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65 stand, daß du mich beständig belügst, benimmt deinen Worten allen Glauben. Ich schwöre es dir bei allen Göttern, sagte Cybele, daß heute sich dir alles lösen wird, und daß du von jeder Sorge befreit sein wirst; richte dich vorher nur nicht selbst zu Grunde, sondern koste nach einem Fasten von so vielen Tagen willig, was eben bereitet ist. Endlich nach manchem Widerstreben gehorchte Charikleia, sie argwöhnte zwar die gewöhnliche Täuschung, glaubte aber dem Schwure und nahm willig die Lieblichkeit der Verheißungen an. Denn was die Seele wünscht, pflegt sie auch zu glauben. Sie lagerten sich also und aßen. Als das nufwarteude Mädchen Becher mit gemischtem Weine brachte, nickte Cybele ihr zu, zuerst der Charikleia zu reichen, und dann nahm sie selbst einen Becher und Trank. Kaum hatte die Alte alles ausge trunken, so sah man sie schwindlig werden, sie goß den kleinen Rest aus und wurde mit einem grimmigen Blick auf ihre Dienerin von den hef tigsten Zuckungen und Krämpfen gepeinigt. 8. Bestürzung ergriff sowohl Charikleia, die die Alte aufzurichten versuchte, als auch alle übrigen Anwesenden; denn das Gift, das schneller als ein Pfeilschnß zu treffen und ausreichend schien, auch einen Jungen und Blühenden hinzuraffen, drang damals, da es in einen alten und schon vertrockneten Körper kam, schneller, als man sagen konnte, in die edleren Theils. Das Auge der Alten entzündete sich, die Glieder hingen, als die Zuckungen nachließen, unbeweglich herab, und die Haut überzog eine schwärzliche Farbe. Doch eine hin terlistige heimtückische Seele ist, glaub' ich, noch verderblicher als Gift. Cybele wenigstens ließ auch im Sterben nicht von ihren Schändlichkei- ten, sondern gab theils durch Winke, theils durch undeutliche Worte zu erkennen, daß Charikleia es sei, die ihr nachgestellt habe. Und zu gleich verschied die Alte. Charikleia wurde in Bande gelegt und so gleich vor Arsace geführt. Als diese sie fragte, ob sie selber das Gift bereitet habe, und, falls sie nicht die Wahrheit sagen wollte, ihr mit Züchtigungen und Martern drohte, bot Charikleia den Zuschauern ein nie gesehenes Schauspiel; denn ohne den Blick niederzuschlagen und etwas ihrer Unwürdiges zu thun, sah man sie mit ihrer gegenwärtigen Lage ihren Scherz und ihren Spott treiben; theils kümmerte sie sich ihres guten Gewissens wegen nicht um die Chikane, theils freute sie sich zu sterben, da Theagencs nicht mehr wäre, und des Frevels der Heliodor. II. o