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3^9 Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. dir dlbend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Filialen: Ltto Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Ne-action und Lrpedition: JohanncSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Bezugs-Prel^ der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Au«- aabestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrstährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in« Ausland: inonatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. KiWM TagMalt Anzeiger. Amtsblatt des LömMM Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes «nd Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Freitag den 8. Juli 1898. Anzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strich (4g»> spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz «ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ao-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je rin« halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 92. Jahrgang. Bestellungen auf Rtistllkllllmellts nimmt entgegen und führt für jede beliebige Zeitdauer aus Die LMditiini -es ftiWgkk TagelllatikS, Johannisgasfe 8. Der Segen der Altersversorgung. Wie schlecht eö der Arbeiter jeder Art in Deutschland bat, wie unbarmherzig seine Kraft auSgebeutet wird und wie viel glücklicher und sorgloser er anderwärts seiner Zukunft entgegensehen kann, das liest man tagtäglich in der social demokratischen Presse. Im gelobten Lande der Freiheit, in Amerika, ist man sich nicht bewußt, den Arbeitern aller Art die Sorge um die Zukunft zu erleichtern. Man weiß dort, wie weil man in dieser Hinsicht hinter Deutschland zu rück ist, hat aber nicht den rechten Willen, eS ihm nach- zuthun. Ein solches Selbstbekenntniß, das zu Nutz und Frommen Aller, die von der socialdemokratischen Herab setzung der deutschen Zustände und Einrichtungen sich zur Auswanderung nach den Bereinigten Staaten angetrieben fühlen sollten, hier mitgetbeilt sein mag, geht der „Social- Evrrespondcnz" aus New L)ork zu. Der Verfasser schreibt: Bon New L)vrk wird der „Social-Correspondenz" ge schrieben: Die Thatsache, daß die deutsche Einwanderung in den letzten Jahren beträchtlich nachgelassen hat, ist keine Ge währ dafür, daß sic später wieder doch stärker einsetzt. Bolkswirthschaftliche Mißverhältnisse, vor denen ja kein Land sich ganz schützen kann, mögen einen stärkeren Abfluß der deutschen Bevölkerung verursachen und den größeren Procent satz derselben, wie seit so vielen Jahren, nach den ameri kanischen Gestaden bringen. Ein Theil der Auswanderer verläßt das Vaterland mit dem Traum auf eine glänzende Zukunft, aus einflußreiche gesellschaftliche Stellung, auf Selbstständigkeit und Reich- tbümer. Sie fühlen eine gewisse Kraft, ein Können in sich, mit denen sie nach ihrer Meinung etwaige Schwierigkeiten spielend überwinden und rasch vorwärts kommen können. Diese Classe Leute wird von Enttäuschungen am härtesten niedergedrückt. Der größte Theil der Auswanderer hegt bescheidenere Erwartungen. Alles, waS sie beanspruchen, sind bessere Arbeitsgelegenheiten, Höhere Löhne und dadurch ermöglichte bessere Lebensweise. Finden sie das nicht, dann war es eben ein Tausch ohne Vortkeile und ohne Nachtheile. Können sie eine gewisse Zeit der Unsicherheit, des Hin- und Hergeworfen- werdenS überstehen, und dazu reicht ja ihre Kraft gewöhnlich ans, so kommen sie schließlich wirklich in eine gesichertere Lage. So lange sie jung und kräftig sind, mögen sie also, von gelegentlicher Arbeitslosigkeit und sonstigen Widerwärtigkeiten abgesehen, ganz gut durchkommen, die Sparsamen von ihnen können sich sogar, wie rS ja auch häufig geschieht, einen Noth- pfennig erübrigen. Es kommt der Tag, an dem er gebraucht wird und an dem der, welche keine Ersparnisse zurücklegt, einem bitteren Elend entgegengeht. Die Tage deS Alters sind für den Ar beiter, der von der Hand in den Mund leben mußte oder es verabsäumte, an den Spätherbst zu denken, die allerschwerste Prüfung. Der Staat kümmert sich nicht um das Schicksal der Altgewordenen, die Gesellschaft auch nicht. Hie und da giebt es Vereinigungen für Selbsthilfe, allein diese sind nicht in blühendem Zustand, sie brechen gewöhnlich zusammen, noch ehe sie viel Gutes stiften konnten. Die Selbstthäligkeit greift zwar ein, kann aber naturgemäß nur kurze, vorübergehende Hilfe leisten. Soweit ich die Verhältnisse drüben kenne, wirft man m Deutschland oder in Europa überhaupt einen Angestellten, sei er nun Arbeiter, Buchhalter oder dergleichen, der so viele Jahre in einem Hause gedient, der die beste Zeit seines Lebens in einem Geschäfte zugebracbt, nicht deshalb auf die Straße, weil er alt wird und nicht mehr so viel leisten kann wie in den Tagen seiner Vollkraft. Man reducirt vielleicht sein Gebalt, man stellt ihn auf einen weniger verantwort lichen Posten, aber man behält ihn. In Amerika, wo der individuelle Kampf ums Dasein fast unbeschränkt gekämpft wird, wo der Klang der Münze die Stimme des Herzens übertönt, liegen die Dinge anders. Mit unglaublicher Ruhe wird der treueste Angestellte ent lassen, wenn der Cbef merkt, daß dessen Kräfte nachlassen, daß ein Jüngerer für dasselbe Gehalt mebr leisten kann. „Das Interesse des Geschäfts" stebt immer im Vordergrund. Die Städte Amerikas sind überfüllt mit stellenlosen An gestellten aller Geschäftszweige, die jüngeren Kräften weichen mußten. Das Unglück für diese Leute ist, daß sie fast nie wieder irgendwo ankommen können. Tenn bewerben sie sich irgendwo um eine freigewordene Stelle, so müssen sie dem jüngeren Mitbewerber weichen. Das „Interesse des Geschäftes" verlangt es ja, die wahrscheinlich dauernde Kraft an sich zu fesseln, bis auch für diese der Tag der Entlassung kommt. Durch Zufall bin ich mit einer großen Anzahl solcher armer Personen m Berührung gekommen und habe viel Elend gesehen. In meiner nächsten Nähe wohnt ein Mann, der 34 Jahre in einem GroßhandlungShause erster Buchhalter war und, wenn nötbig, Nächte an seinem Pulte für das Geschäft opferte; vor zwei Jahren wurde der Sechzigjährige entlassen, weil er die große Arbeit nicht mehr wie früher bewältigen konnte. Zwar ist er noch immer tüchtig und arbeitsfähig, allein die Firma verweigerte ibm sogar einen geringeren Posten, zu dem er sich erbot, weil ja Jüngere da feien. Die zwei Jahre Stellenlosigkeit haben die Ersparnisse vollständig aufgezehrt, und der weißbärtige Mann sowie seine vom Alter niedergedrückte Frau hungern und frieren nun tbatsächlich. Und daS nach einem Leben voll angestrengter und ehrenhafter Thätigkeit! Wo immer der arme Mann hinkommt und um Arbeit bittet, zuckt man bedauernd die Achseln. ES giebt keinen Geschäftszweig, in dem man anders ver fährt, es giebt keinen Angestellten, der etwas Anderes zu er hoffen hat. Wer sich selbstständig machen kann, oder sich Wohlstand erwirbt, oder wer Hilfe durch die Kinder erhält — übrigens in den meisten Fällen auch ein bitteres Brod — dessen Lebensabend mag ja verbältnißmäßig angenehm verlaufen; wer aber auf Erwerb durch seine Hände im Alter angewiesen ist, für den ist Amerika ein steiniger Boden. In Amerika ist man guter Christ an Sonntagen, aber nichts wie Er- werbSmensch, und noch dazu von der rücksichtslosesten Sorte, an Wochentagen. Nicht daß wir unmenschlich sind, o nein, wir bedauern den armen Teufel, dessen Kräfte nachlassen, aber werfen ihn im „Interesse des Geschäfts" doch hinaus. Selbstsucht und Eigennutz sind die stärksten Triebfedern unseres Geschäftslebens. Selbstsucht und Eigennutz regieren ja die ganze Welt, allein eS giebt eine Grenze, wo die Schroffheit des Eigennutzes durch Anerkennung und menschlisches Fühlen abgetönt wird. In Amerika feblt diese Grenze, da sind Selbstsucht und Eigennutz grenzenlos. Das sollte jeder Auswanderungslustige bedenken. Hat er halbwegs sein Auskommen und die Aussicht, im Alter redlich sein Stück Brod zu erhalten und nicht betteln zu müssen, so bleibe er, wo er ist. Deutschland war ja allen anderen Ländern voran in der Einführung der Altersversorgung; jedenfalls ist Das, WaS sie bictet, dem traurigen Schicksal vorzuziehen, das dem vermögenslosen Alter im reichen Amerika bevorsteht. Das dritte Zeebataillon. II. Anläßlich der endgiltigen Bildung des 3. ScebataillonS, der ersten geschlossenen Landtruppe, die in überseeischen Ge bieten Verwendung findet, sei ein Rückblick auf die geschicht liche Entwickelung der Marine-Infanterie geworfen. Die Marine-Infanterie, die durch das neue Bataillon die Stärke von 3 Vollbataillonen, d. h. 12 Compagnien, erreicht bat, während sie vor 10 Jahren nur aus 2 Halbbataillonen, d. h. 6 Compagnien, bestand, ist in ihren ersten Anfängen wie die Marine selbst bis auf die Zeit deS Großen Kur fürsten zurückzufübren. Sein in Emden bezw. Greetsiel garnisonirendeS Marinebataillon bestand aus 1 Hauptmann, 1 Lieutenant, 1 Fähnrich und 110 Mann. Mit dem Ver schwinden der kurbrandenburgischen Marine ging auch das Marinebataillon verloren. Erst 131 Jahre später, als Prinz Adalbert die preußische Marine ins Leben rief, begegnen uns die Vorläufer unserer heutigen Marine-Jnfantene als „Mariniercorps". Es war zuerst eine in Stralsund bunt zusammengewürfelte Gesellschaft auS Handelsmatrosen, Freiwilligen und Artille risten, die im Gegensatz zu den eigentlichen Matrosen „Ma riniere" genannt wurden und denen der militairische Dienst — den seemännischen hatten die Matrosen zu besorgen — auf den wenigen Schiffen der im Entstehen begriffenen preußische» Marine oblag. Der frühere Pioniermajor Gäve übernahm das Commando über das MariniercorpS und machte bald aus demselben eine geschulte, brauchbare Truppe. DaS Mariniercolps — 2 Compagnien — bestand nach seiner Trennung vom seemännischen Personal aus 1 StabSosficier, 1 Adjutanten, 2 Aerzten, 2 Hauptleuten, j6 Lieutenants, 20 Unterofsicieren und 310 Gemeinen. Es unterstand dem Marinecommando in Stettin. Der Dienst bestand in Garnison wachtdienst an Land, an Bord im Wachtdienst, GefecklS- dienst und im Rudern. Durch Cabinetsordre vom 13. Mai 1852 erbielt daS MariniercorpS die Bezeichnung Seebataillon, die Mariniere wurden Seesoldaten genannt Nach Bildung einer 3. Compagnie wurden der Stab und die 1. Compagnie, später auch die übrigen Compagnien nach Danzig, dem Sitz deS Stationscommandos, verlegt. Das Bataillon gab an alle im Dienst befindlichen Schiffe Abtheilungen zu rein militairischem Dienst ab und nahm so ruhmreichen Antheil an den ersten Erfolgen der jungen preußischen Marine. Am 1. Juni 1859 wurde daS Bataillon auf 4 Compagnien ge bracht. Nach Beendigung des dänischen Krieges erfolgte 1865 die Verlegung von Danzig nach Kiel. 1866 wurde ange ordnet, daß daS OfsiciercorpS nicht für sich selbst rangirc; es wurden vielmehr nur Officiere aus der Armee abcom- mandirt. Gleichzeitig schied die Seeartillerie aus dem Ver band deS Bataillons. 1869 erfolgte die Bildung der 5., und nach beendetem Feldzug im März 1871 die der 6. Compagnie. Gleichzeitig bezog das Bataillon die neue Caserne in Kiel. Noch in demselben Jahre wurde die erste und zwei Jahre später auch die zweite Compagnie nach Wilhelmshaven verlegt. Wegen der inzwischen eingetretenen Vermehrung det Marine und der anderweiten ihr gestellten Aufgaben wurden Seesoldatenabtheilungen fortan nur noch an Panzerschiffe abgegeben. 1883 verlieh Kaiser Wilhelm dem Bataillon eine Fahne, die der der Garderegimenter nachgebildet war. Nach dem 1886 auch die 4. Compagnie nach Wilhelmshaven ver legt war, wurden 2 Halbbataillone zu je 3 Compagnien in Kiel und in Wilhelmshaven gebildet, denen kurze Zeit später als besondere Auszeichnung die Gardelitzen verliehen wurden. Indessen führte die Zunahme der Aufgaben des Bataillons am 1. April 1889 zur Bildung von 2 vollständigen See bataillonen. DaS erste behielt als Garnison Kiel, das zweite wurde in Wilhelmshaven unter Befehl deS Majors Gresser gebildet. Beide Bataillone wurden der neu errichteten Jn- fpection der Marine-Infanterie unterstellt, die zunächst der bisherige Commandeur deS 1. SeebalaillonS Oberst v. Roques übernahm. Der Jnspecteur erhielt Rang und Befugnisse eines NegimentScommandeurS. Zu erwähnen ist noch, daß vor der Trennung des Bataillons der damalige Prinz Wilhelm, unser jetziger Kaiser, ü in suits deS Bataillons gestellt wurde. Das in Wilhelms haven neu gebildete zweite Seebataillon erhielt nach seinem Zusammentreten eine weiße Fahne, die am 29. Juli 1889 kirchlich geweiht und dem Bataillon übergeben wurde. Das 3. Seebataillon wurde in Stärke von 23 Officieren, 103 Unterofsicieren und 1019 Gemeinen Mitte December 1897 in Wilhelmshaven unter Commando des Majors v. Lossow, bis dahin Commandeur des 2. Seebataillons, in der Weise gebildet, daß jedes der beiden älteren Bataillone zwei volle Compagnien abgab, während der Rest durch Freiwillige aus allen Armeecorps gedeckt wurde. Das Bataillon verließ am 19. December 1897 mit dem „Lloyddampfer „Darmstadt" Wilhelmshaven und traf am 26. Januar 1898 in seiner nunmehrigen Garnison Kiautschau ein. FeiirHetsn. Ein Triumph der presse. Zeitbild üu ckv siöcls. Von Philipp Berges. Nachdruck vnbotcn. I. Herr Kiralyi Janos, oder der „fesche Janos", wie er von den Intimen beiderlei Geschlechts genannt wurde, einer der jüngeren Redacteure des „Egyetertes", saß behaglich zurück gelehnt, die Beine übereinander geschlagen, eine exquisite Vir ginia im Mund« — kurz, nicht anders wie ein Minister — vor seinem Pulte. Er las den „Budapesti Hirlap", das angesehene Concurrenzblatt, ohne sich dabei aufzuregen. Nein, nicht im Geringsten. Er lächelte — wie übrigens die ganze Umgebung. Es war noch früh am Morgen. Durch die hohen Fenster fiel der goldene Schein der ungarischen Julisonne und lag breit und blendend auf dem braunen Fußboden und einem Theil der noch nicht occupirten Pulte. Unten in der vornehmen ^nckrass^- ritora, war es noch still. Hier beginnt das Treiben erst gegen Mittag. Von der elektrischen Straßenbahn, die in ihrem unterirdischen Tunnel unablässig straßauf, straßab schoß, drang auch nicht das leiseste Geräusch bis an die Oberfläche empor. Herr Kiralyi liebte es, sehr früh in der Redaction zu er scheinen, nicht etwa, um sich bei seinem Chefredacteur in Ansehen zu setzen, der auch um diese Zeit noch gar nicht zugegen war — von dieser Art war der fesche Janos nicht —; er war in der Thai ein Mann von ernster und leidenschaftlicher Strebsamkeit, ein geschickter Journalist, ein leidlicher Schriftsteller, aber ein confuser Politiker — deshalb träumte er auch den Traum, der einst Minister zu werden, wie eS vor ihm schon mancher Publicist geworden war. Daran dachte Herr Janos in diesem Augen blicke freilich nicht. Er lächelte, weil er sich in seiner Jugend, seiner Sorglosigkeit und dem ihm zusagenden Berufe, den er übrigen» für den wichtigsten auf der Welt hielt, ganz unendlich behaglich fühlte. Herrgott! sprach er in seinen Gedanken, wa» ist da» für eine entzückende Welt, welch' ein gebenedeite» Land,, welch' ein stolze- großherzige» Volk, welch' eine Stadt und — vlien! eilen I welch' ein grandioser Beruf! Ich danke dem Schicksal, daß ich in Ungarn auf die Welt gekommen bin, denn eS giebt nur ein freie» Land, das unsrige, nureine Stadt, die diese Bezeichnung verdient: Budapest, und nur einen Beruf, der de» Schweiße» der Edelsten werth ist: den Beruf de» ungarischen Journalisten. Er ist der geehrteste Mann im Staate. Die Polizei, die andere Völker knebelt, weicht ihm au» und vermag ihrem Drange nach Gewalt nicht zu fröhnen. DaS Militair ist mit ihm verbrüdert. Die Wissenschaft geht Arm in Arm mit ihm. Die Kunst nennt ihn ihren wahren Beschützer. Handel und Industrie machen ihn reich, wenn sie nicht ignorirt und gezwiebelt werden wollen. Minister frühstücken bei ihm und toasten auf die Presse. Der König — möge er lange leben — überschüttet ihn mit Orden. Herrgott! welch' eine Stellung, welch' ein glückseliges Dasein. Was ist der niedergehaltene und vor dem Staatsanwalt zitternde Deutsche dagegen — Kerem? Was der Engländer, der auch noch nicht einmal den Hut auf dem Kopfe eines Ministers zu verrücken im Stande ist? Was ist der französische Publicist trotz' all' seiner Freiheiten und selbst der Amerikaner! Es ist wahr, auch Stanley war einst ein Journalist, allein so lange er es war, bekümmerte sich gewiß kein Minister um ihn! Aber ich . . ich. . ich . . hier .... Bei diesem Punkte seiner Gedanken sprang Herr JanoS auf und begann im Zimmer hin- und herzulaufen, denn es war ihm eingefallen, daß sich auch um ihn noch kein Minister gekümmert hatte, und daß es die höchste Zeit sei, in der Presse und im öffentlichen Leben von sich reden zu machen. Als er sich nach einer Weile beruhigt hatte, nahm er wieder Platz, legte den „Budapesti Hirlap" auf die andere Seite und stöberte im Annoncentheil herum. Plötzlich blieben seine Augen starr an einem Inserate hängen, das durch zwei schwarz« Kreuze die Auf merksamkeit auf sich lenkte. Er las eS einmal, zweimal, dreimal, starrte einen Augenblick wie geistesabwesend in die Sonne und brach in einen Ruf des Frohlockens aus. Wie!!! Wollte er nicht, daß sich die Oeffentlichkeit mit ihm beschäftige? Wollte er nicht, daß alle Welt seinen Eifer, sein Genie, seinen Scharf sinn und seine Feder priese? Suchte er nicht eine Gelegenheit, um sich ins journalistische Vordertreffen zu stellen?! Nun, hier war Alles, was er wünschte. DaS Inserat, wie er noch nie in seinem Leben eins gesehen hatte, lautete folgender maßen: f Ein Lebensmüder, -f der nur noch einige pecuniäre Verpflichtungen zu erledigen trachtet, um auS dem irdischen Jammerthal scheiden zu können, wünscht auS diesen Gründen seinen Körper (lebendig!) zum Zwecke wissenschaftlicher Experimente an einen Arzt oder Gelehrten zu verkaufen. Bescheidene Forderung. Discretion auf Ehrenwort zugesichert. Reflektanten belieben unter dem Kennworte „Pax" postlagernd Zusammenkunft zu verlangen. Nach zwei Minuten wußte Herr Kiralyi diese seltsame Annonce, die doch ohne Zweifel von einem Irrsinnigen her rühren mußte, auswendig. Zugleich schaffen raketenartig ganze Bündel von Plänen in seinem Kopfe empor. Dieser Irrsinnige oder wer immer der Inserent sein mochte, sollte ihm zu dem gelungensten Zeitungtartikel verhelfen, den die Hauptstadt je gelesen hatte. Natürlich würde der Artikel mit seinem vollen Namen „Kiralyi Janoi" gezeichnet werden. Aber dazu mußte man des Unbekannten habhaft werden und ihn kaufen. Man mußte einen veritablen Kaufcontract mit allerlei grausigen Be stimmungen in Händen haben. Und damit die Sache möglich werde, mußt« man den Namen eines hervorragenden Arztes oder Nährten borgen. Endlich doch einmal ein außergewöhn- in der allgemeinen Alltäglichkeit. stürzte der Redacteur sich auf seine Schreib- einigt dringende Zeilen an den herrlichen Un- bekaWWWb, versprach ihm jeden geforderten Preis, versicherte ihn ewiger Dankbarkeit, ersuchte um schleunigste Erwiderung und unterzeichnete den Brief als „ein bekannter Arzt der Haupt stadt". Nachdem dieser Brief couvertirt war, hatte Herr Kiralyi eben noch Zeit, den eintretenden Redactionssecretair — es war etwa 9 Uhr — sein „Allaffolgay" zuzurufen, dann stürzte er hinaus, um den Bries eigenhändig im Postamt niederzulegen. II. Man muß zugeben, daß das betreffend« Inserat sehr selt samen Inhaltes und geeignet war, nicht nur den jungen Redacteur des „Egyetertes", sondern überhaupt alle Zeitungsleser in Ver- wunderung zu setzen. Die Letzteren waren entschieden berechtigt, etwas Näheres über diese dunkle Annonce zu erfahren. Deshalb beeilte sich Herr Kiralyi auch so sehr, denn er fürchtete, es möchte ihm ein Anderer zuvorkommen. Nachdem er auf die Redaction zurückgekehrt war, verlebte er die schrecklichsten Stunden seines Lebens. Er, der Gesunde, Fröhliche und stets zum Scherzen Aufgelegte, war von einer Nervosität und Reizbarkeit, die Alle in Erstaunen setzte. Der Chefredacteur, vr. Onkoliüs Frederic, ein trotz seines all gemeinen Wohlwollens sehr satirischer Herr, meinte, es hab« dem armen Janos vielleicht ein Minister unversehens auf den Fuß getreten; der erste Handelsredacteur, der mit mehr oder minder Recht im Rufe stand, ein arger Schwerenöther zu sein, war dafür, daß Janos sich in eine Ministerstochter verliebt haben müsse; der Redactionssecretair selbst schüttelte den Kopf, weil JanoS, der Strebsame und Correcte, einige unangenehme Schnitzer machte. Die Verwirrung des Aermsten war übrigens kein Wunder. Fortwährend legte er sich die Fragen vor: ist der Inserent rin Irrsinniger oder nicht? Ist die ganze Sache auf einen dummen Scherz zurückzusühren oder existirt der Körperverkäufer wirklich? Werd« ich Antwort erhalten oder nicht?! Zweimal sandte er in den ersten Morgenstunden zur Post und erhielt beide Male seinen eigenen postlagernden Brief zurück, bis er endlich um I Uhr einen Brief erhielt, der nicht der seinige war: einen fremden Brief mit der Aufschrift „Pax". Herr Kiralyi behandelte die Angelegenheit äußerst discret. Unter dem Vorwande, auf dem Corridor eine Cigarette zu rauchen, entfernte er sich und öffnete mit zitternden Händen den Brief. Der Lebensmüde schrieb: „Mein Herr! Da Sie eine schleunige Erwiderung wünschen, beantworte ich Ihr Schreiben stehenden Fuße» hier auf dem Postamt. Haben Sie Dank für Ihr Entgegen kommen. Meine Person gehört Ihnen, nachdem di« nöthigen Abmachungen getroffen worden sind. Erwarten Sie mich heute Nacht um 12 Uhr im „Cafs Oper". Erkennungszeichen: Ich trage eine blaue, eine weiße und eine rothe Blume im Knopfloch, Heller Ueberzieher, Strohhut. Legitimation: Unsere Briefe. Ich küsse Sie als meinen Lebensretter, d. h. als Denjenigen, welcher mich aus diesem Jammerthal in ein befsers Leben hinüberrettet. Der Lebensmüde." Lange stand der Redacteur des „Egyetertes" mit dem Briefe in der Hand, ohne sich zu rühren. Seine Gedanken stockten. Er war wie vom Donner gerührt. Wahrhaftig, so schrieb kein Wahnsinniger. Hier befand sich in der That ein Mensch, dem am Leben nicht das Geringste lag (an diesem entzückenden Leben — begreife es, wer's kann!), ein Mensch, der nichts wollte, als seine Verbindungen lösen und sich dann, um im Tode noch einen Zweck zu erfüllen, der Wissenschaft zu überliefern. Er wollte — dies ist ja das Unausdenkbare — nicht seinen Leich nam, sondern seinen lebenden Körper, sich selbst, dem Experimen tator — vielleicht dem Messer, vielleicht schleichenden Gifte — überliefern. Kiralyi Janos, der Fesche, irrte sich nicht, wenn er annahm, daß hier der Stoff für einen Zeitungsartikel vor handen sei, bei dessen Lectllre das Publicum sich vor wollüstigem Grausen und Entsetzen auf den Kopf stellen würde. An ein Arbeiten war nun nicht mehr zu denken. Kiralyi, der Strebsame, schützte Kopfweh vor, griff nach Hut und Stock und eilte auf die Straße, um Zerstreuung zu suchen. Zuerst fuhr er hinaus ins Varosliget oder Stadtwäldchen, das ihm schon so oft zu poetischen Stimmungen verhalfen hatte, allein der Duft der Blumen, der Gesang der Vögel und selbst der Anblick schwarzäugiger Mädchen ärgerte ihn heute, so sehr hatte das geheimnißvolle Inserat schon von ihm Besitz ergrisfen. Allein der Nachmittag mußte todtgeschlagen werden, und Janos begab sich an das Donauufer, um nach der Ofener Seite hinüber zu fahren. Stets hatte das wunderherrliche Panorama des jenseitigen Ufers ihn, der seine Vaterstadt so glühend liebte, angezogen und entzückt, heute machte der gewaltige Schwaben berg, aus dessen grünen, lächelnden Auen die weißen Villen wie zwinkernde, vom Sonnenlicht geblendete Aeuglein hervor lugten, keinen Eindruck auf ihn. Selbst die ringförmige alte Türkenburg, die er sogar schon einmal in einem Gedichte besungen hatte, ließ ihn kalt. Bei einem Glase „Gespritzten", das er zur Beruhigung seiner Nerven trank, fiel es ihm ein, daß er einige Stunden schlafen müßte, um frisch zur Abfassung seines grandiosen Artikels zu sein, der doch während der Nachtstunden geschrieben werden mußte. Er eilte also wieder nach Pest hinüber und begab sich in seine Wohnung, wo er alsbald in einen unruhigen, von wilden Träumen durchstürmten Schlummer sank. In seinen Phantasien hielt er sich selbst für daS unglückliche Opfer, das seinen Körper verkauft hatte und der Divisecfton verfallen war. lind der unglückliche Redacteur stöhnte so herzbrechrnd, daß seine Hau-Hälterin ihm in ihrer Angst «in« Schüssel kalten I Wasser» über d«n Kopf goß.