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Jahrgang kür Inserat« au» Leipzig un» Umgebung »i« /LNAuIAuNpruIfu » ifpaltig«p«titzrilr2rps.,SieN»klamrzeilel M , von auswärts SS Pf., Neklamen 1.2» M., Zamilien- u. kleine ftnzeigen Sie prtttzeil« nur2» Pf., Inserate oon vehorSen im amtlichen Teil Sie petitzeilr »S Pf. S«schäft»an,eigen mit ploNvorschrist im Preis« erbükt. Nadatt nach Tarif, veilagegebühr: Sesamtauslag« »M.pro TaufenS eekl. Postgebühr, ftnzeigen fianakme: -ohonnisgasse», bei sämtlichen Filialen Se» Leipziger Tageblatt«» uaS ollen ftnnonren-TepeSitionen Se» In» un» ftuslenSe». Seschästrftell« für Serlin u. Sir pr. »ran«rnburg: VirektionwalterZlirgrl, Serlin w. iS, MargarethenstraSe «. Zernsprech» ftnschluy: Liibo« 447«. lSlst. Mittwoch, Sen 7. Isnuiir. Vas Wichtigste. * In Ltrasjburg ivurde am Dienstag der elsaß-lothringische Landtag mit der Verlesung der Thronrede durch den Statthalter eröffnet. (S. Pol. Nebers.) * In der gestrigen Verhandlung gegen den Oberst von R enter mnrden alle Ze u- gen, auch die Soldaten nnd llnterosfiziere. mit Ansnahine von fünf, vereidigt. (S. des. Art.) Die Meldung von einer bevorstehenden längeren A nSlandsreise des Königs der Bulgaren tvird von Sofia aus als voll- lommeu falsch bezeichnet. * Bei dem Unter gange des Tank dampfers „Oklahoma" sind :!2 Mann der Besatzung ertrunken. (S. Rache, v. Tage.) Der König von Märchenland 2. „Märchenland will einen Bönig haben": so spiegelt sich in der dichterischen Bildersprache seiner soeben in ihr achtes Lebensjahrzehnt übcrgetretenen Tante die Tatsache, daß der Prinz zu Wied sich jetzt ernstlich zur Abreise nach Albanien rüstet, wo ihm eine souveräne Fürsten- oder Königskrone winkt. „Märchenhaft" ist es nun freilich bei seiner Berufung nicht zugegangen, sondern in furchtbar prosaisch-nüchternen diplomatischen Perhandlungen, mündlichen und schwerfüllig-bureaukratisch-schrrft- lichen, die ungefähr ein Jahr in Anspruch genommen haben, ist endlich eine Einigung der Mächte auf diesen 'Namen zustande gekommen Die Märchenstimmung hat sogar in dem Jahrhunderte, das uns allgemach von den Vliitentagen der romantischen Dichtungsschule trennt, starke Rückschritte gemacht: das erkennt man nicht zum mindesten an -em geringen Angebot von Prinzen, die sich für die neue Staatsgründung am Ostgcstadc der Adria zur Verfügung gestellt haben. Wäre in der alten guten Zeit ein solches Königs bedürfnis irgendeines Märchenlandes ruchbar ge worden: cs hätten sich gewiß die echten und falschen Prinzen zu Hunderten an feinen Eingangspforten gedrängt! Sich selbst gemeldet hatten diesmal nur zwei Anwärter: der Herzog von Mont- pcnsier, dessen Vater einst Duelle um die spa nische Krone ausfocht, und der Acgypter Fuad. Da es nun aber weder ein Katholik noch ein Mohammedaner sein sollte, weil diese beiden Glaubensbekenntnisse neben dem orthodoxen in Al banien Vorkommen, so konnten die beiden sowenig be rücksichtigt werden, wie der gleichfalls katholische Herzog von Urach, der eine Weile als „Favorit" galt und sich unter anderem auch durch den reichen Kindersegen seiner jetzt freilich durch den Tod aufgelösten Ehe empfahl, sich aber für Albanien frei fühlte, weil er um seine gesetzliche Erbfolge in dem an sich recht begehrenswerten Fürstentum«: Monako durch allerhand Machenschaften betrogen zu werden fürchtet. — Die Wieder aber sind Lutheraner und als solche über etwaige Religionsstreitigkeiten ihrer künftigen albanischen Untertanen erhaben. Uebrigens beruhte wohl die Furcht vor solchen Störungen weniger auf einem besonderen Bekenntnis eifer der albanischen Stämme selbst, van dem man in ihrer Geschichte niemals viel gemerkt hat, als auf italienischen Besorgnissen vor einer Abhängig keit katholischer Bewerber von den besonderen Wün schen der Wiener Hofburg. Die Hauptursache der verminderten Nachfrage nach Königskroncn im romantischen Lande ist nun wohl der Alpdruck, der seit der Katastrophe von Qucrctaro die Heldenträume von Europas hoch aristokratischer Jugend verwüstet. Ins Innere des alten Aztckcnlandes vermochte nicht einmal der rettende Arm eines kaiserlichen Bruders hineinzurcichcn, als eine späte Vergeltung den Manen Montezumas einen Abkömmling seiner Besieger zum Opfer brachte. Wird eine europäische HNfswache rechtzeitig zur Stelle sein, wenn unseres Erdteils „Märchenland" die Hand gegen seinen selbstbcgehrten König erhebt? Recht behaglich wird uns überhaupt nicht bei dem Weihnachtsmärchen, das Eroßmütterchen Car men Sylva ihrem Neffen erzählt hat, ihm Cou rage zu machen. Die wilden Gesellen, mit denen vor hundert Jahren der friedliche Byron Bluts brüderschaft trank, passen so gar nicht '.» unsere köst liche deutschtümliche Bilderwelt der Dornröschen und Schneewittchen hinein. Höchstens das schreckhafte Traummärchcn, in dem Grillparzers Rustan sich auf dem blutigen Throne von Samarkand sitzen sieht, paßt ziemlich in die albanische Eebirgswildnis hinein. Es mag sein, daß ein kurzer Versöhnungsrausch der hadernden Parteien der Einzugsfeier des „W i e - dcrs" ihre Weihe geben wird — daß gegenwärtig die „provisorische Regierung" Ismail Kemals und der mit allen Hunden gehetzte Essad sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehcn, ist kein Geheimnis geblieben. Vor allem, solange man die Griechen noch nicht aus dem Lande hinaus hat, gebietet die blasseste Vernunft, Frieden zu halten. Aber wenn man Herr im eigenen Hause geworden ist, und nun die große „Erziehungsarbeit" an dem Volke beginnen soll, mit -»em in 2ö00 Jahren seiner uns Halbwegs bekannten Geschichte allein die alt römische Zuchtrute und sonst weder harte noch sanfte Pädagogik wirklich fertig geworden ist: wie wird dann der Wieder zwischen der Szylla, durch Schlapp heit verächtlich zu werden, und der Charybdis, durch Strenge die Blutrache auf sein Haupt herab- zubcschwörcn, sich hindurchwindcn? Denn wohl gemerkt: bei einem einzigen Todesurteile, das er gegen einen widerspenstigen ltzesellen voll strecken läßt, ist die Familie des Gerichteten durch eine aus grauer Heidcnzeit erhaltene und maß gebend gebliebene sittliche Anschauung ver pflichtet, Leben gegen Leben zu fordern. Daran hat der dünne Firnis der Kulturreligioncn Christi und Mohammeds nichts zu ändern vermocht, sowenig wie bei den christlichen Korsen und den moslemischen Tscherkessen — so lange bis eine stramme Fremd herrschaft die Herrschaft des Staatsgcsctzes mit eisernen Klammern verankerte. Dem immer nur ruckweise sich energisch gebcrdenden Türkenregimente ist die Ausrottung des ,,ju« tslioni-;" nicht gelungen. Auch jener verflossene Magdeburger Schneidergcsclle Dö 1 roit, der um die Zeit des Berliner Kongresses als Marschall Mehemed in der Türkei zu derfflingern versuchte, fiel bekanntlich wenige Mo nate nach seiner Berliner Gastrolle der albanischen Blutrache zum Opfer. In den so ganz ähnlichen Verhältnissen der Insel Korsika, wie sie sich im 18. Jahrhundete dar stellten, vermochte der abenteuernde Theodor von Neuhof sein Königtum nur kurze Zeit zu be haupten. Und der hatte mit Leib und Seele sich der korsischen Volkesart anzupasscn verstanden! Was Fürst Wied von Landcskenntnis nach Albanien mit ¬ bringt, ist dürre Bücherweisheit. Bezeichnend ist, daß er seinen Einzug so lange hinausschieben mußte, weil er in grammatikalische und lexikalische Studien der albanischen Sprache vergraben mar. Er hofft in Neuwied noch so weit zu kommen, daß er seine erste Thronrede mit leidlich fehlerloser Akzentuierung vom Blatte ablescn kann. Ob er aber ghcgi sch oder tos lisch sprechen will, ist nicht bekannt geworden, und die beiden Dialekte unterscheiden sich mindestens wie friesisch und schweizerisch! Und die sie sprechen, sind mächtig eifersüchtig aufeinander, so daß der eine Volkstcil sich immer zurückgesctzt fühlen muß. Der Honigmonat des „Burgfriedens", welchen man dem Ankömmling bewilligen dürste, wird sich durch gewisse äußerliche Sorgen für ihn recht qual voll gestalte». Haben sich die Wieder daheim auch nicht gerade durch eigentlichen Luxus verwöhnt: ein Minimum standesgemäßen Daseins, ja auch nur bürgerlich-europäischen „Komforts" wird er als Lebensbedürfnis empfinden und seine Abwesenheit schmerzlich vermissen. Denn seine Untertanen können es ihm bei dem besten Willen nicht ge währen! Weder in Avlona (Valona), noch in Durazzo, noch in Tirana oder Elbasar, die alle als zukünftige Hauptstädte genannt werden. In allen diesen Orten gibt es kein einziges Haus, das einem halbwegs gebildeten Europäer als eine menschenwürdige Wohnung erscheinen könnte. Allen falls könnte der sogenannte Palast des türkischen Paschas von Skntari zur Aufnahme des „Königs von Albanien" geeignet erscheinen. Vom „Märchen lande" macht man sich in unsern deutschen Kinder- stul>cn andere Vorstellungen! Eine gewisse Selbst überwindung wird der deutsche Standesherr schon nötig haben, um nicht vor diesen kleinen Unbequem lichkeiten des täglichen Lebens davonzulauscn. Immerhin vermag oer M ann , der er wirklich ist, Widerwillen solcher Art zu besiegen, wenn Pflicht und Ehre ihn leiten. Gtlst M Nkiiln M dm KrikMricht. (Zweiter Berhandlungstag.) Straßburg, 6. Januar. Auch in der gestrigen Abendsitzung kam der Gegensatz zwischen den Aussagen der Offiziere und denen von Zivilisten über die Vorgänge am 28 No vember augenfällig zuM Ausdruck. Eine ganze Reihe von Offizieren bekundete, daß von der Menge ge schrien, gejohlt und geschimpt wurde, während auf der andern Seite der Zeuge Eerichtsassessor Kries bekundete, daß nicht gejchimpft worden sei und daß nach seiner Ansicht für das Militär keine Veran lassung zum Einschreiten vorlag. Zeuge Leutnant v. Forstner: , Es kann ja gar keinem Zweifel unterliegen, daß ich und daß auch der Herr Oberst beschimpft wurden. Hinter dem Herrn Oberst wurde gerufen: „Seidenes Kaninchen", „Totenkopf" und ähnliche Ausdrücke. ' Hauptmann Voigt erklärt aus das entschiedenste, daß am 28. 'November abends die Menge gebrüllt, gejohlt und gepfiffen habe. Der Anklagevertreter wies auf den schroffen Widerspruch zwischen den Aussagen diese« Zeugen und des Staatsanwalts Krause hin. Hauptmann Voigt wiederholt, cs sei regelrechtes Gejohle und Gepfeife gewesen. Der Staatsanwalt erwiderte, eine Erklärung dieser parsifal in Ser Kgl. Oper zu Serlin. Berlin, V. Januar. Mit den letzten Festspielen in Bayreuth, vor zwei Jahren, setzte die heiße, hitzige Fehde für und wider die Freigabe von Wagners „Parsifal" ein. Dem wilden Drängen übertreibender Gralshüter, die Auf führung des Bühncnweihsestspiels dem Festspielhauje am roten Main als Sonderrecht zu bewahren, widersetzte sich der Reichstag mit gutem Grunde. Er zeigte sich wirklich als V o l k s Vertretung, die es nicht zulasscn durfte, daß der Genuß der höchsten und hehrsten Erzeugnisse der Kunst ausschließlich von der Größe des Geldbeutels abhängig sein, daß aber die minderbemittelten breiteren Volksschichten von solch ersehnter, einzigartiger Erbauung ausgeschlossen sein sollten. Und als dann die Würfel gefallen waren: ein emsiges Rüsten, ein eifriges Studieren und Probieren allüberall an den großen Bühnen, ge tragen von dem ernsten Willen, die letzte Kraft ein- zusetzcn für eine würdige Wiedergabe des wunder baren Eralsmysteriums. Die unentwegten Freunde des Hauses Wahnfried wollen nicht glauben, das; auch außerhalb Bayreuths ein stärkstes künstlerisches Vollbringen, eine Erzeu gung der höchsten, andächtig-weihevollen Stimmung möglich ist. Die gestrige Aufführung des „Parsifal" in der Königlichen Oper zu Berlin gibt ihnen darüber sichere Kunde. Allen Freunden der Freigabe des Werkes Genugtuung: die Kunde, daß das stolze Wagnis in vollendeter, überwältigender Weise ge lang. Die Tadler werden freilich nie ganz ver stummen. Sie werden marktschreierisch kleine Un ebenheiten in der Haltung des Publikums als würde los hinausposaunen. Gemach, auch in Bayreuth stößt der sinnende Betrachter auf mißfallende Unzulänglich keiten, die stinrmunghcmmend oder gar stimmung störend wirken. Menschliches, allzu Menschliches hier wie da. Vermögen wir uns in Bayreuth darüber hinwegzusetzen, dann muß es bei gutem Willen auch anderwärts gelingen. Das Wichtigste bleibt doch: Wird auch außerhalb des Bannkreises von Wahn fried im Geiste Wagners künstlerisch gewirkt? Nach der gestrigen Aufführung des „Parsifal" in der Ber liner Königlichen Oper kann diese Frage nur mit einem frohen und zugleich stolzen Ja beantwortet werden. * Dämmeriges Halbdnntel umfängt uns beim Be treten des Zuschauerraumcs. Der große Kronleuchter ist entfernt, und spärlich nur verbreiten die Arm leuchter in den einzelnen Ränaen gedämpftes Licht. Der Bühnenraum ist künstlich vertieft. Die Proszcninmslogcn sind in der ganzen Höhe des Hauses mit Mauerwerk in romanischem Stil verdeckt. In seinem tiefgrauen Ton wirkt es feierlich kühl. Die Rundbogenfenster, durch schlanke, mattrote Säulen getragen, sind durch blaue Vorhänge ver hängt, und über ihnen leuchten auf goldigem Grunde Heiligenbilder. Die Bühne selbst ist durch einen ein zigen riesigen romanischen Torbogen mit dem seit lichen Mauerwerk rechts und links organisch ver bunden. Sie wird durch einen in sattem Blau ge haltenen Vorhang abgeschlossen^ dessen Ränder mit bildhaften Darstellungen der Gralszeichen (Taube, Kelch und Kreuz) schwer bestickt erscheinen. Durch diese Einkleidung ist -der Bühnenraum dem Publikum entrückt. Es ist die nötige künstlerische Distanz zur Aufnahme des Weihefestspiels geschaffen. Ein grüner Lichtschein, der aus dem ticfergelegtcn und halb über deckten Orchester dringt, verstärkt noch die Stimmung für das Feierliche, die Empfänglichkeit für das Er habene. Die Zuschaucrräumc füllen sich rasch mit festlich gekleideten Menschen. Hier und da blinkt ein Ordens stern auf einem schwarzen Frack oder einem Uniform rock, und aus dem Haar schöner Frauen blitzen Juwelen in üppiger Pracht. Das geistig und das gesellschaftlich führende Berlin ist zur Stelle. Kurz nach ^7 Uhr erscheint Generalintendant Graf H ü l s cF> - H ä s e l c r in der großen Kaiserlogc. ZwcimtMgcs leichtes Aufklopfen mit dem Kammer- herrnstab. Das Publikum erhebt sich, und nun be treten nacheinander die Kaiserin, die Kronprinzessin, der Kaiser und der Kronprinz die HoflcHe. Der Kaiser nimmt zur Linken der Kronprinzessin, die Kaiserin zur Rechten des Kronprinzen Platz. Kaiserin und Kronprinzessin tragen ebenso wie die Damen des Gefolges mit Rücksicht auf die Hoftrauer schwarze Roben. 4 Langsam sinkt das Licht in sich zusammen. Tiefes, feierliches Schweigen. Und nun klingt unsagbar herr lich und weich aus dem Abgrund des Orchesters Las Motiv des Licbesmahlspruchs. Wer sich bis dahin von dem Zauber der äußeren Stimmung noch nicht ergreifen ließ, den packt mit unmittelbarer Wucht die unvergleichlich schöne, ganz aus bayreuthischem Geist quellende Wiedergabe des Vorspiels. Und alles, was weiter zu hören und bald auch zu schauen ist, steigert die allgemeine Ergriffenheit zur Erschütterung und schließlich zur erdbcfreicnden Erhebung. Das erste Bühnenbild offenbart uns den Wald in seiner traulichen Heimlichkeit und in seiner ehrwür digen Heiligkeit. Nur mühsam zwingen sich die Morqcnsonncnstrahlen durch die dichten Laubtroncn und spiegeln sich leise im stillen, blauen Bergsee. Und als Gurmenanz mit Amfortas zur Gralsburg schreitet, bewegt sich der Wald. In einer Lichtung erblicken wir auf fclsenragender Höhe, von hellstem Sonnen schein bestrahlt, die stolze Gralsburg, ein prächtiacs Bauwerk in freiem romanischem Stil. Dann trüben dicke Nebelschleier unser» Blick. Die Wandeldckora- tion wird also nicht vollkommen nach Wagners Vor schrift durchgeführt. Es ziehen keine Felsschluchten und schwindelig-enge Pfade an uns vorüber. Die Bühne bleibt verhüllt, bis die Posaunen und die tiefen Glocken uns die Ankunft auf der Gralsburg zur Gewißheit machen. Der Gralstempel ist von unerhörter Pracht. Auf schweren Marmorsäulen, die jedesmal ein reich ver zierter goldener Knauf abschließt, ruht die mächtige Kuppel, aus deren Höhe die herrlichen Glockentöne mit eherner Wucht herniederklingen. Rechts und links vom Mittelbau, wie in Bayreuth, die Gänge, durch die die Ritter zur Liebesmahlfeier und später zur Totenklage in langsam abgemessenem Schritte hcreinschreiten. Die Kleidung der Ritter entspricht ganz dem Bayreuther Urbild: rotes Gewand und lichtblaue Mäntel. Der Jüngling, der den Grals stern trägt, ist in ein tieflila Gewand gehüllt. Die Darstellung der Licbcsmahlfeier bis zum Erglühen und Verglühen des Grals (glücklicherweise l-arte man die in Bayreuth leider immer noch übliche elektrische Leitungsschnur vermieden) bot Bilder reinster Schön heit. Im zweiten Akt war Klingsors Zauberschloß wohl gelungen. Die Stunde, da der Morgen mit der Nacht ringt, ist von Klingsor zur Beschwörung Kundrys auserschen. Das gejpenstischc Gemäuer des Zauberturms ist in schauerlich fahles Zwielicht ge raucht. Erst allmählich, als das Orchester das 'Nahen Parsifals kündet, schwindet cs vor dem aufziehenden Morgenrot. Nach dem wirkungsvollen Verschwinden des Zauberturms kam freilich eine Enttäuschung. Wohl leuchtete lachendes Blau auf ein reiches Gerank von Rosenhecken hernieder. Aber die Blumenpracht war zu lieblich und zu zart. Das an mutige, wonnige Liebesspiel der in hellfarbige, duf tige Gewänder gehüllten Blumenmädchen war ent zückend anzuschauen. Aber cs gebrach doch der Szene an der sinneoerzchrenden Glut, an der betörenden Schwüle, dem zauberhaft-berückenden Aussehen: Vor züge, die in Bayreuth sowohl die alte, in Makarts Art gehaltene, als auch die seit 3 Jahren übliche neue Dekoration dieses Aktes in vollstem Maße besitzen. Auch das Aeußere der Kundry — sie erschien als ver führerische „Höllenrosc" nickt in dunklem, sondern in blondem Haar — war auf jene harmlose Lieblichkeit gestimmt. Schauerlich wirkte dagegen wieder nach dem stürmischen Zusammenbruch des Zaubergartcns die leere Einöde, aus der düster mahnend zwei oder drei Zypressen als letzte Zeugen versunkener Pracht in die schwefelig - trübe Luft ragten. In seiner Einfalt rührend erschien endlich im dritten Akt das Bild der Blumenauc. Angclehnt an ein Birkenwäldchcn. dessen Aeste und Zweige sich eben mit den jungen Kätzchen schmücken, am Rande eines leise murmelnden Quells, dessen Wasser die frisch grünen Wiesen und die aus dem Gras leimenden keuschen Boten des Frühlings speist, steht die zerbrech liche Hütte des alten Gurncmanz. An diesem fricd- sam reinen Erdcnwinkcl vollzieht sich dir Salbung Parsifals zum Gralslönig. Die zweite Wandcldcko- ration war ganz weggelassen worden. Die erzenen Schlüge des Trauermarsches wuchteten ans Ohr des Hörers, während der Vorlfang geschlossen war. Nach dessen erneuter Teilung wieder das gewaltig be wegende Bild des heiligen Gralstcmpels. in dem nun Parsifal, umstrahlt von überirdischem Licht, zum ersten Male seines Königsamtes waltet. * Von den großartigen Leistungen Ser darstellenden Künstler kann nur in Tönen höchsten Lobes geredet werden. Allerdings genießt ja die Berliner Oper den großen Vorzug, daß zu ihrem Ruhme eine ganze Nn- ^rhl Sänger und Sängerinnen beitragen, die seit Jahren hervorragende Mitwirtcnde bei -en Bay reuther Festspielen sind: Frau Leffler Bnrckard hat die Kundry bereits stn Bayreuth gesungen, ebenso Knüpfer den Gurneman;: Habich hat als Alberich, Kirchhoff als Walter Stolzing dort große Erfolge er rungen. Und diese vier, in Bayreuthijcker Stil-ucht wiederholt gestählte Künstler hatten auch in Berlin die führenden Nollen zu vertreten. Am unmittel barsten wirkte gesanglich wie darstellerisch Knüpfers EurnemanZ. Das war nicht nur aufs höchste gesteigerte Künstlerschaft, das war wirklich das Leben des alten Ritters in seiner ganzen Schlichtheit, Hcrzenseinsalt und Größe. Nächst ihm ist die Kundry von Frau Leffler-Burckard zu nennen. Sie war das „wunderbar weltdämonische Weib", vor allen Dingen als wilde Gralsbotin und als teuflische Verführerin. Auch in ihrer stummen Rolle als büßende Bekehrte l>alte sie große Momente. Für die Rolle des Amfortas kam dem Schweden Forjell jein ungemein weiches, biegsames Organ glänzend zustatten. Er zeigte uns den Dulderkönig nicht als heldisch Leidenden, sondern, wie Wagner selbst es einmal in den Briefen an die Wesendonck ausdrückt, als den „Tristan des dritten Aktes mit einer undenk- lichen Steigerung", und wußte durch die Schmerz lichkeit seiner Klage fast bis zu Tränen zu er- schütter». Walter Kirchhoff prangte stimm lich bis zum Schlüsse. Es war erstaunlich, wie leicht und sieghaft er den rein musikalischen Teil seiner Rolle meisterte. Darstellerisch wirkte er in den beiden ersten Akten völlig überzeugend. Zeine Gestalt des königlichen Erlösers, der sich selbst erst durch eine erhabene Läuterung zu seinem hohen Be rufe durchgcrungen hat, verträgt noch eine Vertiefung der Auffassung. Habichs Klingsor zeichnete sich durch schärfste Betonung aller häßlichen Züge de» höllischen Zauberers aus, und das wohllautende, volle Organ Schweglers war für die Stimme