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Bundeskanzler Seipel s. Jos Wkll gWliz Schkls. )( Wien. 1917 erschien das Werk eines jungen Prie sters, eines homo novus in der Politik: „Gedanken zur österreichischen Verlass ungsrefor m". T er Krieg neigte sich bereits seinem Ende zu. Tie forschenden Streike des Donaureiches begannen zu fühlen, das; das Er wachen der geschichtslosen Völker den Rahmen der altehr würdigen Toppelmonarchie zu sprengen drohte. Sie sannen ans Abhilfe und betrauten den jungen Profefsor für Moral theologie au der Universität Wien, Tr. Ignaz Seipel, mit dem Studium der österreichischen Verfassungsfragen, nm zu Nutz und Frommen der Kirche richtungweisend in den schon sichtbar werdenden Umbau der Monarchie ein greifen zu können. Seipels Buch ebnete ihm den Weg in die Politik, aber das Problem einer neuen Verfassung lies; ihn seither nicht mehr los. 1918, ein Jahr, nachdem Seipel sich mit seinen Gedanken zur österreichischen Verfassungsreform seine be sondere Note geschaffen hatte, trat er in das letzte K. K. Kabinett Lammasch ein. Wenige Wochen später war die österreich-ungarische Monarchie gewesen. Ern neuer Staat, Deutsch-Oesterreich, rief ihn ans alte Werk, die Ausstellung einer Verfassung. Seipel wurde Führer der grössten bürger lichen Partei Oesterreichs, der Eh istl ch-Lvzi^l n Er wurde Abgeordneter und erlangte dreimal die höchste Würde, die einem ausgesprochenen Partermann zuteil werden kann, das Amt des Bundeskanzlers. Er verschaffte seinem Lande die notwendigen Kredite, überwand die gefährlichste inner politische Krise Oesterreichs, die des 15 .Juli 1927, wurde ge stürzt, arbeitete hinter den Kulissen weiter, alles kühl, ge fühllos — der Prälat ohne Milde, hiess er — seinen theoretischen Abstrakt hingegeben. Politik ist für ihn stets nur ein starres System theoretischer Kombinationen ge wesen, wie es ain deutlichsten im Zustandekommen seines ureigensten Werkes, des Genfer Vertrages vom 4. Oktober 1922, zutage tritt. Als im August 1922 der wirtschaftliche Zusammenbruch der Republik Oesterreich drohte, trat der österreichische Bundeskanzler Seipel seine berühmt gewordene Reise nach Prag, Berlin und Verona an. In Verona bot Seipel Italien eine Währungs- und Zollunion mit Oesterreich an, für die Italien das Land vor der drohenden Währungs katastrophe retten sollte. Ein „größeres Italien", das sich bis zur Donau erstreckt und in Oesterreich die Brücke zu Ungarn hätte, war mit den Interessen der Tschechoslowakei und Jugoslawiens unvereinbar. Seipels Projekt hatte Mitteleuropa in schwerste Verwicklungen stürzen müssen: es ries den tschechoslowakischen Außenminister Benesch auf den Plan. Benesch begann, den Gegenstoß zu führen. Es galt Oesterreich finanziell ausreichende Hilfe zu bringen und andererseits zu verhindern, daß sich das Land einer anderen Macht, Italien oder Deutschland, in die Arme werfe. Als die Großmächte fünf Tage vor Seipels Reise den Völkerbund ansforderten, „die Lage Oesterreichs zu untersuchen", da war dies eine kaum verhüllte Ablehnung der österreichischen Bitte um Kredit. Als im Oktober die Protokolle von Genf unterzeichnet wurden, hatte Seipel auf der ganzen Linie gesiegt. Da zwischen lag seine Reise. Er hatte ein gefährliches Spiel gespielt und alles auf eine Karte gesetzt, aber so wag halsig sein Spiel auch war, es glückte ihm. Oesterreich erhielt eine Anleihe von 650 Millionen Goldkronen gegen dje Verpflichtung, keinerlei Bindungen einzugchen, die seine wirtschaftliche oder politische Unabhängigkeit gefährden könnten. Seipel hatte kühl kombiniert, wie nur ein genialer Schachspieler: Der Gegenzug Beneschs war von ihm provo ziert. Darüber hinaus aber war durch die Genfer Be dingung die erste Periode in der Geschichte der öster reichischen Republik endgültig liquidiert, die der Anschluß bestrebungen, die von der österreichischen Sozialdemokratie in erster Linie betrieben wurden, und in der Verfassung ihren Niederschlag gefunden hatten. Ter Kampf zwischen dem Deutschtum und dem Altösterreichertum, der die junge Geschichte Deutsch-Oesterreichs erfüllt, war vorläufig zu Gunsten des Altösterreichertums entschieden. Der Anschluß war versperrt, man konnte sich mit einem neugestärkten Alt österreichertum einer neuen Verfassung zuwcnden. Tie Heimwehrepisode, die nun folgte, ging unter der Parole: „Verfassungsänderung." R »WeM W Mm Mim«. MWW Oki MllMNSMkWS. ' )( Wien. In der gestrigen Nationalratssitzung führte in der abschließenden Debatte über den Anleihevertrag der großbeutsche Abgeordnete Zarboch in einer Polemik gegen den Abgeordneten Kunschak aus, der Wortlaut der Rede tkuuschaks stelle eine Beleidigung der deutschen Neichsregie- rung dar, und man hätte erwarte« können, daß der Bundes kanzler oder der Präsident des Hauses aus diese Aeußerung in irgendeiner Form Bezug genommen hätte. Abgeordneter Zarboch stellte die Frage, ob die Negierung die Reben der Abgeordneten Kunschak und Aigner zum Anlaß genommen hätte, um der Deutschen Reichsregierung gegenüber ent sprechende Erklärungen abzugeben, bzw. was sie, falls dies bisher nicht geschehen sei, in dieser Angelegenheit zu unter nehmen gedenke. Der Redner wiederholte dann im wesent lichen die Gründe der Großdeutschen gegen den Anleihe vertrag und erklärte, daß der überwiegende Teil der öster reichischen Bevölkerung von der Ueberzeugung durchdrungen sei, daß als einzige Möglichkeit, aus dieser Not herauszu kommen, der Zusammenschluß aller Deutschen in Mittel europa betrachtet werden müße. Als letzter Redner in der Anlethedebatte hob Abgeord neter Neuftädter-Stürmer gegenüber seinen sozialdemokra tischen und großdeutschen Vorrednern hervor, daß der An schluß durch die Friedensverträge verboten sei, und zwar nicht bis zum Jahre 1942 und 1952, sondern für alle Zeiten. Es sei also nicht wahr, daß der Vertrag von Lausanne oder das Genfer Protokoll den Anschluß hinausschöben, sondern der Anschluß sei eben schon durch die Friedensvcrträge hin- ausgeschoben worden. Er werde an dem Tage kommen, an dem Oesterreich und Deutschland die Macht hätten, ihn zu erringen, keinen Tag früher und keinen Tag später. Nach dem Gesichtspunkt, daß die Macht die Welt regiere, gebe es aber in Oesterreich und Deutschland nur eine Politik, und die bestehe nicht im Phrasendreschen, sondern darin, zu arbeiten, um stark zu werden. Hierzu könne die Anleihe für Oesterreich nützlich sein, wenn sie als eine Atempause benutzt würde, nm in dieser Atempause den wirtschaftlichen Aufbau durchzusühren. Ter Redner schloß: Nationalpolitik treibt, wer den wirtschaftlichen Ausbau ermöglicht; aber wer ihn hindert, ist ein Verräter an seinem Volk. Bundeskanzler Dr. Dollfuß erhielt hieraus das Wort zu folgender Erklärung: Ich lege Wert daraus, die erste An frage, die Abgeordneter Zarboch über die Ausführungen des Abgeordneten Kunschak an die Negierung gerichtet hat, un verzüglich zu beantworten. Ich habe die Ausführungen deS Abgeordneten Kunschak durchaus nicht so verstanden, und sie waren auch nicht so zn verstehen, daß er der Deutschen Neichsregierung den Vorwurf gemacht hat, diese hätte Emis säre nach Oesterreich gesendet — eine solche Aeußerung hätte ich sehr bedauert und richtiggestellt —, sondern er hat die Deutsche Neichsregierung gebeten, Herren, die sich zur per sönlichen Einflußnahme gegen die Anleihe nach Oesterreich begeben hatten, zur Rückkehr zu veranlasse». Ich bedauere, daß diese Aeußerung so mißverständlich interpretiert wurde, daß dadurch der Schein eines Mißverstehens entstehen konnte. Zwischen den Regierungen ist ein solches Mißver ständnis nicht entstanden. Sie sind sich im Gegenteil nach wie vor der herzlichen Freundschaft und Verbundenheit be wußt. sLcbhaiter Beifall.) Hierauf folgte die mit großer Spannung erwartete Ab stimmung über den Mißtrauensantrag der Großdeutscheü gegen die Negierung. Der Antrag wurde mit Stimmen gleichheit 81:81 abgclchnt. Für den Antrag stimmten außer 79 Sozialdemokraten und 9 Großdeutschen noch zwei Mit glieder des- Heimntblocks, und zwar der steirische Abgeord nete Hainzl und der Kärntner Heimatblockabgeordnete Ebner. Dagegen stimmten 66 Ehristlich Soziale, unter ihnen bereits der Ersatzmann Dr. Seipels, der Wiener Bankier Wancnra. Ferner stimmten gegen den Mißtrauensantrag 9 Landbündlcr und 6 Abgeordnete des Hcimatblocks, unter ihnen der Ersatzmann für den zurückgetretenen früheren Justizminister Hnebcr-Talzburg. Der Anleihcvertrag wurde dann dem Hauptausschuß zugewiesen. Bemerkenswert ist, daß der amtierende Präsident Tr. Renner lSoz.i sich an der Abstimmung nicht beteiligte, obgleich er das Recht dazu gehabt hätte. Heilest des ReistsprUsstenteil und des MskMls. fl Berlin. Reichspräsident von Hindenbnrg hat dem Oestcrreichischcn Bundespräsidenten anläßlich des Hinschei- dcns des Altbundeskanzlers Dr. Seipel telegraphisch sein Beileid zum Ausdruck gebracht. sl Berlin. Ter Reichskanzler hat an den österreichi schen Bundeskanzler Dollfuß folgendes Telegramm ge richtet: „Tiefbewegt von der Nachricht über das Hinscheiden des Herrn Altbundeskanzlers Tr. Seipel, in dem Oesterreich einen seiner hervorragendsten Staatsmänner verliert, bitte ich Euer Erzellenz mein und der Neichsregierung aufrich tiges Beileid entgegenzunehmen." Desgleichen hat der Reichsaußenminister dem österrei chischen Bundeskanzler sein Beileid in einem Telegramm übermittelt. Mruf des Ruildesrsts zum M deivels. Z Wien. Im Bundesrat gab gestern der Vorsitzende zu Beginn der Sitzung dem Schmerz über das Hinschciden Dr. Seipels Ausdruck und widmete ihm einen tief empfun denen Nachruf. Hierauf nahm der Bundesrat das vom Nationalrat abgeänderte, durch den Bundesrat neu vorge- legte Gesetz über die Herabsetzung des Grundkapitals von Aktiengesellschaften an, nachdem ein christlich-sozialer An trag, Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Sozial demokraten und Nationalsozialisten abgelehnt worden war. — Der nationalsozialistische Bundesrat Schattcnfroh über reichte eine Anfrage über die Ausweisungsabsichten der Regierung gegenüber dem nationalsozialistischen Reichstags abgeordneten Habicht. M-elliMWergMMgksM. vbz. Berlin. Nach den letzten amtlichen Meldungen ans Königsberg herrscht dort jetzt wieder absolute Ruhe. Die Polizei ist Herrin der Lage. Am Montag wurden aller dings Flugblätter verteilt, die zum Massenstreik und zur „»lehrhaften Abwehr" des Faschismus aufforderten, diese Flugblätter sind aber sofort beschlagnahmt worden und der Regierungspräsident hat auch noch weitere polizeiliche Maß nahmen ergriffen, die dazn beitragen sollen, um die in der Bevölkerung herrschende Erregung zu lindern. Alle politi schen Versammlungen, auch die nichtöffentlichen, sofern die Zahl der Teilnehmer eine gewisse Grenze überschreitet, sind allgemein verboten worden. Die Polizei wurde verstärkt und befindet sich in höchster Alarmbereitschaft; der größte Teil der Beamten patrouilliert dauernd im Straßendienst, der Pvlizetpanzerwagen zeigt sich bald hier bald dort anl den Straßen. Da in der Nacht zum Sonntag auch die Feuerwehr immer wieder grundlos alarmiert worden war, so hat sie die Anweisung erhalten, nur noch auf Anforderung der Polizei oder anderer Behörden auszurücken. Das Ergebnis der polizeilichen Untersuchung über die Attentate der Sonntag-Nacht ist sehr dürstig. Der Regie rungspräsident teilt mit, die Parteien rechts und links hät ten erklärt, daß sie daran nicht beteiligt seien. ES herrsche der Eindruck, als ob die Wahlnacht einer Anzahl jüngerer radikaler Elemeiite Veranlassung gegeben hätte, sich zu die sen Taten anläßlich des Wahlergebnisses zusammcnzusindeu. Ein bestimmter Verdacht könne jedoch noch nicht ausgespro chen werden. Inzwischen sind allerdings eine große Anzahl Personen am Dienstag verhaltet worden. Im ganzen sitzen 46 Leute in Halt. Tic Vernehmungen wurden mir aller Beschleuni gung durchgeführt. Nach den letzten telephonischen Mittei lungen aus Königsberg verweigern die Täter sämtlich mit besonderer Hartnäckigkeit die Aussage über ihre Perlon und über ihre Parteiangehörigkeit. Tie weiteren Ermittlungen sind nun am Dienstag der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Ter kommissarische preußische Innenminister Tr. Bracht läßt versichern, soweit die Polizei mitwirkc, werde alles getan werden, nm die blutigen Vorgänge der Sonntag-Nacht auszuklären. Im Laufe des Dienstag habe sich endlich auch der Verdacht gegen eine bestimmte politische Gruppe verdichtet. Bei der Brandstiftung an Tankstellen seien nämlich SA.-Leute in Uniform gefaßt worden. Tcs weiteren habe ein junger TA.-Angehöriger, der am Montag früh auf der Flucht von einer Polizeistreife auigegrissen wurde, einen SA.-Führer beschuldigt, zu Plünderungen und Gewalttätigkeiten ganz allgemein aulgesordert zu haben. Tie Aussage dieses jungen SA.-Mannes werde von den Nationalsozialisten in ihrer Durchschlagskraft bestritten. Tic Partei behauptet, dieser junge SA.-Mann sei eine be sonders unzuverlässige Persönlichkeit. Konkrete Angaben sind sonst bei der Untersuchung noch nicht weiter zutage ge fördert worden, obwohl die Vernehmungen mit aller Schärst durchgeführt worden seien. Es werde nun Sache der Staats anwaltschaft sein, den Tatbestand weiter zu klären. In seinem Interview mit der United Preß hatte Reichs kanzler v. Papen auch geäußert, die Königsberger Attentäter würden „summarisch abgeurteilt" werden. Ticie Erklärung wurde jedoch in einem Augenblick abgegeben, wo in Königs berg noch die größte Unruhe herrschte. Die Erwägungen darüber, ob zur Wiederherstellung der Ruhe in Königsberg besondere Maßnahmen notwendig seien, haben jedoch, wie von amtlicher Stelle erklärt wird, zu der Ueberzeugung ge führt, daß die Maßnahmen der Königsberger Polizei voll kommen ausrcichcn, um Ruhe und Sicherheit aufrecht zu er halten. Auch das Neichswchrministerium habe sich in nega tivem Sinne geäußert, da die überraschenden Vorfälle der Sonntag-Nacht sich in wenigen Stunden ereignet hätten. Gegen solche Ucbcrrumvelnngen könne man sich auch nicht' durch besondere Vollmachten für das Militär schützen. MMg -es ZlMNkiMks im PeilWß.. vdz. Berlin. Trotzdem die Zahl der Reichstaasabae- ordneten erheblich »uaenommen bat. ist im »enen Reichstag »in weiterer Röckoana des Fraueaeinstnsies zu verzeichne», was in der Hauvtiacbe darauf zurückzunibren ist, daß die stärkste Partei, die nationalsozialistisch» Deutsche Arbeiter» Partei. überbau»» kein» Frauen als Kandidaten aufstellt. Während dem letzten Reichstag noch 39 weibliche Abge ordnete angrbörten, werden es im nenen Reichstag nur nach AK sein. Hiervan entfallen auf die Sozialdemokraten 15, aui die Kommunisten lO, anr das Zentrum 6, auf die^ Deutschnntianale» 3, aut die T VollSpartei und aü'. die Bäuerisch» Balk«vnr»ei je k. -E- clie vulgaris Krone ru einer überragenden ^ur- nskme-5orie macken. Wer eine 5 Pig -Iigsrette rsuekl, verlang» köckrler ^roms uncl eine belrömmlicke ^ilcle. Vs5 kann nur cüere vulgsris-^kekung erreicken. MSAiriA-KirMcSc«