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Sonntags - Ausgabe »e,i>g«prelse: monoMch l.rs M., vlerteyShrttch r.7S m. Sei öer a,I»V«N»U». »nsen, ZlUatea ua- NusgabrsteUen adgct'»tt: monatlich lM..»trrc«lUU)rUchrM. vnrch Sie Postr innerhalb deutschlan», uns Ser Seuttchen Kolonl« «onotllch 1.S» M., vierteUSHrlich 4.»0 M.. ausschließlich poNdeNeUgetS. va» Leipziger Tageblatt erscheint werktags Lmal, Sonn» u. Zetertag««mal. Za Leipzig, den Nachbarorten und den Orlen mit eigenen Zlltaten wird dt« stbenüauogab« noch am stdend de» Trschelnen« li>» hau, geliefert. Verltarr Redaktion: Zu den Zeltchi 17, Zernsprech-tzuschlug: Moabit Nr.4-7. /lrnbsbleckt des RLtes und despolrreuuutes derEtudtLewZÜ) Redaktion aad Seschüft-stelle: )oha«al«gass» Nr. S. « Zerasprech./tnschlu- llr. I«»«, I«d»Z uad >«»»». ISS. Jahrgang tSr Zaserat» au« Leipzig und Umgebung die /»"Ak'AkNpre^e. ,spaltt,»P»tiN»>l»Up,.,Si»N»klamr,»U»tM., von au.wdrt, so Pf., Reklamen 1.« M., tieln» ftnzeigen Slepetitzelt» nur SSPf.b wicS«kkol.Rod..Znserat« oonvebordrn im amilichenTetl dir Petit zeil» Sd pf. Seschdstsanzeigen mit plahvorsOrtfl im Preis» »rbdkt. Rabatt nach Tarif, »etlagea: S«lamtaufl.»M. Sa« Tausend auaschl.poNgedlihr. finzeigen.Ranabme: lobanntogagr», bei sämtlichen jlllalcn Se» Leipziger Tageblatt»« uad aitea ftnaoarea-TxpeSittonen de« Zn» uad ^a-iaade«. Seschüftastelle für S»riln u. dl» pr.Vron»»aburg: VlrektionWalter Zliegei. Verlia w. I», Margaretheastro-e ». Z»raspr«ch»-tnschluS: LüNow SS7I. Är. 83. Sonniag, den IS. Februar. 1914. Das wichtigste. * Der Reichstag erörterte am Sonnabend die Frage eines Reichs Zuschusses für die Olympischen Spiele und verabschiedete dann in allen drei Lesungen das Gesetz über die weitere Zulassung von Hilfsarbeitern im Kaiserlichen Patent amt. (S. bes. Art. und Bericht.) * Bei der gestrigen Reichstags st ichwahl in Offenburg-Kehl wurde Prof. Dr. Wirth (Ztr.) mit 13 137 Stimmen gegen Stadtrat Kölsch (Natl.), der 13 056 Stimmen erhielt, gewählt. (S. Letzte Depeschen.) * Gegenüber falschen französischen Preßmeldungen wird von maßgebender Seite restgestellt, daß der Ge sundheitszustand im deutschen Heere ausgezeichnet ist. (S. Pol. Uebers.) * Der Führer der christlichen Gewerkschaften richtet an die katholi'chen Arbeitervereine eine eindringliche Mahnung, den Gewerkschaf ten treu zu bleiben. (S. Pol. Uebers.) * Die Note der Mächte über die Insel frage ist der Pforte am Sonnabend nachmittag überreicht worden. * Zn Oesterreich beabsichtigt man die Grün dung eines Hansabundes. (S. Ausl.) * Der griechische Kronprinz Georg hat sich mit Prinzessin Elisabeth von Rumänien verlobt. (S. Ausl.) * Landeshauptmann Hammarskjold hat die Bildung des schwedischen Ministeriums übernommen. (S. Ausl.) * In Brttisch-Ostafrika ist ein ganze» Dorf von Angehörigen eines feindseligen Stammes vernichtet worden. (S. Nachr. v. Tage.) Umschau. Leipzig, 14. Februar. Eine gesteigerte Lebhaftigkeit der Ge schehnisse. Ob das der nahende Frühling be wirkt? Es gibt ja Gelehrte, die behaupten, das; Jahreszeit und Witterung weit stärker auf das Handeln der Menschen einwirkcn, als sie ahnen. Wir haben keine Zeit, solchen Feinheiten des politischen Nervenlebens nachzuspüren. Auch wäre es sehr schwer, in den Ereignissen, die sich dieser Tage in Rußland, in Schweden, Eng land und sonstwo vollzogen oder anbahnten, irgendwelche gemeinsame Kräftebewcger nachzu weisen. Und doch kann man behaupten, daß sich in einem Kulturlande heute nur noch wenig vollzieht, was eine „inuerpolitische" Angelegen heit im vollen Sinne des Wortes wäre. Alle Kulturstaaten wirken aufeinander ein. Es wäre z. B. Theorie, zu sagen, die Entlassung des rus sischen Ministerpräsidenten und Fmanzministcrs Kokokzow und die Berufung Goremy- tins aus dessen Posten und Peter Barks als Finanzminister erkläre sich lediglich aus inner politischer Zweckmäßigkeit. Es ist nicht richtig, wenn bei uns Kokotzoiv als politisch belangloser Mann abgetan wird, der lediglich seiner „Schnapsflnanzcn" und verfehlter Anleihege schäfte wegen gehen müsse. Mag er vielleicht zu sehr Fiuanzmann gewesen sein: er war doch s. Z. stark beteiligt an der Schaffung der russi schen Berfassung, und was uns mehr bedeutet: er war die Spitze der Negierung während der ganzen schweren Zeit, wo Europa gespannt auf die Entschlüsse Rußlands harrte, Entschlüsse, die Krieg oder Friede bedeuteten. Und Ruß land blieb bei Vernunft. Das Verdienst hieran wird allerdings in erster Linie dem Minister des Auswärtigen Ssasanow zugesprochen; aber abgesehen davon, daß es dieser in der letzten Zeit stärker als Kokokzow für nötig fand, der deutschfeindlichen Stimmung nachzugebcn: auch er ist seines Postens nicht sicher. Der an die Spitze tretende Goremykin ist 75 Jahre alt; er csilt nur als Platzhalter für den kom menden Mann, und Kenner der Verhältnisse behaupten, daß dieser nach dem Willen des Zaren und seiner nächsten Ratgeber an zwei Aufträge gebunden sein werde: Aenderung oder gar Beseitigung der Verfassung und Durchfuhr runa einer auswärtigen Politik im Sinne der panslawistischen Kreise. Alles in allem — gleich gültig ist uns der russische Rollen- und Szenen wechsel nicht, und einen erfreulichen Lichtblick zu entdecken ist schwer. Auch die Vorgänge in Schweden beglei ten wir keineswegs mit dem Gefühl jener menschlichen Neugier allein, die sich allem zu- wendet, was eben einiges Aufsehen macht oder einige Aufregung verspricht. Zwar hätten wir nicht gerade viel greifbare Beweise zur Hand, wenn es gälte, für Schweden jenen allgerma- nifchen Geist nachzuweisen, von dem sich mancl)e eine große Zukunft des germanischen Stammes versprechen; aber es war uns doch immer eine 'Beruhigung, dort nordwärts ein Volk zu wissen, dessen Polttik zum Unterschied von der des dänischen Nachbars frei war von überkommener Voreingenommenheit. Es war beinahe ausge machte Sache, daß Schweden außerhalb des großen Ringens der europäischen Mächte stehe und deshalb auch nicht zu befürchten habe, vom „Rüstungsfieber" gepackt zu werden. Nun ist das anders, und wiederum ist es russische Poli tik, die ein im Grunde friedliches, sich selbst lebendes Volk aufscheucht und in die schlimmsten inneren Wirren zu stürzen droht. Die Unruhe kam freilich nicht über Nacht. Schon in den siebziger Jahren und später geriet der Hceres- frage wegen Regierung und Volk in Zwiespalt, und damals waren es die Bauern, die von Soldaten und Schiffen nichts wissen wollten und noch weniger von Steuern und Lasten. Dies mal waren es die Bauern, die durch ihre fast beispiellose Königsfahrt die Dinge in Fluß brachten und durch ihr stürmisches Verlangen nach einer Beschleunigung der Kriegsrüstung König Gustav zu jener Zusicherung bestimmten, die ihm ein vielleicht verhängnisvolles Zer würfnis mit dem liberalen Ministerium und seiner großen Gefolgschaft im Lande einbrachte. Es geht um die Krone — so meinen wenigstens die Demokraten und Sozialisten das Spiel drehen zu müssen. Sie täuschen sich wohl, denn wenn die ersten Zänkereien über die Frage: ob der König im Rechte war, ob er sich gegen die Verfassung verging oder nicht, vorüber sind — eine Reichstagsauflösung und Neuwahlen werden kaum vermeidlich sein —, so wird doch vermutlich die politische Vernunft zugunsten der Monarchie sprechen; man wird sich auf eine ruhmreiche Geschichte und auf die äußere Ge fahr besinnen, die doch — darüber kommen auch die Sozialisten mit allem Geschrei nicht weg kein Bauernaberglaube, sondern eine sehr deut lich gewordene Tatsache ist. Dann wird sich aber auch die immer schon von der Hand ge wiesene Frage von neuem aufdrängen, ob die geplanten Anstrengungen Wert und Zweck haben, wenn Schweden sich nicht den Anschluß sichert, auf den es nach Lage der Dinge angewiesen ist, den Anschluß an den Dreibund. Im Augenblick, wo er erfolgt,' würde wahrscheinlich bei dem Nachbarn im Nordosten Ruhe eintreten. Gleich zeitig würde aber ein Verhältnis geschaffen, das England bestimmen könnte, sich auf an dere Zukunftsplänc und Möglichkeiten einzu richten. Ohnehin verspürt man heute in London ein starkes Bedürfnis, die sogenannte Entente mit Rußland auf das Mindestmaß der Gefühle herabzusetzen, ja sic ist wohl bereits zum blassen Schemen geworden. Ein Zusammengehen mit Rußland wird für jede englische Regierung, ob liberal oder konservativ, stets etwas Unnatür liches und Widerspruchsvolles an sich haben, und abgesehen davon, daß die Einführung von Home Rule in Irland, der Streit um Ulster, Ne gierung, Parlament und Parteien die aller nächste Zeit zur größten Anspannung nötigen, ist eine Politik, die sich auf die eigenen häus lichen Sorgen richtet, verständlich genug. Vergleichsweise betrachtet sind die politischen Vorgänge in unseren eigenen Grenzen und Be reich verhältnismäßig harmloser Natur. Viel Häkeleien, aber die Kampfesstimmen, die noch jüngst so laut durchs Land schollen, sind still geworden. Einen Kampfruf haben wir aller dings diese Woche vernommen, allein er war nicht erschütternd; sein Urheber liebt nicht die starken Töne. Herr v. Bethmann sprach an der Festtafel des L a n d w i r 1 s ch a f t s r a tc s, der diese Woche mit Fleiß über vielerlei bera ten hatte, von der Zeiten Ernst, vom Guten und Schlimmen, und zum Schlimmen gehört die Sozialdemokratie, die er unausgesetzt bekämp fen will, wobei er auf die Landwirte in erster Linie rechnet. Die Rede trug rhm aber nicht ungeteiltes Lob ein. Denn er hatte auch von einem alten Sünder, vom Partikularis- mus gesprochen, was die Zuhörer und die kon servative Presse ohne viel Mühe als einen dem Preußenbund geltenden Tadel auslegten. Die liberale Presse dagegen suchte das etwas dunkle Wort von der „Ausartung demokrati scher Einrichtungen" zu ergründen, und einige mißtrauische Blätter vermuteten, daß damit der Reichstag in Bausch und Bogen gemeint sei. Aber warum tut man, als ob diese Tischrede mit den Tafelreden englischer Minister, die bei Handekskaiilineressen und sonstigen Gelegenhei ten große politische Bekenntnisse und Aufschlüsse zu geben pflegen, gleichzusetzen wäre? Unsere Staatsmänner tun das selten, vielleicht schon deshalb, weil das ja auch als eine „Ausartung demokratischer Einrichtungen" aufgcfaßt werden könnte. Die Landwirtschaftstafel ist ja aller dings gegen den demokratischen Anstrich gefeit; es ist schon vorgekommen, daß dort bedeut same Worte geprägt wurden — so zu Bülows Zeiten. Aber Herr v. Bethmann hat sicher lich nicht die Absicht gehabt, sein ohnehin sorgen volles Leben noch durch die Nachwirkungen einer politischen Tafelrede zu erschweren. Er wird mit dem Reicl)stag auszukommen suck>en und dieser mit ihm. — Die Arbeit des Hauses geht langsam voran, und der gute Wille des Senioren konvents, die Etatsverhandlungen zu kürzen, sckisiterte diese Woche an der Fülle des Stoffes, der aus dem Titel „Ministerium des Innern" zu quellen pflegt. Dabei sind noch die Aufgaben vermehrt worden d: rch die wichtige Vor lage zur Aenderung des M i l i t ä r st r a f Je s'etzbuchS. Nicht viel anders war es im pr c u ß i s ch e n A b g e o r d ne te n h a u s e, dort aber ist es die sozialdemokcatisckse Rednerschaft, die absichtlich ein sachliches Vorankommen hin dert, so daß »— ein Ruhm für den Siebenstunden- rcdner Hoffmann, eine der widerwärtigsten Er- sclMnungeu — wieder von einer Notwehrmaß- regel zum Schutze der parlamentarischen guten Sitten, einer Bemessung der Redezeit gespro chen wird. Der „Vorwärts" und die ganze sozial demokratische Presse rechtfertigen die Meister leistung ihres Schützlings als einen Versuch, das „rückständigste aller Parlamente" in den Augen der Welt unmöglich zu machen, als ob dies durch eine Bösebubenpolitrk zu erreichen wäre! Im Hause erhoben sich wieder die Stimmen für das Wahlgesetz, das kommen soll und wie ein Ballon in immer weitere Fernen zu entschweben scheint. Nachgerade wird dieses „Erst recht nicht", worauf sich die Regierung zu versteifen droht, zum Ausdruck eines Verhängnisses, unter dem nicht nur in Preußen selbst viele guten Triebe leiden. Wir hatten seit der Einführung der letzten Reichssteuergesetze ost genug Anlaß, von dem Verhältnis des Reiches zu den Einzckstaaten zu sprechen. Wiederholt machten wir darauf auf merksam, daß die Staaten um so besser gegen die vermeintliche Gefahr des Herabdrückens ge schützt seien, je besser sie ihre eigenen Einrich tungen auf der Höhe der Zeit hielten. Das braucht nicht lange bewiesen zu werden. Die Bürger eines Staates werden auf seine Er haltung und seine Geltung den größten Wert legen, wenn sein Zustand befriedigt; sie wer den gegen seine Nöten und Schmerzen um so abgestumpfter, je rückständiger er ist, je mehr er sich Besserungsbestrcbungcn versagt. Es ist des halb fast unbegreiflich, wie der Minister des Innern Graf Vitzthum von Eckstädt in unserer Zweiten Kammer bei der Verhand lung über die Anträge zur „Reform" der ErstenKammer auf den Ausspruch verfallen konnto, er sehe die Sache als unpartei ischer Zuschauer an. Wenn er das wirklich ernstlich meinte, wenn das nicht eine unbedachte Wendung wäre, so würde das allerdings be deuten: die Regierung versagt nicht nur aus Willensschwäche, sondern sie hält es für richtig, sich einer Aufgabe zu versagen, die sie doch längst als dringend erkannte — ganz wie in Preußen! Der Munster zweifelt, ob der Wider- stand der Ersten Kammer zu überwinden sein werde. Aber mit zwingender Folgerichtigkeit er innerte ihn Abg. Hettner daran, daß die Regierung doch sonst in den Angelegenheiten des Landes die Führung beanspruche. War um denn hier nicht? Warum denn diese Wasfen- streckung, vor der Ersten Kammer? Dann sind die beiden Kammern eben nicht mehr gleich berechtigt; dann gibt der Minister über die Ver fassung hinaus oer Ersten Kammer die Stel lung eines großen Neben-Ministeriums, einer unantastbaren Regierungsinstanz.' Ein unhalt barer Gedanke! Und doch bleibt der Minister dabei, daß eine andere Zusammensetzung der Ersten Kammer wünschenswert sei. Woraus war tet er? Wieder hat sich gezeigt, daß die Re gierung ihre ganze Politik freiwillig unter den roten Scheinwerfer stetlt. Weil die Sozial demokratie mit großen Ansprüchen austritt, glaubt die Negierung staatserhaltend zu wir ken, wenn sie jeden Versuch zu einer Verfassungs änderung, mag sie sachlich noch so begründet sein — der Abg. Nitzs ch k e hat gewiß zu dieser Begründung kein überflüssiges, kern wcither- geholtes Wort gesagt — mit Mißtrauen behan delt. Merkt sie denn nicht, daß sic grade auf diese Weise die Sozialdemokratie zum aus schlaggebenden Faktor macht? Wie Naturforscher erzählen, bannt die Riesenschlange ihre Opfer schon durch ihr Erscheinen so, daß sie sich nicht von der Stelle rühren. Aus Grün den des Geschmackes wollen wir das Bild nicht ausmalen; aber es ist schon so: die Regierung läßt sich durch diese Partei an die Stelle bannen, an der sie steht. Das ist nicht bloß Untätigkeit, sondern Erstarrung. Dann ist eine Fortentwick lung der Staatsemrichtungen überhaupt aus geschlossen, und was alle bürgerlichen Parteien vermeiden wollen, eine Erschütterung des Volks vertrauens und der Widerstandsfähigkeit des Staates, das tritt erst recht ein. So schlägt schließlich eine gutgemeinte konservative Politik cn ihr Gegenteil um und wird zum Untergrund, auf dem die revolutionären Kräfte ihre beste Nahrung finden. Ob diese abermalige Verhandlung, die sich im ganzen auf bedeutsamer Höhe hielt, auf die Regierung Eindruck machte? Man schloß auS der Rede des Ministers, daß ihm ein neuer An trieb, nun endlich aus dem unhaltbaren Zu stand herauszukommen, trotz aller Bedenken, nicht unwillkommen war. Ob das richtig ist, wird sich wohl in der Gesetzgebungsdeputation bald Herausstellen. Der Minister hat selbst auf die Landtags neu wählen im nächsten Jahre hingewiesen. Hat er den Verdacht, die Frage der Ersten Kammer könnte zur Wahllosung ge macht werden — nun, es ist an ihm, noch ist es Zeit, der Regierung die beste Karte zu sichern. Kubanische Lharakterköpfe. Don unserem Sonderberichterstatter. Durazzo, 9. Februar. An der Spitze der Abordnung, die zur Begrüßung des Prinzen zu Wied nach Potsdam fahrt, steht Essad Pascha. Don ihm ist in meinen Briefen schon des österen die Rede gewesen. Hier sei kurz resümiert: Essad steht heute im Anfang der fünfziger Jahre. In feiner ^ugend scheint er ein Tuniastgur gewesen zu sein, trotzdem, oder weil er einer der elften Familien des Landes, Toptani, anaechörte. Ohne eine Schule besucht zu haben — noch heute gibt es im Landesinnern außer in Tirana und Eibassan keinen Schulunterricht —, trat er in die Armee ein. Und zwar als einfacher Soldat. Aus dieser Zeit stammen also die strategßchen Kenntnisse, die der spätere Herr und Senulspräsioent von Mittelalbanien bei der Verteidigung von Skulari anwandte. Mit der Zelt gelang es Essad, Unteroffizier zu werden. Da er von Hause aus nicht unbegabt war, lernte er bald einsehen, daß bei der Gendarmerie mehr zu verdienen war als beim Heere, und jo wurde er denn Gendarmerieofflzier. Die nächsten Jahre brachte Essad teils in Arabien, teils in Mesopotamien zu, stets als treuer Anhänger Abdul Hamids und mehr noch — eine orientalische Selbstverständlichkeit — auf seinen eigenen Vorteil bedacht. So wurde aus dem einstigen e-rttrurt tsm-ibl« der Familie Toptani ein führender Mann. Im Reoolutionsjahr 1908 hielt sich Essad vorsichtig zurück. Er warte ab, wer schließ lich Sieger oleiden werde, verdarb es weder mit den Jungtürken, noch mit dem alten System, dem er seine ganze Karriere zu verdanken hatte. Als im Balkankrieg Skutari von den Montenegrinern ein geschlossen wurde, eilte Essad mit albanischen Hilfs truppen herbei. Nach einem Gastmahl, das er dem türkischen Kommandanten Hassan Riza Bei ge geben, wurde dieser beim Nachhau egehen meuchlings niedergejchossen. Es wird behauptet, daß kein ge ringerer als Essad Pascha selbst diesen Mord an gestiftet habe, um der Erste in der belagerten Feste zu sein. Essad hielt auch noch einig« Zeit in Skutari aus, schloß dann aber einen Geheimvertrag mit König Nikolaus, demzufolge Skutari übergeben wurde, die Garnison aber in voller Bewaffnung at»iehen sollte. Der Vertrag wurde beiderseitig eingehalten, doch nicht eher, als dis Essad, wie allgemein erzählt wird, einen „Bakschisch" der besonders groß ausgefallen sein muß, von Montenegro und Serbien erhalten hatte. . . . Aus dieser Zeit stammt der Ruhmesglanz, der die Stirne dieses Toptani verklärt. Essad zog sich nach Mittelalbanien, seiner Heimat, zurück. Da er ein kleines Heer mit sich bracht«, war es ihm l«icht, di: Großgrundbesitzer Mittelalbaniens für sich zu ge winnen. Tirana und Durazzo schlossen sich an, andere Orte und Landschaften folgten, und so entstand die Regierung für Mittelalbanien, die verkörpert war in einem Senat, der heute noch besteht, und Lessen Haupt Essad Paicha, der Große, ist. Den Höhepunkt seiner Macht hat Essad vor etwa einem Monat er klommen. Nach allen Richtungen dehnte sich sein Einfluß aus, >ogar die Malissoren, der aesürcbtetfte katholische Bergstamm des Norbnes. schlossen sich ihm an. Da kam plötzlich der Putschversuch in Valona. Eine ganze Reihe sührender Albanesen schien ver dächtig. Anter ihnen auch Essad Paicha. Heißt es doch, oaß geplant war, in Durazzo die Geschütze für die „Aufslandsbewegung" zu landen. Dem Plane fiel Ismail Kemal zum Opfer, der Präsident der prooiwri,chen Regierung. D-c internationale Kon- trolllommijsion in Valona entfaltet« eine reg« Tätig- keit: noch vor der Ankunft des Prinzen zu Wied sollten die Regenten und Regentlcin im Lande fallen und eine einheitliche Negierung gebildet werden. Die Verhandlungen mit Essad hatten den Erfolg, daß Essad sich — ohne sein Amt als Präsident des Senates von Mittelalbanien nieüerzulegen — bereit erklärte, mit der Kontrollkommission zusammen zu arbeiten und den Prinzen an der Spitze einer Deputation in Europa zu begrüßen. Essad verlor damit die selbst herrliche Unabhängigkeit, aber er sicherte sich seine weitere Zukunft. . . Neben Essad ist di« meistgenannte Persönlichkeit in der letzten Zeit Ismail Kemal gewesen. Ec entstammt der Familie Dlora, die in Südalbanien etwa die Stellung der Toptani einnimmt, oder ein genommen hat. Kemal ist der Gegentyp von Essad. Er beherrscht verschiedene Sprachen, auch die franzö sische, in Wort und Schrift, während Essad Analpha bet ist. Essad ist Selfmademan und Gewaltmensch, Kemal Diplomat, Politiker, Redner und — bis zu gewissem Grad — Bureaukrat. Kemal verdankt seine Laufoahn zu einem guten Teil dem früheren Groß wesir Ferid Pascha, der gleichfalls ein Vlora und Kemals Vetter ist. In den beiden Parlamenten, die die junge Türkei gehabt hat, vertrat Ismail als Dor sitzender der albanesischcn Fraktion mit Entschieden heit die Interessen der Albanesen. Als Gegner d«r zentralistifchen Politik des Komitees hielt er lxi der Gegenrevolution im Jahre 1909 zu Abdul Hamid, wurde dafür zum Tode verurteilt, entfloh und agi tierte in Europa lebhaft für ein unabhängiges Al banien. Wie Essad zum Entsätze Lkutaris, so wandte sich im Balkantrieg Kemal mit aldanesischen Truppen nach Janina. Anstatt aber der erschöpften türkischen Garnison beizusprmgen, hielt er sich abwartend zur Seite — böse Zungen behaupten, er sei von grie chischem Golde bestochen gewesen. Und so wird heute «och die Schuld daran, daß Janina griechisch gewor- ten ist, Ismail Kemal zugcuchoben. Er hatte eben mehr Pech als Essad, den die europäische Intervention in Skutari vor einem schimpflichen Makel brwahrte! Immerhin war Kemal Beis Einfluß im Süden des Landes noch so groß, daß er in Valona eine „pro visorisch« Regierung" für ganz Albanien in» Leb«n rufen konnte. Dieser Regierung bat auch Essad Pascha als Minister des Innern für einige Zeit angehört. Da die beiden sich aber nicht vertrugen, schied Essad Pasch« »i»d«r aus, und s«it di«f«m Tage w«ren beide