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225, 26. September 1912. Mchtamtlicher Teil. VIrlmbl-u f. d. Dtlchn. L»4h»ndiv 11S39 trennt, aus neuerungssüchtigen oder raumkünstlerischen Grün- den beinahe bis zur Hälfte der Wand herunter zu verlegen. Ohne diese Gründe einfach zu verneinen, bleibt doch bestehen, daß man Bilder anständigen Formates nicht mehr aufhängen kann, oder nicht aufhängen will, weil es wiederum nicht ge rade schön ist, wenn hinter der Bildfläche sich die Leiste ent lang zieht. Vor einigen Jahren setzte die Einführung dieser Neuerung ein, und sie ließ sich anfangs ganz gut ertragen. Aber man ist immer tiefer und tiefer gesunken, d. h. mit der Bordkante, und so bleiben im Ban des Jahres 1912 nur noch Wände, an denen man allenfalls eine Galerie kleiner Bilder hübsch unterbringen kann, an denen aber 30- und 50- Mark-Formate einfach unmöglich sind. Man erinnere sich vergangener Zeiten, man denke an das feine alte Bürgerhaus, wie schön und feierlich wirkte es immer, wenn von der Wand ein großer Stich der Sixtina oder vom Abend am Rhein oder sonst eines jener Blätter herabgrüßte, die man ehedem zum unerläßlichen Schmuck des deutschen Hauses zählte. Frei lich, die Zeiten haben sich geändert, und wir müssen damit rechnen. Aber es wäre doch gar nicht unangebracht, von Zeit zu Zeit einmal die Architekten daran zu erinnern, daß der Kunsthändler auch leben will und daß er die schönen großen Blätter in seinem Schranke nicht zu seinem persön lichen Vergnügen da hat, sondern zum Verkaufen. Das wird ihm aber immer schwerer gemacht, wenn das Publikum, wenn reiche Menschen, die sich eine moderne Villa bauen lassen, oder junge Leute, die sich erst einrichten, erklären müssen, daß sie für große Bilder keinen Platz haben. Doch es soll der Klagen für heute genug sein. Der Kunst- Handel hat ja auch seine freudigen Augenblicke, und zu ihnen zählt der wirkliche ernste Kunsthändler, der nicht nur Bilder verläufer ist, neben denen, wenn er ein gutes Geschäft macht, auch die, wenn er etwas besonders Schönes für sein Lager be kommt. Hierzu rechnet man ohne Zweifel die Medicidrucke, die, von England herllbergekommen, durch die Firma F. Bruck mann A.-G., München, eine große, Wohl verdiente Verbreitung gefunden haben. Was über diese Drucke des Schönen und Guten schon gesagt worden ist, findet mit jedem neuen Blatte wieder vollste Bestätigung. Jetzt liegen sechs neue Drucke vor. Fünf davon sind nach Meisterwerken der berühmtesten deutschen Galerien gemacht, und zwar der Dresdener Galerie, die unter der klugen und feinsinnigen Leitung von Professor Posse in ihren Grundvesten wesentlich umgemodelt, sich jetzt in einem neuen, nicht gewaltsam modernisierten, aber mit ungemein glücklicher Hand geschaffenen Gewände zeigt. Daß die Publi kation der Medicidrncke nicht nur vom rein geschäftlichen Standpunkte aus geschieht, daß ihr vielmehr eine rein künstle rische, wissenschaftliche, historische Tendenz zu gründe liegt, ist Wohl nicht zuletzt die Ursache, daß die Blätter bei Künstlern und Gelehrten eine so begeisterte Aufnahme fanden, und auch bei dem Publikum, das Kunstwerke kauft, nicht Bilder. Die Auswahl der als Medicidrucke herauszugebenden Werke ge schieht wahrlich nicht nach kaufmännischen Prinzipien. Schon das größte Blatt, das man diesmal bringt, beweist es. Es ist Marias Tempelgang von Cima da Conegliano. Ein Bild, das nach der tiefen und mystischen Religiosität seines Sujets, nach Komposition und koloristischer Durchführung gleichsam ein Charakteristikum der italienischen Malerei des 15. Jahrhun derts bedeutet. Die Wiedergabe ist ganz ausgezeichnet, und man kann cs nicht dankbar genug begrüßen, daß auch die et was versteckteren, aber deshalb nicht weniger kostbaren Perlen der klassischen Malerei, die nicht so zu Paradestllcken der großen Menge geworden sind, zum gleich hohen Genuß erschlossen werden. Der Preis von 24.— für dieses Blatt (Bildgröße 52:70,5 cm) ist wirklich sehr mäßig. Das zweite Blatt stellt Giorgiones herrliche, biclbewunderte, von odiösen Kunst banausen undSittlichkcitsfanatikern viel angefeindete Ruhende Venus dar. Dem Werke an dieser Stelle Worte der Bewunde rung zu widmen, ist überflüssig, die Kunsthistoriker und Ästheten aller Zeiten haben es in begeisterten Hymnen getan. Bleibt nur zu sagen übrig, daß auch hier die Reproduktions technik ein non plus ultra geschaffen hat, eine Wiedergabe, die den vollen Genuß aller ihrer hohen menschlichen Schönheit und künstlerischen Pracht vermittelt. Das Blatt kostet 25 .kk, und wenn es auch gerade dasjenige Bild ist, auf das sich die Angriffe jenes eingangs erwähnten Banausen in Stuttgart richteten, so soll das den Kunsthandel nicht hindern, mit Freude dahin zu wirken, daß durch den von keiner gemeinen Gesinnung getrübten Anblick dieses grandiosen Werkes der Sinn des Vol kes veredelt und seine sittliche Kraft gestärkt werde. Als näch stes Blatt kommt Claude Lorrains wohlbekannte Landschaft mit der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Preis 24.—), das die hohe malerische Potenz dieses einzigartigen Vertreters der idealen Landschaftsmalerei im glänzendsten Lichte zeigt. Dann folgt ein Standardbild des deutschen und insonderheit des Dresdner Kunsthandels, Tizians ergreifend schlichter Zins groschen (^( 21.—) und endlich Dürers unvergleichlich schöne Kreuzigung, jenes Miniaturgemälde, in dem sich unsagbare menschliche Trauer und Trostlosigkeit, die bis in die weite Landschaft hinein zittert, und höchste künstlerische Vollendung zu einem seltsamen Gemisch vereinen (Preis 12.—). Mu- rillos Heiliger Antonius, das Christkind herzend, in der Ber liner Galerie oder vielmehr nur die Hauptgruppe daraus («kk 12.—), bildet den Schluß und wird mit seiner liebenswür digen, frommgläubigen Naivität sich mit altbewährter Zug- kraft an das liebe Publikum wenden. Kein Wort tönt dem Kunsthändler so lieblich und so anspornend in sein Ohr, wie das Wort »Schlager«. Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, so waren die ersten Medicidrucke Schlager, ich gedenke nur der herrlichen Wiedergabe des Christuskopfes von Lio- nardo da Vinci. Auch die Mehrheit der heute besprochenen Blätter wird dem Kunsthandel den vergnüglichen Sinn des Wortes wieder vernehmlich machen. Da wir nun einmal bei der Betrachtung neuer Bilder sind, sei auch gleich einiger anderer gedacht. So vor allem eines, das jetzt in der Zeit, da man der grausamen Kämpfe auf den russischen Schlachtfeldern gedenkt, und die Tage der Völkerbefreiung aus dem Joch Napoleons sich bald zum hundertsten Male jähren, ganz besonders großes Interesse finden mutz. Es ist eine Originalstcinzeichnung des Völker schlachtdenkmals bei Leipzig von Professor Seliger, die im Verlage von Rudolf Schick L Co., Leipzig, erscheint. Das Denkmal hat riesige Dimensionen, also hat man auch für seine bildliche Darstellung solche gewählt. Es mag dadurch an Ver wendbarkeit für den Wohnraum einbüßen, für Schulzwecke aber, für öffentliche Räume, Militär- und Amtsstuben muß es ein wirklich hervorragender Schmuck sein. Hier muß es in seiner hübschen farbigen Behandlung, die einen gesunden mo dernen Zug unterstreicht, muß es in seiner Monumentalität in jugendlichen Herzen Liebe und Begeisterung für die große Sache des Vaterlandes und seine Freiheit Wecken, in den Er wachsenen aber den heißen Wunsch, daß Völkerschlachten dieser Art nimmer wiederkehrcn mögen. Das Bild ist groß, 100:70 em, kostet «Ä 5.— und eröffnet rührigen Kunsthändlern die Aussicht auf ein schönes Geschäft. Von anderen Blättern, die der gleiche Verlag herausgibt und die ebenso wie das vorige ihre Bestimmung für die Schule, für den Konfir mationsraum, für Betstuben und ähnliche Räume in sich tragen, möchte ich heute noch zwei erwähnen. Sie stammen von der Meisterhand Prof. Wilhelm Steinhaufens und atmen ganz den tiefen religiösen Geist, den wir an ihm gewohnt sind. Einmal sind es die »Jünger von Emaus«, 4.—, die auf der gleich großen Fläche wie das Denkmal, in ihrer zu rückgedrängten Farbigkeit im geeignete» Raum sicher eine 1477»