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Morgen - Ausgabe Bezugspreis: L W. »««rteltedrltch M. SXV: für Abholer monatlich M. 1.7», »orch «users aatoArtiäen ffUi«l«i> In« Haut gebracht inonalllch M. 2^8, viertel- Ilhrlich M. S b«, barch »i« Poft innerhalb Deullchlanb« S»samt-4l»«aabe monatlich At. 2L2. »l«rt»li<Ihrl«ch M. S.7S, Morgen Aaggab« M. I^i0 Aben»-«v«g-b, M. P.SY, Sonntaae-An-gab« M. 0«> monatüch taueschlirbllch Postbestellgedahr). Hauptschriftkeiter: Dr. Erich Everth, Leipzig. Skr- S80 UL. Jahrgang Anzeigenpreis: L'.tÄL'« L"W Anzetgo» ». SehSrbo» l« amtk. Teil »i« Kolonelzeiie 80 ». an«». SS P7.: tietn« Anzeige» bi« Kol»a«lzeil« Stl Pf., antwärk« 32 pß^ DeschaftSanzetgen »U Pl»tz»»rlchriften im Preif« «ehliht. Beilagen: Drlamlaufloa« M. 7.— da« Tausend aulschl. Postgebdhr. Lt»z«l>u«^r t« Pt. — Sa»n mrd Festtag« 12 Pf. Fe«r<»rach.»ilchUch«r.l4«L 14«« »»d 14404.— Postsch.chbo»»» 72«. S«drtftl«lt»ng »»d S«s«b4fst«st»ste: .1ohannl«gafi« He.». Verlag: Dr. Reinhold L Lo., Leipzig. 1S18 Freitag, den 1L. 3utt Die Richtlinien der deutschen Politik Die Erklärungen des Reichskanzlers Die Rede des Reichskanzlers, die wir bereits kurz in der gestrigen Abendausgabe veröffentlichten, bat folgenden Wortlaut: .Heber die Vorkommnisse der letzten Tage sind die Herren ja be reits durch die Mitteilungen des Vizekanzlers von Payer unker- likirtel. Ich habe mir aber gesagt, Laß möglicherweise die Herren den Wunsch hegen, das; ich hier erscheine und meine Stellung zu diesen Vor kommnissen offen dorlegc. Der Wechsel im Staatsfekretariat des Auswärtigen bedeutet keinen Wechsel des politischen Kurses. Die Politik des Deutschen Reiches fuhrt verantwortlich allein' der Keich-Kanzler. Der Staatssekretär des Auswärtigen hat die aus wärtige Politik i,m Auftrage, im Einvernehmen und unter der Ver antwortlichkeit des Reichskanzlers zu führen. Das ist von Anfang an cii: Grundsatz des Deutschen Reiches. Dieser Grundsatz steht auch heute fest. An meinem politischen Standpunkt, wie ich ihn in meiner Rede am 29. Rovcmber 1917 in der Vollsitzung des Reichstages seftzelegt t^abe, >xUtc ich sowohl hinsichtlich der inneren als auch hinsichtlich der äußeren Politik vollkommen f c st. Darin wird sich, solange ich an dieser Stelle stehe, nichts ändern. Hinsichtlich der inneren Politik Imbe ich die früher gegebenen Zusagen, soweit es an meinem Willen lag, vollkommen eingrlöst, nnd ich werde dasür eintreten, dah auch die weitere Ausführung der von mir gegebenen Zusagen erfolgt und etwaige Hindernisse mit Energie überwunden werden. Darauf können die Herren sich verlassen. Was die auswärtige Politik betrifft, so habe ich meiner Standpunkt damals, am 29. Rovcmber, deutlich markiert. Ich habe den Herren gesagt, ich stehe auf dem Standpunkt der kaiserlichen Antwort auf die Friedensnote des Papstes vom 1. August vorigen Jahres. Die friedensbereite Gesinnung, die diese Antwort be seelt, beseelt auch mich. Aber ich habe hinzugefügt, daß die friedens bereite Gesinnung dem Feinde keinen Freibrief geben darf für die un absehbare Fortsetzung des Krieges. Was haben wir nun aber erlebt? Wenn an unserer Bereitschaft, für einen ehrenvollen Frieden die Hand zu reichen, nicht gezweifelt werden kann, haben wir bis tn die letzten Tage hinein die aufreizenden Reden der feindlichen Staatsmänner ge kört. Präsident Wilson will den Krieg bis zur Vernichtung, und was Herr Balfour gesagt, mutz je-sIl Dculschetz, >)ip Zornesröte in das Gesicht treiben. Wir haben doch ein Gefühl für die Ehre unseres Vater- landes. Wir können uns nicht unausgesetzt öffentlich auf diese Weise beschimpfen lassen. Hinter diesen Beschimpfungen steht der Vernich tungswille unserer Feinde. Solange dieser Vernichtungswille besteht, müssen wir mit unserem treuen Volk auSharren. Ich bin überzeuat, ich weitz es, dotz in den weitesten Kreisen unseres Volkes der feste Wille besteht: Solange der Vcrnichlungswille unserer Feinde besteht, müssen wir durchhalten, lind wir werden durchhalten im Vertrauen auf unsere Truppen, im Vertrauen auf unsere Heerführung und im Ver trauen auf unser herrliches Volk, das diese schwere Zeit mit ihren grotzen Entbehrungen und fortgesetzten Opfern so wunderbar erträgt. Also an der Richtung der Politik wird nichts geändert. Aber auch dort mutz ich sofort sagen: Wenn sich nun trotz dieser feindseligen Aeutzerungen der feindlichen Staatsmänner irgendwie Regungen für eine Anbahnung eines Friedens oder auch nur der erste Schritt zu dieser Anbahnung zeigen würde, dann würden wir ganz gcwih nicht von vornherein uns ablehnend verhalten, sondern wir würden auf diese ernst gemein- ten — ich sage ausdrücklich ernstgemeinten — Anregungen so fort mit allem Ernst eingehen. Natürlich genügt es nicht, datz dieser oder jener Agent kommt und sagt: Ich kann da und dort Friedcnsbesprechungen herbeiführen. Sondern cs kommt darauf an, datz berufene Vertreter der feindlichen Mächte uns, ausdrücklich be vollmächtigt von ihren Regierungen, zu verstehen geben, dah Bespre- chungen möglich seien, Besprechungen zunächst natürlich im kleinen Kreise: aber die Stimmen, die bisher gesprochen haben, haben von der artigen Möglichkeiten nicht geredet. Wenn solche Möglichkeiten sich zeigen, wenn eine ernste Friedensneigung auf der anderen Sette hervorttttt, dann werden wir sofort darauf eingehen, d. h. wir werden sic nicht zurückstotzen. Wir werden zunächst ick kleinen Kreise sprechen. Ich kann Ihnen auch sagen, datz dieser Standpunkt nicht etwa nur mein Standpunkt ist, sondern dieser Standpunkt auch von der Obersten Heeresleitung ausdrücklich geteilt wird. Denn auch die Oberste Heeresleitung führt den Krieg nicht des Krieges willen, sondern sie hat mir gesägt: Sobald ein ernster Friedenswille sich auf der anderen Seite bemerkbar macht, müssen wir darauf eingehen. ES wird die Herren interessieren, wie sich von diesem Standpunkt aus gewisse Probleme dorstellen, die sich gegenwärtig uns ausdrängen. Es haben in diesen Fragen am 1. und 2. Juli im Grotzen Hauptquartier unter dem Vorsitz S. M. des Kaisers Besprechungen statkgefunden. Ich kann natürlich nur ganz allgemein die Richtlinien nennen, die damals sestgestellt waren. Zunächst bezüglich des Ostens: Wir stehen auf dem Boden des Friedens von Brest-Likowsk und wollen diesen Frieden in loyaler Meise auSgeführk sehen. Das ist der Wiste der deutschen Reichsregierung, und darin sind wir unterstützt von der Obersten Heeresleitung. Aber die Schwierigkeiten der Ausführung des Friedens von Brest-Likowsk liegen nicht aus unserer Seite, sondern diese Schwierigkeiten liegen darin, datz, wie Sie wissen, die Verhältnisse in Rußland noch außerordentlich unklar sind. Wir sind geneigt, an die Loyalität der gegenwärtigen russischen Regierung uns gegenüber zu glauben. Wir sind insbesondere geneigt, an die Lova- lität des Vertreters der russischen Regierung hier in Berlin zu glauben. Aber wir werden nicht so unbedingt annehmen dürfen und können, dah die gegenwärtige russische Regierung auch die Macht bat, die uns gegebenen lonalcn Zusagen überall durchzuführen. Mr wollen durchaus der jetzigen russischen Regierung keine Schwierig keiten macken. Wir stellen uns auf, den loyalen Boden des Friedens von Brest-Litowsk und tun, was wir können, um diesen Frieden durch zuführen. Aber wie die Zustände smb, gibt es unaufhörliche Berwicke langen, unaufhörliche Reibungen in den Grenzgebieten, unaufhörliche Ilebcrgriffe dieser oder jener kleinen Heeresgruppe. Aber ich wieder hole, unser Grundsatz ist: Wir stehen auf dem Boden des Friedens von Brest-Likowsk, und wir werden den Frieden loyal durchführen. Wir wollen mit der gegenwärtigen russischem Regierung loyal verhandeln. Wir alle stehen noch unter dem Eindruck des furchtbaren Verbrechens in Moskau, des Attentats, das an unserem Gesandten dort verübt worden ist. Eine völkerrechtswidrige Tat, wie sie ärger nicht zum Himmel schreien kann. Alle Spuren deuten darauf hin, dah die fluchwürdige Tat auf Anregung der Entente geschehen ist, um uns mit der jetzigen russischen Regierung neuerdings in einen Krieg zu verwickeln. Einen Zustand, den wir auf das aufrichtigste vermeiden wollen. Wir wollen keinen neuen Krieg mit Rußland. Die jetzige russische Regierung will den Frieden und braucht den Frieden, und in dieser friodenSgoneigten Absicht unterstützen wir sie. Auf dec anderen Seite ist ja auch wahr, daß sehr verschiedenartige politische Strömungen durch daS russische Reich hindurchgehcn, Bestrebungen der verschiedensten Art: monarchistische Bestrebungen, Bestrebungen der Kadettenpartei, Bestrebungen der sogenannten Rechtssozialrevolutio- nären usw. Ich sage: wir stehen so, datz wir loyal mit der jetzigen russischen Regierung verhandeln, daß wir nichts unternehmen, was die russische Regierung in ihrer Stellung schädigen könnte; daß wir aber unsere Ohren und Augen offen halten, um uns nicht durch eine plötzliche Umwandlung der dortigen Verhältnisse ins Unrecht setzen zu lassen. Ich kann nur an daS Wort erinnern, das einmal Gortschakow gesprochen t hat: Wir sind stumm, aber wir sind nicht taub, wir lasten uns mit gor j keinen politischen Gegenströmungen ein, aber wir horchen aahnerkscnn nach allen Richtungen in Rußland. Das ist der Standpunkt, den ich einnehme, das ist der Standpunkt, über den auch bei den Besprechungen am 2. Juli im Großen Hauptquartier vollste Klarheit urnd Einverständnis zwischen allen VeteMgtsn erzielt worden ist. Ich kann sagen, daß der Staatssekretär von Kühlmann, der selbst bei.diesen Besprechungen nicht anwesend war — das Auswärtige Amt war aber vertreten durch den Ihnen wohlbekannten Herrn von Rosenberg, der ja der Ge fährte und die sachverständige Stütze Herrn von Kühlmanns in Brest- Litowsk und in Bukarest gewesen ist —, mit diesem Standpunkt voll kommen einverstanden gewesen, und dah die Oberste Heeresleitung eben falls diesem Standpunkt beigetreten ist. Ueber Einzelheiten kann in Einzclfällen da und dort ein« Meinungsverschiedenheit auftreten, aber die Grundlinie ist die, die ich Ihnen eben gezetchnet hab«. Sodann sprach der Reichskanzler von den Gründen, die zum Rücktritt des Staatssekretärs von Kühlmann geführt haben. Er wies darauf hin, dah es keine sachlichen, son dern persönliche Gründe wären, die den Staatssekretär von! Kahlmann veranlaßt haben, um Enthebung von seinem Amte zu bitten. Der Reichskanzler sprach in warmen Worten von den Eigenschaften des Staatssekretärs, dessen politische Erfahrung, treffendes Urteil, unermüd. liche Ausdauer und dessen Geschicklichkeit und Gewandtheit im Ver bandeln er voll anerkannte. Er habe sich von ihm trennen müssen, d a das notwendige Vertrauensverhältnis zwi s'ch en ihm und anderen Faktoren nicht bestanden habe, ein Ver trauensverhältnis, Las für eine Führung der Geschäfte nickt entbehrt werden könne. Dann fuhr er fort: .Der Name des in Aussicht genom menen Nachfolgers des Herrn von Kahlmann ist Ihnen bekannt. Herr von Hintze ist ein sehr genauer Kenner russischer Verhältnisse. Ec ist vor dem Kriege bei der Botschaft in Petersburg beschäftigt gewesen und hat in dieser Eigenschaft große Reisen durch Rußland gemacht. Er ist mit den Verhältnissen und Personen in Rußland sehr eingehend vertraut, was für di« jetzige Lage von großer Wichtigkeit ist. Aber es versteht sich von selbst, daß ich meine Konkrasignierung oder Unterschrift für die Ernennung des Herrn von Hintze nur dann gebe, wenn Herr van Hintze meine Politik macht und nicht seine e'gene. Dafür habe ich aber bereits in den Zusagen des Herrn von Hintze — die Ernennung ist noch nicht erfolgt — meinerseits die beste Bürg schaft. Ich mache die Politik, der verantwortlich« Reichskanzler macht die Politik Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat lediglich meine Politik zu führen. Davon ist der tn Aussicht genom mene» aber noch nicht ernannte Staatssekretär durchdrungen. Ich glaube also, dah ein Grund zur Beunruhigung nicht vorhanden ist. Der Kurs, mit dem sich die große Mehrheit des Reichstages im November v. I. einverstanden erklärt hat, wird weitergeführt.' (Aussprache siehe Seite 3.) Das finnische Freiheitskreuz für Hindenburg nnd Ludendorff Berlin, 11. Juli. (Drahtbericht.) Dem Generalfeldmarschall von Hindenburg und dem ersten Generalqnartiermeifter vsn Lnben- dorff ist durch den Reichsverweser Finnlands, Svinhufvad, das Großkreaz des finnischen Freiheitskreuzes vergehen worden. In seinem an den finnischen Gesandte« in Vertin gerichteten Danktelegramm schreibt der Generalfeldmarschall: Di« wiedererlangte Freiheit und Selbständigkeit, die Freundschaft mit dem Devtschen Reich« werden Finnland zu hoher Blüte führen »nd ihm zum Segen gereichen. Der Hetman der Ukraine an den Kaiser Beileid zur Ermordung Mirbachs Moskau, 11. Inst. (Drahkbericht.) Der Hetman der Ukraine, Skuropatki, hat ans Anlaß der Ermordung des Grafen M i r- bach an den Kaiser folgendes Telegramm gerichtet: Eure kaiser liche und königlich« Majestät wolle mir allergnädigst gestatten, daß ich "l.ichzettig im Romen des ukrainischen Volkes meinem tiefsten Schmerz .'lusdruck gebe über den feigen Mord, de« der Botschafter Em« Ma je stät zum Opfer fiel. Durch die mächtige Hilfe des Deutschen Reiches zum staatlichen Leben wiedererstandev, trauert das ukrainische Volk um den Verlust des Mannes, der immer sich als Freund der Ukraine bewährte. Seine Majestät der Kaiser hat darauf folgendes geantwortet: Eure Exzellenz bitte ich, den Ausdruck meines besten Dankes für die Teilnahme entgegenzunehmen, die Sie mir zugleich im Namen des ukrainischen Volkes aus Anlaß des fluchwürdigen Verbrechens an meinem Gesandten tn Moskau ausgesprochen haben. Oesterr.-ungar. Heeresbericht Wien, 11. IuU. Amtlich wird gemeldet: Auf dem italienischen Kriegsschauplatz keine nennenswerten Ereignisse. In Albanien haben sich unsere Truppe« in ber neuen Wiberstaubslinie eingerichtet. Eine im Devoli-Tale oor- ffihlende französische Kompanie wurde aboewieseu. Berlin, 11. Juli obmids. (Amtlich.) Do« de« Kampffro«te« nicht Reu es. Graf Hertling L. L Die Parteien -es Reichstages, non denen sich keine mit besonderem Eifer für den verabschiedeten Staatssekretär des Auswärtigen persönlich einzusetzen gedachte, waren doch von den Vorgängen der letzten Tage ziemlich überrascht worden, Zwar haben sie kein verbrieftes Recht darauf, vor der Entlassung eines Staatssekretärs gekört zu werden, wie es bei den letzten beiden .Kanzlerwechseln geschehen ist, aber sie batten einen so schnellen ^Vechsel um so weniger vermuten können, als ihnen Herr von Payer, offenbar irn Einvernehmen mit dem .Kanzler, soeben noch aufs bestimmteste versichert hatte, daß an einen Wechsel in der Leitung des Auswärtigen Amtes im Augenblicke nicht zu denken jäk Auch außerhalb der MchrhettSparteicn meinte man, daß Herr von .Kühlmann jedenfalls noch verschiedene lausende Arbeiten er ledigen würde, und mindestens glaubte niemand, daß sein Abschied unmittelbar vor der Bewilligung der neuen Kriegskreditc in die Arena hcreinplatzen würde. Man konnte freilich wohl sagen, datz Kühlmann seine beanstandete vorletzte Rede nicht ganz im Sinne des .Kanzlers gehalten habe; aber der Kanzler halte ja seine Kor rektur oorgenommen und ließ, wie man onnehmcn durste, die „Germania' erklären, daß der Zwischenfall keine weiteren Folgen haben würde. Im Großen Hauptquartier hat sich jedoch das Blatt dann schnell gewendet. Die Entlassung des Staatssekretärs kam zur denkbar ungelegensten Zeit, und Graf Hertling lietz nun wiederum dem In- und Auslande erklären, durch die „Rordd. All gemeine Zektung" und allerlei andere Kanäle, daß von einem Wechsel in der Politik, die Kühlmann in seinem Auftrage und unter seiner Verantwortung geführt habe, keine Rede sein könne. Wenn man das glaubte, war es schwer, sich zu überzeugen, datz der bisherige Träger dieser Politik verschwinden mußte; und um gekehrt, wenn man sich überzeugen ließ, daß diese Trennnng un vermeidlich war, so war es nicht ganz leicht zu glauben, datz wirklich nichts am Kurse geändert werden sollte. Man hätte denn annehmen müssen, die eine Rede habe im Hauptquartier — nicht in erster Linie dem Kaiser, wie man hörte — so mißfallen, datz dies hin reichend erachtet wurde, um einen Wechsel in der tatsächlichen Leitung unserer aittwärttgon Politik zu begründen: Alle diese Fragen, die sich leicht vermehren lassen, machten das Verlangen des Reichstags begreiflich, von dem Kanzler Aufklärung über diesen Ministerwechsel und über seine eigene Stellung zu den kon kreten politischen Problemen der Gegenwart und Zukunft zu be kommen. Dieser Wunsch ist formal nicht enttäuscht worden, Graf Hertling hat sich über beide Fragen verbreitet. Wenn er den Entschlutz zum Rücktritt ausschließlich Herrn von Kühlmann selber zugesprochen hat, so darf man, da hieran nicht zu deuteln sein wird, bekennen, datz dies immerhin die glimpflichste Auskunft war, die man in dieser Lage erwarten konnte. Da der Staatssekretär nun einmal weg ist, ist es wenig stens in mancher Hinsicht befreiend, datz festgestellt ist, er fei ledig lich aus eigenem Antriebe gegangen. Dies braucht wohl nicht näher ausgeführt zu werden. Freilich kann man dem Staats sekretär nicht zutrauen, daß er etwa aus Gekränktheit ob der Miß billigung einer Rede dos Amt im Stiche gelassen hätte, und so bleibt bestehen, datz starke, sachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Obersten Heeresleitung vorhanden gewesen sind, die sich nicht nur auf jene Rede oder wenigstens nicht nur auf eine von dem Staatssekretär nicht anerkannte Auslegung seiner Worte bezogen. Der Kanzler hat ja auch offen ausgesprochen, datz das Vertrauensverhältnis zwischen Herrn von Kühlmann und der Obersten Heeresleitung gefehlt habe — eine dankenswerte deut liche Erklärung. Es war danach aber nur eine Redewendung, wenn er glaubte, die Formel anwenden zu können, es feien ledig lich persönliche und nicht sachliche Gründe für den Wechsel maß gebend gewesen. Das war eigentlich etwas unter dem Riveau des Grafen Hxrtling. Man kann doch nicht gut annehmen, datz die Herren sich nicht persönlich vertragen konnten. Datz Hertling selber die Politik des Staatssekretärs nicht gebilligt habe, bat er nach dem öffentlichen Berichte mit keinem Worte gcsogi. Da bleiben also Widersprüche: Der bis- kerige ausfghrende Träger der Politik Hertling—Kühlmann hek nicht das Vertrauen der Obersten Heeresle rung gehabt, und docy soll diese Politik fortgefüh't werden. Insofern bleibt alles ein'germaßen unklar. - Auch was der Kanzler sonst sagte, brachte wenig Aufklärung. Wem die Lage vorher unter dem Regime Hertling nicht besonders klar vorgekommen ist, dem wird sie jetzt auch nicht klarer erscheinen. Was man zu hören bekommt, ist alles entweder in den letzten "Tagen schon hinlänglich oft versichert worden, oder es war von früheren Anlässen her bekannt. Es ist eine Rede, gegen die sich nichts sagen läßt, für die sich aber auch nicht viel anführen läßt. Man kann allenfalls — aber nur dann, wenn may diese Richt linien der Politik des Kanzlers für unverbrüchlich maßgebend an sieht — beruhigt fein, dah danach in der Tat kein Wechsel in der politischen Richtung vom Kanzler beabsichtigt sei; man kann aber nicht behaupten, datz irgendein befreiendes oder durch schlagendes Wort bei dieser Gelegenheit gefallen sei. Wenn man froh ist, datz Kerne neue Wendung angekündigt wird, so kann man doch nicht gleichermaßen froh sein über das bisherige Programm des Grafen Hertling, weil es nach wie vor recht allgemein gehalten ist und wenigstens tn der äußeren Politik mit dem beliebten Linerseits-AndersettS ausgiebig arbeitet. Es ist merkwürdig: wenn man ihn so hört, so scheint es leidlich, das eine oder andere auch befriedigend — so di« Stellen, an denen Gras Hertling von der Antwort auf die Friedensnote des Papstes oder von unserer jetzigen Stellung gegenüber etwaigen ernsthaften Friedens fühlern der Feinde sprach —, aber obwohl man das alles schon länger kennt, hat man doch bisher keine recht greifbare und be friedigende Vorstellung von der äußeren Politik dieses Kanzlers bekommen! DaS Bild fit und blecht bläh. Dieser geborene Diplo-