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vrur 2. m. 132. Morgen»«usysvr. Leipziger Tagedlatt. Sonnavenü. N. MSn 1914. schäftssührenden Ausschuss«» scheint aber di« Aus führungen des Staatssekretärs Delbrück nicht in allen Teilen zu berücksichtigen. Denn die Erklärung lautete keineswegs, es wäre kein« grundlegende Revision der Zollpolitik Deutschlands und seiner Handelsverträge zu erwarten. Dr. Delbrück erklärt« vielmehr, es be stände einstweilen nicht die Absicht, dem Reichstag eine Novelle zum Zolltarif vorzulegen. Wenn die Vertragsstaaten sich mit uns auf einfache Verlänge rung der geltenden Handelsverträge einigen sollten, so würde sich eine umfassende Tarunovelle überhaupt erübrigen. „Wird dagegen von ihrer Seite — so er- klärte der Staatssekretär — das Vertragsverhältni; gekündigt oder an ihren Tarifen eine Aenderung vor. genommen, die unsere Ausfuhr berührt, dann werden die verbündeten Regierungen nicht zögern, diejenigen Massnahmen zu Irenen, die erforderlich sind, um die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands zu verteidi gen, Angriffe auf den derzeitigen handelspolitischen Besitzstand abzuwehren und die Verbesserungen des gellenden Tarifs, die als notwendig erkannt werden, durchzusetzen." Revisionisten un- figrarmarxisien. Dr. A. S chulz hält in der neuesten Ausgabe der „Sozialistischen Monatshefte" eine äußerst wirksame Abrechnung mit einigen Agrarmarristen, die in dem „wissenschaftlichen" Organ der Sozialdemokratie, de: ./Neuen Zeit", die „vorsintflutlichen" agrartheoreti- /chcn Anschauungen des „Genossen" Kautsty zu Ehren gebracht Haden. Gemäß diesen Anschauungen wurde von F. Wagner namentlich die Ueberlegenheit des landwirtschaftlichen Großbetriebes in der Vieh uchl behauptet, weil ein Pflegepersonal, das mit einer größeren An,zahl von Kälbern oder Fohlen zu tun habe, leichter in der Lage sei. sich die notigen Kennt nisse zu erwerben, als ein Kleinbauer, der alle Jahre bloß wei Kälber auszieh«. Solchen „naiv unkundigen städtischen" Aqrarmarrismus führt Schulz dadurch ab, daß er ihm das Zeugnis eines so.zialkeinokratiichen landwirtschaftliä)«n Praktikers, des Abg. Hofer, gegcnüberstcllt. Hofer hat auf das lebenswahrste ge schildert, wie sehr der landwirtschaftliche Grossbetrieb - nu Gegensatz zum Eigeninteresse der bäuerlichen Familie — an der Interesselosigkeit der Arbeiter gegenüber dem Betriebe krankt, weil den Arbeitern heute wegen des knappen Angebots von Arbeitskräften da; nötige Interesse nicht mehr wie ehedem durch das Droh.m mit Entlassung bei gebracht werben rann. Diese Interesselosigkeit über- lieht ein anderer Agrarmarxist, Mocglllh, wenn er die Ansicht vertritt, daß das als Betriebs form ausgezeichnete Großgut nur durch die Betriebs weise der schlecht wirtschaftend'n Großagrarier zugrunde ge richtet werde. Dr. Schulz glaubt nicht an ein schiech- tes Wirtschaften der „osieldischcn Junker", sondern spricht sich vielmehr für das Gegenteil in folgenden Sätzen aus: „Im großen ganzen holen sie, von gewissen Fidei kommissen abgesehen, aus ihrem von Natur über, wiegend armen Boden heraus, was er, ohne er schöpft zu werden, herzuaeben vermag. Wenn sie trotzdem den Grad der Produktivität und Rentabi lität der mittelbäuerlichcn Wirtschaften im allge meinen neuerdings nicht mehr zu erreichen ver mögen, so scheitern sie an den Mißständen, die ge rade mit der Großl>etri«bs f 0 r m unlöslich verbun den sind und ihr, solange es d«n Gutsarbeitern mög lich ist. auf colonialem Neuland als Bauern oder in den Städten als Industriearbeiter unterzukoinmcn, in jeder denkbaren (hesellschastsordnung anhaftcn werden: am Ma ngelan ländlichen Arbeitern, an bereu Interesselosigkeit uttd^än der Un möglichkeit, die agrikole Handarbeit durch landwirt- . jchästllche Maschinen in hinreichendem Umfang vor teilhaft zn ersetzen. Infolge dieser Nachteile gerade der Großbetriebs form muß auch jeder Ver- such sozialistisch«! Großlandwirtjchaft mißlingen; und zwar um so eher, als ja in einem sozialistischen Staat, dessen erstes Werk es natürlich wäre, die städtischen Arbeiter gegen Arbeitslosigkeit. Ausbeu- tung durch die Unternehmer, Mielswucher und Schröpfung durch Len Zwischenhandel zu schützen, die Landflucht der landwirtschaftlichen Arbeiter noch stärker «nschwellen dürste." Hält Hofer an dem agrarmarxistischen Ideal fest, den landwirtschaftlichen Großbetrieb durch selb st arbeitende Genossenschaften zu ersetzen, so hat Schulz aus dem Scheitern entsprechen der Versuche in Italien gelernt, daß der produktiv genossenschaftliche Kroßautbctrieb in Deutschland noch viel weniger verwirklicht werden könne, weil in un serer Agrarverfassung die wirtschaftlich sozialen Vor bedingungen (Latifundien, Zwischenpächtersystem und Par'.ellenocrpachIung , und weil in unserer Land arbeiterschaft die pychüchen Grundvoraussetzungen fehlten. „In Deut chland", folgert deshalb Dr. „Ich bin -as Schwert!" Vor wenigen Tag«n ist «in Buch erschienen; das wird wie ein Feuerbraivd wirken, erleuchtend und verzehrend zugleich. Annemarie von Nathu- sius, die Dichterin des „stolzen Lumpenkrams", hat's uns geschenkt. Aus einem Wort Heinrich Heines gewann sie für ihren Roman den aufreizen dem, herausfordernden Titel: „Ich bin das Schwert!" (Verlag von Carl Reißner, Dresden.) Aus Twgebuchblättern und Driesen läßt sie die Lebensschicksale und Leidensjahre einer mutigen Frau erstehen, die cs verschmäht, „Sklavin der Sitte" zu bleiben, weil sie in einer vorgetäuschten Ehe die gräßlichste Lüge ihrer Tage erblickt. Renate von Falkeubain war in ihren Mädchen jahren sicher die stolzen und barten Wege geschritten, Sie ihr die Ucberlieferuug ihres Hauses, eines ucker märkischen Iunkergeschlechrs, wiesen. Sie war voll von Idealen aus harmlosen Romanen und Heldensagen „und erwartete wie Elsa ihren Lohengrin". Aber schon ihre ersten Schrille aus den Parketts der Ber liner Adelsgescllschast führten sie zu herb enttäuschen der Erkenntnis: Nicht die jungen Mädchen ließen sich den Hof machen, sondern sic selbst machten ihren Tänzern den Hof. „Das war keine harmlose Freude, kein U'nlxfangencs Genießen, keine Lust an bunten Bildern, munteren Spielen; das war der Kampf um die einzige Versorgung, die dies« Frauen kennen..." Da tritt ein schöner, stattlicl-cr Edelmann in ihr Blickfeld; er ward ihr Gatte, der Erwecker ihrer Sinne, und sie hält ihn für den großen Helden ihrer großen Liobe. Bald erwacht sie aus dem ersten starken ^innesrausch; sie gewahrt mit steigendem Entsetzen, daß ihr Gatte ein brutaler Mensch ist, der seine vor Gottes Altar angetraute Frau mit anderen Frauen betrügt. Sie blickt in andere Ehen und findet überall das gleiche düstere Bild, sie macht überall di« gleiche niederschmetternd« Erfahrung. Sie beklagt, daß „rn der Uniformierung des Geschmacks, di« Täti-fkeit des Gefühls, jeder gut« K«rn b«i den Männern erstickt" wird, die „bei Trinkgelagen, beim Spiel, in schlechter Frauengesellschaft, in rohem, stumpfsinnigem Frontdienst, mit irgendeiner konserva tiven Zeitung als einziger Lektüre, neben einigen Witzblättern und oberflächlichen Romanen" ihre Zeit Schulz, „kann die Emanzipation der besitzlosen Land arbeiter ichaft innerhalb ihrer landwirtsck>afttichen Be rufssphäre. in der wir alle sie doch möglichst erhalten wollen, nur aus dem Weg der staatlich geförderten Schaffung von entwicklungsfähigen Arbeiter stellen und von kleinen und mittleren Bauerngütern vor sich gehen . . . Eine groß zügige Binnensicdelung, dre auch den tüchtigeren Landarbeitern den Weg ins Bauerntum öffnet, ist. . . das wirksamste Mittel gegen die schweren Uebel der Landflucht, des Landaroertermangels, der Slawisir- rungsgefahr, des Geburtenrückgangs und der perio dischen Fleischteuerunz." Die „Genossen" de; preußischen Abgeordneten hauses werd«n sich mit dieser Auffassung auseinander, zutctcen Haden, wenn di« nationalliberalen Anträge zur Förderung der inneren Kolonisation auf der Tagesordnung stehen. Schnelle Justiz. * Mit einigem Verwundern werden unsere Leser vernommen haben, daß die Suffragette Mary Richardson, die am Dienstag vormittag oen schändlichen Anschlag aus das Venusbild von Vrlae- gue; in der Londoner Galerie verübte, bereits gestern vor dem Schwurgericht abgeurtcilt wurde. Sie er hielt sechs Monate Gefängnis. Zwischen der Tat und dem Urteil lagen also nur zwei Tage. Erstaunt wird sich jeder fragen: Wie ist das in England möglich, und w e n n es dort möglich ist, warum nicht auch bei uns? Die Sache erklärt sich durch die Einrichtung der eng lischen Polizeigerichte und Schwurgerichte. D.s Polizeigerichte urteilen über kleine V.r.zehen in io- sortiger Verhandlung, liegt aber, w e in dicfem Falle, «in schwereres Vergehen vor, so wird die Sache als bald an das Schwurgericht verwiesen. Eine Vor untersuchung wie bei uns gibt es nicht; dem Schwur gericht genügt in der Regel die Mitteilung des Tat bestandes, den di« Polizei festftcllt«. Der Vorteil springt in die Augen. Was war im Falle der Richard son noch viel zu ergründen ? Sie war sofort nach ihrer Tat an Ort und Stelle verhaftet worden, und sie machte auch gar keinen Versuch, auf Ausflüchte zu sin nen und die Verhandlung zu erschweren. Immerhin: bei uns würden vielleicht Wochen bis zum Richter spruch vergangen sein. Damit ist nun freilich nicht gesagt, daß di« englische Einrichtung d«r Polizeige- richt« und besonders der Schwurgerichte in jeder Beziehung musterhaft wären. Es gibt dort Missstände, die nach unserer Auffassung unerträglich sein müßten. Der Vorzug, der in der raschen Erledigung liegt, ist aber unbestreitbar. Es entspricht dem Rechtsgsfiihl des Volkes, wenn die Strafe dem Verbrechen auf dem Fuße folgt. Vas kriegsbuüget In -er französischen Kammer. Die französische Kammer beriet, wie aus Paris, 13. März, telegraphisch gemeldet wird, in ihrer Vor- Mittagssitzung das Kriegsbudget. — AndrS Lefevre mgte, die Veriüngunq der Führer dürfe nicht automatisch und nach Ziffern erfolgen. — Driant erinnerte an Moltke. — Lefävre erwiderte, Deutschland wäre schlecht gefahren, wenn Moltke mit 65 Jahren zur Disposition a«. stellt worden wäre, und verlangte mehr Tätig, leit für die Generale. Dämel Vincent macht« den Kriegsminister darauf aufmerksam, daß gegen über der Neigung des preußüchen Generalstabes, den Angriff auf Frankreich mehr nördlich anzusetzen, die Rordgrenze nicht hinreichend verreidigungs- fähig sei. So seien Maubeuge und Hirson nicht rm Verteidigungszustand. Er sei überrascht, daß das 21. Armeekorps und nicht das erste verstärkt werde, aber er beuge sich der höheren Ein. sicht, welche auch die Fliegerzentralen des Nordens ausgehoben habe, was er bedauere. Das Kriegs ministerium sei dem Eifer der Bevölkerung an der Nordgrenze für das Flugwesen nicht gerecht ge worden. Bei der Erwähnung des Gesundheitszu standes der Armee meinte der Redner, dieser sei in Deutschland viel besser, obgleich es dort viel kälter sei. Im Lause einer heftigen Kontroverse mit dem Nationalisten Driant erklärte derSozialist Vailla nt, die Sozialisten würden alle m i l i t ä r i s ch e n A us- gaben ab lehnen, würde aber die Kredite für die Verbesserung der Gcsundheitsverhältnisse in den Kasernen unnehmen und sogar noch solche fordern. Als ein Redner auf die Aufhebung der Flieger» zemren in Nordsrankreich zu sprechen kam, unterbrach ihn der K r i e g s m i n i ste r mit der E r k l ä r ung, die Verwaltung behalte die Landungsplätze für Flugzeuge bei, da dieie bestän- dig entlang der Grenze verkehren müßten. Der Berichterstatter Benazet wünschte, Bemer kungen über das erste Budget des Dreijahres gesetzes zu machen. Die Sozialisten begannen jedoch, seine Rede zu zerpflücken, was deftigen Wideripluch im Zentrum und auf der Rechten hervorrief. Benazet wollte sagen, gewisse Abgeord nete der Linken hätten unrecht, den Sozialisten zu folgen, die nur logisch handelten, wenn sie das Dreijahresgesetz bekämpften. Die äußerste Linke überschrie ihn mit der Aufforderung, sich an seinen Bericht zu halten. Da der Präsident den Tumult nicht beschwich tigen konnte, verließ der Berichterstatter die Tribüne, mir vollerStimme rufend:„Erstgestern hat derKriegsministcr die Notwendig keit des Dreijahresgesetz es betont!" Tdalamas wollte dem Berichterstatter antworten, wurde aber nun übertönt vom Zentrum durch Klopfen mit den Pultdeckeln. Kriegsminister Nou lens erwiderte den Vor rednern und rechtfertigte die Altersgrenze für Generale, die nach erfahrungsmüßiger Wahrschein lichkeit festgesetzt sei und es ermögliche, gelegentliche Einflüsterungen, die dem Allgemeinwohl abträglich sein könnten, unschädlich zu machen. Von dem Ge sundheitszustände der Armee sprechend, er klärte der Minister, die Belegungsziffer aller noch überbeiegten Kasernen werde herabgesetzt. Auf Zwischenrufe der Sozialisten erklärte er, in den neuen Kasernen sei der Gesundbeitszustand besser als in den alten. (Neue Zwischenrufe der Sozialisten.) Der Minister bat die Kammer zum Schluß, das Kriegsbudget im Geiste des Vertrauens anzu nehmen. (Beifall) — Damit schloß die Generaldisknssion. Deutsches Reich. * Van dem Wahlkampf in Borna—Pegau wird uns geschrieben: Obwohl Innungen und Handwerker vereine parteipolitisch-neutrale Körperschaften sind, wird von Len Konservativen in den Städten des Wahlkreises der Versuch gemacht, sie auf die Kandi- oatur v Liebert sestzulegen. Das geschieht in Ge he > m ve r ' a m m l u n g e n, in denen der Reichs- rnibänoler Besteck, der sich als Handwerkskammer« sekietär a. D. bezeichnet, die Mittelstandspolitik der N tionalliberalen und des Abg. Nitzschke in unglaub- licher Weise angreift. Eine solche Versammlung ist letzthin in Rochlitz den Konservativen von dec nationalliberalen Parteileitung verdorben worden Am Donnerstag abend wurde in Rochlitz gegen diese Kampsesweise der Rechten ein vernichten der Schlag geführt in einer startbesuchten Verlamm lung, in der Landtagsabg. Dr. Seyfert über: „Was wir wollen!" und Abg. Nitzschke über: „Lebensfragen des Mittelstandes" sprachen. Die Veranstaltung wurde zu einer eindrucksvollen Kund, gebung für die nationalliberale Sache. * Zwei Spionage.Prozesse werden wiederum in der nächsten Zeit den Vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts beschäftigen. Am Donnerstag, den 26. März wird verhandelt werden gegen Len Monteur Karl Gärtner aus Berlin, der des Diebstahls und Verrats militärischer Ge heimnisse beichuldigt ist, und den Apotheker Bern hard Roth mann aus Berlin, der sich der Be günstigung des Erstgenannten schuldig gemacht haben soll. — Am Donnerstag, den 2. April werden sich zu verantworten haben der Fabrikarbeiter Jakob Strub aus Basel, schweizerischer Staatsangehöriger, der Monteur Otto Keller aus Burgfelden (Ober-Elsaß), zuletzt in Basel wohnhaft, und der Arbeiter Georg Walter aus Fricdrichsfeld, Amt Schwetzingen. Die Anklage lautet in diesem Fall« auf schweren Dieb stahl und Verrat militärischer Geheimnisse. > > * Der Evangelisch-national« Arbeiterverein Leip, zig beschäftigte sich in einer seiner letzten Gesamt« vorstands-Sitzungen nLt der Kirchen.Au«, trittsbewegung. Das Referat hatte Pastor Johannes Richter übernommen. Beschlossen wurde in allen Gruppen gleiche Vorträge halten zu lassen. Des weiteren erfolgten Mitteilungen über ein großes gemeinsames Sommerfest an, 14. Juni im „Bonorand". Für das achte Rationale Volksfest wurde lebhaft Propaganda gemacht. Die weiteren Verhandlungen galten der Hauptversammlung des Gesamt-Vereins, die am 15. März nachm. '/,4 Uhr, im Restaurant Metropol stattfindet Auf der Tagesordnung steht auße>- Jahres- und Kassenbericht, Neuwahlen, u. a. ein Vortrag über die neuen Verhältnisse bei der allgemeinen Ortskrankenkasse Leipzig-Stadt. * * Bom bayrischen Hofe. Der österreichische Thron folger wird am 14. April zu einem zweitägigen offi ziellen Besuche am bayrischen Hofe eimrcffen. * Tagung des Hansabundes. Das Präsidium de» Hansabundes hat beschlossen, anläßlich des 5jährigen Bestehens des Hansabundes eine Tagung des Ge samtausschusses am 12. und 13 Juni in Köln ab» zuhalten. Ausland. Gesierreich-Ungarn. * Ueber den österreichisch - montenegrinischen Zwischenfall gibt, wie aus Wien telegraphisch be richtet wird, das l.Neue Wiener Tagblatt" einen authentischen Sach verhalt. Danach war bis zum letzten Balkankriege den türkischen Soldaten zur Erreichung der hart an der Grenze ge legenen türkischen Kasernen die Benutzung eines auf bosnischem Gebiet gelegenen Wcgtciles gcstattet, eine Begünstigung, die unter Festhaltung des Stand punktes, daß die Errichtung eines serbischen Militär postens auf diesem Wege nicht .zugelassen werden könnte, nach der Eroberung des angrenzenden Ge bietes durch die Serben auf diese übertragen wurde. Gegen einen in dieser Richtung von serbiicher Seite noch während des letzten Kriegszustandes unter nommenen Versuch wurde seitens der bosnischen Landesregierung Einspruch erhoben, worauf der österreichische Standpunkt von dem serbischen Kom mandanten bei Metalka anerkannt und der serbische Posten zurückgezogen wurde. Am 7. März sand ein österreichischer Greu.zjägerzug diesen Weg von montr- negrinisckicn Soldaten besetzt. Am nächsten Tage kamen die Montenegriner, die auf etwa I2i> Maui: verstärkt worden waren, der wiederholten Aufforde- rung, den Weg zu räumen, nicht nach. Sie nahmen Gefechtsstellung ein. Zugleich wurde aus ter benach barten Kaserne auf die österreichischen Truppen ge schossen, di« selbstverständlich das Feuer erwiderten und die Montenegriner unter den bekannten Ver lusten zum Rückzüge zwangen. Ein bosnischer Geo meter und eine montenegrinische Kommission ver maßen darauf das strittige Gebiet und stellten un- zwerfelhaft fest, daß es sich tatsächlich um bos nisches Gebiet handelt. Die montenegrinische Kommission, die in amtlicher Eigenschaft erschienen war, sprach ihr Bedauern über den Vorfall aus. erkannte ausdrücklich die Berechtigung des Vor gehens der österreichisch-ungarischen Truppen an >ino sagte zu, daß das österreichisch-ungarische Gebiet hin fort respektiert werden würde. * Studentische Kundgebungen. Aus Wien, 18. März, wird telegraphisch gemeldet: Am Freitag vormittag fanden vor der Universität Kund, gedungen italienischer und südslawi scher Studenten statt wegen Errichtung einer italienischen Fakultät. Etwa vierhundert italienisch« Studenten besetzten unter Absingen nationaler Lieder die Universitätsrampen. Die südslawisä>en Studenten beabsichtigten, Li« Rampen im Sturmlauf zu nehmen, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Hier auf wollten die Südslawen durch ein Seitcntor in die Universität eindringen, aber auch hier trat ihnen Polizei entgegen. — Die Kundgebungen vor der- Tierärztlichen Hochschule wurden heut« fort gesetzt. Hörer der Hochschule zogen mehrere hundert Mann stark gegen das Hochschulgebäude und wurden in der Nähe der Hochschule von der Polizei zurück gedrängt. Hierauf eröffnete ein Teil der Studenten ein Steinbombardement gegen die Hochsch.ilc, und als die Wache vorging, geg«n diese. Die Polizei machte von den Säbeln Gebrauch, Umgebung der Hochschule rasch geräumt wurde. Frankreich. * Französische Rentenspekulation. Wie aus Parts, 13. März, berichtet wird, hat die im Auftrage des Oberstaatsanwalts und des Polizcikommissars Berthelot angestellte Untersuchung über die Rentenspeku lationen. die anläßlich des neuen Renten- steuerentwurss Taillaux' an der Börse unternommen worden sein sollen, keinerlei Ergebnis zutage gefördert. Die Wechselmakler, die Coulissicrs und die Bankiers, an di« sich Berthelot wandte, beriefen sich durchweg auf das Berufsgeheim nis und verweigerten jede Auskunft. Es war dem Polizeikommissar unter diesen Umstän den unmöglich, festzustellcn, für wessen Rechnung die fraglichen Börsengeschäfte gemacht worden sind, und er bat deshalb seine Untersuchung bereits abgc, schlossen. Selgken. * Die Sorge um den Kongo. Aus Brüssel, 13 März wird gemeldet: Der K o 1 o n i a l m i n i st c r Has eine Kommission eingesetzt, die die Finanz. dahinbringen. Und sie schreit auf über das Los der Frauen: „Es galt uns zu opferwilligen Geschöpfen zu machen, die weder fragten noch awkla-glvn, sondern ihr Schicksal, Verrat, Untreue, Mißhandlung jeder Art demütig trugen, Siam ine Serben das Leben gaben, und nach außen hin di« Laster vertuschten, die inn Innern des Hauses fraßen." Die trotzig Auf- begehrende wird eines Tages von ihrem Vater hart zurcchtgewiesen: Dankbarkeit haben die Frauen dem Manne gegenüber aufzubringen. „Die Kinder sind das Zicsi der Ehe und nicht der Genuß." Umsonst! Weil ihr Mann zynisch die Ehe brach, weil andere Männer „Ia-gdreisen" in Begleitung von Frauens personen unternehmen, wieder ander« ihre Frau«n blutig schlagen oder mit .zehrender Seuche vergiften, wie es ihrer unglücklichen Schwester Armgard ge schieht, schöpft Renate aus der Vertiefung in Nietzsches Zarathustra — ein edler Freund schenkte ihr dieses Buch — für sich das Recht Mr Vergeltung am Männcrgcschlecht. Einem flüchtig-hastig genoßenen Sinnenglück mit «mein reichlich oberflächlichen Reitcroffizier folgt eine längere Liebesepised« mir einem Mann, der auch die Seele der Frau zeitweilig zu fesseln weiß. Aber das schier unstillbare Ver langen nach der großen, einzigen Liebe vermag auch dieser Mann, «in Herzog von guter Bildung, nicht zu sättigen. Als sie sich auch von ihm verraten und ver lassen sieht, schlägt ihre Erkenntnis zu dem furcht baren Wahn um: „Zwei Tiere hatten einander er kannt — das war unser Erlebnis." Von diesem schrecklick>en Irrwahn vermag sie auch der Iren hinaebende Graf Türmer — der si« einst mit Nietzsches Werken bekannt gemacht — trotz aller Opfer nicht zu heilen. Sie erzwingt ihre Scheidung von dem ungeliebten, ja bitter gehaßten Gatten: sic will frei sein und sich und ihrem Geschlecht eine Strei terin wider di« Verlogenheit der gesellschaftlichen Sitte werden. Aber immer wilder schüttelt sie das Schicksal. Verstoßen von ihrem Geschlecht, verfemt bei ihren Standesgenossen. verlacht von den leicht blütigen, leichtlebigen Frauen ihres Bekannten kreises, die lieber geflissentlich ein trügendes Ebe leben vortäuschen, als die Lüge abstreifen, steht sie am Abgrund, droht sie zu versinken: da reicht ihr ein edelmännischcr Sonderling, klug und frei von Vor urteilen, die rettende Hand: „Ein wahrhaft fürst liches Herz, ein großes, starkes, stilles Herz, das mich verstand." Da kommt aber auch der groß« Bruch im Roman. Ueber den vermag die Dichterin, die bis dahin den Leser in atcmraubender Spannung zu halten verstand, weder durch wohlgesetzte Prosa, noch durch schöne Lyrik hinwegzutäuschen. Die schwerste Belastung», probe bleibt Renate von Falkenhain erspart. Zn auskömmlichem Dasein, betreut von dem greisen Edelmann, einem richtigen ckous ox waehivs, kann sie nun die Feder führen und ihre Bücher des Männerhasscs schreiben. Mit voller Absicht hatte sie darauf verzichtet, die Paradcrolle einer sogenannten anständigen Frau vor der Gesellschaft zu spielen, der sie die Mißachtung vor ihren lügnerischen Gesetzen zeigen wollte; und doch nimmt sie, am Ende ihrer Kraft, gern und dankbar die Almosen, die dieser fein sinnige Mann, aber doch eben ein Glied ihrer ver lästerten Gcscllsch-asskrcise. ihr in den Schoß schüttet. Was ist uns dieses neue Buch der Nathusius? Mehr als ein flüchtiger Zeitvertreib, aber auch weniger als ein echtes Kunstwerk. Das fühlt die Verfasserin auch selbst: „Ich rechne mich nicht zu den Künstlern, ich rechne mich vielmehr zu denen, die eine Art Aufklärungsdienst tun müssen in der Gegenwart." Also einen Tendenzroman will sie uns schenken. In der Tat. Es ist eine harte, heiße Rügerede wider die Männer, die das wilde Strömen und das stürmische Rauschen ihres Blutes willig gewähren lassen, wäh rend sie dem rascher reifenden, gleichgearteten Mädchen diese Freiheiten l-emmungslosen Genießens roh und rauh verbieten wollen; die jedes Mädchen, das eine starke Leidenschaft zum Trotze gegen solches Herren- gebot trieb, aufs tiefste, mißachten, während sie selbst mit ihrer scheinbaren Unwiderstehlichkeit prunken, je toller sie es in ihrer Sünden Maienblüte getrieben haben. Es wäre eine erbärmliche Feigheit von uns Män nern, wollten wir die bitterharten Wahrheiten, die uns die Nathusius entrüstet vorhält, durch Poltern und Schelten auf entartetes Weibtum zu übertönen suchen. Aber freilich, man macht sich unbeliebt, kochst unbeliebt, wenn man solche Ding« furchtlos und ernsthaft erörtert, und darum wird da» Schicksal des Buches der Natbusius gerad« dort von vornherein besiegelt sein, wo es wie ein hell leuchtendes Fanal wirken sollte. Weil hier so unerbittlich, so rücksichts los Altäre umgcstürzt, weil so manche Götzen ver brannt werden, wird man in gewissen Kreisen das Buch verwerfen und die Verfasserin verlästern. Und wenn sich dieser Schar auch Leser anschltehen, die vor urteilslos und offenherzig genug sind, das Recht aui diese Rüperede der Verfasserin zuzug-rstehen, dann aeschiehts, weil das Buch an seiner Tendenz krankt. Wäre der Ad-el wirklich durchgehends so, wie ihn die in härtester Leibcnsschule geprüfte Renate von Faltenhain sieht, dann wäre er wert, zugrunde zu gehen. Aber es gibt doch auch in den Kreisen, die der Roman schildert, wahrhaftig noch glückliche Ehen, wackere Ehemänner und tüchtige Ehefrauen genug, Familien, die ein reiches, star- i kes Innenleben führen, deren Bedürfnisse über > Tennisplatz, Ballsaal und Sechstagerennen weit hcn- ausgehen, die ihre Töchter vor der Abgeschlossenheit der Märchenprinzesstn oowahren und sie einen Blick ins Leben tun lass.n, damit ihnen Enttäuschungen von der Art, wie Renate sie schaudernd erlebt, er spart bleiben. Die Ansätze des Romans, auch das Gute in den Adelsgcjchlechtcrn zu würdigen, sind denn doch zu schematisch, zu farblos gebueden — dem Heer von brüchigen, fauligen Männer- und Frauengestalten steht nur ein Vierteldutzend anstän diger, vornehmer Charaktere gegenüber — und des halb eben krankt das Buch an seiner Tendenz. Gleich anfechtbar ist auch die seltsame Ethik, die hier entwickelt wird. Die Ehe wird verworfen, weil sie dem Weibe sklavisch« Erniedrigung bringt, wäh rend sie der Mann doch nicht als veroflrchtendes Band achtet. Sie soll Lurch Freundschaft ersetzt werden. Aber lehrt uns nicht die ErsGrung, daß eine Freundschaft zwischen Mann und Weib zuletzt doch starke Liebe wird, wenn wirklich reine, tiefe Freundschaft vorhanden war? Lehrt nicht gerade auch ' der viel angerufene Nietzsche Len „Garten der Me" hoch und heilig halten? Nein, man kann den ethischen Anschauungen, wie sic die Nathusius hier auf Nietzsche gründen will, gerade um Nietzsches willen nicht bei pflichten, sondern nur bedauern, auch in diesem Punkte eine Schwäche des Buches seststellen zu müssen. Aber ungeachtet dieser notwendigen Ausstellun gen an dem Roman — deren eine, die Tendenz, von der Verfasserin ja auch selbst zug«stonden wird —, ist das Buch ein verdienstliches Werk, denn in einer leidcnschaftsdurchglühten, glänzenden Sprache werden mit packender Gestaltungskraft und mit erschütternder Anschaulichkeit von einer unerschrockenen F:^u bitter ernste Wahrheiten in die Welt hinausgcrufen, Wahr heiten. die den dämmernd Dahinlobcnden die Sinne erleuchten, den Scheinheiligen aber ihre Larven in Flammen verzehren sollen. vr. Xrvv