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Vie lvie-ereiafühnm- -er Lanze bet -er Kavallerie -er Großmächte hat jetzt weitere Fortschritte zu verzeichnen. Die russisch« Heeresverwaltung hat sich nämlich entschlossen, die Lanze fiir die ersten Glieder der Kavallerie einzustthren. Sie ist 3,5 Meter lang, toiegt 2,6 Kilogramm und besteht aus einem Stahlrohr mit klinge und Tuch. Nur sür Pa- nadezrvecke wird am oberen Schäftende «in Fähn chen angebracht, das fiir die verschiedenen Neiter- Haltungen eine besondere Einteilung aufweist, die toiederum je nach den Regimentern mit ver schiedenen Farben ausaestattet ist. Es zeigt sich, dass immer mehr Heeresverwal tungen das deutsche Vorbild nach ahmen, und nur in der österreichisch-ungari- schen Kavallerie sowie in Italien ist jetzt die Lanze als Einheitswaffe noch nicht zu finden. In England ist vor längerer Zeit bereits die Lanze bei 6 Lanzenreiterregimeinern als Kriegs waffe eingeführt worden, nachdem sie als solche abgescljafst war und nur zu Paradezweckcn be nutzt werden durfte. In Frankreich hatte man sich zu einer solchen Bewaffnung entschlossen, um, wie es in der Presse hieß, gegenüber der deutschen Kavallerie nicht zurückzustehen. Es handelt sich hierbei zunächst um die Bewaffnung der Dragoner- und Chasseursregimenter, die den Bestand der Kavalleriedivisionen bilden und die .Hauptmasse der französischen Reiterei darstellen. Bei den .Husarenregimentern, die als Divisions- savallerie Verwendung finden sollen, sowie bei den Kürassieren will man vorerst die Lanze nicht einführen. In der französischen Fach presse ist zu lesen, daß man in Ösfizierskrcisen mit dieser neuen Bewaffnung durchaus zufrieden ist, und daß die neueste französische Metallanze hinsichtlin) des Querschnitts des Sclzastes nach französischer Ansicht ebenso wie bezüglich ihrer Leichtigkeit und Festigkeit die deutsche bedeutend überragen soll, zumal sic auch besser im Gleich gewicht zu ihllten ist. Sie ist nur 2,90 Meter taug und wiegt 1,85 Kilogramm. Unterhalb der vierkantigen Spitze befindet sich di« „porte- Itaminc", ein weiß-rotes Fähnchen. Im Fuß gefecht bleibt die Lanze im Schuh und wird an der vorderen Packtasck^e befestigt. Nicht mit Un recht ist bei den Armeen der Wunsch nach einer praktischen Erfindung hervorgetreten, die es er möglicht, die Lanze durch eine entsprechende Vor richtung entweder zusannnenzuleqen, zusammen- Mappen oder zusammenzuschcebcn, da jetzt durch das Verbleiben der Lanze bei den Hand pferden deren Beweglichkeit erheblich behindert wird. Deutsches Reich. * Starte Benutzung staatlicher kraftwagenlinien. Auf der staatlichen Krastwapenlinie Plauen- Oelsnitz. die so in Anspruch genommen ist, daß ne Automobile den Verkehr nicht bewältigen tonnten, find vom 1. Januar zwei weitere Fahrten eingelegt. Die eine von ihnen befördert auch Post güter. — Auch auf der Linie Plauen-Eiben nuck wird eine Vermehrung der Fahrten ein- rreten, die gleichfalls zum Teil mit Postbesorderung verbunden werden sollen. " Aus dem 14. Reichstagswahltreise. Eine recht gut besuchte Vereinsvcriammlung hielt der N a t i o- nal liberale Verein für Rochlitz und ll m gegend ab. Der Vorsitzende des Vereins, Dr. Degering, erstattete zunächst ausführlichen Bericht über die in Borna am 30. November abgehaltene Sitzung des Verbandes nationaUiberalcr Vereine des 14. Reichsragswahlkreises. Sodann wurden die bevorstehende Reichstagsersatzwahl im 14. Reichs- tagswahllreiseund dieLandtagsneuwahlcn besprochen. Schließlich sprach die Versammlung dem Vorsitzenden einstimmig ihr volle« Einverständnis aus zu der von ihm verfaßten und veröffentlichten Entgegnung geoen den bekannten Artikel des „Neuen Deutschland". Mit der Aufforderung, alles daran zu setzen, um der natioualliberalen Sache bei der bevorstehenden Wahl zum Siege zu verhelfen, wurde die in allen Teilen anregend verlaufene Versammlung geschloffen. * Aus dem 18. Reichstagswahlkreise wird der „Sachs. Umschau" geschrieben: „Die „Chemnitzer Allgemeine Zeitung'^ vertritt seit einigen Monaten eine rein konservative Politik. Ganz besonders ist dies in den letzten Tagen bei den Erörterungen über die Vorgänge rn Zabern und über alles, was damit zusammcnhängt. hervorgetreten. So bedauerlich diese öffentliche Rechtsschwenkung der „Chemn. Allg. Zig." vom Standpunkte des Liberalismus aus ist, so wenig kann sie Verwunderung erregen, wenn man berück sichtigt. daß der gegenwärtig sür die Leitartikel ver antwortlich zeichnende Redakteur ein Mitglied des sattsam bekannten reaktionären „P r e u ß e n b u n - des" ist. ^)iese Tatsache, die aus Nr. 1 des Karre- spondenzblattes des „Preußenbundes" ersichtlich ist, erklärt allerdings hinreichend den konservativen Ton, der jetzt in den Spalten der „Chemn. Allg. Ztg." angeschlagen wird." * Reichsgründungsfeier 1914. Am 17. Januar veranstaltet, wie wir schon tür lich meldeten, der Ratio n all ibcrale Verein für Leipzig und Umgebung im Großen Saale des Hotels „Stadt Nürnbergs eine Neichsgrändungsseier, die, wie die früheren feiern, ein reichhaltiges Programm aufweii!. Universitätsprosessor Dr. Otto Baum garten aus Kiel hat die Festrede übernommen. Außerdem werden u. a. der Leipziger Männerchor, das Musilchor des 8. Infanterie-Regiments Nr. 107 sowie eine Damen- und Herrenabteilung des All gemeinen Turnvereins zu Leipzig Mitwirken. ReichstagsaLgeordneter Schöpflin, bisher Redak teur der „Leipziger Volkszeitung", ist vom Parteivor stand zum Redakteur der soz i a l L e m o k ra t i s ch e n Parteikorrespondenz an Stelle des verstor benen Redakteurs Schröder gewählt worden. * Ter Kaiser ist am Freitag nachmittag 3 Uhr vom Potsdamer Bahnhof in Berlin mit Gefolge im Sonderzug nach Sigmaringen abgereist, wo die Ankunft Sonnabend früh 8,55 Uhr erfolgen wird. * Herzog Karl Eduard von Sachsen-Koburg-Eothr ist an R h e u m at i s m u s erkrankt. Daher wurden eine große Hcncour und der Besuch der sonstigen Veraustaliungen abgesagt. * Empfang beim Fürsten Bülow. Aus Rom wird gemeldet: In der „Villa Malta" gab Fürst Bülow einen glänzenden Empfang für die Spitzen der deutschen Kolonie. An den Empfang schloß sich ein Souper. Vertreter des Deutschen Reichs und Bayerns sowie die in Rom weilenden Gelehrten und Künstler waren vollzählig anwesend. * Der frühere badische Finanzminister Becker gestorben. Am Freitag vormittag ist in Karlsruhe der Wirkst Geh. Rat Eugen Becker, der vom 18. Mai 1904 bis zum 22. Oktober 1906 badischer Finanzminister war, 55 Jahre alt, gestorben. * Der Weihbischos der Diözese Münster, Dr.Zlligens, ist am Freitag mittag gestorben. * Die Zaberner Borgänge vor der reichsländischen Kammer. Der „Straßbu.'er Post" zufolge haben sich die Fraktionen der Zweiten Kammer über die Be- l-andlung des Zaberner Falles dahin geeinigt, daß die Interpellationen er st in derWochenachder Eröffnung des Landtages besprochen wer den sollen. Man wird am Eröffnungstage nur die Bildung des Bureaus vornehmen und am darauf folgenden Mittwoch die Etatsdcbatte ohne Berührung der Zaberner Vorfälle beginnen. Am darauffolgen den Dienstag, 15. Januar, sollen dann die Jnterpella- nonen über Zabern auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Begründung wird im Auftrag aller Fraktionen der Abg. Bürgermeister Knöpffler (El sässer Zentrum) von Zabern übernehmen. Auf diese 26eisc wird es ermöglicht, vor Beginn der parlamen tarischen Debatte das Urteil im Prozeß gegen den Obersten v. Reuter abzuwarten. Acrzte und Krankenkassen. Nach der am 23. De zember >913 in Berlin zwilchen den Organisationen der Krankenkassen ustd der Aerzte getroffenen Ver einbarung sollen die Aerzte, die von den Kranken kassen während der Vertragsstreitigkeilen von aus wärts herangezogen und fest angestcllt worden sind, alsbald von der kassenärztlichen Tätigkeit am Orte gegen Abfindung ihrer Ansprüche entbunden werden. In Düsseldorf wurde durch die zu diesem Zweck unter Leitung des Regierungspräsidenten geführten Verhandlungen eine Einigung zwischen dem Aerzteverein und dem Krankenkasjenverbande er zielt, wonach die n e u angenommenen Aerzte über haupt nicht in Tätigkeit treten. — Aus Osna brück wird gemeldet: Zwischen Ortskrankenkassen und den Aerzten ist es zuKonflikten gekommen. Die Aerzte kündigten ihre Verträge zum 1. April. * Bom Zentralverband Deutscher Industrieller wird uns geschrieben: „Die nunmehr zum Ab schluß gelangte Revision des Zolltarifs in den Vereinigten Staaten von Amerika hatte dem Zentralverband Deutscher Industrieller Ver anlassung gegeben, im Frühjahr d. I. einen Ver treter dorthin zu entsenden, dessen Tätigkeit sich vornehmlich auf das Studium der wirtschaft lichen Vorgänge in Amerika und auf die Vor bereitung und Materialbeschaffung für ein neues deutsch amerikanisches Handelsabkommen zu er strecken hatte. Ein Bericht über diele Studienreise wird in einer Sitzung des Ausschusses des Zentralverbandes Deutscher In dustrieller erstattet werden, die am 15. Januar 1914 in Berlin stattfindcn wird. Auf dieser Versammlung wird ferner der Syndikus der Handelskammer Düsseldorf über das Thema „Fabrik und Handwerk" referieren. Am vor hergehenden Tage, dem 14. Januar, wird das Direktorium des Zentralverbandes Deutscher Industrieller zu einer Sitzung zusammentreten und am folgenden Tage, dem 16. Januar, wer den die zu einer Interessengemeinschaft zusam- mengcschlossenen industriellen Verbände, der Zcntralverband Deutscher Industrieller, der Verein zur Wahrung der Interessen der chemi- sclien Industrie Deutschland und die Zentral stelle für Vorbereitung von Handelsverträgen, eine beratende Sitzung abhaltcn. * Die „Deutsche Volkszeitung", das Hauptorgan der Welfenpartei, erscheint seit 1. Januar als Platten zeitung. Seit 1866 hatte der Herzog von Cum berland sür die „Deutsche Volkszeitung" große Summen geopfert. Es ist anzunehmen, daß er diese Unterstützung ganz oder wenigstens zum Teil zurückgezogen hat. * Die Internationale Kriminalistische Vereinigung feiert heute, Sonnabend, ihr 25jähriges Bestehen durch ein Festmahl in Berlin, zu dem namhafte Gäste des In- uno Auslandes angemeldet sind. Als dauernde Juki- läumserinnerung ist ein Festband erschienen, an dem die berufensten Federn mitgewirkt haben und der von der Schriftleitung der „Mitteilungen der Inter nationalen Kriminalistischen Vereinigung" heraus gegeben ist. * Eine „internationale" Ausstellung in Madrid. In Madrid ist eine „internationale Ausstellung für Landwirtschaft, Hygiene, Kunst und Gewerbe für den Herbst 1914 geplant Die „Ständige Ausstellungs kommission für die deutsche Industrie" empfiehlt dem Unternehmen gegenüber Zurückhaltung. * Jung-Zentrum nennt sich eine neue Monats schrift, die der Wind 1 horstbund soeben heraus zugeben beginnt. Sie setzt sich zum Ziel, die Jugend politisch zu schulen. Die Redaktion der Zeit schrift hat der von seiner Maßregelung in Lothringen her in weiteren Kreisen bekannt gewordene Herr Dr. Stabiler übernommen. * Ein deutsches ZeitungsjubUSu« i« Rußland. Am 2. Dezember 1913 beging die „Lodzer Zei ¬ tung" einen Ehren- und Festtag, der das Deutsch tum des Ostens mit Stolz und Freude erfüllen darf. Da» erste deutsche Organ im Königreich Polen, Vie ..Lodzer Zeitung", seiert das 50jährige Jubiläum ihres Bestehens. Die Einwohner von Lodz hatten sich in kurzer Zeit bereits derartig an die Zeitung gewöhnt, Laß sie es zum Sprachorgan aller ihrer Wünsche und Hoffnungen machten. Alle Fragen, die di« Öffentlichkeit interessieren konnten, fanden in dem Blatte Berücksichtigung. Mit dem Wachsen der Stadt und dem Steigen der Vevölkerungszahl war auch das Emporblühen der „Lodzer Zeitung" verbun, den. Sie war in ruhiger, staatstreuer Haltung stets und oft erfolgreich bestrebt, dem Deutschtum in Lodz zu dienen, sich zum Vertreter seiner Bedürfnisse zu machen und seinen nationalen Wünschen Nachdruck zu verleihen. Ausland. Italien. * Lin Zirkularschrciben di San Giulianos. Ein Telegramm aus Nom. 2. Januar, meldet uns: Der Minister des Aeußern Marquis di San Giuliano richtete anläßlich des Jahreswechsels ein Zirkular schreiben an die ausländischen diplomatischen und konsularischen Vertreter, in dem darauf hingewiesen wird, dag die wirtschaftliche Kralt der Nation die Nachwirkungen des Krieges mit der Türkei und die darauffolgenden Balkankriege mit einer die allgemeine Erwartung übertreffenden Leichtigkeit überwunden habe. Die Staats- finanzen und die Wirtschaftslage dürften zu den besten Europas zählen. Zusammen mit seiner moralischen Stärke, wovon das italienische Volk so beredte Beweise gegeben habe, habe das zur Steigerung des politischen Ansehens Italiens beigetragen, was öfters in den Parlamenten und der führenden Aus landspresse Ausdruck gefunden habe. Der Minister führt sodann die jüngst auch dem Parlament mitge teilten Ziffern des Staa tshau shalts an als sprechendsten Beweis, daß der Krieg mit seinen Folgeerscheinungen die Entwicklung Italiens nicht im mindesten aufzuhalten vermochte. Türkei. * Wiederbelebung des Balkanbundes durch Ent schädigung Bulgariens? „Tasvir-i-Eikiar" äußert einem Konstantinopeler Telegramm zufolge sein Befremden über die von dem Blatte „Utro Rossiii" aufgeworfene Idee einer Wiederbelebung des Balkanbundes durch Entschädigung Bulgariens. Durch solche Vorschläge könne die mazedonische Frage nicht gelost werden, weil Mazedonien ein Ganzes bilde, das auch Saloniki, Monasttr und Köprülü umfasse. Nur die Autonomie Mazedoniens könne die mazedonische Frage aus der Welt schaffen. Die Erneuerung des Baltandundes sei vielleicht Rußlands Wunsch, aber vom Wunsch bis zur Verwirklichung sei ein langer Weg. * Der Dreibund und die Jnselfrag«. Zur Ueder- reichung der Antwort des Dreibundes auf die Note des englischen Staatssekretärs des Aeußern, Sir Edward Grey, erführt das Reutersche Bureau, daß die drei Mächte, wie vorauszusechen war, di« Zustim mung dazu erteilt hätten, daß das Datum für die Räumung Albaniens durch die Griechen hinausgeschoben würde unter sicherem Garan tien dafür, daß Griechenland seinen durch den Vertrag übernommenen Verpflichtungen nachkommt, und er klärt hätten, daß der Teil der britischen Note über di« Inseln zur Diskussion stehe, und daß die Entschei dung später getroffen würde. Bulgarien. * Demission des Kabinetts Radoslaroow. Aus Sofia, 2. Januar, meldet das „Wiener Korr.» Bureau": Ministerpräsident Radoslawow hat dem König die Demission des Kabinetts überreicht. Es wird allgemein für gewiß ge, halten, daß Radoslawow wieder mit der Bildung des Kabinetts betraut werden wird. Die Lawine. Eine Kadcttcngeschichte von Hans Joachim Frhrn. o. Reitzenstein. Bom Hofe des Kadettenkorps klang der dumpfe Trommelwirbel herauf nach dem Kompanicrevier. Die Stimme des Kadetten oom Dienst heulte wie ein Nevelhvrn den Korridor entlang — Rrraunuß — die lange Linie der Türen flog auf, und mit klappernden Schritten sammelten sich die Trüpplcin zum Gefüge der Kompanie. Der Leutnant kam eilig heran, und der Morgenappell begann, der vor dem täglichen Kirchgang den Auftakt, das letzte Zu stiminenreißen zur Schafschur des Unterrichts bildete. Der Leutnant schritt langsam und grämlich die Front entlang nnd musterte alles, was seine Augen nur irgendwie erreichen konnte. Plötzlich blieb er stehen, wies auf den Rockknopf eines Unteroffiziers, der am Rande blind und ungeputzt war, und sagte leise und jcharf: „Ein Mond. — Als Unteroffizier sollten Sie auch ein besseres Beispiel geben. Heute abend zum Rapport im Ordonnanzanzuge." Der Leutnant ging weiter, und der Unteroffizier wurde um einen Schein blasser, während sein Gesicht sich merklich zujammenzog. — Als die Kompanie endlich abriickte, ging er neben den Kadetten seiner Stube her und iah sehr un bekümmert aus. Innerlich aber kalkulierte er ein zanz Teil anders. Also heute abend zum Rapporr. Das wurde ein geschrieben. Der Hauptmann las cs, und der Sonn- tagsurlaud gin^ flöten. Ja, und außerdem hatte er sich vor seiner Stube ganz elend blamiert. Ob die Bengels ihn am Ende gar auslachten? — Er sah verstohlen zu ihnen bin. — Richtig, da tuschelten zwei Obersekundaner miteinander. Die sprachen sicher von ihm. „Maul halten!" rief er dazwischen. „Messow, zum Rapport wegen Schwatzens im Glieöc." So, dem war der Schnabel gestopft. Und den anderen, den Uslar, würde er sich nachher noch kaufen. Der zatte ja Stubendienst. Und da gab es immer eine Gelegenheit. * * * Die große Paule batte begonnen, und die Kadetten rasten wie hungrige Wölfe auf ihre Stuben, um die Frühstücksichrippen in Empfang zu nehmen. Aber schneller als ein gewöhnlicher Früh- stückshunger sind die Flügel des Zornes, besonders wenn sie einige Stunden Zeit hatten, sich auszu wachsen. Kurz vor allen anderen war bereits der Unteroffizier angelangt und hatte „entdeckt", daß in einem Waschtischschubfach der Scisennapf etwas mit Seife verschmiert war. „Stubendienst!" brüllte er nach dem Wohn, .immer hinüber. ..Hier!" Uslar war gerade cingetreren. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Schrippen korb und den Teller mit Paradewurst, den die anderen gierig umstanden — denn der Unteroffizier hatte noch nicht genommen, und so lang« mußten sie warten — und folgte dem Rufe. „Haben Sie heute morgen hier Ordnung ge maust?" „Zu Befehl, Herr Unteroffizier!" „Davon merlt man aber verdammt wenig. Danz zufällig komme ich hier durch, sckhon springt mir die Schweinerei in die Augen, netzen Sic sich das mal an." Uslar suchte vergeblich umher, dann blickte er seinen Vorgesetzten fragend an. „Sie finden es noch immer nicht. — Also eine Woche Lira ist» bcndienst und jeden Abcitd im Dienst anzug die Stube vorzeigen. Hoffentlich finden Sie in Ser Zeit den Dreck", setzte der Unteroffizier höhnijcy hinzu und ging hinüber zu dem oeiagerten Schr'ippentorb. Uslar bekam einen roten Kopf vor Wut, aber er suchie nicht meiicr nach dem Grunde des Unglückes. Er hatte ja überhaupt nicht aufgeräumt. Ein Ober- setundcmcr und Stubendienst, das wäre dach gelacht. Wenn man schon dazu kommandiert wuroe, dann waren es selbstredend die „Säcke", die sich eine Ehre daraus zu machen hatten, den praktischen Teil der Angelegenheit zu übernehmen. Aber das war eine Sone von Burschen heutzutage, kaum, daß sic allein krauchen konnten, diese eben aus dem Ei des Bor korps gekrochenen Untersekundaner. Er ging an die Woqnstubcntür und winkte sich einen der Kadetten heran. „Thielen, Kerl verfluchter, das nennen Sie Stubendienst machen! Lehen Sie mal die Schwei nerei an. Sie Haven wohl die ganzen zehn Minuten vor dem Appell verträumt? Was haben Sie denn gemacht?" „Drei Röcke geputzt: Für den Herrn Gefreiten, sür Sic und sür mich. Zwei Knöpfe ungenützt: Einen sür Herrn Unteroffizier und einen sür Sie. Meine Bücher gepackt. Herrn Unteroffizier, Len Herrn Gefreiten, Sie und mich abgedürstet. Einen Tintenfleck vom selektanertifch abgeschcuert und die Stube und Kammer aufgeräumt." „Das ist alles? — Na, ich fags ja. Sie haben geschlafen. Sie Hütten mal sehen sollen, was ich als Lack alles in zehn Minuten fertig gebracht haoe. — Jedenfalls bin ich Ihretwegen rcingeiallen. Also haben Sic die nächste Woche auch noch Stubendienst. Inzwischen werde ich Sie zwiebeln, daß Ihnen die Augen übergehen. Sie wissen ja. ich verstehe das. Schlimmstenfalls verschaff« ich Ihnen eine Rutsche der Obersetunda, falls Sic sich lucht endlich bessern." Hohcitsvoll und drohend schritt er von dannen. Thielen aber fuhr sich mit dem Hansrücken über die Stirn und schüttelte den Kovf. D'-m nrifi er nach dem kleinen Namensschild an der Ungliickslade, it'.c; einen Fluch aus und halte feinen Klcisstnsamc« ra;>r Addenhausen herbei. „Ja, was gilsts denn?" „Was, Du Faulpelz Die ganze Bude vom Kompanieführer an piesackt auf uns Säcken rum. Unv statt daß Du Dich zujammcnnimmst, machst Du mir auch noch Scherereien! Guck' in Dein dämlich«» Schubfach und frag' nicht so dumm. Ich weiß nicht, was drin ist." Und damit hieb er ihm eins auf die Backe, daß es klatschte wie am Kugelfang. „Autsch," brüllte Addenhausen, und sein Interesse für die Schublade war rm Auc-en mrstogeu. Sein Gesicht wurde blaurot vor Wut, und nur die Stellen, wo die Finger des anderen hingcjahrcn waren, blieben schlohweiß. Mit gekrallten Fingern griff er nach Thielen. Plötzlich hielt er inne, zupfte seinen Rock glatt, machte eine tadellose Verbeugung und sagte sehr reserviert: „Bist jäfordert." Thielen antwortete durch dieselbe artige Ver beugung. Im Nu standen sich beide in Ausfall stellung gegenüber. Und dann hagelten die vier Fäuste mit einer Fixigkeit und blindlings nieder, daß es klang, wie wenn im Juli die Schloßen gegen die Fensterscheiben prasseln. Tas dauerte eine ge raume Weile. Bis Thielen einen warmen Strahl aus seiner Nase über Mund und Kinn rieseln fühlte, und es vor Addenhausens linkem Auge plötzlich schwarze Nacht mit widerwärtigem Sternengeslim- mer wurde. Da gingen sie wie auf Kommando in Grundstellung zuruck, reichten sich treuherzig die Hände und sagten: „Pax". Dann wusch sich der eine das Gesicht, der andere kühlte sich das Auge, das bedenklich brannte, und beide gingen harmlos und friedlich plaudernd hin über zum Schrippenkorbe. Die Stubenkameraden kauten bereits mehr oder minder behaglich an ihrem Frühstück. In dem Korbe lagen die Leiden übrig gebliebenen Schrippen, zwei verhutzelte, kleine Exemplare. Thielen und Addenhauien sahen sich mit langen Gesichtern an, und Addenhausen murmelte entrüstet: „Der Lümmel, der Kiekebusch." Dann ging er nach einer Ecke, wo einsam und gedrückt ein Kadett stand. Das war Kiekeousch, der einzige Obertertianer auf der Stube, einer, der ,elöst noch unter diesen geknechteten Untersekund mern rangierte. „Kiekebusch, zeig' Derne Schrippe," raunte er ihn an. Der zeigte schüchtern ein blasses, angebissenes Dinglcin, das bei gutem Willen vielleicht um einen Grad ansehnlicher war als die beiden übrig- geülicbcncn. „Aha. — Und warum hast Du nicht auf uns ge wartet, Du frecher Bengel?" „Ich — ich dachte " „Quatsch, Du hast «ar nichts zu denken. Heute mittag verschaffe ich Dir eine Rutsch« wegen Ach- tungsoerlctzung gegen die Untersekunda." Und Thielen, der ebenfalls herangetreten war, nickte zur Bekräftigung sehr bestimmt mit dem Kopfe. — Es war nach dem Mittagessen. Die Kadetten tummelten sich auf dem Hofe, und auf dem Korridor des Kompaniercviers war cs lautlos und leer. Nur vor Stube 6 stand, in den Türrahmen geduckt, ein Kadett und spähte vorsichtig nach allen Seiten. Hinter ihm aus dem Zimmer klang gedämpft ein monotones aber eindringliches und blitzschnelles Klatschen und Schlagen ohne Takt und System. Dann ein kurzes Kommando — Stille. Einige Augenblicke später öffnete sich leise die Tür, und Kiekebusch schob sich wimmernd und stöhnend heraus, dicht an der Mauer entlang und durch die große Glastür, die nach der Treppe führte. Sein ver« jprochenes Teil war ihm richtig zuaemcssen worden und die Achtung vor der Untersekunda wiederher gestellt. Unten auf dem Hofe suchte sich Kiekebusch seinen Klassenältesten. Der sah gleich, wie es um ihn stand, und trommelte in wenigen Minuten die Obertertia zusammen. „Meine Herren," Hub er an. „Ich wollte Euch mitteilen, daß Kiekebusch nun doch und wirklich gerutscht worden ist. Es handelt sich hier zunächst um die rein technische Seite der Sacke: Ist die Ehre der Obertertia dadurch verletzt?" Ein Sprecher trat vor, wandte sich gegen Kicke busch und fragte sachlich: „War's denn schlimm?" „Na, Du wirst auch schon noch eine kriegen," gab der zurück und rieb sich den Rücken. Ein anderer meldete sich zum Wort: „Ob die Ehre der Obertertia verletzt ist, meint Ihr? — Nun, ich muß leider gestehen, das Verhalten der Untersekunda war durchaus korrekt. Fragt sich also nur, wie sich Kiekebusch benommen hat, ob er vielleicht gar geheult hat. — Kiekebusch, hast Du geheult?" Da vergaß der all seine Schmerzen und blickte den Sprecher wild an: „Ob ich geheult habe? - Woll'n mal seh n, wer cher heult, ich oder Du." Und damit versetzte er dem anderen einen Hieb gegen die Kinnlade, daß er taumelte. „Bravo, Kiekebusch, feiner Kerl," riefen einige begeistert. „Was fällt Dir ein, Kiekebusch?" riefen andere entrüstet. Aber Kiekebusch und der andere lagen sich bereits fest in den Haaren. Und tm Augenblick hakten sich zwei Parteien gebildet: Für und wider. Keiner wich von seiner Meinung ad um einen Zoll. Und die beiden Parteien vertraten sie alle durch ein und das gleiche Mittel — die harte, feste Bubcnfaust. Die geschwenkten Arme und getroffenen Körper, die Rufe der Wut, des Schmerzes und des Triumphes bildeten ein unentwirrbares Gemcngsel von Formen und Tönen. Und während in diesem sozialen Tälchen die Masse der Lawine ihre letztmögliche Kraft verpuffte, stand in einiger Entfernung, gerade wett genug, um nicht unbedingt eingrcifen zu müssen, der Leut nant. der letzten Endes der Urheber all dieses Aufruhrs war, und schmunzelte. Seine Laune hatte sich im Laufe des Tages von selbst wieder gebessert. „Ist doch noch eine feine Rasse," dachte er in seinem verträglichen Sinn. „Janz wie zu meiner Zeit. Schlägt »ich, daß die Schädel krachen aus reif stem, tollsten Jugendübermut — janz ohne j«d« Grund