und bestohlen hat. Er erließ unter orm Namen Weber und Menzel Heirats inserate, nach denen er die Bekanntschaft einer Witwe mit einem Kinde oder auch «in junges Mädchen zur vrau suchte. Er erhielt viele Angebote. Er besucht« eine Bekanntschaften und wußte er so einzurichten, >aß er den letzten Straßenbahnwagen versäumte und wohl oder übel die Nacht in der Wohnung bleiben mußte. Anstatt aber zu schlafen, spionierte er in den Wohnungen umher und sand auch jedesmal Schmuck- und Wertsachen. München, 2. März Die Festnahme des Obrrpostinspektors Pfaffin ger, der seit Jahren (man glaubt seit 1920) im Briefopstamt München als Aufsichtsbeamter un zählige Briefe aus dem Auslande, die fremde Währungen (vor allem Dollarnoten, Schweizer Franken, englische Pfunde und holländische Gul den) enthielten, im Betrage von vielen hundert Millionen Mark unterschlagen hat, erregt großes Aufsehen in allen Kreisen. Uebec 1500 Geschä digte haben sich bisher schon gemeldet, darunter auch Leute van auswärts, die nicht in den Besitz der-so sehnsüchtig erwarteten Dollarnoten oder Franken gekommen sind. In der Münchner Polizcidirektion mußte ein eigenes Bureau für all die Reklamationen eingerichtet werden, und fünfzehn Beamte hnben Tag für Tag ungeheure Arbeit, um all die Anzeigen der meist kleinen Leute zu Protokoll zu bringen. Schätzungsweise sind von Pfaffinger aus Briefen allein über sechstausend Dollarnoten entwendet worden.- Tie Millionensumme wird sich aber noch um ein vielfaches steigern, wenn erst die ganzen Erhebungen abgeschlossen sind. Es handelt sich meist um Leute, die ihr Geld notwendig brauchen konnten; um so schlimmer ist die Handlungsweise dieses Beamten. Nicht einmal vor dem einzigen Dollar einer armen ulten Witwe hat Pfaffinger Halt gemacht. Der Dieb und Betrüger hat es ausgezeichnet verstanden, im Kreise seiner Bekannten, Kollegen und Untergebenen einen Verdacht nicht hoch kommen zu lassen. Er gab vor, zu spekulieren. Auch erwähnte er, daß er seine großen und wtrtvr'llcn Briefmarkensammlungen günstig ver- kauft habe. In Eichenau, einer erst kurz er- standencn Stadt an der Bahnlinie München— Fürstenfeldbruck, hat Pfaffinger die größte und schönste Billa erworben, wie er überhaupt in dem Orte eine große Rolle spielte, und der Gemeindcrat sogar eine Straße» nach ihm be nennen wollte. Sein neuester Plan war, der Gemeinde eine Kirche erbauen zu lassen, deren Ausführung viele hundert Millionen gekostet hätte. Dem Kirchrnbaufands hatte er als „Börsenspekulant" schon eine Reihe Millionen zugeführt und auch einen großen Teil der Bau steine gekauft. Pfaffinger genoß bei seinen Dienststellen großes Vertrauen, und man war sehr erstaunt, daß er als Dieb entlarvt wurde. Er war sehr streng gegen Untergebene und hat sogar Unter beamte in den Verpacht des Diebstahls gebracht. Er ließ strenge Untersuchungen durchführen, ja er brachte sogar zwei Beamte ins Gefängnis, weil Pfaffinger in diesen Fällen „<sach- verständiger" bei Gericht war. Durch eine Falle har man endlich den wahren Täter entdeckt. Das Neichspostministerium hatte wegen der ständigen Unterschlagungen verfügt, daß die Briefe auf dem Wege zum Empfänger nur durch wenige Hände wanderten, und ein vertrauens- Vet seiner Vernehmung im Polizeipräsidium stellte es sich heraus, daß er ein Friseur Wilhelm Wohlfahrt ist, der fick ohne fest« Wohnung in Berlin aufhielt. In seinen Taschen sand man noch Dutzende von Briefen heiratslustiger Damen. Auf dem Schlesischen Bahn hof hatte er einen Reisekorb in Verwahrung stehen, in dem sich der größte Teil der von ihm gestohlenen Sachen, goldene Ringe, Uhren, Ketten usw., befand. Bisher konnte festgesteut werden, daß er etwa fünfzig Frauen betrogen hat. Man nimmt aber an, daß es no chwclt mehr sind. wiirdiger Beamter wurde von jeder Dienststelle mit der Bearbeitung der ausländischen Briefe bestimmt. In München gab es zwei solcher Stellen, eine leitete Pfaffinger. Die Briefe kamen in plombierten Postbeuteln von den Grenzpostümtern Köln und Hamburg und wan derten dann nach Würzburg, von dort nach München. Auf Grund eines Verzeichnisses Uber die Briefe wurde dann der Verlust vieler Briefe bei einer Sendung festgestellt, die man später iin Bureau Pfaffingers vor fand. Pfaffinger, der verheiratet ist, hat die Briese wahrscheinlich in der Wohnung seiner (beliebten, einer 18 Jahre alten Kontoristin — Pfaffinger selbst ist 56 Jahre alt —, geöffnet. Dle^öcliebte, die gleichfalls verhaftet wurde, erhielt von Pfaffinger, den sie „Onkel" nannte, u. a. einen wertvollen Pelzmantel im Betrage von sechs Millionen Mark, viele Schmucksachcn in einer geschnitzten Kasette usm. Alles dies wurde be schlagnahmt. Pfaffinger gab das Mädchen als seine „Nichte" aus und ließ sie auch öfters in sein Bureau kommen. Seit einem Ialsre war sie außer Stellung und lebte von der reichlichen Unterstützung des „Onkels", der sehr wohl habend war. Wie die Erhebungen ergaben, hak das Mädchen von den Unterschlagungen tat sächlich nichts gewußt, und auch Pfaffinger selbst hat dies eingestanden. Die Kontoristin wurde daher wieder aus freien Fuß gesicht. Bei Bc kannten hat Pfaffinger einmal ein Paket hinter legt. Als nun die Verhaftung bekannt wurde, brachten die Leute das Paket uneröffnct zur Polizei. Es enthielt mehrere Millionen Mark und außerdem 580 Dollarnoten. Aus vor gefundenen Gegenständen geht hervor, daß Pfaffinger auch Pakete geöffnet und beraubt hat. Die Postverwaltung hat die beiden Häuser in München beschlagnahmt, die Pfaffinger ge kauft hatte. Die Villa in Eichenau ist noch nicht beschlagnahmt, weil noch nicht ganz klar ist, ob der Betrüger diese tatsächlich von dem Gelbe aus der Briefmarkensammlung erworben hat. Pfaffinger redet bei der Vernehmung nicht viel. Er will gar nicht wissen, warum er eigentlich die Unterschlagungen gemacht hat. Die Ge schädigten sind natürlich voller Erbitterung. Ob die Post Schadenersatz leistet, ist noch sehr frag- lich, da es sich um lauter gewöhnliche und keine eingeschriebenen Briefe handelt und die Vost daher keine Verpflichtung für den Schaden hat. Man hofft aber, daß die Behörde in Anbetracht der Riwensummen mit dazu beitrügt, daß wenigstens ein Teil des Schadens wieder gut gemacht wird. Die Briefumschläge sind nicht mehr zu ermitteln, da Pfaffinger diese nach seiner Angabe während der Nacht in seiner Wohnung verbrannt hat. Seine Frau hat von all den Unterschlagungen nichts gewußt. Pfaf finger redete immer von erfolgreichen „Börsen- spekulativen" und fand damit Glauben nicht nur in seiner Familie, sondern auch bei der Postbchörde, bis ihn das Geschick ereilte. Der „Onkel" als Dollarkönig Oie Milttonen-Unterfchlagungeri im Münchener Rriefpostamt Ein Teufelskerl Frau" Wedekinds Jugeutzfreurrd Bo-'. esrk kstÄrzksun Wäre er nicht Franks Jugendfreund gewesen, lärmte man vermuten, daß Wedekind diesen Mann erfunden hätte: Willy Nudinow, ein hente Vergesse- nec, ein. Genie des Lebens von farbigstem Aufriß, Lump, Künstler, Bohemien, Vsgant, Wcitrcisendcr und Artist im roten girkussrack. Ursprünglich Maler, hatte er bei Julian in Paris und auf der Münchner Akademie studiert. Dann stürzte er sich in das großartige Abenteuer seines Lebens, dessen amüsiertester Zuschauer er selbst ge- r csen ist. Ec saß mit dem Prinzen von Wales an einer Täfel und ging, einen Teller in der Land, in R inchner Gasthöfen absammcln. Er stellte seine Bilder im Wiener Künstlerhaus aus, war mit Len- buch befreundet und trat in Amsterdamer Matrosen kneipen als Ticrstimmenimitator auf. Auf einer vergoldeten, aus Londoner Antiquitätenläden hßrvor- gcstörbcrten Laute sang er im Transvaal den Gold- gSdern irische Balladen, er schlug ^ich bis zn den Cukalyptuswäldern des australischen Busches durch, und jeder Zug der «tragisch-grotesken Clowns Frank Wedekinds scheint dem Gesicht des genialen Ltcot- ters Willy entliehen, klebrigen» hieß er gar nicht Nudinow, sondern Hermann Morgenstern, und sein buntes, phantastisches und zerfahrenes Leben ergebe einen unerhörten Abcntcnrerfilm, wenn man es sich nicht genügen lassen will, seinem Schatten in mehr als einer der Komödien seines großen Freundes zu begegnen. Das in seinem Leben Wahrheit und was Erzäh lung war, hat vor allem er selbst zu einem halb heroischen, halb grotesken Gcmengscl verfitzt. Als Münchner Akndcmieschül"r gab er sich dem dicken Wirt vom Platzt in Pension. Jeder Stammgast kannte ihn. Für sieben Mark trat er als Mohr Jack Williams auf, imitierte Pogclstimmen und pfiff auf SpaziersiLüen die gefühlvolle «Letzte Rose*. In München kam er auch in das Hans Lenbachs, der die Aauchmalereien, die Rudinow im Parietü mit an gebrannten Korkstöpscln produzierte, sehr bewundert bat. „Den Herrn mußt dir gut ankchaun!" sagte Lenbach zu seiner kleinen Tochter Marion, wenn Nudinow bei der Tür hereinsegte. Damals hieß er zur Abwechslung übrigens Rudino, war Italiener, sang den ganzen Tag „Don Giovanni" durch und lernte in der „Drchtelei", einer Tiroler Weinstube Münchens, bei seinem Freunde Fran! Gitarre spielen. Und eines Tages verschwand Signor Rndino aus München. Lenbach hatte ihm zuvor alle Taschen mir Zigarren voligcpackt, sie wurden auf der Landstraße an Landstreicher verschenkt. Mit ihnen walzte er durch ganz Bnyerr, trat in den Land-Wirtshäusern auf. Dann fuhr er mit einem Handkarren, aus dem er sein Gepäck untergcbracht hatte, durch die Schweiz, hotte Verhältnisse mit Zirkussiamesinnen und später mit der Damcnschaft holländischer Hafenbunkcn. Bald als Neger, bald als Engländer auftretend, ge wann er mit seiner Virtuosität im Nachahmen eines Nacht'gallenductt» das Herz einer ungarischen Gräfin, nahm Reißaus, fiel in die Netze einer, gastierenden Kanonendame und wnrde zum Beschluß von ihrem „Freund", dem Champion einer Athlctentruppe, halb tot geprügelt. Rudinow ging nach Paris. Er raufte sich dort mit Len Impresarios, die ihn kauften, gab russischen Fräuleins Malunterricht, ohne das Hauptgewicht aufs Malen zn legen, und trat im Zirkus auf. In den Last's von Lyon und Marseille portüiicrte er die Gäste. Bezahlung ein Absynth, den ein von der Straße hereingcholtcr Zuhälter für ihn trinken muhte. Denn dieser merkwürdige Mann verab- scheute den Alkohol wie ein Leuknant des Heils armee. Er rauchte «»ch nicht, war fanatischer Vege tarianer und saß bei einer Champagniftorgie, die ihm der Küchenchef eines deutschen Großherzogs in Cannes veranstaltete, als einziger Nüchterner am Tisch, unter dein seine Kumpane lagen. Dafür zeich- nete er sie mit bunten Stiften an die Wände des Klosetts. Dann verschwand er für einige Zeit. Lr war im Kaukasus und kam mit geheimnisvoll ermorde- nem Geld zurück nach Paris, wo er vom frühen Morgen bis in die Nacht in Anfällen eines fanatischen Arbeitseifers beim berühmten Julian malte. Sehr bald ging er wieder zum Brettel, brannte vom „Bataclan" mit Aontraktbruch durch, ließ sich als Schiffsheizer anwerben und ging, als iu einem australischen Hafen Kohlen gelöscht wurden, auf Nimmerwiedersehen ans Land. Nun lebte er im Dusch, machte sich ans Baumstämmen ein Blockhaus, in dem er malt? und fand nebenbei einen Freund. Der war englischer Regierungskommissär nnd trai- nierte Rudinow im Boxen und Fußball, zwei Leibes Übungen, die dem athletischen Mann noch unbekannt waren. Mit einem Koffer, in den er sich .And nkcn" an seine australischen Schönen gep hatte, ging er an Bord des Schiffes, das ihn wieder nach Europa bringen sollte. An Bord holte er sich zum Entsetzen der Passagiere seine Andenken aus dem Koffer und wickelte sic sich um den Arm: Schlangen, denen ec die Giftzähne ausgebrochen oder auch nicht ausge- krochen hatte. In Brisbane kaufte er sich zur Ver vollständigung seiner Menagerie eine Riesenschlange, auf die er übrigens nicht gut zu sprechen war. Er mußte nämlich Zoll für sie bezahlen und sie kam ihm nicht billig, denn das amutige Tier maß zehn Meter in der Länge. In London, wo er bald wieder in der Alhambra auftrat, war er nach seinen ersten Abenden so popu lär, daß ihn die Zeitungsjungen auf der Straße mit „Halloh Rudinow" anriefen. Der berühmte Brauer des „Burton ale" lud ihn in eine seiner großen Ge sellschaften. Rudinow kam, zeigte seine Kunststücke und bedang sich als einziges Honorar, daß er als Mitglied der Society behandelt werden müsse. Bald darauf stellte dieser Zirkusclown in der ihm ein- geräumten Grafton-Galerie seine Oelbilder, Aqua relle und Radierungen aus und man entdeckte, daß der Artist, über den ganz London lochte, eigentlich ein großer nnd merkwürdiger Künstler sei. Der Prinz von Wales, später Eduard VIP, sah sich seine Bilder an, bat ihn zum Speisen und prophezeite ihm eine große Laufbahn. Willy Rudinow holte «inen ongebrannten Korkstöpsel hervor und zeichnete -um Dank das Bildnis Edwards auf» Tischtuch von Damast. Der Ruhm winkte, die Londoner Zeitungen schrie- ben vorne über den Maler, im Pergnügungsanzeiger über den Artisten Willy Rudinow. Inzwischen lief er wieder davon. Er hatte Heimweh nach den irischen Goldgräbern im Transvaal. Er sehnte sich nach Matrosen, Kanonendamen, Thampionringern, noch dem «Wald der blauen Lummibäume", den er gemalt hotte. Er hatte genug von Europa, so sehr genug, daß er überhaupt nicht mehr zurückkam. Europa revanchierte sich. E» vergaß den merkwür digen Menschen, Artisten erbten seine Trick«, seine Bilder wurden verludert, und er selbst ist in seinen Wäldern der blauen Gummibäume gestorben» wenn ihn nicht betrunkene Matrosen in einem indischen, australischen oder chinesischen Hafen erschlagen haben. Hermann Stehr al» Dramatiker. Aus Dresden drahtet unser Vertreter: Abseits vom Strom zünftiger Literaten und der öffentlichen Meinung ist der schwerblütige schlesische Dichter Hermann Stehr ein Großer geworden; einer unserer innerlichsten Er zähler! Langsam ist die Gemeinde seiner Verehrer gewachsen und heute, wo Stehr 60 Jahre alt wurde, ist sie festgefügt. Leider begnügte sie sich nicht damit, den Dichter dort zu verehren, wo er stark und einzig artig ist; in seinen Romanen und Erzählungen. Sie mußte ihn auch auf die Bühne tragen, und so haben die Eifrigen dem Dichter und seinen stillen Verehrern einen peinlichen Abend bereitet. Hermann Stehr hat sich vor 17 Jahren mit einem Drama versucht, es heißt „Meta Kon eg en" und schildert eine un glückliche Ehe. Stehr schrieb hier eine Predigt au» eigenem Erleben und fordert bedingungslose Treue der Gatten, allerdings unter der Voraussetzung, batz keiner über Beruf und Werk den anderen vernach lässige. Das Drama enthält hundert dichterische Schönheiten und Vertiefungen, wie sie die Stehrschcn Erzählungen so wertvoll machen, es enthält aber auch hundert Ueberftüssigkeiten an Personen und Situa tionen de» Bühnenanfängers. Felix Holländer hat bas Werk vor einigen Jahren gründlich zusam- mengestrichen und in Berlin heransgedracht. Der Dichter verleugnete diese Fassung, und die „Meta Konegen" kam nun in der alten Form nn Ncustiidter Schauspielhaus zum 60. Geburtstag Stehrs al» eigentliche Uraufführung heraus. Au» Ehrfurcht vor Stehr, der mit Gerhart Hauptmann in einer Loge der Aufführung beiwohnte, hielt das Publikum vor einer Ablehnung zurück. Gespielt wurde sehr gut, wenn auch die Darstellerin der Titelrolle unzu reichend war. Nach dem b. Akt gab es erst zaghaft, dann stürmischen Beifall, und Stehr wurde auf die Dühne gerufen und mit einem Lorbeerkranz ge schmückt. Dieser Kran- gilt dem großen, wunder- vollen Erzähler. Der gute Ehemann. Das Telephon läutet Sturm. Der Ar-t vernimmt den Anruf eines geplagten Ehe mannes: „Doktor, mit meiner Frau ist was passiert! Sie kann ihren Mund nicht bewegen und kein ein zige» Wort sagen." „Nun, vielleicht ist es Klnnbacken- kramvf," sogt der Arzt begütigend. „Da» ist nicht so sehr gefährlich." „Meinen Sie wirklich?" antwortet der Ehemarm erleichtert. „Nicht wahr, Sie sind so freundlich ,md kommen nächste Woche gelegentlich ein mal vorbei und sehen, wie Sie ihr Helsen können!"