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Nr. 28. los. Jahrgang. kelmlger Tageblatt. Sonnavenb, 28. Januar lSll. bei einer gemeindlichen Behörde errichtet, so trägt sie der Gemeindeveroand. Ist ein Ver sicherungsamt für die Bezirke mehrerer unterer Verwaltungsbehörden gemeinsam errichtet, so de stimmt die oberste Verwaltungsbehörde die kosten oerteiluna. Die Bersicherungsträger haben die in Spruchsachen entstehenden Bezüge der Versiche rungsvertreter und sonstige Barauslagen des Ver fahrens zu erstatten, soweit sie nicht als Geldstrafen nach dem folgenden Absatz in die Kasse des Bundes jtaates oder des Gemeindeverbandes fließen." Den tf 7« über die Zulässigkeit der Errich tung von Sonder,Oberversicherungs ämtern hat die Kommission in erster Lesung ab gelehnt. Diese Bestimmung wird mit einer redak tionellen Aenderung rviedcrherge stellt. Die folgenden Paragraphen bis 8 84 werden ohne Aende rung erledigt Scharte Rvwelirworte gegen üie römische Kurie spricht di« konservative „Kreuzztg." aus. Sie druckt den Wortlaut des von uns in ausführlichen« Auszug witdergegebencn päpstlichen Schreitens an den kar dinal Mischer vom 31. Dezember vorigen Jahres ab und schreibt dazu: „Hiernach kann wohl kein Zweifel mehr bestehen, daß der Papst die Absicht hat, einen Konflikt mit der preußischen Staats verwaltung herbeizuführen. Der Minister Troll zu Solz sägt., er sehe in der Maßnahme, daß die katholischen Theologieprofcssoren den Antimoder- nisieneid nicht zu schwören hätten, ein Anzeichen dafür, daß auch die katholische Kirche wünsche, das friedliche Aebeneinandcrwirken von Staat und Kirche nicht gestört zu sehen. Diese Annahme stützt sich offenbar auf die dem Minister von deutschen kirchlichen Behörden gegebene Auslegung der Ab sichten der römischen Kurie. Die Auslegung wird vom Papst iit dem Schreiben vom 31. Dezember ausdrücklich zurückgewiesen und die Lleröffentlichung des Schreibens unmittelbar nach jener Rede des preußischen Kultusministers kann nur als eine feindliche Gegendemonstration an gesehen werden. Die Konsequenzen lassen sich zurzeit noch nicht übersehen. Man wird abwarten müssen, ob die Theologicprofessorcn den Eid trotzdem ver weigern und ob dann deir jungen Klerikern der Be such ihrer Vorlesungen „widerraten" wird. In diesem Halle wären die theologischen Fakultäten ihres Zweckes beraubt und dem Untergang« geweiht. Auch für die kirchlichen Seminare sieht das Blatt schwer wiegende Konsequenzen voraus. „Alle Bemühungen des deutschen Klerus", so schließt die „Kreuzztg", „im Frieden mit dem Staat zu leben und vom deutschen Geistesleben nicht ausgeschlossen zu werden, haben also beim Papste nicht das gering st e Verständnis gefunden. Dem Staat sind seine Entschließungen durch das Gesetz oorge- jchrieben, und er wird sie durchführen müssen, auch wenn dem religiösen Leben in Deutschland damit unberechenbarer Schaden zugefügt wird." Wir glauben nicht recht daran, daß die Energie, die in diesen Sätzen zum Ausdruck kommt, lange an halten wird, aber wir würden uns freuen, wenn wir uns täuschten. Deutlches Reich. Leipzig, 28. Januar. * lieber die Reichstagswahlvorbereitungen im 10. Wahlkreise lDöbeln-Waldheiml wird eine von« „Nossener Anzeiger" verbreitete Notiz wiedergcgcben, nach der die Fortschrittliche Volkspartci be reit sei, die nationalliberalc Kandidatur Ever- ling zu unterstützen. Demgegenüber teilt das WaldHeimer Wochenblatt" folgendes mit: Dein Vorstand des Nationalliberalen Vereins im IN. Reichstagswahlkreise, Landtagsabgeordueten Dr. Niethammer ist auf sein Ersuchen an den Vorstand der Fortschrittlichen Volkspartei im IO. Kreise, die Kandidatur Everling zu unterstützen, die Mitteilung geworden, daß die Fortschrittliche Volkspartei beabsichtige, einen eigenen Kandi daten aufzustellen. Doch schweben auf national liberale Anregung hin zwischen den Landesvorständen beider Parteien noch Verhandlungen, um liberale Doppelkandidaturen zu vermeiden. Diese Verhandlungen können noch einige Wochen andaucrn. ÜUS Sem Leben eines Bohemiens. Zum 50. Todestage Henri Murgers. An einein der letzten Ianuartage des Jahres 1861 begab sich in Paris ein langer Trauerzug von dein nahe am Nordbahnhof liegenden Krankenhaus« Dubois nach dem Friedhof, So ungewöhnlich groß artig war das Gepränge und so zahlreich das Gefolge des Leichenwagens, daß eine alte Frau vom Lande, die eben in Paris ankam, fragte: „Wem gilt dieses Leichenbegängnis? Ist es ein Millionär?" Und wirklich waren Träzzer der bedeutendsten Namen des damaligen Frankreichs in dem Zuge: Barriöres, Saint« Beuve, Theophil Gautier, Eduard Thierr»), Labichc, Ponsard, Jules Sandeau, Janin, außerd.em je ein Vertreter des Ministers des Innern und des Ministers für Len öffentlick)en Unterricht, Magistrats personen und Studenten und eine zahllose Menge anderer Leute, die offenbar zu den Freunden und Verehrern des Toten gehörten, folgten dein Sarge nach dem Friedhof, wo Thierry, Vitu und Deslandes Reden hielten. Und doch war es nur ein armer Schlucker, dem hier die letzte Ruhestätte bereitet wurde. Zwar hatte ihn das grausame Leben in den letzten Jahren in Frieden gelassen, dafür hatte es ihm vorher aber so übel mitgesöiclt, daß er sich von den früheren Leiden und Entbehrungen nicht wieder zu erholen vermochte. Sein Vater', ein aus Savoyen nach Paris jvgewanderter ehrsamer Schneidermeister, batte dem Sohn eines Tages kurz entschloßen den Stuhl vor die Tür gesetzt. Warum? Henri war ein sehr fleißiger und strebsamer Bursche, der als Schreiber bei einem Advokaten und später als Sekretär bei dem Grafen Tolstoi, einem russischen Diplomaten, mit 40 Franken Monatsgehalt angestellt war, und höchst bildungs durstig alles las und studierte, was «hm in die Hände fiel, neben den beliebtesten einheimischen Dichtern, wie Alfred de Muffet, Brizeur, Deschamps Moreau, besonders des Deutschen E. Th. A. Hoff manns „Phantasiestückc". Aber sein Wissensdrang brachte ihn in allzu enger Beziehungen zu den Be wohnern des Quartier Latin, den Studenten, Künstlern und Literaten, so daß er oft nächtelang von Haus« wegblieb. Nachdem er sich aber eines Tages, «veil eine Toufine, in die er sich sterblich verliebt hatte, sein« Gefühle nicht erwiderte, aus Gram darüber in ein neues Liebesverhältnis zu einer jungen Frau. Marie, gestürzt und diese gar entführt hatte, vertwc der alte Murger dem ungeratenen Sohne das Haus, und mit diesem Tage begann das „Boheme- Leben", das Henri Murger selbst später nicht bloß in seinen Werken immer wieder in buntesten Bildern Ilschildert, sondern dem auch eben er diesen Namen * Ter Alldeutsche Verband, Ortsgruppe Leipzig, veranstaltet am Donnerstag, den 2. Februar, abends 8',« Ubr im Hotel Palmbaum einen Vortragsabend, an dem Superintendent Klinge mann aus Eßen über die elsaß-lothringische Verfassungs frage sprechen wird. * Eine Schenkung des Kaiser» für das „Seemanns- Erholungsheim". Der Kaiser hat für das Seemanns Erholungsheim „Kaiser-Wilhelm- und Kaiserin- Augusta Viktoria - Stiftung" in Klein-Machnow, das im Jahre 1005 aus eine Anregung de» Kaisers gegründet wurde, eine Schenkung zur Ausschmückung des Heimes gemacht. Er hat, um der Stiftung sein Wohlwollen zu beweisen, für den Offizier-Speisesaal einen Wandf ries aus einer Majolikafabrik zu Eadinen. wo solche Friese in künstlerisch schöner Form bergestellt werden, gestiftet Ebenso hat er dem Mannschafts-Speisesaal des Heinis seine Kolossal- büste geschenkt. In dem Seemanns-Erholungsheim können 15 Offiziere und 60 Seeleute ausgenommen werden. * In der Wahlprüfungskommission des Reichs tages wurde am Donnerstag der Wahl Protest Koch an lRatl.) behandelt. Ein Beschluß wurde noch nicht gefaßt. Recht interessant war aber die Haltung der Konservativen zur Frage der Wahloetätigung von Beamten. Während sie bisher lsogar da, wo es sich um Landräte gebandelt hatte) stets der Mei nung waren, daß diese genau die gleichen Rechte hätten wie jeder Staatsbürger, legten sie heute dein Staatsanwalt Potenz den Charakter als poli tischer Beamter bei und versuchten aus dessen Be tätigung bei den Wahlen eine politische Beeinflussung zu konstruieren, indem sie hervorhoben, daß die Be völkerung in Luck und Oletzko mit dem Staatsanwalt bei — Holzdiebstählen häufiger in Berührung komme als in anderen Gegenden Deutschlands. Nach ener gischem Widerspruch der Nationalliberalen wurde der betreffende Protestpunkt als nicht be weiskräftig adgewiesen. * Die Festlegung des Ostertermins. Die Peti tion s k o m m i s s! o n des Reichstages beriet eine Reihe von Petitionen über die Festlegung des Osterfestes. Sie kam zu dem Beschlüße, diese Petitionen dem Reichskanzler zur Erwägung zu überweisen, damit er mit den maßgebenden Behörden darüber verhandle, wieweit dem Vorschläge des Pro fessors Förster, das Osterfest auf den Sonntag n a ch de m 4. A p r i l zu verlegen, entsprochen werden kann. Es würde dadurch die Schwankung von jetzt sechs Wochen auf einige Tage herabgemindert. In der Debatte wurde die Notwendigkeit einer Verständi gung mit Rußland betont, ohne das eine einheit- lick)e Regelung nicht möglich set. Don Rom sollen, wie weiter ausgeführt wurde, kein« Schwierigkeiten zu erwarten sein, da Professor Förster im Besitze zweier wohlwollender Schreiben der Kardinäle Rampolla und Merry del Val sei. Der Ausschuß der deutschen evangelischen Landeskirchen habe sich bereits zustimmend geäußert. * Der heftige Widerspruch gegen die Schiffahrts abgaben, der in Oesterreich erhoben wird undcrst jetzt wieder im Volkswirtschaftlichen Ausschüße in Wien zum Ausdruck kam, erregt in deutschen Regie rungskreisen begreiflicherweise Unbehagen. Daß bei der entschiedenen ablehnenden Haltung der öster reichischen und der holländischen Regierung gegen die Beseitigung der Abgabenfrelheit auf der Elbe bzw. dem Rhein die vom Reichskanzler nach der Verab schiedung des Gesetzes im Reichstage angetündigten Verhandlungen mit den beiden ausländischen Staaten vorläufig keine Aussicht auf Erfolg haben, steht fest. Eingeweihte Kreise wollen wissen, daß eventuell beim Abschlüsse eines neuen Handelsvertrags mit Oesterreich die Zustimmung zu den Schlf- fahrtsabgaben erreicht werden soll. Lin ähnlicher Weg ist angeblich auch bei Holland geplant. Dieser Weg erscheint nur schlechthin ungangbar, denn eine solche Verquickung der Schiffahrtsabgaben mit den Handelsverträgen würde unsere Position bei den Unterhandlungen erheblich verschlechtern. * Die liberale Einigung in der Provinz Han nover. Die voi« der „Voss. Ztg." verbreitete Nach richt über das zwischen den Nationalliberalen und den Fortschrittlichen in der Provinz Hannover und dem Großherzogtum Oldenburg geschlossene Ab kommen wird jetzt von einem anderen vollspartei- lichcn Blatte als verfrüht bezeichnet. Die Ver ständigung müßte erst noch von den Landesorgani- jationen genehmigt werden. Von nationallibe raler Seite hat man sich zu den Meldungen noch nicht geäußert. * Die preußische Lotterieoerwaltung rechnet nach der Neuordnung der preußischen Klassenlotterie auf einen erhöhten Ueberschuß gegenüber dem Vor jahre. Der Ueberschuß betrug in den Vorjahren durchschnittlich 0 Millionen Mark und dürfte sich für das laufende Jahr auf rund 12 Millionen stellen. Die Einnahme wird gegen das Vorjahr 23 Millionen inehr betragen, dagegen werden die Ausgaben die Mehrsumme von 20 Millionen zeigen. Als Renten für die an der preußischen Klassenlotterie beteiligten Staaten werden 35Ä)016 ./tz gezahlt " Verkauf deutscher Dampfer an die Türkei. Nachdem die Türkei vor kurzem zwei deutsche Linienschiffe durch Kauf erworben hat. jucht sie nun mehr auch einige deutsche Handelsdampfer zu erwerben, um sie als Transportschiffe zu verwenden. Der 'Norddeutsche Lloyd hat nunmehr seine beiden Schnelldampfer „Oldenburg" und „Darm- stad t" an die türkische Regierung verkauft. Der aus höheren türkischen Offizieren bestehende Ausschuß, der zur Besichtigung der schiffe nach Deutschland entsandt wurde, ist seit Donnerstag wieder in Bremerhaven anwesend. Er wird die erforderlichen Umbauten und die Instandsetzung beaufsichtigen. Die Dampfer gehen in nächster Zeit nach Konstantinopel ab. Die beiden verkauften Dampfer sind Einschrauben- dawpfer von 15 000 Kubikmeter (5300 Tonnens Bruttogehalt, die bei 105 Mann Besatzung und 8200 indizierten Pferdestärken 13 Seemeilen stündllch laufen. Sie sind beide 1800 auf der Werft der Fair- field-Co. in Glasgow erbaut und gehören zu der sog. ..Dresden"-Klaße, die speziell für den Fracht- und Zwischendecksverkehr bestimmt war. Die Dampfer haben sich auch sehr aut bewährt und «varen sogar zeitweise auf der australischen Reichspostdampferlinie in Dienst. Allmählich erwiesen sie sich aber doch als zu klein, und namentlich für den steigenden Passagier- verlehr nach Australien und Ostasien nicht mehr allen Ansprüchen genügend. Der Norddeutsche Lloyd, der mit Recht ein Hauptgewicht darauf legt, seine Flotte auf wirklich modernem Fuß zu halten, hat deshalb bereits drei Schiff« dieser Klaße abge^^-n und an ihre Stell« Dampfer der sog. „Feldhe>'ren"-Klaße treten lassen, zu der auch die Dampfer „Roon" und „Seydlitz" gehören. Ruslana. Spanien. * Die religiösen Kongregationen im neuen Ber- einsgesetz. El Imparcial" will wißen, daß der Ent wurf des Vereinsgesetzes, den die Regierung vorbereitet, dem die relegiösen Kongregationen be treffenden Teile des Waldeck-Roußeauschen Gesetzes nachgebildet sei und vornehmlich jede, ein Gelübde fordernde Vereinigung, mag sie sich auf ein Konkordat stützen oder nicht, untersagt, die einer fremden Macht gehorchend, einen religiösen oder lediglich materiellen Zweck verfolgt. Dagegen soll eine freie Vereinigung ohne Gelübde von Personen, die sich einem religiösen Zwecke widmen wollen, wie zur Gebetsübung, Kranken- oder Armenpflege, gestattet sein. Minderjährige können religiösen Genoßen schäften nicht angchören. Portugal. * Zur Reorganisation der Flotte. Der ,D>aily Telegraph" bezeichnet die Nachricht, daß der Firma VickersSons andMaxim die Rekonstruktion der portugiesischen Flotte für 20 Millionen Pfund übertragen werde, als unbegründet. Die portu giesische Regierung erwäge zwar ein neues Flottenproaramm, sei aber noch unschlüssig, ob die englische Firma hierzu herangezogen werde. Rumänien. * Das Wahlprogramm der neuen rumänischen Re gierung. Aus Bukarest wird uns berichtet: Die neue rumänische Regierung, deren deutschland- bzw. dreibundfreundlicher Charakter schon dadurch äußer lich in die Erscheinung tritt, daß mit einer oder zwei Ausnahmen die neuen Minister eine deutsche Bil dung besitzen und die deutsche Sprache wie ihre Muttersprache beherrschen, führt sich durch ein Wahl programm gut ein, das sie nach der erfolgten Auflösung des Parlamentes soeben verbreitet. Fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens sollen gegeben hat, das Leben in jenem „Zönakel der Waßer- trinter", dessen so seltsam gekleidete, oft so pauvre und oft mit so grotesker Thcatralik auftretende Mit glieder die wildesten Kämpfe über Fragen der Lite ratur und Kunst ausfochten, aber auch je nach der pekuniären Lage der Gemeinschaft bald lustig hcrum- tcllten und die Philister vor den Kopf stießen, bald tagelang keinen anständigen Bißen zu eßen bekamen, von der Jagd auf Katzen lebten, in Socken spazieren gingen oder im Bett blieben, weil keine Kohlen zum Heizen da waren. Oft versammelten sie sich in der da maligen Wohnung Murgers, in jenem kleinen Zimmer, in dem man sich nur „moralisch" setzen konnte, und das von so geringer Höhe war, daß ein Mann über Mittelgröße mit dem Scheitel die Decke gestreift haben würde. Aber manchmal zog heiteres Leben in die engen Buden herein, wenn Mimis ausgelassenes Lachen erscholl oder Musettes zärtliche Blicke dre Freunde beglückten. Einzigartige Gewohnheiten beherrschten diesen Kreis, in dem man in Gesellschaft dieser sorglosen „Grisctten" das Elend mit heiterer Resignation über wand Aber das ungeordnete Leben bekam Murger schlecht. Die Nächte hindurch wachen, dann in den Tag hinein schlafen, im Bett arbeiten und den er schlafften Körper immer wieder durch starken Kaffee anstachelnd, dies, jahrelang fortgesetzt, zerstörte seine Lebenskraft. Zwar brachte ihm sein berühmtes Buch, dessen „Scenes de la vie de Boheme" das Leben jenes Zönakels in einer ganz neuartigen, reizvollen Mischung von Realismus und Phantastik wider spiegelte, mit einem Schlage allgemeine Anerkennung und eine, wenn auch geringe, so doch sichere Einnahme quelle, aber das Leben auf dem Lande, dem er sich nun zur Erholung Sommer für Sommer hin^ab, nutzte nichts: sein Magen, so versicherte er selbst eines Tages, glich dem Fell einer Dudelsackpfeife, auf der man zuviel gespielt hat. So versagte schon im Alter von 30 Jahren der Körper dem noch jugendlichen Gunst den Dienst. Als Murgcr von den Aerzten hörte, daß er in das Hospital Dubois gebracht werden solle, meinte cr. >tin Gesicht zu einem letzten Lächeln verzerrend: „In das Hospital Dubois? ... Du dois . . . des Hslres, auc dem man die Särge macht!" Er hotte richtr' gesehen: er verließ das traurige Haus lebend n.cht wieder. Ausstellung im Sullstverein. Das Ereignis dieser Woche bedeutet iür alle Kunstfreunde die Ausjlellunq des Corinthschen „Golgatha" im Leipziger Kunstverein. Schon am 12. Januar brachten wir aus der Feder unseres Berliner Korrespondenten eine ausführliche Würdi gung, da das Werk im Kunstsalon Tasfirer-Berlin zum ersten Male der Oeffentlichkeit gezeigt wurde; dennoch kann ich einige Worte nicht unterlaßen, zumal da die Beurteilungen des Gemäldes in der Presse einander widersprechen. Neben uneinge schränktem Lob stehen kritische Bemerkungen, die das malerische Können Lovis Corinths nicht bestreiten, aber die religiöse Stimmunq des Gemäldes bemän geln und Fehler der Komposition, zumal die Niveau unterschiede zwischen Mittelstück und Flügeln, auf zeigen Die Erinnerung an den größten Maler der Deutschen, Matthias Grünewald (Maler im Sinne Künstler des farbigen Scheins genommen), wird in allen Besprechungen wachgerufen; aber leider wird zumeist vergessen neben dem Gemeinsamen mit Grüne wald das Eigene dieses großen Meisters der Farbe zu betonen. Denn als einer der Großen erweist sich Corinth in diesem Werk. Neben einer Einheit der Gedanken besitzt jede Lyrik eine noch tiefere, zwingendere Einheit, die der Stimmung; das beweisen die Dichtungen Hölderlins aus der Zeit seines Wahnsinns. Neben der Einheit des linearen Aufbaus hat die Malkunst die Einheit des farbigen Zusammenklingens, und das ist das Zwingende im „Golgatha" Corinths. Diese neue Farbensinfonie, die auch mit dem geistigen Gehalt sich deckt, ist das Eigene des Künstlers, das ihn, trotz der Anregung durch Grünewald, als Kind unserer Zeit erweist. Auf unser Verhältnis zu Corinth stimmen die Worte, die Ian Veth, selbst ein Maler von gutem Können, über Rubens sagt: „Unsere nachdenkende Verschlossenheit, unser auf das Innerliche gerichteter Träumersinn kann solche aufbrausende Malerlcidenschaft nicht mehr ver tragen." Aber man betrachte das Gemälde genau, man dringe, geleitet von der faszinierenden Gewalt dieser Farbe, in das Gemälde ein, und wir werden mit innerem Erschauern die Wucht der tiefen reli giösen Leidenschaft entdecken. Dieses „Golgatha" ist nicht nur von einem Beherrscher aller technischen Fertigkeiten mit raschem Pinsel hingeworfen; hier hat eine vulkanische Natur ihr Verhältnis zum Evangelium offenbart. Gerade die 'Niveauunterschiede des Mittelstücks und der Flügel sind Grünewald abgclaulcht, der auch die Heiligen Sebastian und Antonius in Ünnenräume stellte, um dadurch den Gekreuzigten noch höher in die Lüfte über die Landschaft mit dem tiefen Hort zollte zu heben. Auch die ungleichmäßige Flächen füllung der Flügel stammt von Grünewald, der den nackten Sebastian dünn, starr in die Mitte stellte, während er den in weiten Mantel gehüllten An tonius mehr an die Seite rückte. Auch hier ein bart loser Fanatiker und ein bärtiger, bedächtiger Alter. Doch welchen tiefen, neuen Sinn verleiht Corinth diesen beiden Temperamenten. Mattheus, der Historiker, lauscht der Vergangenheit. Das Leben seines Herrn diktiert ihm der Engel, dessen Augen in fernsten Räumen das Gewesene al» ewig Seiendes zu erblicken scheinen. Als Verkünder des Wortes, nicht nach durchgreifende, dem modernen Zeitgeist entsprechende Reformen eingesllhrt werden. Es scheint, al, ob der jetzt 74jähriae Ministerpräsident Tarp, der ja in Deutschland schon längst einen guten Namen be sitzt, mit der Durchführung dieses Programmes sein Lebenswerk krönen wolle, das in uneigennütziger Weise dem Wohle de» Landes gewidmet mar. Er wird freilich den Bestand leine» Kabinett» noch im Wahlkampfe zu behaupten haben, und das wird nicht leicht sein, da sich die schnell zu einer großen Partei herangewachsenen Konservativ-Demokraten mit den Liberalen zu einem Wahlkartell verbunden haben. Indessen dürfte doch wohl das Wahlprogramm in Verbindung mit den Persönlichkeiten der neuen Mi nister, die einen untadelhaften, auch von den Gegnern anerkannten Ruf besitzen, eine zuverlässige Re gierungsmehrheit bei den bevorstehenden Wahlen er möglichen. In dem Wahlprogramm, das bemerkens werterweise auch in deutsch er Sprache er schienen ist, erklären die neuen Minister, in der För derung der Produktivkräfte des Landes und in deren Schutz das für eine nutzbringende Tätigkeit geeignetste Gebiet zu erblicken. Eine der Hauptaufgaben des neuen Ministeriums werde deshalb die Neuorganisa tion des Handwerkerstandes sein, um ihn gegen die wechselseitigen Bedrängnisse, sowohl seitens der Arbeitgeber als auch der Arbeiter sicherzustellcn. Für die Arbeiterschaft steht das Minister programm die Schaffung einer Krankheits-, Alters und Unfallversicherung vor. Bezüglich der Lage der Landarbeiterschaft werden die vom früheren Mini sterium zu ihrer Besserung erlaßenen Gesetze erweitert werden. Auch der Bauernschaft, besonders der klei neren Gutsbesitzer, ist gedacht. U. a. sollen die Boden parzellen, die kleiner als 6 Hektar sind, von jeder Staatssteuer befreit bleiben. Die innere Verwaltung soll auf andere Grundlagen gestellt und dem Ein flüsse der politischen Parteien entzogen werden. Türkei. " Zur Lage im Jemen. Nach einer in Konstanti nopel eingetroffenen Depesche aus Hodel da vom 25. Januar waren die Verbindungen -wischen Ho- deida, Sana, Taza und Assyr sowie mit Konstanti nopel nicht unterbrochen. In Hodeida sind zwei Kanonenboote eingetroffen, von denen eins nach Konfunda abgegangen ist. — Blättermeldungen zufolge unterahmen die Aufständischen im Jemen einen Angriff auf Menakha, südwestlich von Sana. Die türkische Garnison, obwohl schwach, ver teidigte sich gut. Said Jaris soll die Ver stäub i g u n gs v o r s chl äg e des Militärkomman danten von Assyr abgelehnt haben. Kurland. * Indoeuropäische Transitbahn. Der Ministerrat beriet die Frage der Indoeuropäischen Transitbahn und sprach sich für die Bildung einer Sonderkommission zum vorläufigen Studium des Unternehmens aus, das hem Reichsschatz keinen Schäden bringen und die wirtschaftlichen Interessen Rußlands nicht ernstlich schädigen dürfe. Vereinigte Staaten. * Der Gegenseitigkeitsvertrag mit Kanada. Prä sident Taft übersandte dem Kongreß den Gegen- seitigkeitsoertrag mit Kanada mit einer längeren Botschaft, in der er dringend die Ratifizie rung des Vertrages empfiehlt. Der Vertrag sieht die Kegenseitigkelt für die Hauptnahrungs mittel, Eetreidearten, Obst, Molkereiprodukte, Gemüse, Vieh, Geflügel und Fische vor. Zollfrei werden Baumwollsamenöl, rohes Bauholz, Zinn platten, Drähte, Marienglas, Gips und Druckpapier, herabgesetzt werden die Raten für Motorfahrzeuge, Meßerschmiedewaren, Uhren. Lederwaren, landwirt schaftliche Geräte und Eisenerz. — Aus Ottawa wird noch gemeldet: Besonders bemerkenswett in der Ankündigung des Staatssekretärs der Finanzen über die Reziprozitätsabmachungen mit den Vereinigten Staaten war die Zusicherung, daß keine Ein mischung in eine englische Vorzugs behandlung damit verbunden sei. Sollten die Vereinigten Staaten die Zölle herabsetzen, so solle Kanada berechtigt sein, Großbritannien eine ent sprechende Vorzugsbehandlung zuteil werden zu laßen. Das Regierungsorgan von Ottawa „Free Preß" sagt über die Ankündigung: „Kanadas Be mühungen seien 15 Jahre lang darauf gerichtet ge wesen, die Bande mit dem Reiche enger zu rechts oder links schauend, sondern starr in die Zu kunft schreitet Paulus. Wohl ist das Schwert sein Symbol, aber er ist kein Mann des Schwertes; seine scharfe Klinge ist das Wort. Wenn man daraufhin (den Weg der Schrift vom Evangelisten zum Ver künder des Wortes verfolgend) den linearen Aufbau der Flügel betrachtet, so wird man sehen, daß die Komposition ein Dreieck füllt, in dem der Kopf des Paulus die Spitze ist. Und auch der farbige Klang steigt im Crescendo vom rechten Flügel zu den Hellen Tönen, die den Fana tikerkopf umrahmen. Der Grundton des Gemäldes ist der Körperfarbe Christi entnommen, dessen Blut „ähnlich dem dunklen Saft von Maulbeeren" nieder fließt. Vom Bläulichviolett (dieser Maulbeersaft- tarbe) zum Blau des Stahls, das auch den Himmel füllt, durchläuft die Farbe die gesamte Skala der Schattierungen, die am rechten Flügel beschwert und gedämpft werden durch einige braune Töne. Neben diesem Werk haben die Mitausgestellten schweren Stand. Selbst Kallmorgen wirkt mit seinen Gemälden nüchtern. Vielleicht auch deshalb, weil die meisten Werke auf die gleiche oder ähnliche Noten gestimmt sind. Nach Whistlers Rezept, der es selbst Jan v. Meer van Delft entnommen hatte, ist die feinfarbige Stadtsilhouette mit roten Tönen unter die Mitte der Leinwand gesetzt, weiter Himmel darüber, gleichmäßige Fläche, Wasser oder eintöniges Land, darunter. Auch die Stimmung. zumeist stürmisches Wetter, ist an vielen Gemälden gleichartig. Als großer Könner ohne tiefe Bedeutung offenbart sich Kallmorgen von neuem, und der Genuß an seinen Bildern wär« größer, wenn die Auswahl kleiner wäre. Aus W. v. Wasielewski will ich näher ein gehen, weil ich mit seinem Künstlerschicksal Mitleid bade. Er hat sich zum Vorbilde, vermittelt durch Arthur Volkmann, v. Maries gewählt. Aber selbst Maröes ist auf diesem Wege, der allerdings zur höchsten Höhe führt, gescheitert. Und Wasielewski ist kein MarSes. Diesen Weg sollte nur der betreten, der begnadet ist. Wer die Natur verläßt, nach eigenem Bild sich Menschen schafft, ein neues Geschlecht in eine schönere Welt, der muß diese Welt genau kennen, denn jede Phantasie bedarf zum Sprungbrett die Welt unserer täglichen Erfahrung. Die naturalistischen Skizzen Wasielewski» zeigen sein schwache» zeichnerisches Können und ver» raten den Grund der Unbefriedigung vor seinen Ge mälden. Und ferner die neue Welt, die sich ein phantafievoller Künstler baut, muß Eigenbau sein. Der Telemach ist genau nach A. Volkmann, die Ge mälde sind adgeschwächte Maries und Pidolls. In der Villa S. Donato in Florenz schafft zurzeit ein Künstler, der in eigener Weise Maries Bahnen geht. Ein bald Vergeßener, dennoch zur Ewigkeit Berufener, Sascha Schneider. Ur. Robert Oorvegk.