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Vez«g-.Prel» G tz« H»»»t«xv«tzttioa oder den t» Stad^ b«»kk «d d« Vorort»» errichtete» Au«- -adeft«lle» »b,eholt: vnneiiiU>rlich^»4.ÜO, »ei zweimaliger täglicher Zustellung m» Hau» -H 5.50. Durch dir Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vienetiadcUch ^ 6.—. Direct» tägliche ttreuzbandsendung toi Aulland: monatlich ^l 7.50. Dir Morgen-Ausgabe erschein« täglich '/,? Uh^ di« Lbend-Autgabe Wochentag« 5 Uhr. Redaktion und Erveditioa: J,tz«nnr»,asse 8. Die lknreditioa ist Wochentag« ununterbroche» geössaet vo» früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. ^ilialm: vtt» Me»«'« Lortim. lAlfre» H«hal^ UniversitätSstrab« 1, L«ui» L-sche, Kathartneustr. 1». part. und -SuigSvlitz 7. Abend-Ausgabe. TllgMM Anzeiger. Lrgail sür Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. «nzetgen-vrer» die -gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Nerlame» unter demRedactioulstriH (»ge. spalte») 50-^, vor den Familte»uachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Echristen laut unserem Prei«- verzeichnlb. Tabellarischer und Zifjrrajatz nach höherem Tuns. Oxer« »Beilagen (gefalzt), »ur mit bet Viorgen-Autgabe, ohne Postbeförderung ^ 60.—. mit Postbesörderoug 70.—. ^nnahmeschluß für Äuzeigea: Adend-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag» »Uhr. Sonn- und Festtags früh V,d Uhr. Gei deu Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anteile« sind stet« an dt, Erpedtti»» zu richten. Druck und Verlag von S. Pol» t» Leipziß, Dienötag dm 26. September 1893. 87. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Erledigt hat sich unsere Bekanntmachung vom 25. August n. c., betreffend den Markthelfer litustav Richard RinkrseU. Leipzig, am 20. Scpiember 1893. Tcr Rath drr Stadt Lktpztg. Armeuamt. -lbth. 11. 21. ». VI. 1511 e. Hentfchcl. Meyer. politische Tagesschau. * Lkiprig, 2ö September. Wahrend die SensationSprcsse die Krankheit des Fürsten VtSmarck geschäftig für ihre Zwecke „verarbeitet", indem sie durch Verbreitung widersprechender Nachrichten sich rin Genüge thul, bringen die „Hamburger Nach richten" an hervorragender Steile die als autorisirt gekennzeichnete und vom osficiösc» Draht sofort weiter gegebene freudige Mittbeilung, dag Fürst Bismarck wieder reisefähig ist und bereits in den nächsten Tagen in Friedrichsruh cintresscn dürfte. Der Fürst bade der ihm lieb gewordenen Gewohnheit, de» Herbst in Varzin zu verleben, für diesmal entsagt, weil die Reise dort hin nach eben beendeter RcconoaleScenz ärztlicherseits als zu weit und zu anstrengend widerratben wurde. I» Friedrichs ruh werde der Empfang des Fürsten, der Frau Fürstin, sowie der gräflich Herbert scheu und der gräflich Raiitzauffchen Familie eifrig vorbereitet. Dem Wunsche des Ham burger Blattes, daß der greise Fürst die Fahrt von Kissingen nach dem Norden glücklich zurücklegen und in FriedrickSruh die frühere Frische und Gesundheit recht balv und aus lange Jahre hinan« wiedererlangcn möge, schließen wir unS von gangem Herzen an. — lieber die Krankheits- aeschichle des Fürsten schreibt die Münchener „Mg. Ztg." Folgendes: „Die Frage, wie cS möglich war, daß die schwere Er krankung des Fürsten verschwiegen bleiben konnte, be antwortet sich einfach dahin, daß dies auS Rücksicht aus den Fürsten und die Fürstin selbst geschah, um bei den ohnehin vorhandenen KrankhcilScomplicalionc» jede Besorgniß, die nur ungünstig wirken konnte, vom Fürsten und seiner Gemahlin fern zu halten. Deshalb unterblieb auch jede Meldung an den Kaiser, die voraussichtlich zu zahlreichen ErklindigungSansragen geführt hätte, und »ur die nächsten Familienmitglicdcr wurden brieflich benachrichtigt, sich zur Abreise nach Kissingen auf telegraphische Berufung bereit zu halten. Die Eviistalirung einer linksseitigen Lungenentzündung dürste am Morgen des 3l. August erfolgt sein; Fürst Bismarck blieb, wie gesagr, ohne Kenntnis! davon, empfand jedoch Schmerzen, die ihn» wie er im Laufe des TageS äußerte, an Lungenentzündung erinnerten. (Tcr Fürst bat eine solche schon einmal, im November 1859, durchgemacht, als er auf der Reise von Pommern nach Petersburg in Hohendorf bei Elbing erkrankte und dort bis i» den Anfang März des folgenden IabrcS verweilen mußte.) Am 2. September tras Graf Wilhelm Bismarck auf der Reise nach München zu einem ohnehin projectirten kurzen Besuch in Kissingen ein. Infolge der schmerzhaften Er scheinungen der Ischias und der Gürtelrose waren die Nächte schlaflos, und nur die Morgenstunden ge währten einen leichten Schlummer, Tags über blieb der Fürst außer Bett. Zur höchsten Befriedigung de« sorgsam beobachtenden Arztes nahm das Lungenleiben nicht zu; bereits in den Tagen vom 2.—4. September war eine lcichleBesscrungerkennbar,die Gefahr aber »och keines wegs beseitigt, am K. September konnte die Besserung al« „langsam, aber sicher" bezeichnet werden, wenngleich die Schlaflosigkeit noch andauerle. Der Fürst begann allmälig sich in denZimmern zu bewegen, und die unmitielbareGesahr konnte als überwunden gelten. Professor Schweninaer verließ auf wenige Tage Kissingen zum Besuche anderer Patienten, kehrte am l t. dorthin zurück, worauf dann am 15. Sep tember die erste Ausfahrt erfolgte. Diese bekam dem Fürsten gut, und am l«'>. September konnte Professor Schweningcr den Erfolg als durchschlagend und fort schreitend bezeichnen. Die Andeutungen von einer ernsteren Erkrankung deS Fürsten gelangten in die Presse erst, als die eigentliche Gefahr vorüber war. Der Kreis von Personen, welche über den bedeutenden Charakter der Erkrankung und namentlich über die Lungen entzündung in den kritischen Tage» unterrichtet waren, war ein sehr kleiner, und kiese schwiegen aus Rück sicht auf den Fürsten selbst, welcher auf die ZcitungSlcctüre nie ganz verzichtet batte, sowie auf seine ohnehin sehr be sorgte Gemahlin. Jetzt dürfen wir u»S freuen, daß Dank der hingebenden und unausgesetzten Aufinerlsamkcit deSArztcS und bei den sonst durchaus gesunden Organen dcS Füritcn die Genesung auf eine» Puiict gediehen ist, in welchem auch die Kräftigung wieder cintritl, die den Augenblick des Aufbruchs von Kissingen nahe rückt. Ter Fürst hat dis vor Kurzem »och an Varzin sestgebalten, doch die kühler gewordene Jahreszeit und die Unbequemlichkeit der weiten Reise haben ibn daraus verzichten lasten, und er wird nun sofort sein Winterquartier in FricdrichSruh beziehen." Wie sich auS dem Borstebeiiden ergiebt, fühlt die „Mg. Ztg." selbst das Bedürfnis, ihre Bemängelung der „späten" Information deS Kaisers mittelbar zurückzunchmen. Die auf Schaffung eines eigenen EolonialministcriumS drängende Entwickelung der sranfösischr» «olvntalpoltttk dürste der Erreichung ihres Zieles demnächst um ein wesent liches Stück enlgegcngeführt werden, wenn, wie Pariser Blätter melden, ein zum 28. September in Paris aiiberaumtcr Ministerrath sich mit vorerwähnter Angelegenheit befasse» soll. Bis jetzt ist die Leitung der colonialen Dinge unter verschiedene RessorlS vertheilt und leidet unter dieser Zersplitterung nicht wenig, da eS der colonialpolitischen Thätigkeit infolge dessen an Geschlossenheit, Eoufequeiiz und Uebersicktlichkeit vielfach mangelt. Im Princip begegnet daher die Schaffung eines besonderen Eolonialministerilims kaum irgend welcher Ab neigung, strittig ist dagegen die Frage, ob der Regie rung die verfassungsmäßige Eompetcnz zur Ergreifung gedachter Maßregel zustcht, oder nicht vielmehr die > Kammern das entscheidende Wort zu sprechen haben. Indeß scheint überwiegend die Meinung zu herrschen, daß die Regierung wohl aus eigenen Stücke» die Initiative er greifen dürfe, und so kan» denn ein darauf bezüglicher Er laß vielleicht schon bald das Lichl der Lcfsenilichkeit er blicke». Jedenfalls erkennt man hieraus, daß man in Frankreich gewillt ist, das Feld colonialer Tbätigkeit mit verstärktem Nachdruck zu bearbeiten. Die coloniale Machleiitfaltiing wird von der französischen Politik, so lange ihr auS naheliegenden Gründen das Expcrimenliren inil der Ruhe und dem Frieden Europas sich verbietet, als willkommener Ableiter des unruhigen Thatendrangcs der Nation gepflegt. Man denke »ur an die kürzlichcn Borgänge i» Siani. Könnten die Franzosen gegründete Hoffnung auf eine Erfüllung ihres sehnlichsten Herzenswunsches in Europa binnen ab sehbarer Zeit hegen, sie würden vielleicht Ansland nehmen, sich jetzt in überseeische Angelegenbcilen niebr als unbedingt nothwendig zu vertiefen. Da sie aber sich die Pflege des colonialen RessorlS so eifrig angelegen sein lassen, erscheint der Schluß gestattet, daß die in europäischen Dingen de» Franzose» auscrlegte Reserve wobl noch ein Weilchen Vor halle» wird, trotz ibrer Riistenbegeisteruiig. Die Eolonicn sind ja auch eine schöne Gegend, wo für die Armee und Marine Beschäftigung, Ruhm und Auszeichnung, für die Civilbeanitkn Anstellung und Beförderung zu holen ist, wo endlich Hantel und Industrie, wen» sie sonst nur wollen und den hinreichende» UiiternebmungSgeist besinon, neue Absatz märkte finden oder sich doch allmälig schassen können. AIS Gradnicsscr deS öffentlichen Geistes der Republik bclrachtet, bat daher die sranzösischc Eolonialpoliiik auch sür das übrige Europa ein nicht unerhebliches Interesse. Tie überraschende Meldung der „Gazzetta di Venezia", daß Rußland auf die Errichtung eines Mtttrlmcrr- grschlvadcrs verzichtet habe, wird wohl noch der Be stätigung bedürfen. Immerhin dürfte insofern etwas Wahres a» jener Meldung sein, als man russischcrseilS augenscheinlich davon absteben will, etwas zu unternebmc», wodurch sich England zu weiteren Maßnahmen im Mittel- nicere ,veranlaßt scbcn könnte. Man wird nicht srhlgcben, hierin eine Wirkung deö Eindrucks zu erblicken, den die Ankündigung hervorgerusen hat, daß jeder Schrill Rußlands im Millelmeere von England mit einer entsprechenden Maß regel beantwortet werden würde. In Frankreich ist inzwischen eine gewisse Ernüchterung nach dem Freudentaumel eingetrclcn, den die Ankündigung des Besuchs der Russen in Toulon und Paris hcrvorgerufcn hatte. So kielt in Paris am 24. September der Abgeordnete Bail laut im Flavicr- saale eine große Rede über die russisch-französische» Feste und erklärte unter dem Beifall seiner Zubörer, daß die Sympathien deS französischen Volkes den — Nihilisten gehören. Wie ferner verlautet, beschlossen die Arbeitervereine mehrerer Pariser Bezirke, an die Regierung das Ersuchen zu richten, den GcmeinderathSbef chluß über die Bewilligung von 350000 Francs sür den Tmpsaug der Rüsten für ungiltig zu erklären. Auch der „Figaro" maknt neuerdings bei de» bevorstehenden Festen zur Besonnenheit, trotzdem die Reise dcS italienischen Kron prinzen nach Metz da« »ngcbcuerlichste (?) Ereignis! unserer Generation darstelle. Unbesonnenheiten könnten de» Zaren von Frankreich abstoßen. Herr v. Mobrenbcim hat mit feinen Anweisungen über die Grenze», innerhalh deren sich die französische Russcnbegeifterung zu halten habe, auch dem „GauloiS" und »och anderen Pariser Preßgcnosten die ganze Freude an Toulon verdorben und sie in eine gallige >Lli»iin>lng versetzt. Eine Ausgeburt dieses üblen HumvrS ist cS, wenn der „GauloiS" heute folgende Fabel in Umlauf setzt: Anläßlich der letzten Anwesenheit des Präsidenten Earnot in Tonlon hatte, wie erinnerlich, Italien ein Geschwader dahin entsandt, um nach inter nationalem Höfliä keilsbrauch das Oberhaupt dcS Nachbar staates zu begrüßen. Anläßlich der angekündiglcii Reise Earnot'S nach Toulon zum Empfange des russischen Ge schwaders wolle Italien jene Höflichkeitsbezeigung wieder holen und ein Panzerschiff zur Begrüßung des Präsidenten entsenden. Selbstverständlich sei dies nichls als eine Finte dcS Dreibundes, die de» Zweck habe, die Bedeutung der Toulvner Festlage herabzudrückcn und zu fälsche». Darum werde Herr Earnot wahrscheinlich gar nicht nach Toulon gehe». Diese handgreifliche Erfindung ist nicht so thöricht, wie sic auf den erste» Blick scheinen könnte. Es liegt eben Plan darin. Die osficiösc Presse tritt indeß dem vom „GauloiS" gebrachten Gerückt entgegen, wonach der Präsident Carnot, der übrigens völlig wieder hergeslellt ist, nicht nach Toulon zni» Flotteiienipfang reisen werde, und bemerkt, daß i» dieser Hinsicht »och nichts beschlossen worden ei, da der Minislerrath erst am 28. September zusammen- lretcn werde. Die Subscription des Pariser Preß- c »mit öS hat es dis auf den heutigen Tag mit Mühe und Notk auf 100 000 Francs gebracht. Daß c» am 12 September in Paris in einer Versammlung, die über ein im Fanboiirg d» Temple zu veranstaltendes Fest berathen ollto, zu einer blutigen Schlägerei gekommen ist, als einige Tbciliiehnicr der Versammlung sich den boshaften Scherz er laubten, Hochrufe aus den — Dreibund auSzubringcn, haben wir bereit« gemeldet. Schon vor einigen Tagen be- richtelc» sranzösischc Blätter über die Störung einer Ver sammlung aus demselben Anlaß. Die Erscheinung, daß in Frankreich Hochrufe auf den Dreibund laut werden, und nun gar mitte» in dor Ruffenbcgcisterung, ist neu, und ihre Wiederholung macht stutzig. Wie kommt der Dreibund in diese Gesellschaft? Glücklicherweise bricht die Prügelei im Faubom g du Temple vo» vornherein der Unterstellung die Spitze ab, daß Agenten des Dreibundes in Frankreich thatig seien, um die VerbrükerungSsreude zwischen Russen und Franzosen zu stören oder gar internationale Verwickelungen inS Werk zu setzen, teil» »m derartige Schlachten im Herzen von Pari« zu schlage», müßte eine ganze Invasion der Dreibllndler nach Frankreich voralisgcgaiigcn sein. Sie legt vielmehr die Vcrmiitbung nabe, daß eine starke Partei friedenstörender und staatsfeindlicher Elemente in Frankreich die MaSke der Dveibulldsreuiidlichkeit aufgesetzt hat, um darunter Zwischen fälle hervorzuriiscn, bei denen sie selbst »ichlS verlieren wurde, der Friede aber ernstlich gefährdet werden kann. Ruß land prablt damit, daß Frankreich sich von ihm so sicher am Gängclbaiite fuhren läßt; Kundgebungen wie die erwähnte aber scheinen ein Zeichen, daß man in Frankreich da« Mittel gefunden bat, Rußland trotz alledem gegen seinen Willen an den französischen EhauviniSmuS zu kette». Sollten sich diese Kundgebungen bei der Anwesenheit der Russen in Paris wiederholen, so könnte am Ende die Erkcnntniß deS Zaren, daß seine Friedensliebe schmählich gemißbrauckt worden, zu spat kommen. Tic brlgischrn Blamläntzrr gehen jetzt rüstig an» Werk, um sich ein vlämischc« Parlament, eine» „VolkSraad" zu schufstii. Am 22. k. MtS. finden in den vlämischen Landcstbcilen >» 20 Wahlkreise» die Wahle» sür dieses Parlament statt. Stimmberechtigl sind alle diejenigen majorennen belgischen Bürger, welche sich vcn vom Antwcrpener Landtage von 1889 über die Rechte der Vlamläntcr gefaßten Beschlüssen angeschlosscn haben. Da aus je 20 000 iscclen ein Dcpiitirlcr kommen soll, so sind l80 Dcpulirtc zu wählen. Der VolkSraad tagt jährlich Ente Octobcr »nd Ende April, stets an zwei Tagen, von denen der eine den Arbeiten der fünf Abteilungen — Gesetzgebung und Gerichts - Verfassung, Verwaltung, Unterricht, Kunst und Wissenschaft, materielle Interesse» — der zweite de» öffentlichen Plenarsitzungen gewidmet ist. Alle Beschlüsse werden „im Namen des vlämischen Volkes" gefaßt, verkündet unv ausgefübrt. Ihre Ausfüh rung bewirkt ein Ausschuß von 30 Mitgliedern, von denen lo der VolkSraad selbst wählt und 20 die Deputirtcn der der vlämischen Provinzen — je 4 für jede Provinz — ernennen. TicstS vlämische VolkSparlamcnt wird für die vlämiscbc Bewegniig vo» der größten Bedeutung sein und die antijrailzösischc Strömung wesentlich stärken. Die Verleihung dcS Alexander NewSki-OrdenS an Geheimrath Schischkin, den Gehilfen deS russische» Minister« Feurlletsii. Ln Fesseln. 8f Roman von C. Bollbrecht. All« Reiiie rerkkhaltkn. (Fortsetzung.) Jettchen begleitete den Hin- und Herschreitenden mit sinnendem Blick und lebhaft bewegtem Micnenspiel. Der Inhalt des ihr Mitgctbeiltcn beschäftigte sie dabei nickt am hervorragendsten. Sie hatte sogar Mühe, sich zur Aufmerk samkeit zu zwingen, denn die Veränderung, welche mit dem Erzählenden vorgegangen war, gab ihr vollauf zu denken. Seine Augen batten jenes Leuchten angenommen, welches ihnen nur dann eigen war, wenn Begeisterung seine Seele auS ihrem Gleickmuth eniporbob. Er sprach bewegter als sonst, und ihr däucht-, seine Stimme habe einen bcjondcren Timbre. Als er seine Mittbeilung geendet batte, trat eine kurze Pause ein, während welcher ein schelmischer Zug über Ictt- chenS feines Antlitz huschte. „Ich erkenne Dich nicht wieder", sprach sic anscheinend sehr ernsthaft. „Du, ein Mann ernster Ueberlegung —" „Der aber für Bittende doch ein Ohr hat!" fiel er leb haft ein. .Zu, ein Mann mit strengen Grundsätzen", fuhr sie fort und legte ibm leicht die Hand auf die Schulter, „niemals Impulsen folgend." „Aber doch nicht ohne Herz — dem Mitleid zugänglich." „O gewiß! — Und ich fürchte, dies gütige Herz war heute der einzige Gebieter Deines Handelns", vollendete sie mit aufwallcnker Wärme. Sie wendete sich ab, denn Thräncn überrieselten ihre Wangen. Es war ihr, als bedrohe sie ein schwerer Verlust. Paul stand wieder neben ihr. „Geb zu ihr", sprach er bittend. „Sie ist sehr unglücklich. Kaum zehn Worte sprach sie auf der Reise. Ich glaube, sie bereut, was sie gcihan hat." „Ich will eS thun", entgegnete die Schwester, schon wieder gefaßt. „Wer aber hätte so etwas in Clemens vorausgesetzt? Er muß sich sehr verändert haben." „Beurtheile ihn nicht zu bart. Jettchen. Cr ist der nieder drückenden Lage, in der er sich befindet, nicht gewachsen. Auch War seine Absicht, die Stiefschwester baldigst zu verheirathco, den Einflüsterungen eines Schlaumeiers von Makler ent sprungen. Er ist in Dinge» deS Weltlichen und im geselligen Verkehr ein unerfahrenes Kind." „Und wie beißt Deine Schutzbefohlene?" fragte Jettchen, mit der Hand schon auf dem Drücker der Thür. „Hildegard!" — und „Hildegard!" wiederholte Doctor Reinhold noch einmal leis und innig, nachdem die Schwester ihn verlassen hatte. Diese war, während sie den Vorsaal überschritt, in sich einig, sie könne nicht viel von dem Mädchen ballen, daS so den Augenblick zu nutzen verstanden; bei ihrem Eintreten aber milderte sich ihr Urtheil sofort. Die Hände vor das Antlitz gepreßt, die schmalcn Schultern wie im Schmerz zusammengezogen, stand Hildegard neben der Thür de« Salons. Was hatte sie getban? — Wie kam sie bicrhcr? — War eS möglick, daß sie sich von einem fremde» Mann entführen ließ? — O — sie hat cS im Institut gar oft anhören müsse», daß sie zu dummen Streichen ein ganz besonderes Talent besitze; man sagte ihr Lies stets strafend, aber mit verhaltenem Lackel». Heute aber, sie empfand eS ties, würde Niemand ein Lächeln sür sie haben. Man würde höchstens die Achseln zucken. Sie stampfte mit dem Füßchen, wenn sie sich dies Achselzucken vergegenwärtigte. Wie ward sic eS aus einmal inne, daß die Zeit der Kindereien, der Back- fischstrciche hinter ihr lag. Sic war ein erwackscnes junges MäLäicn, verantwortlich für ihr Thun. . . Wie war >kr dies Bewußtsein Wohl so plötzlich angeslogen? War's der fragende Blick der beiden Mitreisenden Damen, die, als sie mit Doctor Reinhold im Coupö Platz genommen, eifrig bestrebt schienen, die Beziehungen Beider zu ergründe» und flüsternd sich mitzutheilen? Oder war eS, daß sic in dem im gleichen Tempo sich vorwärts bewegenden Zuge eigentlich erst zur Besinnung über die Ereignisse dcs TagcS kam? — Vielleicht auch beängstigte sie die Nähe deS RechtSanwaltS, dem sie doch im Grunde noch ganz srenid war und der sich sichtlich be mühte, sie zu beruhigen durch freundlichen Zuspruch oder auch, indem er zeitweilig ihre Anwesenheit zu vergessen schic» und durchs Fenster sah. . . Da hatte sie die Augen geschloffen und — mit plötzlich aussteigender Energie riß sie den Hut vom Kopf und schleuderte ihn in den nächsten Winkel. Ihm folgte da- Iaquet, welches, bedächtiger al« die leichte Kopf bedeckung, aus einer Stuhllehne hängen blieb. Trostlos sah Hildegard vor sich nieder. — DaS Aller- schlimmste war doch, daß Doctor Rcinholb sic verachten mußte. — Wir hatte sie sich an ihn geklammert, al« sei er auf der GotteSwelt ihr zum einzigen Erretter bestimmt. Ihre Un befangenheit war dahin. Die Arabesken deS FußteppichS schienen ihr weniger verschlungen als ihr LebcnSpsad. — Einsam stand sie hier, ein Eindringling in fremdem Hause. DaS Geräusch einer sich schließenden Thür ließ sie auf- blicken. Vorihr standcineDame im dmillen,modernen HauSanzug und streckte ihr lächelnd beide Hände entgegen. Ihr Antlitz war schmal und etwas verblüht, aber so kluge, treue Augen meinte Hildegard noch niemals gesehen zu haben, und dennoch schienen sie ihr bekannt. „Sie sind mir herzlich willkommen liebe Hildegard." Mit einem Seufzer der Erleichterung warf Hildegard sich an deS Fräuleins Brust. Fest legten sich ihre Arme um Icttchen'S Hals. „Ack, mir ist so bange — so bange! Ich war so thöricht. Wecht Du cS schon?" DaS Du war ihr ganz unbewußt über die Lippen geglitten, aber Jettchen »ahm es auf. „Sei ruhig, liebes Kind. — Paul bat mir erzählt, wie sehr Du geängstigt wurdest. — Jetzt aber bist Du geborgen. Komm mit, der Thce wartet." Jettchen bückte sich und legte Hildegard'- übel behandelten Hut auf einen Scitcntifch. „Komm!" Da- junge Mädchen bewegte sich nicht von der Stelle. Ver wirrung und Unlust malten sich aus ihrem Antlitz. — Wie? Heute noch einmal dem RecktSanwalt begegnen? Unmöglich! „Ich bin so müde", bat sie ängstlich, „laß mich zu Bette gehen, bitte. Morgen, dann " Jettchen verstand sehr wohl in anderer Seele zu lesen. Mit leid und Antbeil schärften hier noch ihren Blick. „So sei eS", sprach sic gelassen. „Erwarte mich hier, ich komme im Augenblick zurück und führe Dich in Dein Zimmer, welches neben dem meinigen liegt. Da magst Du Deinen Thee nehmen, liebe- Kind — und ich bringe Dich dann zu Bett." Hildegard'« Antlitz nahm unverzüglich einen befriedigten Ausdruck an. Zärtlich zog sie Jettchen « Hand an ihre Lippen. „Wir gut Du bist!" Sie lag dann noch lange wach und erzäblte der Schwester deS RechtSanwaltS von ihrer Kindheit, von ihrem Papa und vom Institut. Als sie mit bebender Stimme von de« Vater- Tod sprack, streichelte Jettchen ihr liebevoll daS Haar. „Du hast nuu wieder eine Hcimath gefunden , sprach sie beruhigend, »nd da sie bald darauf gewahrte, wie der Schlaf die noch feuchten Wimper» deS jungen Mädchen« berührte, drehte sie den Docht der Lampe herab und begab sich ebenfalls zur Ruhe. Sechste« Capitel. „Und so bitte ich Sic, Herr Doctor, mich auf den Bärcn- stcin znriickkchrcii zu lassen. Ich sehe ein, daß ich mich übereilt habe. Meine Furcht war sehr kindisch — Papa hat mir meinen freie» Willen gewahrt, und Clemens kann mir nicht« anhabcn." Sic sicht mit stolz erbobencm Kopf vor ihm, den Rücken gegen ein Fenster de« Speisezimmers gelehnt. Sie bemüht sich, sehr erhaben »nd gleichmütbig z» spreche»; aber die Spitze ihres rechten Fußes klopft nervös den Boden und die Finger ihrer bcrabbängciiden Hände zupfen unstät an den Falten ihre- Kleides. Doctor Rcinbold ist soeben aus seinem Bureau zurückgekehrt. Jettchen hat ihm im Vorsaal initgetkeilt, daß Comtcssc Hilde gard ihn zu sprechen wünsche. Er ist eingetretc»; noch unweit von der Thür vernimmt er mit einem Gemisch von Acrger und Belustigung ihre Erklärung. „Ich verstehe Sic nicht. Eomtcflc", sagt er »ähcrtretend. „Hat etwas im Hanse hier Sie verletzt?" „O »ein", entgegnet sic mit unabsichtlicher Wärme. „Aber — Sie müssen zugcstcbcn, daß »ur die Uebereilung mich so handeln ließ, wie eS leider gcscbebc» ist." Sie spricht nicht mehr so zuversichtlich wie beim Beginn ihrer Rede, vielmehr klingt ihre Stimme jetzt leise und zaghaft. „Sie irren. Ick sah vor mir ei» geängstigteS junges Mädchen, welches, durch Zufall Zeiigc eines Plans geworden, der cS be leidigt und gegen sein LcbcnSglück verstößt, vertrauensvoll die Hand ergriff, eie sich ihm rettend darbst." Sie bat sich tiefer in ihre Fensternische zurückgezogen und schlägt die Augen, vor seinem gebieterischen Blick erschauernd, zu Boden. „Sic wissen", fährt er entschiedenen Tone« fort, „daß Ihr Bruder das VormniidschaftSrecht über Sie an mich abgetreten bat, da er sich dieser Pflicht nickt gewachsen fühlt. Ihr Kammer mädchen bat mir diesen Morgen seine schriftliche Vollmacht überbrackt, die ich an die betreffende Behörde bereit- weiter^ befördert habe —" „Und Sie gedenke» mich hier sestzuhalten?" „Haben Sir vergessen, wa« Ihnen in Ihrer Heimath wider fahren ist?" „Nein."