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III. Zur Kritik der Titrirsystemc. Schon ein flüchtiger Blick auf die im Vorhergehenden dar gestellten Systeme zeigt mit Leichtigkeit, daß ein einiges leitendes Princip in ihnen nicht zu finden ist. Die Längen- und Gewichts- Einheiten, die llnterabtheilungen des Strahns und seine Bezeich nungen sind fast bei jedem einzelnen Systeme verschieden und er scheinen, ohne bestimmte Basis für ihre Entwickelung, mehr zu fälliger Uebcreinkunft als auf praktischen Bedürfnissen gegründeter Methode ihre Entstehung zu verdanken. Eine Reform erscheint unbedingt nothwendig. Doch da der Mangel eines internationalen Maaß- und Gewichtssystems ein internationales Titrirsystem zur Unmöglichkeit macht, ist es für's erste nur die Aufgabe dieser Reform, den verschiedenen Ländern für die verschiedenen Wcbematerialien je einzige Systeme zu geben, deren Reduktion unter einander mit Leichtigkeit ausgeführt wer den kann. Die erste Frage, welche sich zur Beantwortung aufdrängt, ist die, welches Prinzip der Titrirung als leitendes hinzustellen ist: ob von einem bestimmten Gewicht als Konstanten, auf das die mit der Fadenstärke veränderliche Länge zu beziehen ist, —- Fig. 1. Sibley's patentirtcs Piveilirinltrument. Perspektivische Ansicht. oder von einer bestimmten Längeneinheit, deren veränderliches Ge wicht untersucht wird, auszugehen ist. Ersteres System hat seine Berechtigung da, wo ein Webe material gesponnen wird, wo aus einem dicken Vorgespinnste durch Strecken feine und feinere Fäden produzirt werde», — wo sowohl das Verhältnis; der verschiedenen Längen maßgebend ist, welche ans einem bestimmten Gewichte des Materials hergestcllt werden, als auch mit dir. 1 der ursprüngliche stärkste Faden be zeichnet wird, — wo die aus demselben erzeugten feineren Fäden gleichsam als seine Faktoren angesehen und mit entsprechend hö heren Nummern belegt werden. Wo dagegen ein Spinnen des Materials nicht, sondern nur ein Sortiren und Vereinigen vorhandener Fäden stattfindet, ist nicht das Gewicht des stärksten Fadens das ursprünglich fest stehende, sondern vielmehr die Länge des feinsten gegebenen Fa dens, und die Vergleichung der verschiedenen Stärken geschieht sachgemäß nach der Gewichtsdifferenz, welche zwischen gleichen Längen derselben besteht. Hier geht man vom feinsten, dort vom stärksten Faden aus, hier drückt Nr. 1 die geringste, dort die größte Stärke aus. Diese aus dir Natur und Eigenthümlichkeit der Rohstoffe j folgenden Principie» der Nummerirung hat die Praxis mit rich- ! tigem Takte schon früh adoptirt und geht bei den durch Spinnen hergestellten Garnen — bei Baumwolle, Leinen und Wolle — von dem ersten der aufgestellten Systeme, bei der Seide, dem nicht gesponnenen, sondern nur durch Vereinigung vorhandener Fäden erzeugten Material, von dem zweiten aus. Abgesehen von dieser theoretischen Betrachtung befürwortet aber auch die praktische Erfahrung diese Wahl. Fig. 2. Palanre's SicheOjeitshäyne e.n Kasröhren. Der Einführung des bei der Seide üblichen Titrirungsver- fahrens auf die übrigen Materialien steht der Umstand entgegen, daß die Bestimmung der Nummer nach dem veränderlichen Ge wichte einer bestimmten Fadenlänge stets Ungenauigkeiten verur sacht, weil in Folge der verschiedenen spezifischen Gewichte der einzelnen Qualitäten der Rohstoffe, als auch wegen der Unmög lichkeit des ganz exakten Spinnens eine auch nur annähernde Ge wichtsgleichheit einzelner gleicher Fadenlängen einer Nummer kaum zu erreichen ist, während bei der Feststellung der Nummer nach dem bestimmten größeren Gewichte einer Anzahl von Strähnen diese Differenz leicht ausgeglichen wird. Wenn schon bei der Seide die Nummer nicht durch eine bestimmte Zahl, sondern in ihrem Schwanken zwischen zwei oder vier Zahlen ausgedrückt wer den muß, so würde bei den übrigen Materialien noch ein weit größerer Spielraum gelassen und die Genauigkeit dadurch sehr beeinträchtigt werden. Andererseits fragt es sich, ob nicht auch bei der Seide an statt der jetzt üblichen Titrirung die andere Nummerirungsmethode anzuwenden sei. Als praktisches Beispiel diene ein System, wel ches bereits im Jahre 1829 von der Handelskammer zu Lyon zur Fig. 3. wie Pig. 2. Erfüllung dieses Wunsches proponirt wurde. Dieselbe schlägt vor, die Seide in Gebinden von je 500 Meter zu haspeln und 5 Gebinde zu einem Strähn von 2500 Meter Länge zu ver einigen. Die Nummer soll bestimmt werden nach der Anzahl solcher Strähne, welche ein Kilogramm bilde». Dieses System — das auch nie in praktische Anwendung trat —r erscheint eben so unpraktisch wie zwecklos. Es ist unpraktisch, weil man bei den gewöhnlichen Seidentitres mit ungebührlich hohen Zahlen zu thun hat, — indem z. B. ein Gregefaden von Titre 3 nach demselben