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Geistesströ»nungen Neben dem mächtigsten slawischen Reich, neben Rußland, begann seit dem 18. Jahrhundert auch in Polen die Aus einandersetzung mit den Ideen, die im übrigen Europa die Geister bewegten. Polen war seit der Annahme des Christen tums durch den Orden der Deutschritter dem Abendland ver- pslichtet worden und hatte die Aufgabe, die angenommene Kul tur im Dienste des Abendlandes zu bewahren. Dies geschah lange Zeit hindurch mit den Deutschen zusammen, die für Jahr hunderte im Lande blieben und dabei auch Schulen mit grün deten und an der Errichtung der ersten Universität in Krakau 1361 beteiligt waren. Bis ins 18. Jahrhundert hinein bewegte sich deshalb die polnische Geistcsgeschichte Immer i» den gleichen alten Bahnen, und auch als das Kernland Polens 1795 zu Ruhland kam, erhielt sich der nichtorthodoxe Charakter inner halb des orthodoxen Ruhland. Um diese gleiche Zeit aber wur de» auch die Lehren des Westens in Polen weit bekannt. Viele Polen hielten sich damals im Ausland auf, bereisten die euro päischen Hauptstädte und brachten die neuen Ideen mit nach Hanse. Aus Frankreich kam der Rationalismus und die „Aus klärung" und aus Deutschland der Idealismus und die spätere Romantik. Diese letztere sollte, in ihrer fruchtbarsten Form, wie sie in der deutschen Kunst als Kttndcrin des Christentums sich zeigte, auch an Polen, ähnlich wie in Ruhland, grohc Werte vermitteln, und sie erwies sich auch hier als die starke Gegen spielerin gegen die übrigen Strämungen, auch gegen den bald austretenden Materialismus. Jedoch im Gegensatz zu Ruhland kam cs auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften in Polen nicht zu Gipfelleistungen einzelner Persönlichkeiten — wenn man von den Dichtern absieht, die zugleich Philosophen waren — sondern es bildeten sich Gelehrten g r u p p e n . die die Träger der Wissenschaften wurden, die aber keine selbständige polnische Philosophie hervorbrachtcn. Das erste Lehrbuch der Logik In polnischer Sprache schrieb am Ausgang des 18. Jahrhunderts der Pole Kasimir Narbutt. Lbwohl dieses Buch inhaltlich sich ganz in den überlieferten Bahnen bewegte, so fand es doch Beachtung, weil cs mit der lateinischen Neberlieferung brach und zum ersten Male die Phi losophie in der Heimatsprache darbot. Der Philosoph Sniadecki suchte die neuen westlichen Lehren, soweit sic ihm als gefähr lich erschienen, schon vor dem Durchbruch der Romantik dadurch abzuwehren, dah er sich für eine neue, von grösserer Klarheit und Anschaulichkeit getragene Philosophie der Scholastik ein setzte. Er war Professor in Krakau und machte sich auch um die Förderung der mathematischen Wissenschaften und der Astronomie verdient. Er starb 1838. Die eigentliche Stadt, wo am frühesten und am meisten die euroväischen Philosophien bekannt wurden, war Warschau. Diese Stadt war einige Jahr zehnte vorher Hauptstadt Polens geworden, weshalb sich hier auch die meisten Polen, die im Ausland gelebt hatten, wieder zusnmmcnfandeu und die „Welifragen" erörterten. Zwiespältig zwischen den Richtungen hin- und herschwankend, zeigte sich der Philosoph und Mathematiker Wronski, der von 1778 bis 1853 lebte und der Wegbereiter des polnischen Messianismus wurde, worunter jene Lehre zu verstehen ist. die das polnische Volk als das auserwählte Volk des Ostens vor allen anderen keirachtete. In dieser Anschauung folgte ihm der überspannte Cieszkowskl. der den Messianismus als Geschichtsphilosophie zu entwickeln suchte. Andere traten in milderer Form für die neue Lehre ein. indem sie sie von der christlichen Sendung Polens her zu begründen suchten, um dadurch auch das Volk in grötzercn Massen für sie zu gewinnen. Aber In dem ganzen Streit, der daraushin entstand, erklärte die offizielle Kirche, dah die Ideen des Messianismus nicht mit denen der Kirche iin einstigen ^)slen WisseiMaften neben der Universität errichtet. Von dieser letz teren gingen viele Anregungen auf fachwissenschastlichem Gebiet aus, und schliesslich kamen noch andere Akademien hinzu. Die alte Universität bewahrte jedoch ihren Vorrang, trotz aller An strengungen der später gegründeten Warschauer Universität, die ihr den Rang abzulaufen trachtete. Sie umfasste nach dem Kriege 5 Fakultäten und wurde von annähernd 8000 Studenten besucht. Eine Krakauer Kunstakademie wurde 1900 errichtet und eine Bergakademie 1919. Die Universität in der späteren polnischen Landeshaupstadt Warschau wurde 1816 gegründet. So schnell wie das kleine Warschau, das noch 100 Jahre vorher ein Dorf gewesen war, mit der Erhebung zur Hauptstadt künstlich vergrötzert wurde, so schnell wuchsen auch hier die neueren Geistesbewegungen an. Warschau öffnete ziemlich weit seine Tore allen Fremden, und die Universität tat dabei das ihrige. Auch die „gelehrten Ge sellschaften", die überall gegründet wurden, mischten sich in die Auseinandersetzungen ein. So wurde manches Nichtbodenstäu- dige und Ungesunde für echt ausgegeben, manches Gefährliche wurde als ungefährlich dargeboten. Warschau versäumte vor allem, seinen geistigen Nachwuchs In genügendem Matze aus den gesünderen Schichten der Landbevölkerung zu ergänzen, und begünstigte statt dessen das rein städtische Element. Die Universität wurde immer weiter ausgcbaut, und zu ihrer Ent lastung, d. h. zur Bewältigung der mehr technischen Wissen schaften, wurde 1898 eine erste Technische Hochschule gegründet, zu der eine Landwirtschastliche Hochschule bald hinzutrat. 1901 folgte eine Kunstakademie, und 1906 erhielt Warschau eine zweite Universität, wodurch die geistigen Auseinandersetzungen auch in der breiten Oesfentlichkeit noch zunahmen. Diese Zweite wurde die „Freie Universität Polens" genannt die zwar eben falls stark begünstigt wurde, ober der keine besondere Entwick lung bcschieden war. Sie blieb auf den zehnten Teil der Hörer der eigentlichen Universität beschränkt. Nach dem Weltkrieg wandte sich das Warschauer Geistesleben den modernsten Rich tungen zu, bald hierhin, bald dorthin, und die echte Forschung hatte einen schweren Stand. Dagegen wurden ans technischem und naturwissenschaftlichem Gebiet grötzerc Fortschritte erzielt. Noch während des Weltkrieges 1916 war auch eine „Hochschule für Politik" gegründet worden, die nach dem Kriege fortbe stand, und viele Bibliotheken, Archive nnd Museen reihten sich an. Die letzte polnisctie Statistik wies 126 Bibliotheken mit zusammen 2,6 Millionen Bänden In Warschau auf. 26 Museen und 12 Archive, während als „Gelehrte Gesellschaften" 81 be zeichnet wurden. Von Interesse mag noch sein, datz von den etwa 360 Warschauer Volksschulen rund 120 jüdische Schulen waren. Warschau wies auch einen überaus hohen Bestand an Lichtspielhäusern auf. deren Zahl sich auf rund 60 belief, wäh rend die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften sogar auf 800 anstieg. Die in Wilna seit 1919 wieder eröffnete Universität be< ivahrte nach dem Kriege einen starken konservativen Charak ter, Wilna, die heutige Stadt Litauens, die an die alte Ver bindung Litauen—Polen erinnert, wo Litauen die Könige stellte, und wo — trotz der späteren Polonisierung — doch der litauische Volkscharakter sich stark erhielt, war stets eine Stadt, die sehr am Alten hing, die einen ländlichen Zug bewahrte und gern die geistig reifsten Kräfte vom Lande aufnahm. So klein das erste Stndienkolleg war, das 1678 gegründet wurde, aus dem 1803 die Universität hervorging, so gediegen und um fassend war die Ausbildung, und als 1832 nach den Aufständen in Wilna die Universität geschlossen wurde, blieb doch das geistige Interesse weiter sehr rege. Als Ersatz entstanden viele Bildunqszirkel, in denen die höheren Wissenschaften weiter vermittelt wurden, und man wusste sich „aus jede Weise zu helfen". Die nach dem Weltkrieg wieder crönnele Universität wurde von -1000 Hörern besucht, und auch als Polen 1923 Wilna besetzte und die Universität pol nisierte, blieb das litauische Element stark. Für den ganzen Norden Polens wurde die Universität das matzgebende geistige Zentrum, das sich in einen nicht geringen Gegensatz zu dem liberale^ Warsci-au setzte. Von dem Streben Wilnas - in einige Schichten drang auch der Liberalismus vor — gibt auch der Umstand Zeugnis, datz neben der Universität noch 30 Hochschulen und 2l Gelehrte Gesell schäften gegründet wurden. Ausserdem 13 Bibliotheken Neben Wilnci ivar Lemberg jenes Bildungszenlrum, dos ebenfalls als nicht rein polnische Stadt lange zu Polen gehörte. Lemberg war eine Gründung der Ukrainer, und ob wohl es 1310 zu Polen kam, um später, 1773, österreichisch zu werden und nach dem Weltkrieg wieder polnisch, so blieb es doch der Mittelpunkt der galizischen Ukrainer Die 1661 von König Kasimir gegründete Universität bestand bis aus unsere Tage fort und zählte nach dem Kriege 8000 Hörer. Nur langsam drangen nach Lemberg die Ideen Westeuropas vor und fanden oft eine heftige Abwehr. In der österreichischen Zeit wurde die Zahl der Lehranstalten vermehrt, und weil in Lemberg auch die Wirtschaftsfäden Ostgaliziens znsainmen- liesen, so wurde 1811 noch eine Technische Hochschule gegründet, zu der eine Hochschule sür Autzenhandel kam. Eine eigene pttOIO pnovo rrvkNkk vkkrvkn z r« k p «,, , ,/,0 V a «1 P«OIO „Ukrainisci-e Akademie" war schon 1783 ins Leben gerufen worden, und ebenso bestand ein Ukrainisches Nationalmuseum und eine Musikakademie. In Lemberg trat von jeher neben dem abendländisch ausgcrichteten christlichen Geist auch die orthodoxe Weltanschauung hervor, da hier die orthodoxen Ukrainer ganz Galiziens sich ihre zentralen Bildungsstätten schufen, so datz die Geisteskämpse auch von dieser Seite Auf trieb erhielten. Eine besondere Stellung hat nach dem Kriege die Stadt Lublin im Osten Polens eingenommen Dort wurde 1918 eine ganz neue Universität gegründet, die die konservativste Haftung in ganz Polen cinnahm und die darum auch die regste Gegnerin des liberalen Warschaus ivar. Sehr laut ist in Lublin die Stimme erhoben worden, die das Gewissen Warschaus auszurütteln suchte, die den Liberalismus ver dammte. Tüchtige Lehrer waren an der Lubliner Universität tätig, und die Söhne angesehener Familien lagen hier ihrem Studium ob. — Die im Jahre 1919 in Posen gegründete Universität konnte sich deshalb so schnell entwickeln, weil in dieser vorher deutschen Stadt eine große Zahl von Lehranstal ten bereits bestand, deren natürliche Krösuna die Universität wurde. Sie brachte es zu einer Besucherzahl von 6000. A. aleichznfetzen seien. Eine erste Raste als Messianlst spielte der 1799 geborene, lange in Paris wellende Towianski, der sich als Mystiker ausgab, indem er aus einem Gemisch von panthe istischen. freimaurerischen und katholischen Gedanken sich eine eioene Philosophie schuf und mit betörenden Worten auf seine Umaebung Einflutz gewann. Er galt sogar bei vielen als Wun dertäter. und er zog besonders die Im Ausland lebenden Polen in seinen Bann. Towianski starb nach einem wechselvosten, an „Erfolgen" reichen Leben 1878 In Zürich. Der polnische Dichter Mickiewicz. der auch in Paris lebte, stand ihm zeitweise sehr nahe, doch dieser grösste unter den polnischen Dichtern, der am meisten von der deutschen Romantik ausging und auch als Philosoph sich einen Namen errang, schlug doch schltetzltch seine eigenen Wege ein. Er hnt die Romantik In der polnischen Geistesgeschichte zur eigentlichen Höhe geführt, ist ihr Prophet neworden. Ihr Wegbereiter, olnvohl auch er von Irrtümern nnd Leidenschaften in seinen Werken nicht frei blieb Ein anderer Anhänger Towlanskis war der philosophierende Dichter Slo- wackst. der ebenfalls in Paris lebte. Er schrieb die „Genesis an? dem Geist" und den „König Geist", worin er In über mässiger Weise seiner eigenen Persönlichkeit huldigt und den menschlichen Geist znm Mittelpunkt der Welt macht. Beson ders gefährlich für Polen wurde die Philosophie des Materia lismus. die sich als die Uebsrwinderln der Romantik bezeich nete und vielfache Wege ging. Dieser Materialismus fand zwar keine hervorragenden Einzelpersönlichkciten als Vertreter und Verteidiger, aber er stickte sich um so mehr auf breitere Schich ten. vor allem auf den Adel, auszudehnen. Ihm trat der Phi losoph Gabrgl besonders eifrig entgegen, weil er in ihm di« leiste nnd schlimmste Auswirkung der westlichen „Aufklärung" sah, gegen die sich der Philosoph Sniodecki schon mit dem glei chen Eifer gewandt hatte. Gabrgl, der Neuscholastiker war, kämpfte mit scharfen Waffen und bot alles auf, auch andere für diesen Kampf zu gewinnen. Dabei war er starken An feindungen ausgesetzt, jedoch er ließ sich nicht beirren und fuhr In seiner Abwehr bis zum Weltkrieg fort, bei besten Ausbruch er 191-1 starb. Seine wissenschaftlichen Arbeiten haben sich auf olle Gebiete der Philosophie erstreckt, so datz er als umfastender Philosoph der Neuzeit zu getten hat. Was die Scholastik an belangt, so hatte diese überhaupt seit dem 18 Jahrhundert wiederholt In die Geisteskämpse eingegriffen. Nicht zuletzt dort, wo sich immer wieder «Ine neue verschwommene Philosophie Ker Mystik mit „mystischen Zirkeln" bilden wollte. Diese Mystik war zeitweise nicht nur deshalb verschiedenen Schichten ge fährlich. weil sie die Geistesgrundlagen untergrub, sondern auch weil sie keinen genügenden sittlichen Grund hatte. Die Scho lastik oftm vielerorts erfolgreich gegen sie vor: aker die Zahl der „Mystiker" blieb doch verhältnismässig arok. besonders als man die Indische Philosophie In ihren Dienst stellte und viele indische Schriften ins Polnische übersetzte. Der bekannteste philosophierende „Mnstiker" wurde der Pole Lntoslawski. der in sieben Sprachen über aste möglichen Dinge schrieb. Philo sophierende Notnrforscher und Mesellschaftslehrer kamen hinzu, von denen die einen wirkliche Mahrhettssucker waren, die an deren die Wahrheit nur verdunkelten Auf diese Weise ent stand auch In Bolen ein sehr buntes Bild auf geistigem Gebiet, das bis zum Weltkrieg nutztest und dann in den 20 Nachkriegs- ia>>ren nicht abklang, sondern durch die neuen Nachkriegs- üromuuaen noch „bereichert" wurde. Sowie die Wahrheit viele Anwäfte erhielt, so standen auch ebeusoviele Geister gegen sie. Die im Jahre 1364 gegründete Krakauer Universität war im Jahre 1800 ganz neuzeitlich eingerichtet worden. Diese Mo dernisierung hatte zwar auch das Eindrimzen neuer Strömungen zur Folge, aber lm allgemeinen blieb Krakau seiner Tradition noch längere Zeit hindurch ziemlich treu, zumal es sich als den allen geistigen Mittelpunkt ganz Polens — auch nach der Er hebung Warschaus zur Hauptstadt — betrachtete, wo die pol nische Kultur ihren eigentlichen Anfang genommen hatte. Ne ben der Philosophie und Theologie wurde hier In der prak tischen Mathematik und in den angewandten Naturwissenschaf ten Gutes geleistet, und 1873 wurde noch eine Akademie der Der Mensch als Urform / So vielfältig die Wandlungen im einzelnen auch waren, denen die Wissenschaft der Neuzeit in den etwa dreieinhalb Jahrhunderten ihres Bestehens unterworfen wurde. — ihre geistige Grundstruktur, die sich seither nicht geändert hat, emp fing sie schon in dem Jahrhundert ihrer Geburt Als im 16. Jahrhundert durch die neue kopernikanische Wcltlehre die Wohnstätte des Menscl»en, unsere Erde, aus ihrer zentralen Stellung als Mittelpunkt des Weltalls, für den man sie bis dahin gehalten hatte, „verdrängt" wurde und in der Folgezeit durch den weiteren Ausbau unseres astronomischen Weltbildes dann sehr rasch zu einem noch dazu recht bescheidenen Stern unter Millionen von Sternen in einem unendlichen Weltall „herabsank", glaubte man nämlich aus diesen geivaftigen Um wälzungen in unserem äutzeren Weltbild sür das innere Welt bild, für die innere geistige Grundhaltung des Menschen den Schluß ziehen zu müssen, datz dann auch der Bewohner der Erde, der Mensch, nicht das bcl-auptete Ziel und der Mittel punkt eines göttlichen Schöpsungs- und Erlösungswerkes sein könne. Das bedeutete aber in der Praxis nichts Geringeres als die Loslösung der Wissensclmft von dem sie bis dahin tragenden Grund des alten Schöpsungs- und Erlösungsglaubens und ihre Neugriindung ausschließlich in der Vernunft des Menschen. So wurde also in dem Augenblick, als durch die Entdeckungen von Männern, die in ihren Forschungen selbst noch von einer tiefen Religiosität geleitet wurden, sich das Bild des äußeren Kosmos weitete, durch eine verhängnisvolle Verwechslung von Aeutzerem und Innerem eine Wissenschaft ausgcbaut, die das in der Seele de» Menschen ruhende Bild des Inneren Kosmos, das Wissen um den Menschen als einer innerlich-ganzheitlichen Schöpfung Gottes, glaubte preisgeben zu wüsten. Diese kurzen Ausführungen über die Grundl>altung des modernen Denkens waren notwendig, um verständlich werden zu lassen, warum am Ende seines Weges im 20. Jahrhundert jene angeblich „voraussehungslose" Wissenschaft stehen konnte, die bei asten Erfolgen im Aeußerlich Technischen methodisch nnd weltanschaulich nichts anderes als plattester Materialismus ivar. Jene „voraussehungslose" Wissenschaft, die in den Diszi plinen, die sich die Erforschung der Entwicklungsgeschichte des Lebens zum Ziel gesetzt haben, in dem „Schlagwort der dem agogischen Deszendenztheoretiker, der Mensch stamme vom Affen ab" endigen konnte. Tatsächlich wird es wohl sür immer denkwürdig bleiben, daß das moderne, auf der Autonomie der menschlichen Vernunft aufgebaute Denken, an dessen Anfang die Verleugnung der Geschöpflichkeit des Menschen steht, an seinem Ende dazu geführt wird, den Menschen seiner zentralen und einzigartigen Stellung der Tierwelt gegenüber zu berau ben. indem sie ihn als spätes Entwicklungsglieü mitten in das natürliche Werden der organischen Natur hineinstellt. Diese Besinnung gibt uns aber zugleich auch den rich tigen Maßstab für die Beurteilung des bisherigen Lebens werkes Edgar Daegu ös. Wohl kaum ein anderer Gelehr ter unserer Zeit hat so klar wie dieser Urweltsorscher erkannt, daß es bei dem Kampf um die Abstammung des Mcnlchcn vom Tier nicht um diese oder jene wissenschaftlichen Meinungen ging, sondern um eine bis in die letzten Tiefen reichende Er schütterung unseres religiösen und kulturellen Lebens durch eine geistige Grundhaltung, für deren Kultur- und lebensseind- liche Einstellung die behauptete Abstammung des Mensci-en vom Affen nur letzter und sinnfälligster Ausdruck war. Man hat Dacquö wohl gelegentlich als den entschiedensten Gegner Corwins und seiner Schüler und Nachfolger bezeichnet, und das ist gewiß richtig, denn sein Werk bedeutet tatsächlich die endgültige Widerlegung der Darwinschen Abstammungslehre. Aber er war und ist doch immer zugleich mehr als nur in weit» forscher. Seine eigentliche Bedeutung liegt vielmehr darin, daß er. wie schon angedeutel, die tieferen Zusammenhänge mit voller Klarheit erkannte und sein Kamps darum nie nur dem Darwinismus, sondern immer zugleich der ganzen in ihm zum Ausdruck kommenden geistigen Grundhaltung gilt, lind so wurde dieser Forscher zugleich zu dem en'.schiedenslen Gegner jener ganzen uns vom Westen her ausgedrängten und daxum nn Wesenskern fremden Wissensckaslsmethode, die durch eine endlose Anhäufung von totem Wissensstoff und seine Verar beitung nach dem äußerlich materialistischen Denkprinzip von Ursache und Wirkung glaubte an die Natur und das Leben heranzukommen und sich in Wirklichkeit immer heilloser^ von ihnen entfernte. Das Neue aber, das Daegu,"' an ihre Stelle setzte ist seine aus dem faustischen Drang des deutschen Den kers geborene „Innen schau" der Natur und des Lebens, der es nicht mehr um diese oder jene Einzelerkennl- nis geht, sondern darum, „in den Innenraum des Natur geschehens" cinzutrcten, um „in den Dingen nnd Erscheinungen die urbildhaftc Wesenheit" zu erleben und dadurch wirklich „zum Sinn, zur Bedeutung, zur Ursache der Erscheinungen" zu erlangen. Den ersten, entscheidenden Schritt dazu bedeutet das weil über die Fachkreise hinaus bekannt gewordene Werk „Urwelt, Sage und 'Menschheit" <192-1, 367 S., wie alle im folgenden genannten Bücher im Verlag Oldenbonrg, 'München Berlin, er schienen). Jene naturlsistorisch metaphysische Studie, in der der Forscher zum ersten Male die Erkenntnisse der modernen Ur geschichtsforschung in Beziehung setzte zu den Aussagen der uns von fast allen Völkern überlieferten uralten 'Mythen, Sagen und Kosmogonie». Das Ergebnis dieser genialen Zu sammenschau mar ein doppeltes: cs gelang ihm damit nämlich nicht nur, auf naturhistorisä)em Gebiet die von ihm vertretene Ansclzauung im höchsten Grade ivahrscheiniich zu machen, datz der Mensch in Wirklichkeit schon uranfängiich ein eigenes Wesen, ein eigener Stamm gewesen sein mutz, — sondern die ses Werk war auch die eindeutige Bestätigung dasür, datz die Naturwissenschaft nur dort zu wirklich fruchtbaren Erkennt nissen geführt wird, wo sie wieder den Mut zur Metaphysik hnt. Der damit cingeschlagene Weg bedeutete freilich nach der Situation, die Edgar Dacquö vorfand, nichts Geringeres als die Notwendigkeit des Aufbaues eines ganzen neuen Welt bildes. Tatsächlich enthält denn anch der zweite, dem natur- hislorisäien folgende metaphysische Teil non „Urwelt. Sage und Menschheit" bereits alle wesentlichen Elemente zu einer solchen umfassenden Wesensschau der Welt und des Lebens. Wer das bisherige Lebenswerk dieses Forschers verstehe» will, wird darum vor allem auch immer wieder auf dieses Buch zurück greifen müssen, denn man kann geradezu sagen, datz alles, was Daegin'- seither geschrieben hat. im Grunde nichts anderes ist als die weitere Entfaltung und Vertiefung dessen, was hier Keimhaft vorgebildel ist. Das gift nicht nur für die beiden rasch folgenden Merke „Natur nnd Seele" <1926, 200 S f und „Leben als Symbol <1927, 264 Sf, die in erster Linie dem weiteren philosophischen Ausbau seiner Naturlehre dienen, der dann 1933 in dem schmalen, aix-r bisher reifsten Buch „Natur und Erlösung" <146 S.) seine erste äutzere Abrundung erfährt, sondern auch sür die nur scheinbar in loserem Zusammenhang damit stehende Schrift „Vom Sinn der Erkenntnis" <1932. 196 S.). Es gilt aber auch ebenso sür das -930 ersch». neue, groß angelegte Werk „Die Erdzeitalter" <665 S., Le»Il.--yformaI). denn, ging es in dem bislx-r Genannten gewissermaßen um die weitere Ausgestaltung des metaphysischen Teiles von „Ur welt, Sage und Menschheit", so erfolgt hier die gewaltige