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Sette 354. Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten „Welche Lina?- .Hast Du so viele Linas. Latz Tu schon fragen mußt, welche? r.der ahnt Derne unschuldsreinr Seele wirklich nicht, wen ich meine?' .Keinen Schmuner!" .Herrgott, die Lina, die damals Zofe bei Deiner Schwester war, wie wir das letzte Mal in Lubenow auf Urlaub waren!" .Ach,-die! So. so!" .Klingt sehr objektiv, Friedelchen! Ich erinnere mich, Du konntest die kleine Person damals nicht leiden, aber das wirst Du niir doch zugeben müssen, daß sie positiv 'n Racker war." .Ohne Weiteres geb' ich das zu. Was thut denn dieser poptive Racker hier in den .Glashallen'' ?" „Sie ist ne Cbanionnetteuiängerin geworden, und keine von den schlechtesten, kann ich Dir saaen. Pikant, pikant. — und singt Dir die gewag testen Chosen mit 'ner gewissen Unschuldsmiene . . . man muß so was sehen, um es zu glauben! Ich lief natürlich gleich in der Panie hinter die Kulissen und führte 'ne Erkennungsscene herbei, — sie freute sich innigst, mich zu sehen, die Lina hat sich natürlich 'n nesig überspannten vom cts zusrrs beigelegt und die Haare hochroth geforden, — steht ihr nicht übel — aber 'a unbeauemen Galan hat sie sich angeschafft, den Athleten von ihrer Bande. — 'n Kerl, der Jeden von uns mit einer Hand Wie n Püppcken hoch heben und hier auf den Tisch 'etzen könnte, — und eifersüchtig wie der hoch- selige Othello toll er sein! Seine sogenannte Braut wagte nicht mal. mir mit den Augen zuzuklappern. wie er dabei stand!" .Sagtest Du mir nicht, sie wäre damals mit unserem Diener August ver lobt gewesen?- .Ganz recht! Siehst Du, Dein gutes Gedächtnis kommt Dir in Bezug au, Lina zürn«! Das zarte Bnhälduß zu ihrem August hat sie gelöst, als sie dev Dienst in Lubenow ausgab, — das war für diesen unternehmenden Seist bloß Uebergangsstation. sie hat schon lange die »Kunst" in s Auge gefaßt gehabt und ist nur wenige Monate Zofe geblieben. Diese Bekenntnis,e «ner schönen Seele bekam ich in gedrängt« Uebersicht zu höre», als der Athlet auf die Bühne mußte behufs etlicher Krastproduktionen. 'ne Muskulatur hat Dir der Kerl. ... da hätte Ln alte Michelangelo, der sich aus so was ia verstand, seine Freude d'can gehabt I" Friedhelm halte den Säbel ein und lieh sich von seinem Burschen Ueber- rock und Mütze reichen. > ,Na ja. — können immerhin gehen I" bemerkte Sylvester aufstehend. „Noch 'n Schlückchen zum Abgewöhnen, — so!! Das wärmt das Herze! Was liegt denn hier auf der Erde. — ein Brief? Hoffentlich kein« von zart« Hand. doS wäre kränkend für das schöne Geschlecht! Die Schrift sieht allerdings nicht danach aus. . . . »Dein treu« Ohm Franz Kenneweg"; sag' mal. kriegst Du's wirklich fertig, mit dem zu korrespondiren?" „Wie Du siehst!" Friedbclm nahm seinem Vetter den Brief ohne Weiteres ans d« Hand und ichloß ihn in ein Fach seines Schreibtisches ein. .Warum sollte ich wohl nicht?" .Na. weißt Du. — 'n Vergnügen '« sogenannter Genuß kann doch das für Dich nicht sein'." „Annchissache!" „Ungeheuer weise orakelt, Friedhelm d« Gemäßigte. Ra. meinetwegen, immerzu!" Sylvester psiff leise vor sich hin und dachtest, seinem Innern: »Ob chm d« alte Kaff« wohl von den tausend Metern geschrieben hat. die sch dem Onkel abgeknöpft habe? Wissen wird n es jedenfalls, durchseine Hände gehl ja alles Baare, was in Lubenow einkommt I Schade? Hält' ich das gewußt, bättt ich mich mit dem Abzahlen nicht so beeilt; dieser Philister braucht den Mamon lange nicht so nothwendig wie ich!" Schweigend traten die beiden Offiziere auf die Straße, wo ihnen ein schneidend kalter Winterwind feinkörnigen Schnee, der die Haut wie mit Nadeln stach, in's Gesicht trieb. Die Herren schlugen die Pelzkragen hoch und versenkten die Hände ties in die Taschen. Es strömten viele Menschen dem Theater zu. das eia ziemlich unansehnlich«, aber recht geräumiger Bau war und in seinem Innern viel mehr Luxus und guten Geschmack zeigte, als das mischeiubare Aeußere erwarten ließ. Die Herr«, vom Militär hatten ihre bestimmten Logen, in denen aber auch das Civil Zutritt halte. Der Logenschließer verneigte sich nnt ergebenem Lächeln vor den Eintretenden und bändigte Fnedhelm den Theaterzettel ein, während Sylvester vor dem Spiegel sein Haar kunstgerecht mit zwei Bürsten bearbeitete. .Müll« sagt, „wir kriegn 'n ausverkauftes Haus!" Sylvester trat vom Spiegel zurück und tauschte rechts und links Händedrücke mit eilig berbei- kommenden Kameraden; d« ganze schmale Korridor wiederhallte von Säbel raffeln und Sporengeklirr. .Lieh' mal den Zuzug. Friedhelm I Alle Mann au die Gewehre! Ja, ja. das ewig Weibliche zieht uns hinan, alte Ge schichte ! Für Mch Hab' ich übrigens als Borkosthäppchen noch ne Extra- Ueberraschnng!" ^Eine angenehme?- Dn Rittmeister hob die Schultern. „Theils — theils! Na. wollen das Beste hoffen >" Aus Ton und Geberde sah Friedhelm sofort, daß diese llebenaschung ihm keine Freude machen würde. Der Logenschließer öffnete beflissen die Thür für die Herren. Das Erste, was «rriedhelm in dem elegant mit hellblau und olivfarbenem Plüsch dekorir- ten Raum gewahrte, waren die vemnügt und erwartungsvoll schmunzelnden Gesicht« von Schilling Vater und Schelling Sohn, die wie gut eingebürgerte Theatn-Jniassen. Zettel und Opernglas vor sich, vorn an der Brüstung saßen. .Sieh' da. sich' da. Timotheus!" begrüßte der Senior den Hauptmann, indem er ihn den im rechten Winkel gebogenen Arm entgegenstreckte und mit Lstentation die Hand schüttelte. „Fnsch und wohlauf, mein werther Haupt mann ? Aber was frag' ich noch 7 Horst, schau' ihn Dir an. sieht n nicht brillant aus? Ja. ia, mein Lied«, es litt uns nicht läng« ln uns«« Dittma Nmle sie sehen, wes dle Kunst üb« Leute unseres Schlages vec- vermögen wir leider nicht zu es war ein ganz plötzlicher mag! Grüße von Ihren lieben Angehörigen bestellen, da wir meuchlings ausgerückt und Einfall . . . nicht wahr, Horst?" „Ganz er tempors!" bestätigte der Junior. Er hatte gleichfalls Fried helms Hand geschüttelt, war aber offenbar zerstreut —, seine Augen gingen ruhelos im Saal umher. Friedhelm konnte sich denken, was die Veranlassung zu diesem „ex tempore" der beiden Schellings gewesen war, wenn er sich auch den Anschein geben mußte, als ahnte er nichts davon. Sylvester stellte einige seiner Kameraden den „Herren Großgrundbesitzern aus der Provinz Ostpreußen" vor. Die Meisten hatten das nicht mehr nöthig — Friedhelm erfuhr, daß lein Vetter heute Mittag die beiden Schellings getroffen habe und daß sic mit mehreren Offizieren vom Regiment zusammen im besten Restaurant D.'s gespeist hatten. .Wir sind später noch weiter gegangen!" erklärte der ältere Herr in jovialem Ton. „Die Herren Offiziere rief der Dienst. Aber unsereins — wenn man sich 'mal herans- reißt — was soll man ansangen? Mir kam es vor Allem darauf an, mir Stimmung zu holen." „War das für heute Abend noch nothwendig?" fragte einer der Offiziere. „Ich muß sagen, mir haben die Photographien schon 'nen gewiss?» Schwung gegeben, — und w« mm gar das Glück hat. wie Sie, das Original zu kennen —* „Ich an Ihrer Stelle wäre doch überhaupt heute doch gleich hingegangen und hätte ihr als alt« Bekannter einfach meinen Besuch gemacht!" siel ein Zweiter ein. — „Erlauben Sie. das besucht sich nicht w ohne Weiteres >" Leutnant Rosen steckte sein hagres, gebräuntes Geircht, das ganz den Typus eines Raubvogels hatte, zwischen die Redenden. „Sehr strenge Etikette da — förmliches Verschanzungsiystem — Tante als Ceremonienmeister — läßt keine Mannesieele vor — N'chte empfängt Niemanden direkt —" .Wie er wieder informirt ist!" „Natürlich — Rosen weiß immer Alles — wundert mich gar nicht!" „Ob er selbst da gewesen ist?" „Er wird sich bedanken! Ter läßt Andere sich die Finger verbrennen!" ,,Nc aber, ob das in Permanenz so bleibt" — „Ruhig — ruhig — die Ouvertüre!" Der Pilgerchor letzte seine getragene Weile ein. — Die Offiziere benahmen sich ziemlich unaufmerksam während des ersten Aktes — sie zischelten viel unter sich, steckten die Köpfe zusammen, hielten die Säbel nicht still. Den „Tannhäuser" hatten sie schon oft gehört und die Venus interessirte sie nicht — wenigstens nicht diese Venus aus der Bühne! Sie war schon seit langen Jahren in D. engagirt. galt für eine tüchtige Kraft und verstand ohne Zweifel zn singeu, aber sie war durchaus nicht nichr jung und sehr mager, welche beiden Tbatlachen ihr die Herren übel nahmen. Wahr blieb es. die Liebes göttin dachte man sich anders, und wenn auch bei ein« Sängerin die Stimme Hauptsache ist. das Auge macht nun 'mal auch seine Amvrüche I — Das herrliche Sextett ging ebenfalls ziemlich spurlos vorüb«; der Beifall nach dem ersten Akt war einigermaßen matt. Ab« nun. nach der Pause, die jubilireuden Klänge der Begrüßungs- Arie — der Vorhang rauschte empor — dahinter dehnte sich der prächtige Bankettsaal der Wartburg und Elisabeth kam beflügelten Schrittes durch die Mittelthür. „Dich, theure Halle, grüß ich wieder —" Die Operngläser waren in Aktion, die Stiinmnug war gespannt. Sollte das wirklich ein „Star" sein? War die Reklame übertrieben? Die alten Theater-Habituäs rückten sich zurecht — sahen — hörten — ließen sür eine Sekunde die Gläser sink«, — nickten einander zu: „Läßt sich gut an! Sehr jung! Sehr hübsch I Schöne Stimme! Gott Lob. keine spur besangen!" Nein, das war Marietta Hardini nicht I Wie der Fisch in seinem eigensten Element sich frei und wohlig bewegt — so schien ihr die Bühnen- luft, die Welt der Coulissen, die leise wogende dunkle Masse des Publikums gewohnt und veitraut. Da war nichts von den stereotypen steifen Beweg ungen der Anfängerin — nichts von dem herkömmlichen Lächeln, das wre festgefioren um die Lippen ist und dem hübschesten Gesicht etwas Hilfloses, Puppenhaftes verleiht — fiel und leicht die Gesten — groß und leuchtend, gleich den Augen, die wundeischöne Stimme, die ohne Mühe den weiten Raum füllte und eine Wärme hatte, wie sie nur die Jugend ans ihrem inneren Reichthum heraus zu verschwenden vermag! — Die Damen neigten sich zu einander und zischelten. „Sehr vielversprechend!" „Prachtvlle Stimme!" „Denken Sie. sie soll ihr eigenes Haar tragen I" „Glaub' ich nicht! Sie wird sich hüten!" Die juiiaen Mädchen waren ganz Feuer und Flamme: „Himmlisch! Entzückend! O Gott, o Gott, ist die blos reizend!" Die jüngeren Herren ließen sich nicht Zeit zum Meinungsaustausch — sie hatten zn viel zu sehen — auch zu hören — gewiß — aber vor allen Dingen zu schauen! Die Opnngläser kamen nicht von den Augen fort. Tonnerwett«, D. . . konnte sich zu der Acquisition gratuliren! Aber natürlich — so 'was Famoses behielt man ja nicht I Nun lauerte schon wieder so'n Hoftheater im Hintergründe und streckte die Hand nach der Peile aus. die man eben mit Stolz als eine neue Art von Eigenthum betrachten gelernt hatte! D« Darstell« des Tannhäuser, ein wenig Anfänger noch, aber aus- aestattet mit ein« gefälligen Gestalt und guten Stimmmiltctn. hatte sich häufig von dn Kritik den Vorwurf machen laffen müssen, zu steif und un beholfen im Svie! zu sein, seinen Partnern ihre Aufgabe zu erschweren. Heute war nichts davon zu bemerken. Der junge Heldentenor stand sein«! Mann neben dies« Elisabeth, und das schöne Duett: „Gepriesen sei die Stunde, ge priesen sei die Macht I" entfesselte einen so anhaltenden Beifallssturm, daß das auf der Bühne befindliche Paar minutenlang nichts Anderes zu thun halte, als sich dankend zu verneigen. „Wie dieser steife Peter, der Franeck. aufgethaut ist heut' Abend!" murmelte Sylvester seinem Nebenmann, dem älteren Schelling. in's Ohr. „Kunststück! Neben d« Elisabeth! Da möchte Mancher kommen und Tann- Häuser spielen >" D« Anaeredete nickte nur bestätigend, verwandte ab« kein Auge von der Bühne. Wie sie dastand, wie sie sich bewegte — mit diesem Belletristische Beilage z« Sen „Dresdner Nachrichten". Seite 353. ungezwungenen und dabei königlichen Anstand I Keinen Augenblick kam dem Zuschauer der Gedanke, dies sti etwas Angelerntes, das Produkt ein« Opern schule. Wie der Eingebung des Moments entstammend, waren die Gebärden, war das MienenspiA — wahrlich, es gab kaum Einen unter der ganzen großen Zuhörerschaft, der nicht mehr oder minder deutlich das Gefühl gehabt hätte, unter den, Zauber eines reiche», vollkommen selbstständig entwickelten Talents zu stehen! Der Sängerkrieg wurde mit Antheil entgegeiigcnommen, aber das volle Interesse konzentrirte sich wieder aus den Schluß des zweiten Aktes, da Elisabeth sich für den vervehmlen Tannhäuier in's Mittel legt. Richard Wagner hat hier mit großer und feiner Kunst eine Steigerung sowohl der musikalischen, als auch der rein künstlerischen Wirkung in Scene gesetzt: die Männerstimmen, die ausgeregt ineinander greifen — den Chor, der voller Antheil gleichsam im Untergründe ntitwirkt, — dos Orchester, das sich lebhaft bewegt m Mitleidenschaft gezogen suhlt, und über dem Allen, wie ein Vogel mit ausgebreitetcn Schwingen, frei in den Lüsten schwebend, die einzige Frauenstimme mit ihrem inbrünstig bittenden: „Ich stehe sür sein Leben!" So. Mittelpunkt der Handlung, der Musik. Mittelpunkt des gelammten Interesses, stand die weiße Gestalt im lichtblauen Königsmantel unt« den aufgeregt sie umdrängenden, malerisch kostümirten Männern, neigte sie sich über den zu ihren Füßen zusammengebrochenen Geliebten . . . dies Bild prägte sich unauslöschlich den Beschauern ein, als endlich d« Vorhang sank. Friedhelm von Küster rührte in dem nun folgenden tosenden Beifalls sturm keine Hand — es achtete Niemand seiner — ab« wäre es auch d« Fall gewesen, er hätte cs nichr über sich vermocht, zu klatschen. In schweren, dumpfen, langsamen Schlägen pochte sein Herz, die Lippen waren ihm trocken wie von langem Dursten, seine beiden Hände lagen fest um den Griff seines Säbels und preßten dielen, daß es schmerzte. Er stand unt« dem Eindruck eines großen Erlebnisses — und dabei fragte er sich sott und fort, ob die junge, bejubelte Künstlerin da auf der Bühne dasselbe Mädchen sei, das er damals im Waldesschatten getroffen, — das er heimgeleitct, — dem n das Schwesterchen gerettet, — von dem er in schwüler, sternenloi« Sommernacht Abschied genommen hatte auf's Ungewisse. — das Mädchen, das er vergessen gewollt hatte und das all' seine Lehnsucht, >ein Erinnern in ihm geweckt — hundert- und tausendfach, an diesem einzigen Abend: Uni ihn her dröhnte es von Beifall. Die Offiziere applaudirien wie toll — dawöchen abgerissene Worte — Sylvcster's Stimme: „Diese Mieze I Dieie entzückende Mieze!" Beinahe hätte Jriedhelm sich herumgedreht und ihm zugerufen: „Ich verbiete Dir, sie io zu nennen I Unterstehe es Dich nicht noch einmal!" Er besann sich noch zur rechten Zeit und blieb stumm. Welches Recht hätte er Sylvester gegenüber gehabt, so zu sprechen — Sylvester, dem Maria Teinhardt eine Rose geichcnkt hatte damals im Sommer? Und in einer der unteren Scitenlogen saß halb versteckt eine ältere Dame in dunklem Anzug, ergrautem Haar und energischen Zügen. Niemand kannte sie. Niemand beachtete sie. und sie benahm sich auch nicht im Mindesten aus fällig. Daß bei Elisabeths erstem Auftreten ein leichtes Beben über ihren ganzen Körper hingegangen war. entging ihre» Nachbarn — ebenso die That- sacke, daß am Aktschluß ein paar Thränen rasch und blitzend auf ihre im Schooß gefalteten Hände niederffelen. Hastig und unwillig fuhr die Dame mit der Hand über die Augen — die dummen Thränen blendeten sie nur. sie mußte ja jeden, sehen, wie „ihre Mieze" wieder, immer Wied« hervorgeklatscht wurde — zwei, vier, fünf Mal. und als das lüge, ein wenig belangen« lächelnde, innge Gesicht dann k»um merklich zu ihr yerübernickle. da kamen sie ihr doch wieder, die albernen Thränen. und sie ieufzle in sich hinein: „Und dabei bin ich nicht 'mak ihre Mutter! Konnten nun nicht die Eltern beide hier neben mir sitzen und stolz und glücklich sein?" „Meine Lieben," sagte indessen Sylvester von Winterfeldt oben zu seinen Kameraden, wie wär's denn, wenn wir uns nach den» Gebet dn Elisabeth im dritten Akt sachtchen drückten ? Sie erscheint dann nur noch im allerletzten Augenblick auf der Todlenbahre, und ich weiß nicht etwas in mir sträubt sich entschieden dagegen, dies lebensvolle Geschöpf in solcher Situation anzuschauen! Ob der gure Wolframm da »och den Adendstern anwimmert und Franeck im Büßergewande von der Untiebenswürdigkert des Papstes be richt« . . mir ist es egal. Herrschaften! Wem sonst noch?" Sie stimmten ihm fast Alle bei. Lieber doch Im Cass Herzog die Er eignisse des heutigen Abends besprechen, als Tannhäuser's „Kater", wie man den letzten Akt mit Vorliebe nannte, bis zur Neige auskosten I Die rührende Gestalt am Kreuz, das inbrünstig und keusch gesungene Gebet — beides erzielte dieselbe starke Wirkung, wie die vorangegangene» Scencn. Tie junge Künstlerin gab sich so einfach — nicht rin einziges der beliebten kleinen Mittelchen, durch die man das Publikum gewinnen kann, kam bei ihr zur Anwendung. Wo so viel Jugend und Liebreiz war und ein so bedeutendes Stimmmaterial, wäre freilich >edes künstlich angewandte Reiz mittel nur vom Uebel gewesen — jedenfalls war es sehr klug von Diana Deinhardt, daß sie es verschmähte. Nachts elf Uhr wurde auf dem Harrptpostamt zu D. folgendes Telegramm aufgeaeben: „Frau Johanna Deinhardt. Lubenow bei G. Ostpreußen. Durchschlagender Erfolg. Engagement definitiv abgeschlossen. Beide sehr glücklich. Lotte. Mieze." 22. Kapitel. „Gnädiges Fräulein werden entschuldigen — der Herr ist wieder da!" Charlotte Reimann, die es sich ans dem breiten Divan unter ein« bunten Schlafdecke bequem gemacht hatte, richtete sich widerwillig auf. „Welcher Herr?" „Der Herr von gestern und von heute Vormittag — er läßt sich und er läßt sich nicht abweisen. H!« Hab' ich die Karte!" „Charlotte seufzte und warf einen mißbilligenden Blick auf da- längliche, goldgeränderle Kästchen — sie hatte das eigentlich nicht nöthig. sie »Ae zuin Voraus, was sie da zu leien bekam: ..«Sylvester von Winterfeldt. Ritt meister und Eskadron-Chef," — und so weiter — „ja. ja, ich weiß schon!" sagte sie mit halb« Stimme. „.Haben Sie ihn in den Salon genöttzigt. Pauline?" „Jawohl, gnädiges Fräulein! Der Herr hat noch sehr um Entschuldigung gebeten, daß er gerade heute gekommen ist " „Die Entschuldigung hat er nöthig — es ist WeihnachtstagI" „Aber er will gnädiges Fräulein gar nicht lange aufhalen: a möchte blos etwas fragen und dann gleich wieder gehen I" „Toll mir äußerst angenehm sein. Ich werde kommen, sobald ich mich ein bischen zurechtgemacht dabc!" Pauline schloß geräuschlos die Thür. , . „Nun sag' Du dock auch ein Wort. Mieze!" Charlotte erhob sich vollends aus ihrer Sophaecke und legte die bunte Schlasdecke methodisch zusammen. „Deinetwegen ist doch das ganze Kesseltreiben von Civil und Militär u» unser Haus! Oder meinst Du am Ende, es gilt mir?" Maria, die mit einer Stickerei am Fenster !aß, lachte ein wenig. „Du verdientestes schon, daß die Leute sich um Deinetwillen die Füße abliefen. Tante Lotte — aber — wie die Wett nun 'mal ist —" „Thun sie es einstweilen sür Dich, und ich Hab' zu warten, ob da „Tag des Edlen" dermaleinst komme! Mich so um meinen wohlverdienten Mittags- schlas zu bringen . . kannst Du das verantworten?" „Wie soll ich! Und ich freute mich eben noch, daß Do s» prächtig schliefst!" . „Ist mir der Aerger und der Mittagsschlaf noch sehr anzusehen?" „Der Acrger gar nicht mehr. dank Deiner großartigen Selbstbeherrschung—da Mittogsschlaf etwas mehr, — Du hast eine rotbgeschlasrne Backe und dag Must« des Sophakissens bat sich darauf abgedrückt I" Möge diese rotbe Bucke und dies Muster dem beharrlichen Rittmeister «r Anklage werden!" Charlotte stand vor dem Sviegel. kämmte ihr Haar glatt und zupfte ein wenig an sich herum. „Du solltest mitkommen. Mieze, und dem wißbcaicrigcn Herrn in eigener Person unser Programm unterbreiten —" „Ach, bewahre. Tantchen!" rief das junge Mädchen schnell. »Das Pro gramm kennst Tn mindestens cdenio gut wie ich, wir haben eS ja zusammen entworfen!" ^ ^ „Aber von Dir entwickelt, würde es mebr Eindruck machen. Hatz Da wirklich gar nichts sür diesen bübicben Rittmeister übrig?" „Gar nichts, Tante Lotte! Es mag daher kommen, daß ich ihn im Geiste immer neben diesem gräßlichen, allen Schelling sehe, -«damals so unverschämt zu mir wurde —" „Dafür kann doch der Rittmeister nicht!" „Der ist nicht viel besser. — ich bin überzeugt. Fstedbeba — ich meine Herrn von Küster — hätte nicht geduldet, daß man solchen Ton mir gegen über anschlng I" „Ich muß jetzt gehen, Mieze! Komm' wirklich lieb« mit l D» sitzest hi« doch blos, wenn ich nicht da bin, und fängst Grillen!" „Bitte sehr? Ich nähe und warte aus den Postboten, der die Kiste a»S Lubenow bringt!" „Du bist auf deni besten Wege, künsilerhafte Sclbstherriichkrtt i« DK groß zu züchten, mein Kind!" „Bewahre I Dahin läßt es meine kluge und strenge Tante Lotte g« »icht kommen I" „Schmeichelkatze!" Lotte fuhr der Nichte mit dn Rechten flüchtig über die weiche Wange. „Hinein also in's Feuer!" Liel Veignügen!" — Der Salon Charlotte Reimann's sah so aus. wie man eS von eine» möblirten Micthswohming irgend erwarten konnte. Da man in D- voraus sichtlich mir kurze Zeit blieb, so halte Charlotte ihre schone, geschmackvolle Wohiuingscstirichkung wohlvcrvackr in der Residenz gelaffen und nur ein paar Stücke davon — Wolfs- und Bärenfell, orientalische Decken, Tcvviche. Bikdee und Bronzen — hierhcrschicken laffen. um es „einigermaßen memchenwürtng" zu haben. Sie vermißte ihre gewohnte Umgebung, die Behagen und künst lerischen Geschmack glücklich vereinigte, zeden Tag auf's neue ichmeallch «,d nahm innerlich unausgesetzt Anstoß an drein „schädigen, gemictheten ExistriH". Es war dies eines von den mannigfachen Opfern, die sie ihr« Nichte z» bringen hatte! „Schäbig" sah min das Zimmer nicht aus. in welchem Sylvester staub und wartete; ein wenig zrisammengebracht war wohl die Einrichtung, immntzt» fanden sich einzelne Stücke, die Beachtung veüstenten. Nur nach einem Portrait Marias sah der Rittmeister sich vergebens um. „Mein gnädiges Fraulein." — « verbarg seine Enttäuschung geschickt genug, als « nur die Tante ohne die Nichte «scheinen sah — .ich schätze mich glücklich, endlich einmal den Vorzug zu haben. Ihnen meine eraebamr Aufwartung machen zu dürfen. Verzeihen Sie nur mein« Beharrlichkeit, die auch aller Wahrscheinlichkeit nach wieder nicht glücklich in der Wahl d« Stunde gewesen ist - " „Wenig« unglücklich in der Wahl der Stunde, als d«S Tages I" ott- gegcncte Charlotte freimüthig. „Es giebt immer noch so Mancherlei M> thun —" „Ich glaubte anuchmen zu dürfen, die Damen hätten zum heutige» Abend eine Einladung angenommen —" „O — da kennen Sie uns schlecht! Am Christabend unt« Freniden. und fremd sind uns doch Alle hier noch in D ko liebenswürdig um» uns auch entaegenkommt! — das wäre sür uns der Inbegriff der Ungrmisttz» lichkrit. Ich oars Sie ab« wohl bitten, Platz zu nehmen. Herr Rittmeister. > uns mir den Zweck Ihr« Beharrlichkeit, nm mich Ihres eigenen AusdrnchH j zu bedienen, ausemandcrznsetzen." (Fortsetzung -onnta« 1