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aufgehoben werden, ist ja im Reiche Alfons Xlll. nicht» seltenes, aber di« Ausdehnung des Aue- nakmezustandes über ganz Spanien gibt doch zu denken. Es ist ein heißer Boden, auf dem die Dynastie Bourbon-Anjou herrscht. Militär- und Volksaufstände, Verbrechen gegen Staat und Gesell schaft sind auf ihm heimisch. In erster Linie ist die traurige wirtschaftliche Lage des von der Natur so reich bedachten Landes die Quelle großer Unzufriedenheit im Volke. Die natürlichen Reich tümer des Landes finden keine Ausbeute. Handel und Wandel liegen danieder, weite Kreise der Bevölkerung sind verarmt, sie stehen schütz- und machtlos jedem grösseren Notstände gegenüber, der über das Land hereinbricht. Da» Unterrichtswesen ist mangelhaft, die Verwaltung äußerst reformbe dürftig. es fehlt an Kanälen, wie denn überhaupt das gesamte Verkehrswesen auf niedrigem Niveau steht. Dafür gibt es aber um so mehr Klöster und viele, viele Tausende von Nonnen und Mönchen, die jür die wirtschaftliche Hebung des Landes ein Hemmschuh sind und deren Einfluß, wie derjenige des in ungeheurer Zahl vertretenen sonstigen Klerus auf das Volk mindestens nicht dem kulturellen Fort schritte fördernd ist. In letzter Zeit sind ja Anläufe gemacht worden, die inneren Zustände zu bessern, aber viel konnte noch nicht erreicht werden. Das Bestreben Spaniens, in Afrika eine Rolle zu spielen und sich wenigstens dort im Abglanze der ehemaligen panischen Weltherrschaft zu sonnen, spannt die inanzielle Kraft des Landes bis aufs Aeußerste an, o daß für kulturelle Aufgaben im Innern wenig übrig bleibt. Mit großem Geschick und rastlosem Eifer wird die allgemeine Unzufriedenheit von den Sozial demokraten und anderen Anhängern des Umsturzes ausgenutzt, um die schlecht bezahlte und schlecht genährte, gar oft auch beschäftigungslose Arbeiter schaft zu Kundgebungen gegen die bestehenden Ver hältnisse zu verleiten und sie von einem Streik in den andern zu treiben. Dabei kommt es dann regelmäßig zu erbitterten Kämpfen, die die Ordnung und Sicherheit in Frage stellen und die Achtung vor der staatlichen Autorität schwer be einträchtigen. So nahmen z. B. die Streikunruhen in Bilbao im Herbst 1903 den Charakter einer förm lichen Revolution an. Auch die häufig sich einstellende Teuerung wird von den revolutionären Parteien stets »u politischen Zwecken ausgenutzt. Die Hungersnot bzw. die Teuerung der Lebensmittel im Frühjahr 1904, im Sommer 1905 und Anfang 1907 versetzten vielfach weite Teile des Landes in völlige Anarchie, und in frischer Erinnerung ist noch der Aufruhr und die Streikbewegung im Sommer 1909, wo es in Spanien sehr bedrohlich aussah. In allen diesen Fällen war das Allheilmittel der Regierung die Verhängung des Belagerungszustandes über diese oder jene Provinz, und bisher ist es auch noch immer gelungen, der Lage Herr zu werden. Ohne heftige blutige Zusammenstöße zwischen den Revolutionären und der Polizei bzw. den Truppen ging es freilich nie ab, und Tausende von Menschenleben sind diesen Kämpfen schon zum Opfer gefallen. Die jetzige innere Krisis Spaniens ist durch revolutionäre Streiks hervorgerufen worden, die mehr und mehr einen anarchistischen Charakter angenommen haben. Daß kein anderes Land der artig von Anarchisten verbucht ist wie Spanien, ist bekannt. Die Katalonier stehen an der Spitze der anarchistischen Bewegung im Norden, sie sind Haupt sächlich für alle bisher begangenen politischen Ver brechen verantwortlich. Im südlichen Spanien, namentlich in Andalusien, hat der Anarchismus eden- ralls zahlreiche Anhänger, aber er tritt hier in milderer Form auf. Leider muß man damit rechnen, daß Spanren noch recht oft der Schauplatz von poli- tischen Verbrechen werden.wird, denen durch solche Bewegungen, wie sie jetzt wieder das Land in Unruhe versetzen, Vorschub geleistet wird. Wenn es der Regierung auch gelingen mag, das Feuer der Revo lution zu löschen, unter der Asche wird es doch fort- glimmen, solange man an maßgebender Stelle nicht endlich daran denkt, durch Reformen auf allen Ge bieten das Uebel an der Wurzel zu erfassen. Zur prlvatdesmtenverllürerung. Aus den Kreisen der Privatangestcllten, die in dem Siebener-Ausschuß ihre Vertretung haben, schreibt man uns zu den Veröffentlichungen der A r b e i t s ze n t r a l e: „Die Behauptung, daß die Angestelltenverficherung durch Uebertragung auf eine Gemeinschaft bestehender Lebensversicherungsgesellschaften möglich ist, wird in denjenigen Kreisen der Privatbeamten, die sich ein gehend mit der Frage beschäftigt haben, auf erheb liche Zweifel stoßen. Jedenfalls genügt die einfache Behauptung dieser Auffassung der Arbeitszentrale keineswegs, es müßte auch der Beweis dafür erbracht werden. Denn in den eingehenden Beratungen, die gerade über diesen Punkt stattgesunden Haven, hat sich stets herausgestellt, daß dieser Weg zu einer Ve r - teuerung der Versickerung führen würde. Die Unkosten der deutschen Lebensversicherungsunter nehmungen belaufen sich nach zuverlässigem statisti schen Material auf 16,5 Proz., das bedeutet 8,80 auf eine Police. Diese hohen Unkosten erklären sich durch die kostspieligen Organisationen, die der scharfe ZLettbewerb der Gesellschaften untereinander nötig macht. Zum Vergleich sei angeführt, daß sich die Auf wendungen der Invalidenversicherung pro Jahr und Kopf auf rund 1 .tt l»elausen. Für die Hinterblie- bcnenversicherung sind die Unkosten auf den Kopf der Versicherten auf 1,74 .tt errechnet worden. Dies be deutet bei dem angenommenen Umfang der Versiche rung mit 1,8 Millionen versicherungspflichtigen Ange stellten eine Ersparnis von fast 18 M i l l i o n en Mark. Für die Angestellten spricht auch gegen eine Uebertragung der Versicherung auf private Unter nehmungen der Umstand, Laß ihnen und den Arbeit gebern eine Mitwirkung vei der Verwal tung und Rechtsprechung und vor allem bei Bewilligung der Versichsrunasleistungen nicht zu stehen würde. Da nun di- Feststellung der Berufs unfähigkeit sehr leicht zu Streitigkeiten Anlaß geben kann, ist es bei weitem vorzuziehen, wenn die An sprüche durch die Versicherten und deren Arbeitgeber selbst geprüft und entschieden weiden. Schließlich würden die privaten Unternehmungen zweifellos wohl auch nach der Art der Risiken eine Prämien- abstufung «inführen, die kinderreichen Fa milienvätern oder Personen in gefahrvollen Be rufen unerschwingliche Beiträge auferlegen müßten. Wollten aber die privaten Unternehmungen durch Zusammenschluß zu einer gemeinsamen Anstalt alle Risiken gleichmäßig und ohne Auswahl übernehmen, so würde dadurch eine Anstalt entstehen, die vor der staatlichen jedenfalls keine Vorzüge hätte." Nach Stolypins Toüe. Unter den Juden in Kiew hat sich die große Er regung gelegt, da sie sich durch die umfangreichen Maßnahmen der Regierung sicher vor Pogromen fühle. FinarnMinister Kokowzew hat sich nach Peters- bürg begeben, um dort vorläufig die Geschäfte des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Alle übrigen Minister sind in Kiew einaetroffen, um dort an den heute stattfindcnden Beisetzungsfeierlichkeiten für Stolypin teilzunehmen. In einem Leitartikel des offiziösen Blattes „Rossija" heißt es: Die Ermordung Stolypins durch die Revolutionäre hat alle anständigen Bürger mit Abscheu erfüllt. Welche Verantwortung die politische Polizei für das furchtbare Ereignis trägt, wird seinerzeit auf- geklärt werden. Im gegenwärtigen Augenblick ist es aber gebieterische Pflicht eines jeden Bürgers, ruhig die Bestrafung der Schuldigen abzuwarten und sich nicht das Recht dcrVergeltuug anzumaßen. Ein Racheakt von Privatpersonen oder einer Menge können nichts zur Wiederherstellung des Friedens und der öffentlichen Ordnung beizutragen. Unruhe und Gärung in dieser Zeit der Trauer zu ver mehren. würde ein Verbrechen an dem Andenken Stolypins und an dem leidenden Vaterlande sein. Bagrow unter Mordanklage. Der Chef der Kiewer Polizei Kouliabkoff erklärt in einem öffentlichen Schreiben an die Zei tungen. daß die Gerüchte, die von einer Zusammen arbeit der Polizei und der Revolutionäre bei dem Attentat auf Stolypin zu berichten wußten, jeder Begründung entbehren. Bagrow wird sich, wie nunmehr feststeht, wegen Mordes vor Gericht zu verantworten haben und wird wohl sicher zum Tode verurteilt werden. preMmmen. Der Tod des Reichstagsabgeordneten Liebermann von Sonnenberg hat verschiedenen Blättern Anlaß gegeben, sich mit dem Antisemitismus, dessen einer Führer der Verstorbene ja war, zu beschäftigen. So schreibt die „Kreuzztg.": „Die spezifisch antisemitischen Partei gruppen haben es nicht verstanden, sich die Sympathie in weiteren Kreisen zu erobern, bzw. zu erhalten. Die Kampfesweise sowie die persön lichen Verhältnisse mancher ihrer Vorkämpfer wirk- ten abstoßend. Nur mit der deutsch-sozialen Rich- tung stand es besser. Die hat sich nach der Trennung von der radikaleren Reformpartei redlich bemüht, unlautere Elemente in ihren Reihen nickt aufkommen zu lassen — und außer dem Falle Schack ist nickt, vorgekommen, was sich von den Ausbeutern persbn- licher Verfehlungen zu politischen Zwecken gegen sie hätte benützen lassen. In erster Linie ist das wohl das Verdienst des nun verstorbenen Führers Lieber mann von Sonnenberg, der aus dem innersten Drange seines echt deutschen Herzens kämpfte und der nur ehrliche Ueberzeugungstreu« achtete, politische Landsknechtsnaturen, Abenteurer und Glücksritter nicht um sichdulden konnte. Die Ehrlichkeit feiner Ueberzeugung, seine tief im Herzen wurzelnde nationale Gesinnung und der tapfere, kampffrohe Eifer, mit dem er für das, was er für wahr und recht hielt, «intrat, bewirkten, daß man ihm auch da die Achtung nicht versagen konnie, wo er irrte und fehlte." In der „Frankfurter Zeitung" lesen wir: „Der Tod des Abg. Liebermann von Sonnenberg lenkt für einen Augenblick die Gedanken auf das Schicksal der politischen Richtung, in deren Dienst sich der Verstorben« gestellt batte. Einst hatte der Anti semitismus, so glaubten seine Anhänger, verheißungs voll sich zu entfalten begonnen: in den Zeiten der Berliner Bewegung, als Stöcker die Massen der Reichshauptstadt, an sich zu reißen hoffte, gab es in der Tat zahlreiche wirre Köpfe, die in dem Anti semitismus die Ileberwindung der drohenden sozia listischen Flut sahen. Liebermann von Sonnenberg ging über Stöcker hinaus, nicht nur, indem er die Tonart Stöckers vergröberte, sondern vor allem, in dem er den antisemitischen Gedanken zum Angelpunkt und Hauvtinhalt einer Parteibildung machen zu können glaubte. Die christlich-soziale Partei Stöckers war auch antisemitisch, diedeutsch-sozialePar- tei Liebermanns war, im wesentlichen wenig stens. nichts als antisemitisch. Und war schon der Antisemitismus Stöckers eine durch dema- » gogische Instinkte genährte Verirrung gewesen, so wurde die gleiche Eedankenrichtung in der deutsch sozialen Partei zu einer grotesken Kari- kierung alles Parteiwesens; es konnten in der Tat nur politisch Einäugige auf die Idee ver fallen, eine derartige rassenmäßlge Kastenbildung als Ausgangspunkt einer Parteigruppierung zu benutzen. Indessen war nicht einmal mit dieser Potenzierung der Unvernunft der letzte Schritt auf dem Wege des Antisemitismus getan: über Liebermann hinaus ging Ahlwardt; in dem wüsten Radau-Antisemitismus des Rektors aller Deutschen und seiner Trabanten feierte die Hohlheit der ganzen Eedankenrichtung ihre höchsten Triumph«. Heute ist von dem antisemitischen Spektakel der acht- ziger und neunziger Iabre nicht viel mehr übrig geblieben als eine peinliche Erinnerung an unsinnige und korrupte Verstiegenheiten. Ahlwardt ist stumm, und auch Liebermann, der persönlich an dem anti semitischen Parteischlamm unbeteiligt war, ist in der letzten Zeit ein schweigsamer Mann gewesen. Die antisemitischen Instinkte eines Teiles der Bevölkerung sind damit gewiß noch nicht über wunden; es wäre töricht, sich darüber zu täuschen: ab«r der Antisemitismus als Partei liegt am Boden, und man darf hoffen, daß der politische Sinn des Volkes gesund genug sein wird, sich von den Perversionen seiner rassereinen Propheten nicht mehr ansteckcn zu lassen." Zu der Ernennung des Unterstaatssekretärs Schwartzkopff zum Lverprapdeaten von Pose» schreibt die „Kölnisch« Zettun g": „Der Nachfolger Les Herrn v. Waldow ist der Unterstaatsiekretär im Kultusministerium Schwartz, kopff, ein Mann, der schon vielfach in seiner bis herigen amtlichen Stellung die Oefsentlichkeit be schäftigt und ebenso zustimmende wie absprechende Beurteilung gefunden hat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Herr Schwartzkopff «in Mann von aus gesprochen konservativer Richtung ist, ein Umstand, der uns indes bei der Wahl eines Oberprästdenten von Posen nebensächlich erscheint. Auch Herr von Waldow war konservativ, und trotzdem hat sich der Liberalismus in Posen sehr gut mit ihm abgefundcn, weil er das Hauptgewickt seiner Tätigkeit nicht auf Rücksichten gegen die Partei, sondern gegen das Deutschtum legte. Das ist die Politik, die wir in Posen von einem Oberprästdenten verlangen, dessen erstes Ziel es sein muß. nicht für seine Partei Vor teile herauszuschlagen, sondern das gesamte Deutsch tum in der Abwehr gegen polnische Angriffe und Hebelgriffe zusammenzuschließen. Soweit uns bekannt, hat Herr Schwartzkopff in der eigentlichen polnischen Frage wenigsten» öffentlich noch niemals Stellung genommen; man könnt« ihm deshalb in dieser Frage dasjenige Vertrauen entaeaenbringen, auf das ein als hervorragend tüchtig bekannter Beamter bis zum Beweis« de» Gegenteils Anspruch erbeben kann. Leider läßt sich aber LieErnennungdesHerrn Schwartzkopff nicht wohl ander» be trachten als unter dem Gesichtswinkel der Versetzung de» Herrn v. Waldow. Wäre die Regierung mit dessen Anschauungen ein verstanden gewesen, so hätte kein Grund zu einem Personenwechsel vorgelegen. Da der Wechsel vor genommen wurde, kann es sich diesmal nicht nur um eine Personenfrag« handeln, sondern um sachliche Aenderungen in der Orientierung der Polenpolitik. Das ist jedenfalls der erst« Ein druck, den man erhält, und dessen äußere Berechtigung kaum zu bestreiten sein wird. Sollt« das auf einer Täuschung beruhen, so werden wir die ersten sein, das gern und freudig anzuerkennen; aber Vorschuß lorbeeren können dem neuen Oberprästdenten nicht zugebilligt werden, und wenn er in der Polen- frage auch noch ein weißes Blatt ist, so liegt doch die Besorgnis nahe, daß dieses weiße Blatt in einer Weise beschrieben werden wird, die den Wünschen derjenigen Deutschen, die bisher die Träger der Polen politik waren, wenig entspricht." Noch schlimmer sind die Befürchtungen der „Ost deutschen Rundschau" (Bromberg): „Der neue Polenkurs der Herren von Deth- mann Hollweg und von Schorlemcr-Lieser, der bis- her ängstlich gehttmqehalten und abgeleugnet wurde, ist durch die obigen Ernennungen endlich offenbar geworden. Exzellenz Schwartzkopff gilt in der Polenfrage als ein Gegner der scharfen Tonart, mit der wir bisher noch stets am weitesten gekommen sind, er gilt als Versöhnungspolitiker reinsten Wassers, und was wir unter feiner Verwaltung zu erwarten haben, ist danach leicht vorauszusagen. In unserer Polenpolitik lautet die Parole heute nicht mehr „Nunquam retrorsum!" sondern „Semper re- trorsum!", und der Sohn des Herrn von Schor- lemcr-Alst, der einst unter dem Schlagwort „den Osten germanisieren heißt ihn protestantisieren", die Maß nahmen der preußischen Staatsregierung rücksichtslos bekämpfte, hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das Enteignungsgesetz bleibt für ewige Zeiten im Akten schranke der Königlichen Staatsregierung, der An- siedelungskommission wird Schritt für Sckritt der Boden unter den Füßen entzogen, das deutsche Kar tell für den kommenden Wahlkampf gegen das Polen- tum droht zu zerfallen, und der Mann, der bisher kraftvoll und zielbewußt di« deutsche Sache hier im Osten versuchten hat, geht des harten Kampfes müde, ohne Rückhalt bei der Zentralregieruna schweren Herzens von dannen. Wir Deutsche aber in Stadt und Land müßen auf schwerem Posten z'i sehen, wie das Polentum mehr und mehr an Boden gewinnt, wie es sich in Westpreußen und Schlesien immer breiter macht und die ohnehin überaus schwierigen Lebensbedingungen der deutschen Bevölkerung ernstlich bedroht." Letzte Depeschen unü MrnlprechmelüuiMN. Marokko. v. Berlin, 21. September. (Prio.-Tel.) Die „Unabh. pol. Korr." erfährt von hochgeschätzter Stelle: In der Marokkofrage, dir, wie die „Nord deutsche Allgemeine Zeitung" am Sonnabend schrieb, unmittelbar vor ihrem entgültigen Abschluß stand, ist über Nacht eine ernste Krisis eingetreten. Das, wie seinerzeit gemeldet, zwischen Kiderlen- Wächter und Cambon vor 14 Tagen getroffene Einigungsabkommen ist von Frankreich so durchlöchert worden, daß von den Grundziigea der Cambon-Kiderlenschen Einigung fast nichts mehr vorhanden ist. Direkt sensationell aber hat im Berliner Auswärtigen Amt die Marokkonote der „Agentur Havas" gewirkt, die tatsächlich alle bis herigen Einigungspunkte so gut wie aufhebt und die erfogt ist, trotz des beiderseitigen Schweigeabkom- mens. Wir erfahren allerbest en s, daß Die Stützt tzer schönen Türme. Etudiensahrt der nordeuropäischen Presse nach Kopenhagen. Von Wilhelm v. Buttlar. II. Königsschlösser. Wenn ich chronologisch berichten wollte, ich hätte an die Spitze meiner ersten Plaudereien den Emp fang setzen müssen, der uns am ersten Tage unseres Kopenhagener Aufenthaltes durch König Friedrich zuteil wurde. Es war ein schlichter Akt liebens würdiger Repräsentation in dem behaglichen Ama- lienborgschloß, in dem einfach ausgestatteden Audienz, zimmer. Leider konnten wir die übrigen Räume und Prunkgemächer der Königlichen Winterresidenz aus Mangel an Zeit nicht besichtigen. Die Perle der dänischen Königsschlösser ist und bleibt das aus tiefgründigem Wasierschoß« aufftei- gend« Rosenborg-Schloß In niederlän dischem Renaissancestil. — ebenso wc« Schloß Fre- deriksborg und die Börse — ließ es Dänemarks größter Baumeister und Küni^ Christian IV. in den Jahren 1610—25 erbauen. Hingeträumt in die al ten Parkanlagen liegt der von drei schlanken Tür men überwacht« Backsteinbau mit seinen Giebeln und Erkern. Einst war es von Wall und Graben umgeben und der Lieblingsaufenthalt seines Er bauers, der hier auch starb und später noch die Residenz manches Dänenkönigs, der Ort rauschender Hofseftlichkeiten. Vorbei. Jetzt ist es das Nationalmuseum, „De dansle Kongers Kronologisk^ Sämling", die chro- nolngisch« Sammlung der dänischen Könige von Christian IV. bis zur neuesten Zeit. Ja, von Chri- stian IX. finden wir bereits Kleidungsstück«, di« in ihrer Einfachheit rührend wirken. Schreiten wir durch die Kabinette, durch die Säle und Ga lerien, die unverändert geblieben oder im Zeitge schmack der betreffenden Kulturperiode eingerichtet stnL, überall umfängt uns das Bild verrauschter Jahrhunderte, das Bild höfischen Prunke» und edlen Kunstsinnes der r isti^er. Bewohner. Kost bare Prunkgewänder mit prachtvollen alten vene zianischen Spitzen erregen die Bewunderung der Damen. Eine» der wertvollsten Altertümer ist das im Trrmzimmer ausgestellte Oldenburgische Horn", alte Eoldschmiedeorbeit, ein Trinkgefäß. Und über- -aapt find Trtnkgeföße in allen Drogen und aus den verschiedensten kostbaren Materialien hergestevt überall ausgestellt. Humpen aus Kristall, aus Äern- stein u. a Sie lasten Schlüsse zu auf den Durst der alten Dänenkönige und Oldenburger Eine kAbare, mit Tausenden eckten Perlen besetzte ParadeSattel- decke, dort wieder köstliche Zierschränk« aus Ebenholz mit Intarsien, wertvolle alte Gobelins von Saal zu Saal steigert sich das Wertvolle und Be- trachtenswerte, woran ein Kunsthistoriker für Wochen seine Freude haben würde. Da ist die wundervolle Sammlung alt-dänischen Porzellans, die in ganz Europa einzig dasteht, ebenso wie die in einem Seitenkabinett des großen Thronsaals untergebrachte unschätzbare Sammlung venezianischen Glases, die einst ein Doge einem dänischen König, als Däne- mark der mächtiMe Staat der Wett war, zum De- schenk machte. Wir verweilen im großen Thronsaal mit den herrlichen Gobelins (Darstellungen aus der dänischen Geschichte), mit den kostbaren Thron- fesseln, bewacht von drei lebensgroßen, in Silber getrieoencn Löwen, wir durchwandern die intimen Privatgemächer eines Frederik IV. und Frederik VII. mit Familienbildern, Uniformen, Orden dieses Kö nigs und wir bedauern, nicht Tage und Wochen hier verweilen zu können. Don dem gleichen Christian IV. erbaut in dem gleichen Stil, Len man mit Recht den Stil Chri- ftians IV. nennen kann, grüßt uns inmitten groß- artiger Parkanlagen bei Hilleröd (nördlich von Ko penhagen) Schloß Frederik «.borg, das in Len Jahren 1603—25 erbaut wurde. Nachdem das herrliche Schloß am 17. Dezember 1859 durch eine furchtbare Feuersbrunst bis auf einzelne Teile fast völlig zerstört wurde, konnte es durch hochherzige Gaben des Kopenhagener Brauereibesitzers Dr. Karl Jacobsen um 1875 wieder völlig in seiner inneren Ausstattung hergestellt werden, der dabei festsetzte, „daß das Schloß künftig als Museum erhebend« und umfastende Darstellungen vaterländischer Erinne- rvngen von der Einführung der Reformation bis in die neueste Zeit aufnehmen solle". So ist Fre- deriksborg gewissermaßen eine Ergänzung zum Rosen- borg-Sckloß geworden und dient wie diese« nicht mehr als Residenz der königlichen Familie. Sind es im Rosenborg-Schloß mehr di« antiken Möbel und Kunstgegrnstände, die uns fesseln, so verdienen in Frederiksborg vornehmlich die Bilder besondere Be achtung. Von den besten dänischen Malern finden wir hier -i« großen Moment« aus der dänischen Geschichl« dargestellt, zahllos sind die Familienbilder und die Porträts der um Dänemark verdienten Männer und Frauen Lis in die neueste Zeit. Sehr interessant find uns Deutschen di« Säle, di« der Zeit 1848/49 und 1864 gewidmet sind, mit wertvollen Gemälden der Heerführer und einzelner Kriegscpisoden. Eine be- sonder« Erwähnung verdient der große Rittersaal und di« Schloßktrche. Der Rittersaal, von impo nierender Länge, hat eine gang aus Holz geschnitzte, aber wahnsinnig bunt awgemalte Decke. Gewiß, man muh sie eigenartig originell nennen, aber schön? Prächtig sind dagegen die — allerdings neuen — Gobelins und die Trompeterattane auf silbernen Säulen und der große Kamin. Es ist im- merhin intevestant, daß vor einigen Jahren auf spe ziellen Wunsch unsere» Kaisers bei seinem Besuche am Dänischen Hof, in diesem Saal ein großer Ball abgehalten wurtzr. Die Schloßkirche, in der die meisten dänischen Könige aus dem Hause Oldenburg geklönt wurden, ist etwas zu reichlich mit Schmuck überladen. Hübsch sind die noch aus der alten Kirche beim Brand geretteten Glasmalereien der Giebelfenster, der silberausgelogt« Altar und Kanzel und die Intarsien der Kirchenstühl«. Doch genug des Beschreibens. Draußen auf dem Schloßhof mutet uns die Vergangenheit behaglicher an. Tauben flattern um den Neptunsbrunnen und in dem altfranzösischen Park der sich anschließt, sehen wir im Geist die Hofgesellschaft vergangener Tage im Rokokogewande fein zierlich konversieren. Zurück zur Gegenwart. Ein großer Wagenpark, dem zwei Herolde mit Fanfaren vorausritten, brachte uns aus der Vergangenheit, der verträumten, hinaus in das Leben. Durch schönen Buchen- und Eichen wald gelangten wir nach Schloß Fredens- burg. der Herbstresidenz der königlichen Familie. Einen intimen Reiz hatten die wenigen Wohn räume, die wir zu sehen bekamen: Fredensborg war unter König Christian IX. oftmals der Sammelplatz der großen, über ganz Europa verbreiteten Königs familie. Hier versammelte die verstorbene Königin Luise — man nannte sie die Schwiegermutter von Europa — ihr« Kinder, Schwiegersöhne und Töchter, ihre Enkel: Kaiser Alexander III. von Rußland, ver- mählt mit der dänischen Prinzessin Dagmar, der Prinz von Wales (König Eduard) mit der Prin zessin Alexandra, König Georg von Griechenland, der Herzoy von Cumberland und die Prinzessin Thyra, Prinz Waldemar von Dänemark u,w. Hier wurde zu jener Zeit oftmals europäische Politik gemacht, die uns Deutschen nicht sehr reundlich war. Es sei vergeßen. — Es sind wohn- iche Räume, mit Ausnahme des großen Speise aals, der kalt und nüchtern anmutet. Dafür ent- chädigt der wundervolle Park, den man mit Recht >en prächtigsten in Dänemark nennt. Und hier kann man verstehen, daß Alexander Hl. sich hier im Som mer woblfuhlte, daß er hier friedlich im Teehaus seinen kleinen Cercle hielt. Und weiter führt uns die Fahrt nach Kron- borg, der einst so starken Festung, die den Sund beherrscht: einst mit ihren Kanonen, die noch auf den Bastionen trutzig aber ungefährlich stehen, jetzt durch ihre Schönheit. 1574 bis 1583 ließ es Fre derik II. errichten und Tyge Bratze, der dänische Astronom, verfaßte manche der noch vorhandenen Inschriften an Toren und Mauern. Hier ist sagen- umwobener Boden. In den mystischen, tiefen, feuchten Kasematten soll „Holger Daneke, Dänemark» Nationalheld, sich unsichtbar aufhalten, wartend der Stunde der Gefahr, um sein Vaterland zu retten. Hier in diesen unterirdischen Gefängnissen schmachtete Caroline Mathilde nach der Hofrevolution 1772, al» man sie und Struense« stürzte. Hier wandelt Hamlets Geist und ruft zu mitternächtiger Stunde den Geist seines Vaters auf die Bastion. — Spuk d«r Ver gangenheit, weiche! Der Lebende hat recht. Friedlich schmauchen auf den Bastionen dänische Wachsoldaten ihr Pfeifchen, schauen indigniert auf die Schar der lautredenden, lebhaft gestikulierenden Journalisten, die ihre beschauliche Ruhe stören. Sein oder nicht sein — die Frage kümmert uns heute nicht, sie fällt als Phrase unbedingt an Hamlets Grab bei Helsingör aus irgendeinem Munde. Nicht einmal störend, weil sie für uns gelöst war. Drunten im Hasen die Dampfjacht „Holger Danske" hat über die Toppen ge flaggt und will uns nach Skodsborg bringen. Also sein. Der Lebende hat recht! Nus Berliner Theatern. „Vincenz, eine Kreatur Gottes". Wenn mir je- mand diese Visitenkarte überreichen würde, so würde ich saaen: verrückt! Herbert Eulenberg bezeichnst als Kreatur Gottes den Helden seiner fünf Akte „Alles um Geld", die am Mittwoch im Lenina- Theater zum erstenmal aufgesührt wurden. Er stempelt damit die Hauptperson seines Stückes zu einem närrischen Kauze, und doch soll sie mehr sein. Nämlich der Träger des Idealismus, der in Konflikt gerät mit dem gemeinen Leben. Der Idealismus aber wird zum Zerrbild in der Ge alt eines ver schrobenen Phantasten, dcr symbolisch hinkt. Es wird etwas viel gehinkt in dieser Tragikomödie. Da» ganze Stück hinkt. In einer öden Dachwohnung mit sehr schiefen Wänden haust Vincenz mit Susanne und Titus, seinen Kindern, und Casfian, seinem Schreiber, untz