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2326 Hause die rechte Arbeitslust fehle? — gerade so, wie die Mutter sich wundert, daß das Butterbrot stehen bleibt, weil sie nicht weiß, daß eine andere Hand daS leckere Söhnchen anderweitig ab gefüttert hat. Liebe Aeltern, daS klingt so alltäglich und trivial, und ist doch eben so ernst als wahr. Ihr schadet — gewiß ohne eS zu wollen — nur zu oft durch die Privatstunden, welche Ihr Euren Kindern neben der Schule geben laßt, weit mehr als Ihr ihnen nützt; denn Ihr stört dadurch nicht nur den Gang der Schule, sondern greift selbst in den Gang der Natur und somit in die ewigweise Ordnung GotteS störend ein, nach welcher Alles an seine Zeit gebunden ist und bedingt durch das Maaß der Kraft. Ihr thut des Guten zu viel und wollt es zu schnell, da kann die Täuschung, der Schaden nicht auSbleiben. Da ist'S nicht genug, daß daS kleine Wesen Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen lernt, da muß eS auch noch Clavier oder gar Geige, Papparbeit, Französisch, Englisch, ja wohl gar schon Latein lernen und noch besondern Unterricht im Schönschreiben erhaltm, als wenn daS arme Ding in einem!Jahre fertig werden müßte und selbst sein Brot verdienen. Und könnt' eS fertig werden, wa'r's wohl ein Glück?!! Oder kann solche Dressur die Frische des jugendlichen Lebens aufwiegen? Wird sie nicht viel zu theuer er kauft, wenn daS Kind sie bezahlt mit seiner leiblichen und geistigen Spannkraft?! — Wohl mag es die Eitelkeit schwacher Aeltern kitzeln, mit solchen frühreifen Püppchen prunken und spielen zu können; hat aber Gott Euch Euere Kinder dazu gegeben, oder daß Ihr sie nach Seinem heiligen Willen erziehen sollt einfach und naturgemäß, mit möglichst Wenigen Gehilfen? Darum, Verehrteste, haltet Maaß auch in Unterrichte Eurer Kinder, daß Ihr Euch nicht versündiget an ihnen! „Aber sollen wir denn gar.keine Privatstunden geben lassen?" höre ich fragen. DaS kann und wird niemand so unbedingt sagen oder rathen, aber bitten wird Euch jeder, der Euere Kinder lieb hat und Euch rathen darf: erwägt eS reiflich und auch mit dem eigentlichen Lehrer Eurer Kinder, bevor Ihr einen neuen Lehrgegenftand in den Kreis deö Unterricht- derselben zieht und dazu einen neuen Lehrer Euch zugesellt als Gehilfen beim heiligen Werke der Erziehung Euerer Lieblinge. Jeder neue Lehrer Euerer Wahl ladet Euch neue Verantwortung auf. — Prüfet aber auch Euere Kinder', ehe Ihr neue Privatstunden gewährt; denn gar oft ist'S nur der Hang zur Schlaffheit, die Scheu vor eigenem ernsten Arbeiten, welche den Wunsch danach bei ihnen veranlaßt, bei anderen eben nur die leidige Eitelkeit oder daS Bei spiel und daS Zureden einflußreicher Kameraden. SchontEuere Kinder und bedenkt, daß nicht nur der Geist, daß auch der Körper leben und gedeihen will und darum auch Theit verlangt an Eurer Pflege, und zwar am meisten in der Zeit der Kindheit. Berücksichtigt endlich auch die- Schule und laßt ihr wenigstens daS Recht, Euch berathen zu dürfen, wenn Ihr Privatstunden für Euere Kinder nöthig erachtet. In keinem Falle aber werdet Ihr, wenn Ihr unfern wohlgemeinten Rath nicht hören wollt, Euch wundern, wenn viele Privatstunden nicht eben viel helfen und für viel Geld, welches dafür auSgegebrn wird, eben nur viel Täuschung eingekaust wird; denn nicht überall gilt das Wort: „Viel hilft viel!" Muttereinfalt hat von jeher mit den einfach sten Lehrmitteln die größten Söhne, die liebenswürdigsten Töchter erzogen. Setrachtungen über den Äranntwetn. VIII. Das Trinken. — Die Trunkenheit und ihre verschiedenen Stadien. — Die Trunksucht. — Ein hauptsächlicher Grund des Trinkens geistiger Getränke außer dem der Stillung de- Durstes und Wohlgeschmacks ist Anregung der körperlichen und geistigen Thätigkeit; ein weiterer, ebenfalls sehr häufiger, die dargebotene Gelegenheit; ein seltenerer, die Beförderung der Verdauung. In Wein, Bier, Grog, Punsch und denen ähnlichen Getränken wird in der Regel bei festlichen Gelegenheiten Belebung des GemeingefühlS, Heiterkeit und Wohl behagen, oder nach des Tages ernster Beschäftigung Erholung und Zerstreuung gesucht. Der Branntwein dagegen wird weder als durststillendes Mittel, noch, die süßm Liqueure ausgenommen, wegen seine- angenehmen Geschmacks getrunken ; er dient fast ein zig als Reizmittel zur Erhöhung und Belebung der Kräfte bei anstrengender Arbeit, zur Abwehr von Witterungseinstüssen oder als Ersatz kräftiger Nahrungsmittel. So lange nun dabei ein gewisses, dem Zweck entsprechendes Maß innegehalten wird, so lange » .M ,a. ^ WMjL hat die Sache kein weiteres Bedenken; allein die Wirkungen de- Genusses geistiger Getränke, und vor allen des Branntwein-, äußern sich nicht allein bei den verschiedenen Temperamenten in ihren mannigfachen Abstufungen verschieden, sondern auch die Umstände, unter welchen gewunken wird, so wie die Art und Weise de- Trinken- sind hier von großem Einfluß. Bei von Natur leicht erregbaren (sanguinischen) Menschen zeigt sich schon nach Wenigem eine Steigerung de- LebenSprocesses durch erhöhte innere Wärme, lebhaftere Bewegung und Sprache; der Phlegmatiker verlangt mehr, bi- eine Veränderung seines Wesens bemerkbar werden soll; dasselbe ist beim Choleriker der Fall, doch sind bei diesem die Aeußerungen der inneren Erregung ganz anderer Art, als bei den beiden vorhergehenden: die aus geprägtere Energie verdrängt hier den leichten Humor des San guinikers und die Gemütlichkeit des Phlegmatikers. Der Me lancholische wird mittheilsamer, offenherziger, und zum Ende träumerischer. Wird bei diesem leichten Anfluge, welcher noch nicht einmal ein Räuschchen genannt werden kann, innegehalten, so folgt eine fast unmerkbare Abspannung und ruhigere- Wesen als im nor malen Zustande. Doch ist es für so Manchen sehr schwer, bei dem Höhepunkte dieser ersten geringen Aufregung stehen zu bleiben und bald tritt nach fortgesetztem Genüsse ein höherer Grad der Erregung, der Rausch, ein, welcher sich durch rascher» Blutum lauf, rörhere Gesichtsfarbe, belebtere und glänzendere Augen, schnellere Gedankenströmung und Wechsel der Vorstellungen kundgiebt, und wenn bei einem «Heil die Munterkeit und Gemütlichkeit lauter wird, so tritt bei Anderen mürrische- ünd zänkisches Wesen um so greller hervor. Hilft sich in diesem Stadium die Natur nicht durch Erbrechen von selbst oder wird die Gelegenheit zu fernerem Genüsse nicht durch anderweitige Veranlassung adgeschnitten, so kommt es zur Betrunkenheit; diese ist eigentlich schon ein hoher Grad der Abspannung, welche durch Forttrinken nicht gemindert werden kann und nur ein noch schnellere- Kreisen de- Blute- be wirkt, ohne die Nerven fernerweit zu beleben. Die Anzeichen dieses Zustandes sind Verwirrung der Ideen oder gar völlige Unfähigkeit der Auffassung durch die Sinne (totale Sinnenfinsterniß), stam melnde Sprache, unsicherer, taumelnder Gang und stierer Blick; tiefe Schlafsucht tritt ein und hebt auf naturgemäße Weise die Krisis dieser künstlichen Krankheit. Auf daS Erwachen folgt jedoch der schreckliche Zustand, für welchen nur die deutsche Sprache den zwar vulgären, aber doch so bezeichnenden Ausdruck „Katzen jammer" hat. Diese verschiedenen Stadien der Trunkenheit werden nicht allein durch die Menge der genossenen Rauschmittel bedingt; daß Ver schiedenheit des Alters und der Körperconstitution eine langsamere oder schnellere, eine leichtere oder nachhaltigere Aufregung bewirken, ist selbstverständlich; aber auch Zeit, Ort, Temperatur, Gemüths- stimmung und manche andere Umstände geben diesen Zuständen einen verschiedenen Verlauf. Am schnellsten ist die Wirkung Morgen- bei leerem Magm; aber ebm dieses Gefühl der Innern Leere regt zum Genuß eines starken Reizmittels an, und die scheinbare Sättigung, so wie das Gefühl gesteigerter Lebensthätigkeit wecken die Begierde nach mehr. Dies ist die gefährlichste Gelegenheit zum Trinken; die künstlich erhitzten Verdauungsorgane verschmähen eine kräftige Speise und versagen selbst bei deren Gmuß ihren Dienst, so daß bei der zwar weniger gestörten geistigen Thätigkeit doch die körperliche auffallend erschlafft. Die Einwirkung von Oertlichkeit und Temperatur ist sehr groß: bei Kälte und im Freien verfliegt da- Rauschige schnell und nach Branntwein wird die Empfindlichkeit gegen Kälte eher stärker; Sehnsucht nach warmer kräftiger Nahrung verdrängt da- Ver langen nach geistigem Reiz, welches sogar in Abneigung gegen solchen überaeht. In warmen, vielleicht gar mit Tabaksqualm angefüllten Localen ist dir Wirkung eine entgegengesetzte. Das Blut kommt hier schneller in Wallung; der Durst und mit ihm das Verlangen nach dessen Stillung werden heftiger, ja dies um so mehr, wenn lebhaftes Gespräch, Gesang, Gezänk oder anderer Tumult die Betäubung der Sinne vermehren. Ein plötzlicher Wechsel aus einer solchen höllenähnlichen Atmosphäre in die kühle stille Rachtlust führt nicht seltm zu plötzlicher Betäubung und Hinfälligkeit. Eine durch angenehme oder unangenehme Vorfälle ohnehin schon aufgeregte Gemüthsstimmung ist ebenfalls häufig Veranlassung, durch geistige Erregung einem unerwartet freudigen Erei-niß einen erhöhten Ausdruck zu geben, oder Aerger und Kummer zu ver-