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36. 14. Februar 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s d. Dtschn Buchbandel 1937 Dokumenten, wie es kaum über einen andern hervorragenden Vertreter des Buchgewerbes vorhanden sein dürfte. Blieben uns doch nicht nur die umfangreichen Korrespondenzen, offiziellen Aktenstücke, Fakturen, Geschäfts- und Tagebücher, kurz, das gesamte Geschäfts- und Privatarchiv erhalten, sondern auch die ganze Buchdruckerei mit allen ihren Einrichtungen, Ateliers, Drucker pressen, Schriftsätzen, Platten und Klischees, Korrekturabzügen, Papiervorräten, mit den Verkaufs- und Lagerräumen, dem ge- samten Mobiliar der Privatwohnung Plantins und seiner Nachkommen einschließlich deren Bibliothek mit etwa 10 000 Bänden ist in dem in seiner Art einzigen Museum Plantin- Moretus durch die Weisheit der Antwerpener Stadt verwaltung vor allmählichem Untergang gerettet und spätern Geichlechtern als nationales Erbstück gesichert worden. Wir besitzen außerdem die Persönlichkeit, die es verstanden hat, dieses außergewöhnlich reiche Material zu sichten und zu einer Biographie zu verarbeiten, die nicht nur den größten Ansprüchen der Buchdrucker- und Buchhändlerfachwelt gerecht wird, sondern auch das Interesse des Kulturhistorikers zu fesseln imstande ist, fällt doch die Lebenszeit Plantins in die Zeit des Abfalls der Niederlande mit allen sich daran anknüpfenden dramatischen Er eignissen. Unter diesen Gesichtspunkten sei auf Grund dieser, im Jahre 1883 von dem bekannten Kunsthistoriker und Direktor des kckuses klantin Max Roofes*) veröffentlichten Biographie aus zugsweise eine der interessantesten Episoden aus Plantins ge schäftlicher Tätigkeit wiedergegeben, die weniger dessen Person zum Ziel hat, als vielmehr eine Psychologie des Buchgewerbes im 16. Jahrhundert darstellen soll. Hierzu dürfte nichts geeigneter sein, als die Relation des größten Verlagsunternehmens Plantins, ja eines der größten buchgewerblichen Unternehmen aus den ersten Jahrhunderten des Buchdrucks überhaupt, von denen wir Kenntnis haben. Und zwar nicht nur eine oberflächliche Kenntnis, basierend etwa auf der bibliographischen Beschreibung des in Frage kommenden Verlagsobjekts, sondern eine Darstellung aller Einzelheiten mit Bezug auf Entstehungsgeschichte, Vorarbeiten, Drucklegung, Vertrieb, finanzielle und administrative Umstände, wie sie uns selbst von modernen Unternehmungen ausführlicher und an schaulicher nicht geboten werden können. Es handelt sich um die »Libls kol^xlotte«, die der Buch drucker in den Jahren 1568—1573 hergestellt hat und der infolge des finanziellen Anteils des Königs Philipp II. von ihrem Heraus- geber der Ehrentitel einer »Königsbibel« beigelegt wurde. Gerade die Beteiligung Philipps II., eines der eigenartigsten, von der Geschichtschreibung so verschiedenartig beurteilten, nach keiner Schablone unterzubringenden Herrschers, erhöht dieses Verlags- unternehmen über das Interesse des Fachmannes hinaus und offenbart uns Charakterzüge dieses Fürsten, deren Kenntnis sogar Historikern von Fach vielleicht noch als Bereicherung dienen könnte. Das Bedürfnis der Veröffentlichung der verschiedenen Originaltexte, aus denen die Schriften des Alten und Neuen Testaments zusammengesetzt sind, war eine naturgemäße Folgeerscheinung der Reformation. In beiden theologischen Lagern war man darauf bedacht, die heiligen Schriften nicht nur nach der damals allein verbreiteten latei- nischen Ausgabe, sondern aus den griechischen, hebräischen, chal- däischen und syrischen Originaltexten zu kennen, um so im Kampfe um das Wort Gottes, das leider so oft, und nicht zum wenigsten in den von Rom abgefallenen Konfessionen und Sekten, zum bloßen Wortkampf ausgeartet war, gewappnet zu sein. So entstanden denn auch schon seit 1514 mehrsprachige Bibelwerke, die Plantin zu seinem großen Unternehmen in spirierten, vor allem dasjenige des Kardinals Limenes, das von 1514 bis 1617 von A. G. de Brocario in Alcala gedruckt und sehr selten geworden war und das Plantin ursprünglich einfach neu zu drucken beabsichtigt hatte. Bereits Aldus Manutius hatte sich seit 1498 mit dem Plane einer Bibel in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache beschäftigt und im Jahre 1600 ein Probeblatt ausgeführt, das uns erhalten geblieben ist. Ein anderer Probedruck einer Bibel, die außer obigen auch noch arabische und chaldäische Texte enthalten sollte, ist uns von dem Dominikanermönch Augustinus Justinianus bekannt und von ihm in seinem 1616 von Peter Paul Porrus gedruckten fünfsprachigen Psalter mitgeteilt worden; der Tod verhinderte ihn an der Ausführung seines Projekts. Aus den Jahren 1646 und 1647 kennen wir zwei Ausgaben des Pentateuch in 4 Sprachen, von Juden in Konstantinopel veröffentlicht. — In direkter Verbindung mit Plantins Unternehmen und uns Deutsche besonders interessierend ist das Projekt des lutherischen Theologen Johann Drakonites in Wittenberg, der gegen Ende seines Lebens eine Bibel in fünf Sprachen (hebräisch, chaldäisch, griechisch, lateinisch und deutsch) vorbereitete, jedoch ebenfalls durch den Tod im Jahre 1566 von der Arbeit abgerufen wurde. Sein Gönner Kurfürst August von Sachsen hatte sich verpflichtet, die Druckkosten zu bestreiten, sah aber von der Verfolgung seiner Lieblingsidee einer deutschen Polyglottenbibel, trotz der von ihm bereits gemachten erheblichen Ausgaben, ab, als er im gleichen Jahre einen Probedruck der von Plantin geplanten Bibel zu Gesicht bekam, den dieser auf der Frankfurter Büchermesse ans gestellt hatte. Auch die Bearbeitung einer viersprachigen Bibel durch den Straßburger Professor Rodolphe Le Chevalier, der jedoch ebenfalls starb (1672), bevor mit dem Druck begonnen werden konnte, mag Plantin in der Ausführung seines großartigen Planes bestärkt haben. Welche Bedeutung dem letztern in Deutschland beigemessen wurde, möge daraus erhellen, daß die Ratsherren der Stadt Frankfurt dem Antwerpener Buchdrucker ein Subsidium zu sicherten, wenn er den Druck in ihrer Stadt ausführen wolle; einen gleichen Vorschlag machte ihm der Kurfürst Pfalzgraf Friedrich >11. um ihn zu diesem Zweck nach Heidelberg zu ziehen. Plantin lehnte jedoch diese ehrenvollen Anträge ab und schrieb am 19. Dezember 1566 an ^ayas, den Sekretär des Königs Philipp II., seines »Herrn«, daß die Vorbereitungen beendet seien und er an den Ankauf des erforderlichen Papiers denke. In einem gleichzeitigen Schreiben bat er (^ayas, sich beim König zugunsten eines Subsidiums von 12 060 bis 16 000 Gulden für ihn zu verwenden, unter besonderer Betonung seiner Treue gegenüber der römischen Kirche, die er sich in diesem Zeitalter religiöser Glaubenskämpfe offenbar als ein Verdienst anrechnete. Die Bibel sollte vier Texte (hebräisch, chaldäisch, griechisch und lateinisch) enthalten, in 6 Bänden erscheinen und innerhalb drei Jahren fertig sein. Zu den hauptsächlichsten Vorarbeiten gehörte u. a. die Revision des hebräischen Wörterbuchs von Pagnino durch den Kölner Lehrer Johann Jsaac, der vom 10. November 1663 bis zum 21. Oktober 1564 in Plantins Hause wohnte und für diese Zeit vom Kölner Senat unter Weiterbewilligung seines städtischen Gehaltes beurlaubt worden war. Ferner der Erwerb des geeigneten Schriftsatz- Materials bzw. der dazu gehörigen Matrizen, nach denen die Lettern in der Buchdruckerei selbst gegossen wurden, und das Engagement von Korrektoren, die. mit den obigen Sprachen ver traut waren und unter denen Francois Raphelengien, der Plan tins älteste Tochter zur Frau hatte, ein sehr gelehrter Mann, an erster Stelle zu nennen ist. Auch der Kardinal Granvella, Plan tins Gönner, förderte die Vorarbeiten, indem er für die Ver gleichung des griechischen Bibeltextes mit den Handschriften des Vatikans sorgte. Im März 1568 erhielt er von Guy Le Fevre de la Boderie den syrischen Text des Neuen Testaments, in he bräischen Buchstaben geschrieben und mit der lateinischen Über setzung versehen, und Wilhelm Postel stellte ihm den syrischen Text der Evangelien, gleichfalls von der lateinischen Übersetzung begleitet, zur Verfügung, den er 1655 auf Kosten des Kaisers Karl V. in Wien veröffentlicht hatte. Als Plantin Ende 1568 von der Frankfurter Messe zurück kehrte, fand er einen Brief von Albernoz, dem Sekretär des Her zogs Alba, vor, durch den er sofort nach Brüssel entboten wurde. Hier erfuhr er vom Statthalter der Niederlande, daß Philipp II. seinen Beichtvater vr. Benolt Arias Montanus dazu auSer- wählt habe, die wissenschaftliche Leitung des Druckes zu über nehmen und die Korrekturen zu lesen. Und am I. Mai erhielt Plantin von t^ayas die Nachricht, daß Arias sich am 31. März in Laredo eingeschifft habe, um Antwerpen auf dem Seewege zu er reichen. Hier kam Arias jedoch erst am 18. Mai an; er hotte an der irländischen Küste Schifsbruch erlitten und mußte Irland und England durchqueren, bevor er sich wieder nach Belgien einschiffen 261