Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis tür Leipzia and Bor»«« durch uns«, TrLger und bpeduevre 2m«1 täglich m« Lau« grbrachi. -0 nonatl., K.7V^U »ierirlithrl «ei anlern Filialen a. «n» vatzmeflellen abgeholtr 7s ch monatig L.LL »ienelithrl. Durch di« «oft: innerhalb DeuNchland« und der deutschen »»Ionien vierreljädrl it.ä* monatl. U» au«Ichl. Poftdeftellgeld. fferner '» Belgien, Dänemark, den Donaullaaren, Italien, Luxemburg, NiederlaaLe. Nor wegen. Oesterreich-Ungarn, Ausstand, kchwebeu, Kchwei, u Spanieu Ja alle» übrigen Staaten nur direkt durch di« BeichttUstell, de» «latte« erhältlich. Da« Leipziger taaeMan er,-Heini 2 mal täglich, Son», u KeleriV» nur morgeu». Ldvnnenient^lnaadm. Auguftuäplatz 8, bei unseren Drägern, Astm-en Spediteuren und Lnnahmeslellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Singelvertaolepr«,« »er Morgen, lwtg-b« der Abend iu«gabe 8 ch. Abend-Ausgabe. MpZMrTllgMM Handelszeitung. Amtsblatt des Aales und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis iäe Inserat« »u« Leipzig und Umgebung di, Sgeivaltene bl) inm breite Pe»t,eile 2ü ch, dl« 74 mm breite Nellamezeile l vo» auiwLrti Ui) Nevamen 1.48 Inserate »an Lebörden >m amtlichen Lest die 74 ww breite Petitzetle 4-) «efchäsrranzeigen mit P atzvorschrilteu uu» in der Abeiwaurgabe im Preise ergöhl. Rabatt nach »urif. «eilagegebühr L p. Lausend ex kl. Postgebühr. Iesterteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen ,g desllmmtea Tagen und Plätzen wird kein« iSarantie übernommen. Anzeigen-Annahme: AugustuSplatz 8, der Itmilichen Filialen u. allen Annoncen. Speditionen de» In- und Au«landei. «rdaktlvu und «eschäfttstelle: Iobannlägasse s. Fernsprecher I468L. 14883, 14684. Paupt-Ailiale Dretzdeu: Leeslrahe 4,1 (Telephon 4621). klr. 323. Line nstillnsllikersle „Linbruchs- ksnüiüstur"? Die „Sachs. Natl. Korr." schreibt: „In der konservativen Presse, insbesondere im „Vaterland", wird über einen „Einbruch" in den 14. sächsischen Reichstagswahlkreis (Borna-Pegaus geklagt, dessen sich die Nationallibe- rale Partei durch die Ausstellung des Herrn Nitzschke - Leutzsch schuldig gemacht haben soll Es ist begreiflich, wenn man auf konservativer Seite die Kandidatur des Herrn Generals v. Liebert als „Sammelkandidatur" für alle bürgerlichen Parteien ausgeben möchte; es ist aber nicht richtig, wenn man die Aufstellung der nationalliberalen Kandidatur als Vorspiel zur Auslieferung des Wahlkreises an die Sozialdemokratie bezeichnet. So unverständig ist das Vorgehen der Nationalliberalen durchaus nicht. Wer die Verhältnisse und die Stimmung in diesem Wahl kreise kennt, weih seit langem, das; er zu den Wahl kreisen gehört, wo die Beschränkung auf eine einzige Kandidatur den Sozialdemokraten den Sieg nicht er schweren, sondern erleichtern würde. Herr v. Liebert gilt in dem Kreise als konservativer Mann. Daß er zur Reichspartei gehört, ändert daran nichts. Bei der Wahl im Zahre 1907 stand der koloniale Gedanke mit im Vordergrund und führte ihm ohne weiteres einen großen Teil der Wählerschaft zu, der sich mit seinem politischen Programm abfand, ohne sich des halb zu einer konservativen Politik zu bekennen. Nach dem Ausgang der Reichsfinanzreform, die Herrn v. Liebert, abgesehen von der Erbschaftssteuer, aus seiten der Konservativen fand, wird es unmöglich sein, ihm diesen Teil der Wählerschaft wieder zuzu führen. Ob man dies bedauern mag oder nicht, es ist einmal so. Eine konservative oder freikonservative Organisation ist in dem Wahlkreise nicht vorhanden, oder doch nur in geringem Maße. Der Verein reichstreuer Wähler, der für die Kandidatur Lieberts eintritt, ist keine Parteiorganisation, handelt aber gemeinsam mitdem Bundder Land wirte, oer tatsächlich ihre Hauptstütze ist. Gerade dieser Umstand verschärft aber den Gegensatz zu den Wählerschaften in den Städten, und es ergibt sich daraus, daß der Versuch, alle bürgerlichen Wähler noch einmal auf diese Kandidatur zu einigen, vergeb lich sein wird. Wenn dem jo ist, fällt dieSchuldin crsterLinie auf den Bund derLand- wirte, der mit seiner rücksichtslosen Interessen politik im ganzen Reiche so übel angeschrieben ist, daß jede von ihm ausgehende oder von ihm geförderte Kandidatur auf den ent schiedenen Widerstand der nichtkonser- oatioen Parteien stoßen muß. Wird sich Herr von Liebert vom Bunde der Landwirte lossagen? Er wird es nicht tun. Was hülfe es auch? Der Bund der Landwirte würde in diesem Falle auf die jetzt so gerühmte Sammelpolitik pfeifen und einen seiner Ge treuen aufstellen. Die Nationalliberale Par tei hat sich mittlerweile im Kreise eine ansehnliche Organisation geschaffen. Sie darf mit ihrem im Kreise wohlbekannten und bewährten Kandidaten Mittwoch, üen 23. Novemver ISIS. aus einen Erfolg rechnen. Ihre Anhängerschaft hat sich gesagt, daß ihr Vorgehen zum mindesten dazu dienen wird, die große Zahl der Wähler, die aus den angeführten Gründen für die Kandidatur des Herrn von Liebert nicht mehr zu haben sind, zusammenzu führen. Von einem „Einbruch" und einem „Höfen Beispiel" sollte die konservative Presse nicht viel reden. Die „Kreuzzeitung" hat bekanntlich schon vor einem halben Jahre aufgefordert, die nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Iunck, Weber und Stresemann in Acht und Bann zu tun. Zm 2. sächsischen Reichstagswayl- kreis hat die konservative Partei diese Losung als bald befolgt und eine Kampfkandidatur gegen Herrn Dr. Weber aufgestellt. Ebenso kündigte sie bereits im Mai für Leipzig eine gegen Herrn Dr. Iunck gerichtete Kandidatur an. Muß also schon von Einbrüchen ge redet werden, so hat die konservative Partei mit dem Einbrcchen begonnen." Amtliche Senklchrikt zurMilch- uerlorguny Deutlchlsnüs. Auf reichsbehördliche Veranlassung ist vom Geh. Oberregierungsrat Fleischer eine Denkschrift ausgearbeitet worden, die soeben sertiggestellt und dem Bundesrat, den Ministerien und den Regie rungen zugegangen ist. Die Denkschrift wird bei den Erörterungen über die Fleischnotfrage im Parlament als Material dienen. Der Verfasser kommt auf Grund eingehender Berechnungen und Erwägungen, die sehr vorsichtig aufgestellt sind, zu bestimmten Resultaten, in denen festgelegt ist, welche Leistungen an Marktvieh von den noch unkultivierten Mooren und den mineralischen Ocdflächcn nach ihrer Kulti vierung zu erwarten sind. Im ersten Teil der Denkschrift unterzieht der Verfasser die bisherigen statistischen Angaben über den Umfang der in Deutschland vorhandenen Moore zum Teil einer Revision, wobei er sich der neuesten Erhebungen der Landwirtschaftskammern ujw. bedient. So wird gegenüber den Angaben von Meißen („Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staates") der Gesamtumfang der west fälischen Moore auf 19696 1m (89633! nach Meißen), der der Provinz Hannover auf 463 496 l>» (nach Meißen 580 348 da) und der in Posen auf 325 727 im (nach Meißen 208 766 da) geschätzt. Im ganzen wird nach den Ermittelungen der Bestand Deutschlands an unkultiviertem Hoch- und Ueber- gangsmoor auf rund 1026 000 ba, an unkultiviertem Niederungsmoor auf rund 1032 000 b» und an tultur- fäbigem mineralischen Oedland auf rund 1500000 b» geschätzt. Diese Flächen würden als kultivierte Wiesen an gutem Kleegrasheu im ganzen 162,9 Millionen Doppelzentner liefern können, mit welchen Heumassen man jährlich 2468 180 Stück Großvieh mehr als jetzt ernähren könnte. Bei Verwertung der Gesamtfläche als Weide würde man in einer fünf- bis sechsmonat lichen Weideperiode mit einem durchschnittlichen Lebendgewichtzuwachs von 3 Doppelzentnern bei den Moorweiden, von 2,5 Doppelzentnern bei den Mine ralbodenweiden zu rechnen haben. Bei ausschließ licher Nutzung als Weide würden die Moore usw. an Viehlebendgewicht im ganzen 9 924 000 Doppel zentner liefern können. Auf eine einseitige Ver wertung der Flächen als Wiese oder als Weide ist natürlich höchsiens bei den in Rede stehenden mine ralischen Böden zu rechnen. Wenn auch das heutige Kulturverfahren aus dem Hochmoor die Uebersührung großer Flächen im Grasland begünstigt, so wird doch aller Voraussicht nach der größere Teil der Hoch moore der Besiedlung, der Anlage von kleineren und größeren Bauernstellen mit erheblichem Acker bau anheimfallen. Unter der Annahme, daß von dem ganzen noch unkultivierten Hochmoor-Areal etwa ' « in Weide, V, in Bauernhöfe von 80 Im, in Siedlerstellen von je 10 bn Größe umgewandelt werden, würden die vorhandenen 1026 060 b» 128 250 i » abgesonderte Weideflächen, 3260 Bauern höfe zu 80 tm und 64175 Siedlerstellen zu 10 lm liefern können. Aus dieser Fläche würden (abgesehen von den auf Wcideflüchen anzusetzcnden Hirten- oder Eigentümerfamilien) 67 375 größere und kleinere Siedl erfamilicn ihren Lebensunterhalt finden können, die beträchtliche Viehmengen an den Markt bringen würden. Auf Grund bestimmter Erfahrungen und statisti scher Angaben kommt der Verfasser zum Schluß, daß bei der angenommenen Verteilung der Gesamt hochmoorfläche jährlich ein Zuwachs an Marktvieh im Betrage von rund 1 504 060 D.-Ztr. zu erwarten ist. Was das unkultivierte Niederungsmoor anbe trifft <1 032 000 im), so erscheint es nicht ausgeschlossen, daß im Laufe der Zeit auch in großen Gebieten Kolonisationen stattfinden (z. D. im bayrischen Donaumoos, wo 17 700 im früher fast erfolglosen Vodens jetzt 5000 Menschen Unterhalt gewährend Nimmt man an, daß 10°/« der Fläche für Koloni sation noch in Betracht kommt, so würden die übrigbleibenden 90V„ (928 800 tm) jährlich 2 786 400 D.-Ztr. an Lebendgewicht erzeugen können. Unter der weiteren Annahme, daß von den für selbständige Wirtschaften bleibenden 103 200 lm rund 50000 im im Großbetriebe, der übrige Teil in 10 lm große Kleinbetriebe aufgeteilt, und das in den 5320 Kolonien erzeugte Vieh gänzlich von den In habern aufgezehrt wird, entfällt nach dem Beispiel der Moorwirtschast Wilhelmshof auf die 50000 lm noch eine Leistung von 50 000 mal 1,97 d. i. 98 500 Doppelzentner Viehlebendgewicht. Die Gesamtpro duktion an Lebendgewicht auf dem bisher noch un kultivierten Niederungsmoor stellt sich demnach auf 2 884 900 Doppelzentner. Mithin kann von den bis her noch unkultivierten Flächen im ganzen eine Er zeugung von Marktviehlebendgewicht im Betrage von 8138 900 Doppelzentnern erwartet werden. Dabei würoen aus dem Hochmoor 67 375, auf dem Niederungrmoor mindestens 5320, tm ganzen mit hin 72695 Familien kleinerer und größerer Wirt schafter ihren Lebensunterhalt finden können. Der Verfasser betont, daß die Angaben zwar nur An näherungswerte darstellen, glaubt aber eine gewisse Gewähr dafür übernehmen zu können, daß sie weit eyer hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, als sie überschreiten. Zur Wellausstellung in Berlin äußert sich das amtliche Organ des Bundes der Industriellen, die „Deutsche Industrie", u. a.: „Der Deutsche Kaiser hat sich wieder zu dem Projekt einer Deutschen Weltausstellung in Berlin bei seiner Anwesenheit in Brüssel geäußert. Authentische Mitteilungen über diese Aeußerungen liegen nicht vor. Allem Anschein nach hat der Kaiser hauptsächlich deshalb Bedenken gegen die Veran staltung einer Weltausstellung in Berlin, weil die rheinisch-westfälische Industrie ihre bekannte Isolierungspolitik treibt. Wenn es richtig ist, daß der Kaiser wörtlich ge 104. Jahrgang sagt haben soll, „es müßte erst Frieden zwischen der rheinisch westfälischen Industrie und der übrigen deutschen Industrie geschlossen werden", so triffi er allerdings die oligarchische Sonder dün de lei der rheinisch-westfälischen Industrie sehr genau. Er hat auch hervorgehoben, daß die rheinisch-westfälischen Industriellen sich von der Repräsentation in Brüssel serngehalten haben. Eine Weltausstellung Berlin könne nur ohne Iso lierung eines Teiles der Großindustrie von Ersolg sein. Darin können wir ihm völlig beislimmen. Der Kaiser stellte aber die Möglichkeit einer Ausstellung nicht in Abrede, sondern er sagte, daß diese Hinder nisse erst aus dem Weg geräumt werden müßten, wenn eine Weltausstellung Berlin Zustandekommen sollte. Der Bund derIndustriellen und die von ihm vertretenen Kreise haben bereits bei der da maligen Umfrage über eine Berliner Weltausstellung keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie eine solche Ausstellung wünschen. Käme sie zustande, so würde die rheinisch-westfälische Großindustrie sich auch nicht anschließen. In Düsseldorf wurde im Ständehaus eine infor matorische Besprechung abgehalten, um den Plan einer im Jahre 1915 in Düsseldorf zu veran staltenden Ausstellung der westlichen In dustrie und des deutschen Maschinenbaues zu er örtern. — Es wird also wieder das alte Spiel getrieben, eine Weltausstellung Berlin zu vereiteln." Daß gegen eine Weltausstellung in Berlin auch noch andre Gründe angeführt werden können, als die natürlich zu verurteilenden Isolierungsabsichten der im Zentralverband Deutscher Industrieller ver tretenen Erwerbszweige, ist in der Sonntagsnummer des Leipz. Tgdl. ausführlich dargelegt worden. politische Nachrichten. Dr. v. Bethmann Hollweg. Der Reichskanzler hat aus Anlaß seiner Ernen nung zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Berliner Universität das nachstehende Dankschrei ben an den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Berlin, Geh. Regierungsral Prof. Dr. Gustav Roethe, gerichtet: Euer Hochwohlgeboren bitte ich, der philosophischen Fakultät der Universität Berlin für die hohe Ehre, die sie mir durch die Er nennung zum Ehrendoktor der Universität hat ange Leihen lassen, meinen herzlichen und aufrichtigen Dank zu übermitteln. Sir Hot dadurch die Bande verstärkt, di« mich Lurch die Erinnerung an die Tätigkeit meines Großvaters und an meine eigene Studienzeit mit der Universität verknüpfen. Die Begründung, die die Fakultät ihrem Schritte gegeben hat, vertieft die große Freude, die ich über die Ehre empfinde. Unserer materialistischenWertungen allzu geneigten Zeit liegt der platonisch-fichteschc Irrtum, der die Grenzen zwilchen Er kenntnis und Tat verwischt und die Phi- losophiezurLeitungdesStaates berufen will, fern. Eher verfallen wir in den entgegen gesetzten Fehler: Theorie und Praxis, die. so denes sie im Auge haben, doch auf einander angewie sen sind, als getrennte Reiche zu betrachten und Macht und Wert der geistigen Arbeit im politischen Leben der Nation zu unterschätzen. Der er hebende Verlauf der Jubelfeier der Berliner Univer sität hat durch eindrucksvolle Kundgebungen und die Erinnerung an die mit der Größe Preußens so enge verflochtene Geschichte der Universität kundgetan, daß eine starke, stolze und freie Kultur des Geistes das Fundament auch der politischen und wirtschaftlichen Leistungen des deutschen Volkes ist und bleiben wird. Im Lpötlommer der Liebe. 1j Roman von P. Lorony. (Nachdruck verboten.) Erstes Kapitel. In dem ältesten Teil einer großen deutschen Stadt befanden sich im verrufensten Viertel, welches vermied wer konnte, mehrere Gassen, die mit ihren Abzweigungen und Höfen ein förmliches Ver- drecherguartier bildeten. Man sah da nur niedrige, schlecht gebaute Häuser mit grauen, schmutzigen, rußigen, abbröckelnden Mauern und schmalen Fensterchen, deren Scheiben größtenteils blind, zersprungen und hie und da mit Papier verklebt waren. In den krummen Gassen und engen Höfen atmete man ungesunde, übel riechende Luft. Eine Branntweinkneipe, zu der man ungefähr zwanz'g schlüpfrige, ausgetretene, von einer roten Laterne spärlich beleuchtete Stufen hinabaehen mußte, ein kleiner Bäckerladen, hinter dessen Fenstern Schwärme von Fliegen summten, und eine Gemüse Handlung, in der auch Butter, Käse und zuweilen nicht einwandfreie Fische zu bekommen waren, ge nügten für die Bedürfnisse der Anwohner, die ja doch am häufigsten die Kneipe besuchten. Don dem Alkoholismus der Eltern beeinflußte, halb blödsinnig« Kinder balgten und schlugen sich und stierten jeden Fremden frech und neugierig an. In diesem Viertel hauste natürlich nur der Ab schaum der menschlichen Gesellschaft: Weiber, die nicht nur Ehre und Scham weit von sich geworfen und mir Füßen getreten hatten, sondern auch die Ge nossinnen und Gehilfinnen der zu ihnen haltenden Verbrecher geworden waren. Mit Ausnahme der noch zu jungen Kinder gehört« fast jeder Bewohner dieses Viertels zu den Kost gängern des Zuchthauses. Viel« der gefährlichsten Verbrecher verfüaten in diesem mit verkommenem Gesindel berderlei Geschlecht« überfüllten Häusern über ihre sicheren Schlupfwinkel. Nicht selten spielten sich, namentlich bei Gelegenheit von Verhaftungen, wilde, blutige Szenen ab. Ost durchstreiften Polizisten nachts die unheim liche Gegend und sahen sich häufig aezwungen, von der blanken Waffe Gebrauch »u machen. Unweit von der Kneip« de« Jakob Meißner wohnt« eine alte Person, die im schlechtesten Rufe stand, weil sie wegen Hehlerei, Betrug und anderer Ver gehen schon viel Gefängnis- und Zuchthausstrafen verbüßen mußte. Da sie Karten legte, aus der Hand und aus dem Kaffeesatz wahrsagte, und weil der Blick ihrer stechenden, schwarzen Augen Ähnlichkeit mit dem einer Schlange zeigte, wurde sie selbst von ihren Ge nossen „die Hexe" genannt. Therese Gusenbauer pfuschte den Aerzten ins Handwerk, indem sie allerlei selbstgebraute Trünkchen und Mixturen verkaufte und die Rose besprach. Nebenbei lieh sie auch auf Psänder, besorgte heim liche Korrespondenzen und schöpfte aus allerlei poli zeilich verbotenen, unsauberen Erwerbsquellen. Jeder wußte, daß sie Geld habe und eine Wucherin schlimmster Sorte sei. Sie wohnte parterre und hatte auch Kellerräume. Im Hau>e, das ihr gehörte, gab es eine Treppe hoch und im Giebel noch drei andere Parteien, die sich mit einigen elenden Kammern begnügten. Eines Morgens wurde entdeckt, daß die Alte tot im Zimmer lag. Der Schlüsselbund, den sie stets bei sich trug, war ihr offenbar, vielleicht nach ihrem Tode genommen worden, denn man hatte Schränke und Schubladen sowie eine eiserne, vorsintflutlich aus sehende, aber sichere Truhe, in der die Gusenbauer Geld und Schuldverschreibungen zu verwahren pflegte, aufgeschlossen und alles durchwühlt. Eine Kundin, die eben etwas versetzen wollte, pochte lange vergebens an der Tür und drückte end lich auf die Klinke. Dabei stellte sich heraus, daß nicht zugeschlossen war. Bei dem Anblick der regungslos hingestreckten Ge- statt und der herrschenden Unordnung lief die Er schrockene fort, um auf der Polizei zu melden: man habe die alte Gusenbauer ermordet und beraubt. Kriminalkommissar Prosper begab sich sogleich an den Tatort, von mehreren Beamten und dem Gerichts, arzt begleitet. Er hoffte Anhaltspunkte zu finden, die auf die Spur des Mörders führen könnten und dachte, dieser dürfte unschwer zu ermitteln sein unter dem Gesindel, das in der Kneipe „Zum wilden Mann" verkehrte. - Die Besichtigung und Untersuchung der Leiche er gab jedoch, daß e« sich um einen gewöhnlichen Raub mord nicht handeln könne, ja vielleicht überhaupt um keinen Mord. So lautete wenigstens der Ausspruch des Arztes. „Ich habe mir natürlich noch keine feste, unum stößliche Ansicht gebildet", sagte Dr. Braun. „Da aber an der Toten keine Verletzungen zu sehen sind und ebensowenig Merkmale eines Kampfes, da auch alle äußeren Symptome einer Vergiftung fehlen, so glaube ich, daß die Person keines gewaltsamen, son dern eines natürlichen Todes geitorben und vermutlich an einem Herz- oder Lungenschlag verschieden ist. Genaueres wird die Sektion ergeben." „Um einen Raub muß es sich aber doch tatsächlich gehandelt haben", wandte Prosper ein. Jeder würde nach erster oberflächlicher Betrachtung des Gemaches so geurteilt haben, denn hier herrschte das wüsteste Durcheinander, ein wahrhaft schreckliches Chaos. Unter einer Menge achtlos hingeworfener, ver mutlich als Pfänder versetzter Kleidungs- und Wäsche gegenstände sowie Federbetten wurde eine kleine Geldkassette entdeckt. Sie war leer und der Schlüssel steckte noch im Schloß. Daneben lagen einig« Briese und Papiere, die für einen Dieb absolut keinen Wert hatten. „Möchte darauf aufmerksam machen, Herr Kom missar", nahm jetzt der Kriminalbeamte, der wie ein Hund auf dem Boden herumkroch und jede Ecke visi tierte, das Wort, „ich sehe eben, daß hier ein Ohr- gcbänge, mit Edelsteinen besetzt, liegt. In dieser Schublade, aus der alles heraüsgezerrt ist, befinden sich noch drei silberne Eßlöffel und unter das Spind rollten mehrere Goldstücke." Er holte sie hervor. „Ein Räuber würde diese Dinge mitgenommen haben." „Er kann von dem Vorhandensein einer großen Summe gewußt, diese gesucht und gefunden und sich mit der Beute entfernt haben, ohne di« paar Wert sachen erst aufzurasfen. Vielleicht bewog ihn irgend ein Geräusch zu entfliehen. Vor einem mysteriösen Fall stehen wir ja hier, mein lieber Werner. Doch hüten wir uns vor übereilten Schlußfolgerungen! Ihr jungen Kriminalisten, denen es noch an Erfahrung mangelt, seid immer geneigt, jeden? Ding, das euch auffällt, viel zu große Wichtigkeit beizulegen und darüber anderes zu vernachlässigen. Alle Möglich- keiten erwägen und logische Rückschlüsse ziehen, ist die Hauptsache. Daß hier einige Geldstücke, die unser- sehens auf den Boden rollten, und ein Ohrgehänge, das vermutlich mit Kleidern und Wäsche heraus gezogen wurde, und daß mehrere silberne Eßlöffel liegen blieben, dient mir nur als Beweis, daß der Verbrecher große Eile hatte. Was nun die Geld kassette betrifft, so steht nirgends geschrieben, daß der Dieb kein Geld in ihr gesucht und gefunden habe. Ich will gleich an Ort und Stelle mit den übrigen Hausbewohnern ein Verhör vornehmen und zu Proto koll geben." Der Gerichtsschreiber setzte sich an den Tisch. Die gerufenen Personen erschienen, scheue Blicke auf die Tote werfend. Die Wäscherin, die eine Treppe hoch wohnte und ihr Nachbar, ein Flickschneider, wollten keinen Lärm oder lauten Wortwechsel gehört haben. Sic bestätigten ohne weiteres die bösen Gerüchte, die über die Tote im Umlauf waren, und Frau Hofer, die Wäscherin, fügte hinzu: „Es war schon vorauszusehen, daß die Gusenbauer mal ein schlechtes Ende nehmen würde. Jeder hat gewußt, daß sie viel Geld erwuchert und ein geiziger, alter Drache ist. Mit dem Pack, das hier aus- und cinging, gab s oft mordsmäßigen Zank und Streit. Lumpengesindel ist immer ums Haus rum gestrichen, Herr Kommissar, und nachts mit der Ollen in Keller runtergegangen, wenn irgendwo ein Diebstahl oder Einbruch vollsührt war. Aber heul' nacht hab' ich nichts g'hört und wüßt' nicht, daß einer dag wesen wär." Der Flickschneider machte ganz ähnliche Aussagen wie seine Nachbarin. Wilde Gesellen und oeroächtige Frauenzimmer hätten immer bei der Gusenbauer zu tun gehabt. In vergangener Nacht jedoch sei seines Wissens nichts Auffälliges vorgekommen. Nur das im Giebel wohnende Mädchen, eine gegenwärtig stellenlose Kellnerin, war, gegen 2 Uhr morgens nach Haus« kommend, einer schwarz ge- kleideten, dicht verschleierten Frauensperson begegnet, die aus der Wohnung der alten Wucherin trat, in die Gasse hinaushuschte und sich sehr rasch entfernte. Von Neugier getrieben, war Gustc Weigel der Fremden nachgelausen und hatte gesehem daß diese eine in der nächsten Gasse wartende Mietskutsche bestieg. Weiter konnte sic ihre Beobachtungen natürlich nicht ausdehnen, denn die Droschke rollte eiligst davon. „Haben Sie die betreffende Person schon öfter» ins Hau« gehen oder e« verlassen sehen?" „Nein. Ihr Gesicht war ja. wie gesagt, dicht ver.