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11338 «Irl-Matt s. d. Dtschn. «Uchhand-I. Nichtamtlicher Teil. .V 225, 28. September ISI2. Nichtamtlicher Teil. Kunst und Kunsthandel. VIII. «VII stehe Nr. 188.) Kunstbanaulcntum. — Kunstblätter als Geschenke siir Zeitungs abonnenten. — Mangelnder Platz für große Bilder im modernen Hause. — Neue Bilder. — Kunstzeitschrifte». — Vom fliegenden Kunsthandel. Daß zu dem unerfreulichen Kapitel der Kunstvergewal tigungen immer neue Beiträge geliefert werden, ist zwar be trüblich, aber man wird sich Wohl damit abfinden müssen. Bei aller Betonung dessen, was Polizei und Staatsanwälte schon gegen die Kunst verbrochen haben, hat indes diese trau rige Erscheinung keineswegs immer ihren direkten Ursprung in der Kunstunfreundlichkeit und dem mangelnden Verständnis dieser beiden staatlichen Institutionen, sondern leider Gottes — beim lieben Publikum. Jeder einige Jahre in der Praxis stehende Kunsthändler wird es einmal am eigenen Leibe er fahren haben, wie ungemein schwierig es ist, dafür das richtige Matz zu finden, was man den Blicken der geehrten Kund schaft darbieten darf und was nicht. Die Fälle, in denen die sittliche Entrüstung hochmoralischer Menschen sich selbst gegen die großen Kunstwerke der alten Meister auflehnte, sind nicht neu. Sie haben aber erst kürzlich eine hübsche Fortsetzung gefunden, indem in Stuttgart ein ganz besonders ausgefeim- ter Sittlichkeitsschnüsfler sich durch die in der Hofkunsthand lung Schaller ausgestellten Werke alter Meister — es handelt sich um Michelangelos Adam und Giorgiones vielgerühmte Venus — verletzt fühlte und die Firma bei der Polizei de nunzierte, — natürlich, wie es immer solch edle Herren tun, — anonym. Nun hat aber Stuttgart einen sehr vernünftigen Polizeidirektor, der, um sich keiner Blamage auszusetzen, ohne weiter zu reagieren, den Fall all aota gelegt hat. Das ist gewiß sehr lobenswert, und die Sache wäre damit eigentlich erledigt, wenn sie nicht auch eine wirtschaftliche Seite von großer Bedeutung hätte. Diese Sittlichkeitsfanatiker sind ein heimtückisches Gesindel, und so wie in Köln und Dresden große Firmen mit Zu schriften beehrt wurden, in denen man ihnen den Boykott an droht, wenn sie gewisse freie Erzeugnisse der Kunst ausstellen, resp. sie nicht aus dem Fenster nehmen, so werden auch in anderen Städten die Kunsthändler das stille Walten jener Leute, die nun mal überall in der Welt herumlaufen, ge spürt haben. Es wird selbstverständlich Kunsthändler geben, die sich kühn über die widerlichen Anrempeleien der Banausen hinwegsetzcn, aber cs wird mehr als einmal, beim besten Willen hierzu, die Frage des Selbsterhaltungstriebes auf tauchen. Daß diese in Städten, wo die von der göttlichen Gnade besonders erleuchteten Seelen besonders stark ver treten sind und in der ultramontanen Presse ihren Hinterhalt finden, zur Existenzfrage werden kann, ist nicht von der Hand zu weisen. So haben die in München versammelt gewesenen Mitglieder der Deutschen Kunsthändler-Gilde gerade bei die sem Punkt ihrer Erörterungen lebhafte Besorgnis empfunden. Man war sich darüber klar, daß nur ein unbedingtes und konsequentes Rückgratzeigen, d. h. natürlich soweit es die Ver hältnisse des Einzelnen zulassen, ohne seine Existenz zu ge fährden, daß ferner eine unermüdliche Aufklärungsarbeit, für deren Unterstützung man sich die Hilfe der liberal gesinnten Presse sichern mutz, mit der Zeit zu einem Wandel führen kann. Daß die Quertreibereien ganz aufhören werden, wird auch der stärkste Optimismus nicht glauben. Denn es wird immer wieder Vorkommen, daß irgendein Zeitgenosse, der die Pioral und die Sittlichkeit gepachtet zu haben meint, ent rüstet einen Kunstladen mit dem unumstößlichen Vorsatz ver läßt, diese Stätte der Unsittlichkeit in seinem ganzen Leben nicht wieder zu betreten, und seine mehr oder minder tüch tigen Gesinnungsgenossen mit erhabener Geste und frommem Augenaufschlag beschwört, das gleiche zu tun. Daß die hef tige Wühlarbeit eines einzigen Menschen dieses Schlages ge nügen kann, eine Menge anderer mit sich zu reißen und so dem Kunsthändler gewissermaßen die Pistole aus die Brust zu setzen, ist durchaus möglich. In großen Städten mag das schon schwer sein, weil das Geschäft durch seinen weiteren Aktionsradius gedeckt ist, in kleineren und mittleren Städten aber wird sich der Kunsthändler, und sei er persönlich auch noch so freiheitlich und fortschrittlich gesinnt, niemals ganz dem verhängnisvollen Drucke jener Leute entziehen können. Man wird ihm daraus nicht einmal einen Vorwurf machen können. Wie dem aber auch sei, die Kunstsortimenter, die ja mitten im Leben stehen, mitten in einem aus idealen und praktischen Gesichtspunkten zusammengesetzten Wirken, haben es Wohl in der Hand, langsam und ohne Gewalt, aber wohlbewußt, das Volk zu einer freieren und gerade darum sittlicheren An schauung zu führen. Es dürfte auch hier gemeinsames Vor- gehen, Austausch der gesammelten Erfahrungen, Propagie rung der in Frage kommenden Schriften und ein fortgesetzter Appell an die Tagespresse, die das Moralfatzkenlum gebührend an den Pranger zu stellen hat, nicht ohne Erfolg sein. Nur ge hört eben Ausdauer dazu. Daß der Kunsthandel in seiner Gesamtheit nicht auf Rosen gebettet ist, weiß man. Und wenn man auf seinen Reisen wieder einmal den Blick in ein richtig geleitetes, wohl- ausgestattetes Sortiment wirft, so schön der Anblick auch sein !mag, so optimistisch man den Kunsthandel gleich wieder als ! das herrlichste aller Geschäfte Preisen möchte, es fällt doch ^ ein Wermutstropfen in die Begeisterung. Denn die Zahl der Feinde, die die reguläre, organisch aus sich herausge wachsene Kunsthandlung bedrohen und mit ihr in schärfste ^ Konkurrenz treten, ist wahrlich nicht gering. So sind es be- > sonders die Zeitungsprämien, die dem Kunsthandel zu schaf fen machen. Der Herbst scheint für die Manöver der großen Zeitschriften, insonderheit der Modejournale ganz besonders beliebt zu sein, und man hat gerade jetzt wieder Gelegenheit, zu sehen, wie in einer ersten deutschen Tageszeitung ein Mode journal den Damen, die auf Grund dieser Einladung abon nieren, aus fünf recht wohlbekannten und gutgehenden Blät tern des Kunstsortiments eines in farbiger Gravüre im an geblichen Werte von Mark 20.— kostenlos als Geschenk verspricht. Es ist sicher, daß Hunderte, vielleicht Tausende von Frauen, die ja mit derartigen Angeboten so leicht zu fangen sind, mit Freuden auf die Zeitung abon nieren, um eben eines jener hübschen Blätter zu erhalte». Der Schaden, der dem Kunstsortiment hieraus erwächst, liegt auf der Hand. Es wäre demnach nur zu wünschen, daß Kunstverleger, denn auch die sind hier stark interessiert, und Kunstsortimenter sich nicht genierten und gegen diese Kon kurrenz energisch Front machten. Dem Zeitschriftenvertrieb stehen hundert andere Mittel zur Abonnentengewinnung zur Verfügung, so daß nicht einzusehen ist, weshalb gerade der Kunsthandel unter den Manipulationen von Firmen bluten soll, die ihm relativ am nächsten stehen. Mit einigem Rechte erblicken die Kunsthändler auch im modernen Architekten einen ausgesprochenen Widersacher. Sie klagen fast alle, daß der Umsatz an großen Blättern viel ge ringer wird. Und warum? Weil die Neubauten keine Wände mehr haben. Wände schon, aber was für welche! Wenn man sich selber für den Fall interessiert, kommt man bald dahinter, daß in der Klage eine gewisse Berechtigung liegt. Man hat sich daran gewöhnt, die Bordleiste, die Wand und Plafond