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s. Veils,«. sonnt»,, 12. /rdrusr ISN. Leipziger Tsgeblatt. Nr. 43. los. Z»lir,»nK. Aflargaretentag ratze für jeglichen der Straße so im Ein Rausch ergriff die Besten, hatte sie alle, allo ergriffen, reine Nächstenliebe, edle Menschlichkeit Voll Liebe und Freude klang der unvergeßliche Tag aus, wie ihn die kleinen, bescheidenen Margareten-, blumen eingeläutet batten. Allen, die den 11. Februar 1911 in Leipzig, den Leipziger Margaretentag, mit erlebt haben, werden die Stunden unter dem Zeichen der Margaretenblume wahrhaft unvergeßlich bleiben. 2m gestrigen Abendblatt haben wir schon aus führlich über den Verlauf des Tages bis zum Mittag, über mancherlei Veranstaltungen berichtet und halten jetzt hier Nachlese. Freilich, eine große und für alle Teilnehmer beglückende Nachlese ist es, und gern unterzieht sich der Chronist des Margaretentages der Aufgabe, vorauf allen, die den Margaretentag jo freundlich, so überaus reich an Liebe und Gaben gestalteten, seinen herzlichen Dank zu sagen, denn ihm ist es geradezu eine Auszeichnung, über dieses schöne, allgemeine Volksfest in Leipzig zu berichten. Ein rechtes Volksfest war es, denn die ganze Bevölkerung, begütert und reich, arm und wohl habend, nahm herzlichen Anteil daran, und es gab keinen Winkel in unserer großen Stadt, den nicht ein Margaretenblllmchen mit lichten Strahlen sonniger Liebe und Güte erhellt hätte. Selbst Frau Sonne am Himmel kargte nicht mit ihren schönsten Strahlen und hellte und wärmte uns den Tag der Liebe bis an den Abend. And als dann die dunklen Schleier der Nacht sanken, gab es noch immer kein Ende der Freude und Liebe. Wie Glühwürmchen im nächt lichen Wald dem Wanderer einen freundlichen Licht funken schenken und sich mühen, ihm den Weg in die Heimat zu erleuchten, blinkten die weißen Sterne der Margaretenblumen im Dämmern der Straßen auf, Liebe und Freude zu bringen. Und die Menschen waren es bis an den Abend nicht müde geworden, Eeldgaben zu spenden um eine Blume, um einen freundlichen Dank. Bis zur nächtlichen Ruhe begleitete uns die liebliche Margaretenblume. Ueberall, wo gestern in der Stadt festlich gestimmte Menschen in Theatern, Konzerten, Lokalen sich ver einten, tauchte das weitzsternige Blümchen auf, und die tausend Helferinnen der Not wurden nicht müde, zu bitten und zu danken, bis die Mitternachts glocke erklang. Nun ist der Tag vorüber, der schöne Tag, von dem man in kommenden Wochen manchmal wünschen möchte, daß er wiederkehre, daß ein gütiges Geschick den entschwundenen Stunden Dauer verliehe. Auf dem Tische liegen heute morgen die weißen, blaffen Petersstraße. Hier war's am ärgsten. Von 4 Uhr ab war sie für den Wagenverkehr gesperrt, sonst hätte es vielleicht noch großes Unglück gegeben. Ich versuchte durchzukommen. Unmöglich, es ging nur schrittweise. Und da auch noch langsam genug. Nach der ersten halben Stunde hörte ich plötzlich Musik. Sie kam aus dem Hotel de Russie, bis wohin ich glücklich gekommen war. Ich mußte weiter, aber es ging nicht, oder wenigstens nur ganz langsam, wie bei der alten preußischen Landwehr. * * * Erimmaische Straße, dasselbe Bild. Ich war kaum auf dem Markt, ein großer Auflauf. Natürlich mußte ich hin und sah Direktor Müller von der Benzfiliale in seinem Auto. Dies war herrlich ge schmückt mit Margareten usw. Direktor Müller am Steuer, hatte außerdem die bekannte Büchse in der Hand und verkaufte die Blumen, um die man sich förmlich riß. Er erzählte mir stolz von einem leibhaftigen Fürsten ein 20-Markstück für eine Blume erhalten zu haben. Weiter. Auf einmal reißt mich jemand zurück. Eine reizende, mir bekannte junge Dame hielt mich fest. Sie hatte mir neulich ein mal scherzweise gedroht, daß sie mich am Mar garetentag zu finden wissen werde. Wir hatten daraufhin eine Wette abgeschloffen, nun lachte sie mich schadenfroh an. Sehen Sie, ich habe Sie doch erwischt. Was sollte ich tun? Nichts als gute Miene zum bösen Spiel machen und ihr den Obolus opfern. Als sie ihn hatte, lachte sie mich wieder neckisch an und rief: Auf Wiedersehen am Kornblumentag! Ich mache keine Wette wieder. Gleich darauf konnte ich auch beobachten, daß unsere jungen Damen auch Mut haben. An der Ecke bei Felsche stehen zwei Damen. Da kommt ein Auto des Weges. Halt! Der Ruf kam aus der Kehle einer der Damen. Der Chauffeur mußte gezwungenerweise halten, die beiden Anlassen, Einjährige des Ulanenregiments, mußten Blumen kaufen, dann konnten sie weiterfahren ... Immer noch strömen die Menschen in die Stadt, man kann sich kaum denken, wo sie alle hin wollen. Alles ist begeistert und opfert der Margareten blume .... Blumen, welk und unecht. Aber dem Auge, das si^. gestern fand, dem Herzen, dem sic gestern Liebe und edle Menschlichkeit zubringen halfen, erscheinen sie nicht unecht und welk. In der Erinnerung lange noch blüht ihm die freundliche Wiesenblume des Lenzes, und nach Wochen, Monaten und Jahren noch, wenn eine von den Margaretenblumen uns unter die Hand kommt, denken wir lächelnd und still beglückt des schönen Tages der hilfreichen Liebe und Freundschaft in Leipzig. Dann gesellt sich unseren Gedanken immer noch mit leisem Stolze das Wissen bei, daß dieser Tag, so reich an Freuden für jedes Herz, das menschlich fühlt, auch reichen Segen brachte: Nach einer Schätzung, die uns von berufener Seite zugebt, glaubt man mit einem Reingewinn von einhundertundfünfzigtausend Mark aus andert halb Millionen Margaretenblumen rechnen zu dürfen. Dabei steht die Einnahme aus den vielen tausend Klingerpostkarten noch nicht einmal fest. Diese Post karten des berühmten heimischen Meisters, ein Kuriosum von hohem Kunstwert und täglich steigen dem Liebhaberwert, aber wird nächst dem Bewußt sein für einen jeden, daß er mit dabei war 1911 beim Leipziger Margaretentage, die schönste Erinne rung bleiben an den 11. Februar 1911. * Was ist denn eigentlich in unsere guten Leip ziger gefahren? Sie, die sonst so ruhig Abwäaenden, die so schwer für eine Sache sich Interessierenden, sie schwammen heute in Begeisterung. Nicht? Wer's nicht glauben will, brauchte schließlich nur gestern nachmittag durch oie Stadt zu gehen. Ach wette, unter drei Stunden wäre er gar nicht durch die innere Stadt gekommen. Himmel und Menschen! Selbst die so bekannten ältesten Männer konnten sich kaum erinnern so viele Menschen dort schon jemals gesehen zu haben. Es wird ein Bomben erfolg, das steht jetzt schon fest. den Eingang erkämpft hatten, wollten nur zum 5-Uhr-Tee. Daß die Treppen nicht brachen, daß niemand verletzt oder gar erdrückt wurde, ist nur der umsichtigen Leitung des ganzen Riesenbetriebes zu danken, die Anerkennung, ja Bewunderung verdiente. Man brauchte so ungefähr eine halbe Stunde, ehe man vom Eingang an der Petersstraße bis zu dem bestellten Platz gelangen konnte. Wer sich keinen Platz gesichert hatte, mußte unverrichteter Dinge wieder ab ziehen. Und das Los traf die meisten, denn wenn die Vortragsräume auch tausend Besucher faßten, Zehntausende wollten hinein. Drin aber war es ge mütlich, die freundlichen, hell gehaltenen Räume er klangen wieder von dem Gesang des „Leipziger Männerchor-Quartetts", bestehend aus den Herren Schwenke ll. Tenor), Bode <2. Tenors, «eibt ll. Baß) und Reuter 12. Baß), das Lieder von Mozart, Kreutzer und Wohlgemuth zum Vortrag brachte. Darauf sang Frl. M. Rößner vom Neuen Operetten-Theater, von Frl. Elisabetk Philipp in liebenswürdigster Weise am Blüthner begleitet. Reicher Beifall lohnte die schönen Vor trage. Frl. Bischur und Herr Heine sangen dann Duette ans der „Geschiedenen Frau" und aus dem „Armen Jonathan". Nach diesen gesanglichen Leistungen brachte Frl. R. Burstein Liszts Rhapsodie 'Nr. 11 mit künst lerischer Vollendung zu Gehör. Darauf sang Frl. Rößner noch einige spanische Lieder und der Con serencier, Herr Wildenbain, warf uns hinaus. Er tat das freilich nicht in dieser groben Form, im Gegenteil. Nachdem er schon mit seinem trockenen Humor die einzelnen Vorträge eingcleitet hatte, schwang er nun die Glocke, kündete das Ende des ersten Teiles an und fügte hinzu: „Draußen harren noch Tausende, hier ist aber nicht ein Platz frei, vielleicht wissen Sie eine Lösung." So gingen wir. freilich ungern, denn auf dem Programm standen noch viele schöne Dinge, so moderne Walzer von Prof. v. Baußnern, getanzt von den Schwestern Üucie und Alexandra Hubert und Frl. Hilda Hartmann. Ferner versprach Frl. Sanden Lieder von Strauß und Metzl, sowie Frl. Berta Burstein die Tarantella aus „Venecia e Napoli" von Liszt. „lll Koc 8><;llo vioevs" galt gestern am Marga retentage in Leipzig zur verheißungsvollen, be rechtigten Parole für alle, die sich in den Dienst edler Menschenliebe begaben und mit der Marga retenblume in der Hand und der glitzernden Sammel büchse am Arm unaufhörlich das fröhliche Sammel werk mit Eifer und Aufopferung betrieben. Der Erfolg lohnte reich dieses edle Wirken. Bald er schienen in Knopflöchern, an Hüten und Kragen, an Mänteln, Stöcken und Schleiern die gelben und weißen Sterne, und wohin auch das Auge blickte, überall begegnete es diesem schlichten und doch so freundlichen Blumenzeichen, die zu diesen Stunden eine ganze Welt für sich ge wannen. Auch an Wagen und Automobilen bildeten die Blüten eine prächtige Zier. So hatte der ge samte Wagenpark der hiesigen Speditionsfirma Otto Jaeger einen schmuckvollen Ausputz von Girlanden und Margaretenblüten erhalten, wie anderseits dieses Abzeichen in das Haus, in das Schaufenster und auf die Tische der Restaurants getragen wurde. Eine Reihe von Veranstaltungen hatten sich am gestrigen Margaretentage in den Dienst des Vergnügens und der Unterhaltung gestellt. Schon am Mittag des Margaretentages bot die heimische angesehene Firma Friede. Wilh. Krause, Königl. Hoflieferant, Katha- rinenstraße 6, ihren Gästen in ihrem Wein restaurant ein „Lukullisches Frühstück" in vor nehmster Form und tadelloser Aufmachung und ließ den Ertrag daraus, wie alle freiwilligen Gaben, dem Maraaretenfonds zufließen. Ein „fliegendes Kabarett , dem Damen und Herren der Gesellschaft ihre Kräfte liehen, weckte am Abend von neuem die fröhliche Gebelaune aller beteiligten Gäste. Was die Firma selbst gegen Ent gelt an Blüten gewann, das sammelte sie in einem reizenden Arrangement von Blumenbüschen, während in den Restaurationsräumen überall frische Blüten der Stunde das Signum gaben. In den späteren Nachmittaasstunden versammelten sich dann die ersten Kreise unserer Stadt in dem freundlichen großen Festsaal des „Kaiserhofs", der zum ersten Male « " * Sehr hübsch geschmückte Privat-Automobile sah man mehrfach im Lauf des Tages. Da waren die Speichen der Räder mit Perlblumen umwunden, und rings um die Karosserien zogen sich Gir landen von Margareten, dazwischen leuchtende Mimosen. Am nachmittag fuhr um die Promenade ein Automobil, mit einem Apparat für kinematographische Aufnahmen. Surre, surre, surre, so raffelte der Film und verewigte das Wogen der Menschenmassen auf der Promenade, die rührigen Verkäuferinnen, die blaublumigen Damen und Herren. Es werden gewiß sehr hübsche und interessante Bilder entstehen, Erinnerungen an den Leipziger Margareten- tag, der so einzig, so groß in der Lokalgeschichte da steht, vorbildlich anderen Großstädten. Auf der Telegramm-Annahmestelle im Grimmai- schen Steinweg. Die Schalterbeamten waren ge schmückt, die ganze Knopfreihe der Litewka entlang. Aber was half's? Da stehen vor dem Schalter, wo man auch außerhalb der Dienststunden so freundlich Marken erhält, zwei junge Damen. Backfischlein, froh und keck. Und ich höre die eine gerade mit schmollendem Lächeln, halb zornig, halb lieb, die sich überhastenden Worte heroorsprudeln: „Das finde ich gar nicht nett von Ihnen. Immer wenn ich meinen Freundinnen Ansichtskarten schicke, kaufe ich hier die Marken. Und Sie wollen mir nicht eine Margareten blume abkaufen?" Der Beamte lachte, das Gretchen hatte gesiegt. Durch die Hainstratze zogen gegen 5 Uhr drei Musensöhne. Arm m Arm, Hut, Mantel, alles mit Margaretenblumen besteckt. Und vor sich her trugen sie ein gar gewaltig großes Plakat. Darauf stand, weithin lesbar: ,^Opfer der Wohltätigkeit." Wer mochte des lustigen Scherzes nicht lachen? Und die Opfer lachten selbstvergnügt und opferten weiter . Beim Nutz-Willi am Blücherplatz, unserm dunkelhäutigen Kolonialimporten, ging es bei An bruch der Dämmerstunde fröhlich zu. Dreifach war die KonkurrenzderblaublumigenKörbchenträgerinnen. Aber „Entlastung" nahte. Der Elektrischen entstieg eine Schar Einjähriger, und plötzlich war die Nach frage größer als das Angebot. Wie uns freude strahlend aus holdem Munde mitgeteilt wurde, brachte der Verkauf einigemale 500 und mehr Prozent. Da hieß es denn rasch eilen und neuen Vorrat holen, aber die wohlgefüllte Büchse hinderte scheinbar an zu eiligem Lause. Und die Entschuldigung war den lieblichen Konkurrentinnen zu gönnen. In drr Zentrale. Vom frühen Morgen an ein ununterbrochenes Gehen und Kommen. Alle dort beschäftigten Damen und Herren des Komitees haben alle Hände voll zu tun. Von 10 Uhr ad schon kommen Verkäuferinnen, die sich neue Blumen und Postkarten holen. Sie haben schon einmal aus verkauft. Auch Fremdenbesuch ist dort eingetroffen. Sie kommen von Dresden und Plauen, wo auch Margaretentage in Aussicht stehen, um sich zu orientieren. Die Leiterin gibt ihnen Auskunft. Gegen Mittag kommen die Damen immer mehr um Postkarten, die schon fast alle verkauft sind. 100 000 Stück in 4 Stunden. Es ist fast unglaub lich aber wahr. Jetzt wird die Parole ausgegeben, nur noch welche zu Liebhaberpreisen auszugeben. Im Nu sind die Preise auf 1 gestiegen und sie finden trotzdem reißenden Absatz. So geht's von Stunde zu Stunde weiter, alle Schätzungen sind schon weit übertroffen. Man schätzt schon gar nicht mehr weiter. * Bei August Bolich staute sich schon um 4 Uhr die Menge, eine halbe Stunde später mußten fünf Schutzleute den Verkehr vor dem Eingang regeln, und kurz darauf wurde die Petersstraße für jeglichen Wagenverkehr gesperrt. Wie au der Straße so im Hause! Auf einen Eeschäftsver ehr mußte Pölich verzichten, die Tausende und Abertausende, welche sich